II. Die geheime Allianz
Die Allianz der sozialistischen Demokratie ist durchaus von Bourgeois-Herkunft. Sie ist nicht von der Internationalen ausgegangen; sie ist ein Sprößling der Friedens- und Freiheitsliga, einer totgeborenen Gesellschaft von Bourgeois-Republikanern. Die Internationale war schon fest begründet, als Michail Bakunin sich in den Kopf setzte, eine Rolle als Emanzipator des Proletariats zu spielen. Sie konnte ihm nur das allen Mitgliedern gemeinsame Feld der Tätigkeit bieten. Um in ihr etwas zu gelten, hätte er sich zuerst durch beständige und aufopfernde Arbeit die Sporen verdienen müssen; er glaubte bessere Aussichten und einen leichteren Weg auf seiten der Bourgeois der Liga zu finden.
Er ließ sich also im September 1867 zum Mitgliede des permanenten Komitees der Friedensliga wählen und nahm seine Rolle ernst; man kann sogar sagen, daß er und Barni, heute Deputierter in Versailles, die Seele dieses Komitees waren. Sich als Theoretiker der Liga aufspielend, sollte Bakunin unter ihren Auspizien ein Werk: »Der Föderalismus, der Sozialismus und der Antitheologismus«2 veröffentlichen. Indessen überzeugte er sich bald, daß die Liga eine unbedeutende Gesellschaft blieb und daß die Liberalen, aus denen sie bestand, in ihren Kongressen nur ein Mittel sahen, eine Vergnügungsreise mit großsprecherischen Reden zu verbinden, während im Gegenteil die Internationale von Tag zu Tag wuchs. Da dachte er daran, die Liga auf die Internationale zu propfen. Um diesen Plan auszuführen, ließ sich Bakunin auf Elpidins Vorschlag im Juli 1868 in die Genfer Zentralsektion aufnehmen. Auf der anderen Seite bewirkte er, daß das Komitee der Liga einen Antrag annahm, dem internationalen Kongreß zu Brüssel ein Offensiv- und Defensivbündnis beider Gesellschaften vorzuschlagen; und um die Billigung des Kongresses für dies lebhafte Vorgehen zu erlangen, verfaßte er ein vertrauliches Zirkular und ließ es durch das Komitee an die »Herren« der Liga versenden. Er gesteht daselbst offen ein, daß die Liga, bisher eine ohnmächtige Posse, nur dadurch Bedeutung gewinnen könne, daß sie der Allianz der Unterdrücker
»die Allianz der Völker, die Allianz der Arbeiter entgegenstelle... wir können nur dann etwas werden, wenn wir die aufrichtigen und ernsten Vertreter der Millionen der Arbeiter werden«.
Es sollte die providentielle Sendung der heiligen Liga sein, die Arbeiterklasse mit einem selbsternannten Bourgeois-Parlament zu beglücken, dem diese die Sorge um ihre politische Leitung überlassen sollte.
»Um eine heilsame und wirkliche Macht zu werden«, heißt es am Schlusse des Zirkulars, »muß unsere Liga der reine politische Ausdruck der großen ökonomischen und sozialen Interessen und Prinzipien werden, welche heute durch die große Internationale Assoziation der Arbeiter von Europa und Amerika triumphierend entwickelt und verbreitet werden.«
Der Kongreß zu Brüssel wagte es, den Vorschlag der Liga zu verwerfen. Groß war die Enttäuschung und der Zorn Bakunins. Auf der einen Seite entzog sich die Internationale seiner Protektion. Auf der anderen Seite kanzelte ihn der Präsident der Liga, Professor Gustav Vogt, derb ab.
»Entweder«, schrieb er an Bakunin, »warst Du des Erfolgs unserer Einladung nicht sicher, dann hast Du unsere Liga kompromittiert; oder Du wußtest, welche Überraschung Deine Freunde von der Internationale für uns bereithielten, dann hast Du uns auf eine unwürdige Art getäuscht. Ich frage Dich, was wir unserem Kongreß sagen sollen?«
Bakunin antwortete ihm in einem Briefe, der jedem, der ihn hören wollte, vorgelesen wurde:
»Ich konnte nicht voraussehen«, sagte er, »daß der Kongreß der Internationalen uns mit einer ebenso plumpen als anmaßenden Beleidigung antworten würde; wir danken dieses den Intrigen einer gewissen Koterie von Deutschen, welche die Russen verabscheut« (er erklärte seinen Zuhörern ausdrücklich, daß dieses die Marxsche Koterie wäre). »Du fragst mich, was wir tun sollen? Ich nehme die Ehre in Anspruch, auf diesen groben Schimpf im Namen des Komitees auf der Tribüne unseres Kongresses die Antwort zu geben.«
Statt Wort zu halten, wendete Bakunin seinen Rock. Er legte dem Kongreß der Ligisten zu Bern ein Programm eines Phantasie-Sozialismus vor, worin er die Gleichmachung der Klassen und Individuen verlangte, um so die Damen der Liga zu übertrumpfen, welche nur die Gleichmachung der Geschlechter verlangen. Von neuem geschlagen, zog er sich mit einer winzigen Minorität vom Kongreß zurück und begab sich nach Genf.3
Die von Bakunin geträumte Allianz zwischen Bourgeois und Arbeitern sollte sich nicht auf eine öffentliche Allianz beschränken. Die geheimen Statuten der Allianz der sozialistischen Demokratie (siehe: Beweisstücke Nr. 1) enthalten Anzeichen, daß Bakunin im Schoße der Liga selbst den Grund zu einer geheimen Gesellschaft gelegt, der die Herrschaft über jene zufallen sollte. Nicht nur sind die Namen der leitenden Gruppen identisch mit denen der Liga (permanentes Zentralkomitee, Zentralbüro, Nationalkomitees), sondern es wird auch in den geheimen Statuten erklärt, daß die »Gründungsmitglieder der Allianz zum größten Teil ehemalige Mitglieder des Kongresses zu Bern« seien. Um sich als Haupt der Internationalen zur Geltung zu bringen, mußte er als Haupt einer anderen Armee dastehen, deren absolute Ergebenheit gegen seine Person ihm durch eine geheime Organisation gesichert war. Hatte er seine Gesellschaft einmal offen in die Internationale eingepflanzt, dann rechnete er darauf, jene in alle Sektionen zu verzweigen und sich hierdurch deren absolute Leitung zu verschaffen. Zu diesem Zwecke gründete er in Genf die (öffentliche) Allianz der sozialistischen Demokratie. Äußerlich war es nur eine öffentliche Gesellschaft, die freilich, obwohl ganz in der Internationalen aufgegangen, eine besondere internationale Organisation, ein Zentralkomitee, Nationalbüros, und von unserer Assoziation unabhängige Sektionen haben sollte; neben unserem jährlichen Kongreß sollte die Allianz öffentlich den ihrigen abhalten. Aber diese öffentliche Allianz barg in sich eine andere, die ihrerseits durch die noch geheimere Allianz der internationalen Brüder, der Hundert-Garden des Diktators Bakunin, geleitet wurde.
Die geheimen Statuten der »Organisation der Allianz der internationalen Brüder« zeigen, daß es in dieser Allianz »drei Grade« gibt: »I. Die internationalen Brüder; II. Die nationalen Brüder; III. Die halbgeheime und halböffentliche Organisation der Internationalen Allianz der sozialistischen Demokratie.«
I. Die internationalen Brüder, deren Zahl sich auf »hundert« beschränkt, bilden das heilige Kollegium. Sie stehen unter einem Zentralkomitee und unter Nationalkomitees, welche als Vollziehungsbüros und als Überwachungskomitees organisiert sind. Diese Komitees selbst sind vor der »Konstituante« oder der Generalversammlung von mindestens zwei Dritteln der internationalen Brüder verantwortlich. Diese Allianz-Brüder
»haben kein anderes Vaterland als die allgemeine Revolution, kein anderes Ausland und keinen anderen Feind als die Reaktion. Sie verwerfen jede Versöhnungs- und Kompromißpolitik und halten jede politische Bewegung für reaktionär, die nicht den Triumph ihrer Prinzipien zum unmittelbaren und direkten Zweck hat.«
Da aber dieser Artikel die politische Tätigkeit der »Hundert« auf den jüngsten Tag hinausschiebt, und da diese Unversöhnlichen nicht vorhaben, auf die Vorteile öffentlicher Ämter zu verzichten, so sagt der Artikel 8:
»Kein Bruder wird irgendeinen öffentlichen Dienst anders als mit Zustimmung des Komitees, zu dem er gehört, übernehmen.«
Wenn wir auf Spanien und Italien zu sprechen kommen, werden wir sehen, wie sehr die Häupter der Allianz sich beeifert haben, diesen Artikel praktisch auszuführen. Die internationalen Brüder
»sind Brüder... jeder von ihnen muß allen anderen heilig sein, mehr als ein Bruder von Geburt; jeder Bruder hat auf die Hülfe und den Beistand aller anderen bis auf die Auslöschung der Möglichkeit zu rechnen.«
Die Affäre Netschajew wird uns enthüllen, was diese geheimnisvolle Auslöschung der Möglichkeit bedeutet.
»Alle internationalen Brüder kennen einander. Kein politisches Geheimnis darf je unter ihnen existieren. Keiner kann irgendeiner geheimen Gesellschaft angehören ohne positive Zustimmung seines Komitees oder im Notfall, wenn dieses es verlangt, ohne die des Zentralkomitees, und er kann ihr nur unter der Bedingung angehören, daß er ihnen alle Geheimnisse aufdeckt, welche sie direkt oder indirekt interessieren könnten.«
Die Piétris und Stieber verwenden nur untergeordnete und verlorene Leute als Spione, die Allianz aber, indem sie ihre falschen Brüder in die geheimen Gesellschaften schickt, um deren Geheimnisse zu verraten, überträgt die Rolle des Spions denselben Männern, welche nach ihrem Plan die Leitung der »allgemeinen Revolution« übernehmen sollen. – Im übrigen setzt dieser revolutionäre Pickelhäring dem Gemeinen noch die Krone des Possenhaften auf:
»Internationaler Bruder kann nur werden, wer offen das ganze Programm in allen seinen theoretischen und praktischen Konsequenzen angenommen hat und mit der Intelligenz, Energie, Ehrenhaftigkeit (!) und Zuverlässigkeit die revolutionäre Leidenschaft verbindet – den Teufel im Leibe hat.«
II. Die nationalen Brüder werden nach demselben Plan von den internationalen Brüdern in jedem Lande als nationale Assoziation...