131. Effektivität kann erlernt werden
Die vorrangige Aufgabe einer jeden Führungskraft besteht darin, effektiv zu sein. Ob sie in einem Wirtschaftsunternehmen oder einem Krankenhaus arbeitet, in einer Behörde oder einer Gewerkschaft, in einer Universität oder beim Militär – von einer Führungskraft wird in erster Linie erwartet, dass sie die richtigen Dinge tut. Und das bedeutet nichts anderes, als dass sie effektiv zu sein hat.
Trotzdem sind auffallend wenige Führungspositionen mit besonders effektiven Menschen besetzt. Hohe Intelligenz ist in solchen Positionen häufig anzutreffen. Vorstellungskraft ist alles andere als eine Seltenheit. Und auch das Wissen ist in der Regel beträchtlich. Doch scheint kaum ein Zusammenhang zwischen der Effektivität einer Person und ihrer Intelligenz, ihrer Vorstellungskraft oder ihrem Wissen zu bestehen. Brillante Menschen sind oft auffallend ineffektiv; sie übersehen, dass ein brillanter Intellekt an sich noch keine Leistung darstellt. Sie haben nie gelernt, dass sich Erkenntnisse nur durch harte, systematische Arbeit in Effektivität umwandeln lassen. Andererseits finden sich in jeder Organisation immer auch einige äußerst effektive „Zugpferde“. Während andere in der fieberhaften Geschäftigkeit umherhasten, die hochintelligente Menschen so oft mit „Kreativität“ verwechseln, setzt das Zugpferd langsam und bedächtig einen Fuß vor den anderen und erreicht – wie die Schildkröte in der alten Fabel – als Erstes das Ziel.
Intelligenz, Vorstellungskraft und Wissen sind unabdingliche Ressourcen, aber nur durch Effektivität werden Ergebnisse daraus. Für sich allein setzen diese Qualitäten lediglich die Grenzen dessen, was erreicht werden kann.
Warum wir effektive Führungskräfte brauchen
Intelligenz, Vorstellungskraft und Wissen sind unabdingliche Ressourcen, aber nur durch Effektivität werden Ergebnisse daraus. Für sich allein setzen diese Qualitäten lediglich die Grenzen dessen, was erreicht werden kann.
All das sollte eigentlich offensichtlich sein. Warum aber hat man dann in einer Zeit, in der sich ganze Berge von Büchern und Artikeln mit allen anderen 14Aspekten des Aufgabenspektrums einer Führungskraft befassen, ihrer Effektivität so wenig Aufmerksamkeit gewidmet?
Ein Grund für diese Nachlässigkeit liegt darin, dass Effektivität die spezifische „Technologie“ der Wissensarbeiter in Organisationen darstellt. Für manuelle Arbeiten ist Effizienz völlig ausreichend – also die Fähigkeit, die Dinge richtig zu tun, im Gegensatz zu jener, die richtigen Dinge zu tun. Die Leistung eines Handarbeiters kann immer an der Menge und Qualität einer definierbaren und diskreten Ausbringung beurteilt werden. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben wir gelernt, Effizienz und Qualität manueller Arbeiten zu messen und zu definieren – und zwar so weit, dass wir die Leistung der einzelnen Arbeitskraft um ein Vielfaches steigern konnten.
Früher machten Handarbeiter – ob Maschinenführer oder Frontsoldaten – den Großteil aller Beschäftigten einer jeden Organisation aus. Es wurden nur wenige effektive Menschen gebraucht: nämlich die an der Spitze, deren Befehle von den anderen ausgeführt wurden. Gemessen an der gesamten Belegschaft waren es so wenige, dass wir ihre Effektivität – zu Recht oder zu Unrecht – als selbstverständlich ansehen konnten. Wir konnten uns auf das Vorhandensein von „Naturtalenten“ verlassen – auf die wenigen Menschen in jedem Bereich menschlichen Schaffens, die aus irgendeinem Grund all die Dinge einfach können, die wir anderen uns hart erarbeiten müssen.
Heute können wir uns kaum noch vorstellen, dass sich der Begriff „Regierung“ während des Amerikanischen Bürgerkriegs Mitte des 19. Jahrhunderts auf nicht mehr als eine Handvoll Leute bezog. Lincolns Kriegsminister hatte weniger als fünfzig zivile Mitarbeiter, von denen die meisten nicht etwa Führungskräfte und politische Entscheidungsträger waren, sondern Telegrafisten. Und auch Theodore Roosevelts gesamter Washingtoner Regierungsstab um 1900 hätte bequem in irgendeinem der heutigen Regierungsgebäude entlang der National Mall untergebracht werden können.
Das Krankenhaus von gestern kannte keine „medizinischen Fachkräfte“ wie Röntgen- und Labortechniker, Ernährungsexperten, Therapeuten oder Sozialarbeiter, von denen heute bis zu 250 auf 100 Patienten kommen. Abgesehen von einigen Krankenschwestern gab es nur Putzfrauen, Köche und Dienstmädchen. Der Arzt war der Wissensarbeiter und die Krankenschwester seine Hilfskraft.
Bis vor Kurzem stellte die Effizienz der Handarbeiter, die einfach nur Anweisungen ausführten, das größte Problem einer jeden Organisation dar. Wissensarbeiter nahmen zahlenmäßig nirgends eine vorherrschende Stellung ein.
Tatsächlich war früher nur ein kleiner Teil aller Wissensarbeiter überhaupt in einer Organisation tätig. Die meisten von ihnen arbeiteten als selbstständige Fachkräfte, bestenfalls mit einem Büroangestellten. Ihre Effektivität 15oder ihr Mangel daran betraf nur sie selbst und wirkte sich auch nur auf sie selbst aus.
Heute dagegen ist die große Wissensorganisation die zentrale Realität. Die moderne Gesellschaft ist eine Gesellschaft großer organisierter Institutionen. Und in jeder einzelnen, selbst in den Streitkräften, hat sich der Schwerpunkt auf den Wissensarbeiter verlagert – auf die Person, die nicht Muskelkraft oder Handfertigkeit zur Arbeit einsetzt, sondern das, was sie zwischen den Ohren hat. Die meisten Leute, die gelernt haben mit Wissen, Theorien und Konzepten zu arbeiten und nicht mit körperlicher Kraft oder manuellen Fähigkeiten, sind heutzutage in einer Organisation tätig und insoweit effektiv, als sie einen Beitrag zu deren Entwicklung leisten können.
Effektivität kann heute nicht mehr als selbstverständlich angesehen und auch nicht mehr vernachlässigt werden.
Das eindrucksvolle System aus Messungen und Prüfungen, das wir für manuelle Arbeiten entwickelt haben – vom Industrial Engineering bis hin zur Qualitätskontrolle – ist nicht auf die Wissensarbeit übertragbar. Kaum etwas ist unproduktiver als eine Technikabteilung, die in kürzester Zeit wunderschöne Pläne für das falsche Produkt erstellt. An den richtigen Dingen zu arbeiten ist das, was Wissensarbeit effektiv macht. Und dieser Aspekt lässt sich mit keinem Maßstab für manuelle Arbeit beurteilen.
An den richtigen Dingen zu arbeiten ist das, was Wissensarbeit effektiv macht. Und dieser Aspekt lässt sich mit keinem Maßstab für manuelle Arbeit beurteilen.
Man kann den Wissensarbeiter nicht ständig kontrollieren oder genau überwachen. Man kann ihm nur helfen. Führen aber muss er sich selbst – und zwar so, dass er gezielt Ergebnisse liefert und einen Beitrag leistet; dass er, mit anderen Worten, effektiv ist.
Vor einiger Zeit wurde in der Zeitschrift The New Yorker eine Karikatur veröffentlicht. Sie zeigte ein Büro, auf dessen Tür zu lesen war: CHAS. SMITH, GENERAL SALES MANAGER, AJAX SOAP COMPANY. Die Wände waren kahl, mit Ausnahme von einem großen Schild mit der Aufschrift DENKE. Der Mann, der im Büro saß, hatte die Füße auf den Tisch gelegt und blies Rauchringe an die Decke. Draußen gingen zwei ältere Männer vorbei, von denen der eine zum anderen sagte: „Aber wie können wir sicher sein, dass Smith an Seife denkt?“
Tatsächlich kann man sich nie sicher sein, was ein Wissensarbeiter denkt – und dennoch ist das Denken seine spezifische Aufgabe; es ist das, was er „tut“. Die Leistungsbereitschaft des Wissensarbeiters hängt von seiner Effektivität 16ab, von seiner Fähigkeit, etwas zu bewirken.2 Ist er nicht in der Lage, die richtigen Dinge zu tun, dann wird die Hingabe, mit der er sich seinem Beruf widmet und sich dafür einsetzt, einen echten Beitrag zu leisten, schon bald verkümmern und er zu einem desillusionierten Zeitabsitzer, der jeden Tag von neun bis fünf mechanisch seine Arbeit verrichtet.
Der Wissensarbeiter stellt nichts her, was von sich aus effektiv ist. Er produziert kein physisches Erzeugnis wie einen Graben, ein Paar Schuhe oder ein Maschinenbauteil. Er produziert Wissen, Ideen und Informationen. Für sich allein sind diese „Produkte“ nutzlos. Ein anderer Wissensarbeiter muss sie erst als Input verwenden und in seinen Output verwandeln, bevor sie überhaupt real werden. Die größten Weisheiten sind nicht mehr als bedeutungslose Daten, wenn wir sie nicht auf unser Handeln und Verhalten anwenden. Aus diesem Grund muss der Wissensarbeiter etwas tun, was dem Handarbeiter nicht abverlangt wird: Er kann sich nicht auf den inhärenten Nutzen seines Produkts verlassen, wie es bei einem hochwertigen Paar Schuhe der Fall wäre, sondern muss zusätzlich Effektivität bieten.
Der Wissensarbeiter ist der eine „Produktionsfaktor“, durch den die hochentwickelten Gesellschaften und Volkswirtschaften der heutigen Welt wettbewerbsfähig werden und bleiben.
Das gilt insbesondere für die USA. Die einzige Ressource, bei der Amerika überhaupt irgendeinen Wettbewerbsvorteil haben kann, ist die Bildung. Das amerikanische Bildungswesen mag viel zu wünschen übrig lassen, aber es ist um Welten besser als alles, was sich ärmere Gesellschaften leisten können. Denn Bildung ist die teuerste Kapitalanlage aller Zeiten. Eine Promotion in einem naturwissenschaftlichen Fach entspricht einer Humankapitalinvestition von mehreren hunderttausend US-Dollar. Selbst der Junge, der ohne eine...