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3 Auf dem Weg zu einer passenden Methode
Die Grundfrage, die sich die Führungsmannschaft stellen muss, ist die Frage, auf welchen Aspekt der Fokus gelegt werden soll: Auf das Einsparen von Kosten oder auf die Verbesserung von Prozessen?
Man könnte dazu geneigt sein, zu sagen, dass beide Aspekte im Fokus stehen sollten, denn die Rendite eines Unternehmens steigt sowohl dann, wenn Kosten gesenkt werden, als auch dann, wenn Prozesse verbessert, sprich: schneller werden und so bei gleichbleibendem oder geringfügig steigendem Personalaufwand wesentlich mehr Produkte verkauft und zum Kunden durchgesetzt werden.
Um die Frage beantworten zu können, ob es sinnvoller ist, sich auf Kostensenkungen oder auf Geschwindigkeitserhöhung zu konzentrieren, hilft es, wenn wir uns einen sehr einfachen industriellen Geschäftsprozess anschauen – ohne Zukaufteile, ohne umfangreiches Projektmanagement, ohne Konstruktion oder gar Entwicklung, ohne Planungs- und Steuerungsprozesse für die Produktion und ohne eine umfangreiche Endmontage. Unser Geschäftsprozess beginnt mit dem Vertrieb (V), der einen Auftrag ins Haus holt. Dann durchläuft dieser Auftrag drei Produktionsstufen (P): Aus Rohmaterial wird ein Rohteil gefertigt (P1), dieses wird weiterbearbeitet (P2), so dass ein Zwischenprodukt entsteht, und in einem letzten Arbeitsgang (P3) erfährt das Produkt seine Vollendung. Schließlich wird es von der Logistik (L) ausgeliefert. Am Ende dieses Geschäftsprozesses steht „König Kunde“ (in der weiter unten gezeigten Abbildung in „Strang 1“ symbolisch durch die Krone dargestellt).
An irgendeiner Stelle hat dieser Geschäftsprozess – wie jeder Geschäftsprozess – seine schwächste Stelle, den so genannten Engpass. Der Engpass zeichnet sich dadurch aus, dass er dem Kapazitätsbedarf des Gesamtprozesses am schlechtesten gerecht wird; vor ihm stapeln sich die zu bearbeitenden Vorgänge (Material in der Produktion, unbearbeitete E-Mails und jede Menge Papier in den Bürobereichen).
Egal wie sich die am Engpass tätigen Mitarbeiter bemühen, sie können unter den gegenwärtigen Bedingungen nur eine bestimmte Menge an Gütern (oder im Büro: Informationen) bearbeiten und zum nächsten Bearbeitungsschritt durchsetzen. Bezogen auf die Güter, die beim Kunden ankommen, kann man sagen: Eine an einem Engpass verlorene Stunde ist eine verlorene Stunde für den gesamten Prozess. Folglich spielt der Engpass für die Verbesserung von Arbeitsabläufen eine ganz besondere Rolle, eine Schlüsselrolle.
Zum Vergleich: Im städtischen Straßenverkehr „sammeln“ sich hinter jeder roten Ampel Autos. Springt die Ampel auf grün, löst sich der Stau auf, weil der Engpass vorübergehend vollständig behoben wurde – bis zur nächsten Rotphase. Die an der roten Ampel verlorenen Minuten könnten nur durch erheblich (!) schnelleres Fahren ausgeglichen werden. Jedoch fahren bereits fast alle Autos schneller als 50 Km/h und somit Höchstgeschwindigkeit – genau so, wie die dem Engpass nachgeordneten Mitarbeiter heute bereits ihr Bestes geben und nicht Däumchen drehend herumsitzen. Somit kann der durch rote Ampeln verursachte Zeitverlust faktisch nicht ausgeglichen werden. Für das Durchkommen durch den Straßenverkehr ist es daher von entscheidender Bedeutung, auf wie viele rote Ampeln man trifft. Analog sieht es für Geschäftsprozesse aus.
Vergleichen wir nun basierend auf dieser Erkenntnis die beiden Perspektiven „Kosteneinsparung“ und „Geschwindigkeitserhöhung“: Wenn wir versuchen, die Verbesserung des Unternehmensergebnisses durch das Einsparen von Kosten zu erreichen, suchen wir in der Regel schwerpunktmäßig nach den Kategorien „Nacharbeit“, „Ausschuss“ und „Personalkosten“ – auf Materialkosteneinsparungen gehe ich in Kapitel 5 ein.
Bei unserer Suche nach Ausschuss, Nacharbeit und Personalkosten stoßen wir markanterweise nicht auf den Engpass, denn dort werden die vorhandenen Kapazitäten meist so gut genutzt, dass sehr geringe Fehlleistungskosten entstehen; oft haben sich die am Engpass tätigen Mitarbeiter wegen des auf ihnen lastenden Drucks eine Vielzahl von Hilfsmitteln geschaffen, beispielsweise Vorrichtungen oder Checklisten, die ihnen helfen, Fehlleistungen bzw. Fehlleistungskosten weitgehend zu vermeiden. Und auch Personalkosten können nur schlecht Hinweise auf einen Engpass geben, denn wenn viel Personal vorhanden ist, kann die Arbeit in der Regel auch problemlos bewältigt werden. So stößt man bei einer Kostenorientierung über entsprechende Kennzahlen tendenziell nicht auf den Engpass, sondern auf Stellen davor oder danach (Strang 2).
Gedanklicher Einschub: Analog zu Nacharbeit und Ausschuss in der Produktionswelt würde man in Büro- bzw. Dienstleistungsprozessen nach der Anzahl von Rückfragen suchen, die erzeugt werden. Vermutlich arbeiten Mitarbeiter an einem Büroengpass wegen des hohen Drucks, der auf ihnen lastet, ebenfalls überdurchschnittlich präzise und erzeugen somit weniger Rückfragen. Statistisch erhoben ist dies zwar noch nicht, jedoch würde sich dies mit meinen Beobachtungen decken, denn auch in Bürobereichen fällt der Blick für Verbesserungen meist auf Stellen vor oder nach dem Engpass und nicht auf den Engpass. Schauen wir uns also an, was passiert, wenn man vor oder nach dem Engpass verbessert:
Möglichkeit 1: Setzt man mit den Bemühungen vor dem Engpass an, so führen die demgemäß generierten „Prozessverbesserungen“ zu noch höheren Beständen vor dem Engpass – dort kann ja nicht ohne Weiteres mehr durchgesetzt werden. Dies verstopft das Unternehmen. In den Bürobereichen zeigt sich dies durch Stapel unbearbeiteter Papiervorgänge oder Mengen unbearbeiteter E-Mails. In den Produktionsbereichen verhindert diese Verstopfung nicht nur einen funktionierenden „Fluss“, sondern kostet auch noch richtig Geld. Die meisten produzierenden Unternehmen müssen sich ohnehin schon Geld bei Kreditinstituten leihen, weil sie nicht liquide genug sind, um sich das Rohmaterial kaufen zu können, das sie für die Abarbeitung erhaltener Aufträge benötigen. Bezogen auf „Strang 3“ heißt dies im Klartext, dass die Unternehmen, die ihre vor dem Engpass liegenden Abläufe verbessern, sich künftig noch mehr Geld leihen müssen, und dies letztlich nur, um Dinge zu produzieren, die sie zu diesem Zeitpunkt aufgrund des Engpasses nicht weiter verarbeiten können und damit zu diesem Zeitpunkt nicht benötigen. Dies übertreffen einige Unternehmen dann noch, indem für diese Güter Lagerhallen gebaut werden – selbstverständlich ebenfalls mit Geld, das man sich zu hohen Zinssätzen leihen muss. Meiner Auffassung nach ist dies der erste Kardinalfehler, den viele Unternehmen begehen. Aber es gibt noch einen zweiten.
Möglichkeit2: Wir setzen mit unseren Bemühungen nach dem Engpass an. Dies führt zwar nicht zu der soeben beschriebenen massiven Kapitalbindung, ist vom Effekt her jedoch keinen Deut besser. Wer hinter dem Engpass optimiert, kommt fast zwangsweise zu dem Schluss, dass er durch die nunmehr erzielte Verbesserung der Arbeitsabläufe nicht mehr alle der dort tätigen Mitarbeiter benötigt. Oft wird dann Personal freigesetzt. Der dadurch entstehende Motivationsschaden ist irreparabel. Fortan wird sich wohl kaum ein Mitarbeiter an der Verbesserung von Prozessen beteiligen, denn niemand hat ein Interesse daran, Beiträge dazu zu leisten, seine Kollegen oder gar sich selbst weg zu rationalisieren.
Am Ende hat sich bei keinem der beiden skizzierten Wege etwas im Hinblick auf eine bessere Belieferung der Kunden geändert, denn durch die Orientierung an Kosten wurde der Durchsatz zum Kunden nicht oder allenfalls unmerklich erhöht. Folglich liegt die Lösung in einer Fokussierung des Themas Geschwindigkeit und damit in der konsequenten Ausrichtung aller Verbesserungsbemühungen auf den Engpass („Strang 4“).
Wird der Engpass „verbreitert“, löst sich die Blockade auf, die Bestände werden abgebaut, das Material (im Büro: die Information) fließt und wird in eine Art Takt gebracht. Mit Verbreiterung ist jedoch keinesfalls gemeint, am Engpass Personal aufzubauen. Vielmehr gilt es intelligente Lösungen zu finden, wie der Engpass leistungsfähiger gemacht werden kann. Im Ergebnis setzt das vorhandene Personal mehr durch, das heißt pro Zeiteinheit werden mehr Güter an Kunden ausgeliefert. Das Unternehmen wächst und kontinuierlich steigt die verdiente Menge Geld pro Zeiteinheit.
Mit Bezug zu unserem Beispiel aus dem Straßenverkehr: Unser Fokus liegt darauf, möglichst alle roten Ampeln abzubauen und in sicherer Fahrweise zügig ans Ziel zu gelangen.
Das klingt zu schön, um wahr zu sein? Oder zu abstrakt, um wirklich umsetzbar zu sein? Wenn Ihr Management verstanden hat, wo der Fokus der Verbesserungsbemühungen liegen sollte, ist die Frage nicht, ob dies der...