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E-Book

Edward Snowden

Geschichte einer Weltaffäre

AutorLuke Harding
VerlagEdition Weltkiosk
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783942377102
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Alles begann mit einer E-Mail: «Ich bin ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter ...» Was folgte, war die spektakulärste Enthüllung von Staatsgeheimnissen der Geschichte. Edward Snowden, ein junges Computergenie, das für die amerikanische National Security Agency (NSA) arbeitete, alarmierte die Weltöffentlichkeit, dass der mächtige Geheimdienst neue Technologien nutzt, um praktisch den ganzen Planeten zu überwachen und die Privatsphäre eines jeden zu zerstören. EDWARD SNOWDEN ist die erste umfassende Schilderung der Taten Snowdens - und der Arbeit der Journalisten, die dem Druck der amerikanischen und britischen Regierungen widerstanden und die größenwahnsinnigen Überwachungsaktivitäten der NSA und ihres britischen Gegenstücks Government Communications Headquarters (GCHQ) ans Licht brachten. Snowden hat Weltgeschichte geschrieben. Seine Flucht führte ihn von Hawaii nach Hongkong und schließlich zur vorläufigen Endstation Moskau. Was veranlasste Snowden, sich zu opfern? Der Guardian-Journalist Luke Harding gibt in seinem Buch Antworten, die jeden Bürger des Internetzeitalters beunruhigen dürften - in aktualisierter Ausgabe mit neuem Schlusskapitel.

LUKE HARDING wurde 1968 in Nottingham geboren und studierte Englisch in Oxford. 1996 stieß er zum Guardian und stieg zu einem der profiliertesten Auslandskorrespondenten der linksliberalen Tageszeitung auf. Er berichtete aus Neu-Delhi, Berlin und Moskau ebenso wie vom Afghanistan- und Irakkrieg. Anfang 2011 wurde ihm nach vier Jahren als Russland-Korrespondent am Flughafen Domodedowo vom Geheimdienst FSB die Wiedereinreise verweigert - ein einmaliger Vorgang seit Ende des Kalten Kriegs. Seitdem arbeitete er in der Guardian-Zentrale in London und berichtete zuletzt auch aus Libyen, Syrien und der Ukraine. 2012 erschien von ihm MAFIASTAAT. Ein Reporter in Putins Russland bei WELTKIOSK, was unserem Verlag Cyberattacken aus Russland einbrachte. Zusammen mit DAVID LEIGH schrieb er außerdem den Bestseller WIKILEAKS. Julian Assanges Krieg gegen Geheimhaltung. Im November 2014 wurde Harding für seine journalistische Arbeit mit dem prestigereichen James-Cameron-Preis ausgezeichnet.

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Leseprobe

PROLOG: DAS TREFFEN


Mira Hotel, Nathan Road, Hongkong
Montag, der 3. Juni 2013


Ich will nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich sage, alles, was ich tue, jeder, mit dem ich mich unterhalte, jeder Ausdruck von Kreativität oder Liebe oder Freundschaft aufgezeichnet wird ...

EDWARD SNOWDEN

Alles begann mit einer E-Mail. «Ich bin ein hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter ...» Kein Name, keine Berufsbezeichnung, keine Details. Glenn Greenwald, ein in Brasilien lebender Kolumnist der britischen Tageszeitung The Guardian, begann, mit der mysteriösen Quelle zu korrespondieren. Wer war sie? Die Quelle sagte nichts über sich; sie war nicht zu greifen, ein Online-Gespenst. Möglicherweise sogar eine Fiktion.

Denn wie konnte sie schon echt sein? Nie zuvor hatte es bei der National Security Agency ein größeres Geheimnisleck gegeben. Jeder wusste, dass der in Sachen Sammeln von Geheimdiensterkenntnissen führende Dienst in Fort Meade nahe der amerikanischen Hauptstadt undurchdringlich war. Was die NSA tat, war ein Geheimnis. «NSA, No Such Agency» — eine solche Behörde gab es gar nicht, wie es augenzwinkernd im Washingtoner Umland hieß.

Doch diese seltsame Person schien Zugang zu einigen bemerkenswerten, streng geheimen Dokumenten zu haben. Die Quelle sandte Greenwald Auszüge hochbrisanter NSA-Akten und lockte ihn damit. Wie dieser Geist sie mit solch offenbarer Leichtigkeit hatte entwenden können, war ein Rätsel. Angenommen, sie waren echt, schienen sie eine Story von globaler Tragweite zu enthüllen. Sie legten nahe, dass das Weiße Haus nicht nur seine Feinde ausspionierte (böse Buben, Al-Qaida, Terroristen, die Russen) oder seine angeblichen Verbündeten (Deutschland, Frankreich), sondern auch die Kommunikationsdaten von Millionen amerikanischer Bürger.

Eng mit dieser amerikanischen Massenschnüffelei verbunden war Großbritannien. Das britische Gegenstück zur NSA, Government Communications Headquarters (GCHQ), lag tief in der englischen Provinz. Großbritannien und die Vereinigten Staaten tauschten schon seit dem Zweiten Weltkrieg ihre Geheimdiensterkenntnisse aus. Aus ungnädiger Sicht agierten die Briten als verlässliche Schoßhündchen der Amerikaner. Besorgniserregenderweise belegten die Akten, dass die NSA Millionen Dollar für britische Überwachungsaktivitäten bereitstellte.

Nun sollte Greenwald seinen «Deep Throat» treffen. Die Quelle versprach weitere Enthüllungen, wenn er von seinem Heimatort Rio de Janeiro nach Hongkong fliegen würde, Tausende Flugmeilen entfernt und unter Kontrolle des kommunistischen Chinas. Greenwald fand die Wahl des Ortes «bizarr» und verstörend: War die Quelle dort in leitender Position stationiert?

Das Treffen sollte im Mira Hotel in Kowloon stattfinden, einem schicken, modernen Gebäude im Herzen des Touristenviertels, nur eine kurze Taxifahrt von der Star-Ferry-Anlegestelle entfernt, von wo die Fähren zur Hongkonginsel verkehren. In Greenwalds Begleitung war Laura Poitras, ebenfalls eine Amerikanerin, Dokumentarfilmerin und Pfahl im Fleische des US-Militärs. Sie war die Kupplerin gewesen — die Erste, die den Kontakt zwischen Greenwald und dem Geist hergestellt hatte.

Die beiden Journalisten hatten genaueste Instruktionen erhalten. Man würde sich in einer ruhigeren, aber nicht völlig abgeschiedenen Ecke des Hotels treffen, neben einem großen Plastikalligator. Man würde vorher festgelegte Sätze wechseln. Die Quelle würde einen Zauberwürfel in der Hand halten. Oh, und ihr Name lautete: Edward Snowden.

Es schien, als sei der mysteriöse Kontaktmann ein erfahrener Spion. Vielleicht einer mit einem Faible für Dramatik. Alles, was Greenwald über ihn wusste, wies in eine bestimmte Richtung: dass er ein ergrauter Geheimdienstveteran war. «Ich dachte, er müsste ein ziemlich altgedienter Bürokrat sein», erinnerte sich Greenwald später. Vielleicht über 60 Jahre alt, in blauem Blazer mit goldenen Knöpfen, schütterem grauem Haar, rustikalen schwarzen Schuhen, Brille, Krawatte mit Club-Emblem ... Greenwald hatte ihn schon vor Augen. Vielleicht der CIA-Stationschef in Hongkong; der Stützpunkt lag gleich um die Ecke.

Diese Theorie, so irrig sie war, basierte auf zwei Indizien: dem sehr privilegierten Zugang zu streng geheimen Dokumenten, den die Quelle offenbar genoss, und die Reife ihrer politischen Einschätzungen. Mit dem ersten Schub von Geheimdokumenten hatte sie ein politisches Manifest geschickt. Es enthielt das Motiv — die Enthüllung des Ausmaßes dessen, was die Quelle für einen Überwachungsstaat hielt, der «anlasslos» agierte. Die Technologie, um Menschen auszuspionieren, habe die Grenzen des Rechts weit überschritten, hieß es darin. Die nötige Kontrolle darüber sei gar nicht mehr möglich.

Das Ausmaß der NSA-Ambitionen sei außerordentlich, erklärte die Quelle. Im vergangenen Jahrzehnt habe sich das Volumen digitaler Informationen, die zwischen Kontinenten ausgetauscht würden, stark vergrößert. Es sei sogar geradezu explodiert. Vor diesem Hintergrund habe der Geheimdienst seinen ursprünglichen Auftrag der Sammlung von Erkenntnissen über das Ausland ausgeweitet. Heutzutage sammele er Daten über jeden. Und speichere sie. Dies schließe sowohl Daten aus den Vereinigten Staaten als auch aus dem Ausland ein. Die NSA betreibe nichts weniger als elektronische Massenüberwachung. Zumindest hatte das die Quelle behauptet.

Das Paar traf vor der vereinbarten Zeit beim Krokodil ein. Sie setzten sich. Und warteten. Greenwald überlegte kurz, ob Alligatoren in der chinesischen Kultur eine bestimmte Bedeutung besäßen. Er war sich nicht sicher. Nichts passierte. Die Quelle tauchte nicht auf. Seltsam.

Sollte das erste Treffen nicht zustande kommen, so lautete der Plan, sollten die beiden am gleichen Vormittag etwas später zum gleichen anonymen Korridor zurückkehren, der die glitzernde Einkaufshalle des Mira mit einem der Restaurants verband. Greenwald und Poitras kamen wieder. Und warteten ein zweites Mal.

Und dann sahen sie ihn — ein blasser, dürrer, nervöser, lächerlich junger Mann. Kaum alt genug, sich zu rasieren, schoss es dem geschockten Greenwald durch den Kopf. Der Mann trug ein weißes T-Shirt und Jeans. In seiner rechten Hand hielt er einen abgegriffenen Zauberwürfel. Lag eine Verwechselung vor? «Er sah aus, als sei er 23. Ich war völlig verwirrt. Nichts ergab einen Sinn», sagte Greenwald später.

Der junge Mann — sofern es sich tatsächlich um die Quelle handelte — hatte verschlüsselte Instruktionen geschickt, wie die erste Verifizierung vonstattengehen sollte:

Greenwald: «Um wie viel Uhr öffnet das Restaurant?»

Die Quelle: «Um 12 Uhr mittags. Aber gehen Sie da nicht hin, das Essen ist Mist...»

Der Wortwechsel hatte eine gewisse Komik. Greenwald — nervös — sagte seinen Satz auf, bemüht, keine Miene zu verziehen. Dann sagte Snowden einfach: «Kommt mit.» Die drei gingen schweigend zu einem Aufzug. Niemand sonst war zugegen — zumindest niemand, den sie sehen konnten. Sie fuhren in den ersten Stock und folgten dem Zauberwürfelmann auf das Zimmer 1014. Er öffnete die Tür mit einer Magnetstreifenkarte, und sie gingen hinein. «Ich folgte ihm blind», sagte Greenwald.

Es war von Anfang an eine seltsame Mission gewesen. Aber nun hatte das Ganze den Anflug eines aussichtslosen Unterfangens. Dieser schmalbrüstige Studententyp war sicherlich zu milchgesichtig, um Zugang zu hochsensiblem Material zu haben. Optimistisch malte sich Greenwald aus, dass es sich womöglich um den Sohn der Quelle handelte, oder einen Sekretär. Falls nicht, war die Begegnung reine Zeitverschwendung, ein Streich von Jules Verne’schen Ausmaßen.

Poitras hatte sich ebenfalls insgeheim über vier Monate mit der Quelle unterhalten. Sie hatte das Gefühl, ihn zu kennen — oder zumindest seine Online-Version. Auch sie hatte Schwierigkeiten, mit der Situation zurechtzukommen. «Ich fiel fast in Ohnmacht, als ich sah, wie jung er war. Es dauerte 24 Stunden, mein Gehirn neu zu verkabeln.»

Doch im Laufe des Tages erzählte Snowden seine Geschichte. Er war, so sagte er, ein 29 Jahre alter externer Mitarbeiter der National Security Agency. Zuletzt war er im regionalen NSA-Operationszentrum in Kunia auf der Pazifikinsel Hawaii stationiert gewesen. Zwei Wochen zuvor hatte er seinen Job hingeworfen, seine Freundin praktisch verlassen und ihr Lebewohl gesagt und heimlich ein Flugzeug nach Hongkong bestiegen. In seinem Gepäck befanden sich vier Laptops.

Die Festplatten der Laptops waren stark verschlüsselt. Auf ihnen befanden sich die Dokumente, die er von den internen Servern von NSA und GCHQ entwendet hatte. Genauer gesagt: Zehntausende Dokumente. Die meisten waren als «Top Secret», also «streng geheim», klassifiziert. Manche waren als «Top Secret Strap 1» deklariert — in Großbritannien eine noch höhere...

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