Fritjof KOLLMANN2 & Michael SCHUHEN (Siegen)
Feedback zum Lernfortschritt der Studierenden während der Vorlesung
Zusammenfassung
Durch die Verbreitung mobiler Endgeräte besteht die Möglichkeit, Dozent/in und Studierende durch vielfältige Interaktionen auch innerhalb der Vorlesung miteinander zu vernetzen. Dadurch kann die vielfach kritisierte passiv-rezeptive Rolle der Studierenden um aktive Elemente angereichert werden. Im nachfolgenden Beitrag werden ausgehend von einer Nutzerbefragung interaktive domänenspezifische Aufgaben den Studierenden auf mobilen Endgeräten zur Verfügung gestellt. Anhand des Beispiels „Handel mit Optionen“ aus der Vorlesung „Investition und Finanzierung“ wird gezeigt, wie die durch die Interaktion gewonnenen Daten der/dem Dozierenden neue Erkenntnisse über den Lernfortschritt ihrer bzw. seiner Studierenden ermöglichen. Ziel ist eine Bottom-up-Strategie für die Hochschuldidaktik.
Schlüsselwörter
Interaktive Vorlesungen, mobile Endgeräte, direktes Feedback, domänenspezifische Aufgaben, Learning Analytics
Feedback on the student learning progress during lectures
Abstract
Due to the widespread distribution of mobile devices, it is possible for lecturers and students to integrate feedback and interact digitally within a lecture. By using interactive exercises, the passive-receptive role of the student can be improved. In this paper, interactive domain-specific tasks are distributed to the students on mobile devices based on a user survey.The example “options trading” from the lecture “Investment and Finance” shows how to analyse the data collected from the interactions and how to gain new insights into the learning progress of the lecture participants. The goal is to develop a bottom-up strategy for university teaching.
Keywords
interactive lectures, mobile devices, direct feedback, domain-specific tasks, learning analytics
1 Einleitung
Im Kontext moderner fach- und hochschuldidaktischer Anforderung (VOSS, 2008, S. 1ff) ist die klassische Vorlesung Kritik ausgesetzt. Schon seit langem wird die Passivität von Studierenden in Vorlesungen bemängelt (APEL, 1999, S. 22f), was jedoch bis heute nicht zu grundlegenden Veränderungen des klassischen Vorlesungskonzeptes geführt hat (BLIGH, 2000, S. 7f). Werden darüber hinaus zur Vorlesung keine begleitenden Übungen angeboten, so bleibt die aktive Auseinandersetzung mit den zu lernenden Inhalten alleine dem Engagement des Studierenden überlassen. Informationen zum Lernfortschritt der Studierenden erhält die/der Dozierende dann meist erst am Ende, wenn die Klausur geschrieben wurde oder sie/er die Evaluationsergebnisse zur Vorlesung erhält. Ein „Nachsteuern“ ist dann allerdings nicht mehr möglich.
Die von vielen Seiten aufgestellten Forderungen nach einem „Shift from Teaching to Learning“, nach kompetenzorientierten und nachhaltigen Lehr-Lernarrangements bis zur Förderung der „Employability“ (VON FRANTZIUS, 2013, S. 1f) erfordern neue Kommunikations- und Interaktionsformen. Diese reichen von einer minimalen Veränderung der klassischen Vorlesung durch die Integration von Abstimmungssystemen bis zu Strukturveränderungen durch das Flipped-Classroom-Konzept (KÜCK, 2014).
Neben diesen grundlegenden strukturellen Überlegungen entstehen zudem Anforderungen durch eine „neue“ Studierendengeneration, die sich als „digital natives“ (BENETT et al., 2008) durch ein verändertes Kommunikations- und Mediennutzungsverhalten auszeichnet. In der Gruppe der Studierenden besitzen ca. 97 % ein mobiles Endgerät (JIM, 2014). Zeigten sich in einer Studie von PALFREY & GRASSER (2008) nur 13 % der Gesamtbevölkerung interessiert, User-Generated-Content im Netz anzubieten, so sind es unter den 14- bis 19-Jährigen 57 %. Für diese Generation stellt die digitale Welt einen Kulturraum dar, den sie durch stetige Partizipation aufbauen und interessanter werden lassen. Im Übergang zum universitären Studium kann angenommen werden, dass diese Generation auch im Lehralltag eine vernetzte Lehr-Lernumgebung erwartet. Vernetzung bedeutet in diesem Sinne die Ermöglichung von Interaktivität (BOEM, 2002), wozu nicht nur die Erleichterung der Interaktion (SACHER, 1996, S. 2) zählt, sondern auch die Forderung nach Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten (HAACK, 1995, S. 152-153).
Allerdings haben weder bestehende Konzepte (wie z. B. der bereits angesprochene Flipped Classroom, aber auch E-Portfolios) (FISCHER & KÖHLER, 2010) noch die neue Generation Studierender bisher zu einer „hochschuldidaktischen Revolution“ geführt. Viele gute, eher auf der Mikroebene der einzelnen Vorlesung oder Übung anzusiedelnde Innovationen haben den Sprung in eine hochschulweite E-Learning-Strategie nicht geschafft und dies aus zweierlei Gründen.
So ist nach der HIS-Studie von 2006 nicht das primäre Bestreben der Hochschulen, die Qualität der Lehre zu verbessern, sondern die hochschulpolitische Auffassung überwiegt, dass E-Learning zur Erreichung strategischer Ziele beitragen kann. Zu diesen Zielen zählen (HIS-Gutachten 2006):
- die Attrahierung neuer Studierendengruppen (und die dadurch erhoffte Behebung von Unterauslastung in einzelnen Fachbereichen),
- eine praxisbezogene mediengestützte Verflechtung von Studieneintritts-, Studien- und Nachstudienphase, die auch der „Kundenbindung“ dient,
- die Steigerung der institutionellen Reputation durch den Einsatz aktueller Technologien,
- die Erzielung von Einnahmen durch Online-Angebote in der Weiterbildung
- oder der weitere Ausbau der Online-Angebote zu einer zugkräftigen Weiterbildungsmarke bzw. die Etablierung als Full-Service-Provider im Bereich telemedialer akademischer Ausbildung.
Aber auch auf individueller Ebene sprechen viele Gründe gegen erfolgreiche Top-Down-E-Learning-Strategien. FISCHER & KÖHLER (2010) merken in ihrer Studie an, dass E-Learning-Innovationen nur dann von Dozierenden eingesetzt werden, wenn es ihrer beruflichen Karriere dient oder sie ihr Ansehen innerhalb ihrer Community stärken können. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum im Kontext wirtschaftswissenschaftlicher Vorlesungen sich bis heute nur das klassische Vorlesungskonzept mit und ohne begleitende Übungen etabliert hat.
Im Kontext dieser Problematik wird in diesem Beitrag eine Bottom-up-Strategie für die Integration von E-Learning-Konzepten vorgeschlagen. Es wird nicht versucht, das etablierte Konzept der klassischen Vorlesung zu ersetzen oder umfangreich zu verändern. Vielmehr soll gezeigt werden, wie mit Hilfe des hochschuldidaktischen Tools der/dem Dozierenden Informationen zum Lernfortschritt der Studierenden auch innerhalb der Vorlesung bereitgestellt werden kann. Die Basis für dieses Feedback zur Vorlesung bilden zum einen domänenspezifische interaktive Aufgaben, zum anderen ein mehrdimensionales Modell der Interaktivität, das es erlaubt, den Lernfortschritt auszuwerten und zu visualisieren. Die Motivation für dieses Vorgehen liegt in der Hoffnung begründet, dass Dozierende ein Interesse zum einen an der Verbesserung der Lehr-Lernsituation haben und zum anderen – insbesondere in den Wirtschaftswissenschaften – komplexe Entscheidungsaufgaben favorisieren, die mit Hilfe des hochschuldidaktischen Tools zum Teil erstmals umgesetzt werden können.
2 Domänenspezifische interaktive Aufgaben
Um das Gelingen eines Lernprozesses in Abhängigkeit von der Disziplin zu unterstützen, werden Aufgaben gezielt für Gruppen entwickelt. So werden Schüler/innen im Laufe eines Schultages direkt oder indirekt mit einer großen Anzahl von Aufgaben, Fragestellungen und Anweisungen konfrontiert. Unterricht ist folglich vergleichbar mit dem systematischen Versuch, Schüler/innen zu befähigen, Aufgaben unterschiedlichster Art zu bewältigen (KRUMM, 1985, S. 102). In Vorlesungen kann dies in Abhängigkeit von der Fachkultur durch Lernaufgaben ermöglicht werden. Lernaufgaben stehen im Mittelpunkt des Lernprozesses und sollen zum problemorientierten, fehlerfreundlichen Lernen anregen (vgl. ABRAHAM & MÜLLER, 2009, S. 6). Werden auch im universitären Kontext Kompetenzen als „kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen definiert, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen beziehen“ (KLIEME & LEUTNER, 2006, S. 879), so können Lernaufgaben als kompetenzorientiert gelten, sofern für ihre Bearbeitung nicht das Wissen an sich, sondern die Anwendung domänenspezifischen Wissens in konkreten, möglichst authentischen Problemsituationen entscheidend ist. Dies bedeutet für betriebswirtschaftliche Vorlesungen, dass typische Anforderungssituationen zu konstruieren sind, die eine Aktivierung und Ausbildung der spezifischen Kompetenzen des Faches (der Domäne) ermöglichen. Nur so können sich Kompetenzen in einer Bearbeitung fachspezifischer Anforderungssituationen entfalten (MAY, 2011, S. 127). Domänenspezifische Aufgaben basieren somit auf Anforderungssituationen, die sich dafür eignen, die für ihre Bewältigung notwendigen Performanzen zu aktivieren und je nach Aufgabentyp auszubilden (MAY, 2011, S. 126). Neben den domänenspezifischen Anforderungssituationen sind es speziell im ökonomischen Bereich Methoden, Verfahren und Modelle, die die Arbeitsweise zukünftiger Kaufleute und Volkswirtinnen/Volkswirte charakterisieren.
Im Fokus der domänenspezifischen Methodenkompetenzen (WEYLAND & SCHUHEN, 2015) stehen dabei
- das Problemlösen,
- die Entscheidungskompetenz und
- mathematische und graphische Herangehensweisen in der Ökonomie im...