Einleitung
In den 1920er und 1930er Jahren beschritten die beiden südwestdeutschen Staaten Baden und Württemberg ungewöhnliche Wege bei der Lösung des überall in Deutschland grassierenden Problems der Wohnungsnot. Die Folgen des Ersten Weltkriegs und die Hyperinflation im Jahre 1923 hatten zu einer immer stärker werdenden Entkapitalisierung geführt, die den Wohnungsneubau nahezu zum Erliegen brachte. Hermann Aichele, der langjährige Präsident der 1924 errichteten württembergischen Landeskreditanstalt – zu diesem Zeitpunkt noch württembergische Wohnungskreditanstalt – brachte es auf den Punkt, indem er im Jahre 1929 die Ausgangslage mit folgendem Satz beschrieb:
»Schon vor dem Krieg brauchte jeder, der bauen wollte, hiezu [sic!] Geld und war die Beschaffung dieses Geldes nicht immer einfach. Inzwischen haben sich die Verhältnisse wesentlich verschlimmert.«1
Wohnungspolitik war schon immer eine Frage des Geldes.2
Besonders die finanzschwache und besitzlose Bevölkerung in Deutschland war von der Wohnungsnot3 am stärksten betroffen. Dass sich eine vielköpfige Familie ein kleines Zimmer zum Essen und zum Schlafen teilen musste, war in deutschen Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Essen keine Seltenheit. Aber auch in Württemberg waren weniger vermögende Familien zum Teil nur notdürftig untergebracht. Am dringlichsten lagen die Verhältnisse in Stuttgart, gefolgt von Heilbronn, Ulm und Ludwigsburg.4 So waren in Stuttgart im Jahre 1923 beispielsweise 6884 Personen beim Stuttgarter Wohnungsamt als Wohnungssuchende gemeldet, ohne Berücksichtigung der Dunkelziffer.5 Von den 324 000 Einwohnern Stuttgarts im Jahre 1923 waren demnach ungefähr 2 Prozent ohne eigene Wohnung.
Zur Linderung dieser Wohnungsnot wurden bereits 1924 unter dem Innenminister des demokratischen »Volksstaats Württemberg« Eugen Bolz – und zehn Jahre danach unter dem nationalsozialistischen Innenminister Karl Pflaumer in Baden – staatliche Einrichtungen geschaffen, die als gemeinnützige rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts die Wohnungsbau- und Siedlungspolitik auf innovative Weise anpackten. Die beiden Landeskreditanstalten führten Aufgaben der Länder Württemberg und Baden auf dem Gebiet des Wohnungs- und Siedlungswesens durch, insbesondere durch die Gewährung von Baudarlehen als nachstellige Hypotheken. Weiter oblagen ihnen seit den 1930er Jahren die Durchführung der verschiedenen Reichsmaßnahmen, wie zum Beispiel auf dem staatlich geförderten Gebiet des Kleinsiedlungswesens und des Volkswohnungsbaus.6
So konnte die württembergische Landeskreditanstalt aus ihren eigenen Mitteln seit dem 1. April 1924 bis zum 31. Dezember 1939 Darlehen in Höhe von 229 Millionen RM vergeben. Von diesem Millionenbetrag konnten 78 417 Wohneinheiten in Württemberg errichtet werden. Das waren 41 Prozent aller während dieses Zeitraums in Württemberg erstellten Wohnungen.7 Aus dem Verwaltungsbericht über das Geschäftsjahr 1943 der badischen Landeskreditanstalt geht hervor, dass seit der Gründung im Jahre 1934/35 aus eigenen Mitteln 14 207 Neubauwohnungen für insgesamt 23 Millionen RM – im Durchschnitt also 1631 RM je Wohnung – gefördert worden waren. 8502 davon waren Eigenheime.8 Per Saldo lässt sich also festhalten, dass die Förderung des Wohnungsbaus sowohl in Württemberg als auch in Baden eine durchaus beträchtliche Größenordnung erreichte, was von vielen Experten und Zeitgenossen honoriert wird.
In einem Aufsatz aus dem Jahre 1949 sprach Joachim Fischer-Dieskau von den Erfahrungen und Lehren der Wohnungspolitik während der Zeit des Nationalsozialismus. Fischer-Dieskau war von 1927 bis 1945 im Reichsarbeitsministerium tätig. Zudem wurde der Generalreferent für die Wohnungsbau- und Siedlungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg (1949) erneut zum Ministerialdirektor im Bundesministerium für den Wohnungsbau ernannt. Der Verwaltungsbeamte und Experte auf dem Gebiet der Wohnungsbaufinanzierung war somit in drei verschiedenen politischen Systemen – Weimarer Republik, NS-Regime und Bundesrepublik – auf dem weiten Feld der Wohnungsbau- und Siedlungspolitik an vorderster Front aktiv gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der gebürtige Berliner auch auf die besonderen Leistungen der südwestdeutschen Landeskreditanstalten zu sprechen:
»Was die behördliche und sonstige Organisation anlangt, auf die die Wohnungspolitik der Vergangenheit sich gestützt hat, so muß man sagen, daß hier wohl die letzte, voll befriedigende Form noch nicht gefunden war. […] Man sollte hier die günstigen Erfahrungen verwerten, die man früher in Württemberg und Baden mit der Übertragung vieler Befugnisse an öffentlich-rechtliche Wohnungsbau-Kreditanstalten und mit der Mitheranziehung und Mithaftung der Gemeinden z. B. bei der Übernahme von Bürgschaften gemacht hat.«9
Neben Fischer-Diskau hob auch der nationalsozialistische Reichsarbeitsminister Franz Seldte die besondere Gangart der südwestdeutschen Landeskreditanstalten hervor, obgleich die württembergische Einrichtung während der politisch verfemten republikanischen Zeit ihre Tätigkeit aufgenommen hatte:
»In der Erkenntnis der Notwendigkeit hatten bereits früher schon einzelne Länder wie [zum Beispiel] Württemberg und Baden eigene Kreditanstalten errichtet, deren Aufgabe es ist, die Rückflüsse einheitlich zu verwalten und dementsprechend wieder auszuleihen.«10
1937 errichtetes neues Dienstgebäude der württembergischen Landeskreditanstalt in der Schellingstraße 15, Stuttgart
Die Wohnungsbau- und Siedlungspolitik in Südwestdeutschland galt während des »Dritten Reiches« zudem als vorbildlich, da bestimmte gemeinschaftshaltige Ziele energisch angestrebt wurden, die gerade zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft hoch im Kurs standen, obwohl sie nicht dezidiert nationalsozialistischen Ursprungs waren:
»Wie aber in Württemberg die Familie, als Urzelle des Gemeinschaftslebens, ihr ›Haus‹ schon immer gut zu verwalten verstand, so wusste auch dort die öffentliche Hand ihre Mittel besser einzusetzen und sich möglichst von den Fehlern des kapitalistischen Systems und der marxistischen Mißwirtschaft freizuhalten. Rechtzeitig hatte sie in der württembergischen Wohnungskreditanstalt eine Einrichtung geschaffen, deren Kreditgebungssystem sich als geeignet erwies, den Wohnungsbau in angemessene Bahnen zu lenken. […] Die bessere Anwendung wesentlicher siedlungspolitischer Grundsätze brachte auch grössere Erfolge als anderwärts in der Auflockerung der Großstadt, in der Umsiedlung zur möglichsten Verbundenheit von Wohn- und Arbeitsstätte.«11
Die gezielte Förderung des Eigenheimbaus auf dem flachen Land durch niedrig verzinste Darlehen diente immer auch dem bevölkerungspolitischen Ziel, mehr Menschen zu Eigenheimbesitzern zu machen und auf diese Weise die Sesshaftigkeit der Bevölkerung vor dem Hintergrund einer als bedrohlich angesehenen Hypermobilität zu erhöhen. Die dahinterstehende gesellschaftspolitische Stoßrichtung war der Idee der »Beheimatung« verpflichtet: Der Erwerb einer Immobilie sollte den Besitzer an das eigene Heim binden und damit dessen Gemeinschaftsfähigkeit stärken. Insofern war die Arbeit der Landeskreditanstalten in Württemberg und Baden immer darauf ausgerichtet, Heimatbezüge12 durch feste Ortsbindungen zu stärken.
Die beiden Anstalten griffen damit ein Thema auf, welches seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auf der politischen Agenda stand. Das kulturkonservativ motivierte Unbehagen an den Folgewirkungen urbaner Stadtverdichtung im Verein mit forcierter Industrialisierung hatte die Vorstellung reifen lassen, das kulturelle Erbe des Landes dadurch nutzbar zu machen, dass man Großstadtflüchtlingen in eher ländlich geprägten Zonen eine neue Heimat offerierte. Zugleich wurde damit das bevölkerungspolitische Ziel der Hebung der Geburtenrate verbunden. Da auch die württembergischen und badischen Beamten der Landeskreditanstalten in Kategorien heimatlicher Sesshaftigkeit dachten, wird die Tätigkeit der beiden Landeskreditanstalten im Kontext eines Heimatkonzeptes angesiedelt, das auf Ortsfestigkeit und Ortsbindung beruht. Die Mitarbeiter der Landeskreditanstalten vertraten somit eine Art unbewegliches Heimatkonzept, das den Besitz einer Immobilie voraussetzte, um in den Genuss einer Heimat zu gelangen. Damit setzte Heimat eine durch Eigentumsverpflichtung generierte Bindung an einen festen Ort voraus.13
Während der NS-Zeit versuchte ein Verwaltungsinspektor aus dem Reichsarbeitsministerium, das Zusammenspiel von Heimat und Siedlung in einem Aufsatz in Worte zu fassen:
»Wo alle Kräfte an diesen erhabenen Zielen gemeinsam...