1. Kapitel
Siang Lu - Beamter in Lu
Das erste Kapitel bringt Biographisches aus der Zeit von Kungs Amtstätigkeit. Daß Kung eine Reihe höherer Ämter in seinem Heimatstaat Lu bekleidet habe, war zur Hanzeit ein feststehender Bestandteil der konfuzianischen Tradition. Im Schrifttum der neueren Zeit sind starke und zum Teil begründete Zweifel darüber geäußert worden, bis zu welchem Grade diese Tradition auf historischen Tatsachen beruht. Es ist meines Erachtens unrichtig, Kungs Amtstätigkeit völlig in das Gebiet der Fiktion zu verweisen. In den zuverlässigsten und frühesten Quellen wird berichtet, daß er in einem nahen Verhältnis zu seinem Fürsten stand, und in der Literatur der ausgehenden Dschouzeit wird seine Amtstätigkeit mehrfach erwähnt. Anders als durch intime persönliche Erfahrung kann auch Kungs Beschlagenheit in den Riten des amtlichen Verkehrs nicht erklärt werden. In seinem Buch »Kung-tse, Leben und Werk« (Stuttgart 1925) hat mein Vater versucht, die Tradition über Kungs Amtstätigkeit in ein sinnvolles Bild seines Lebens einzubauen. Im Hinblick auf die entscheidende Rolle, die der Han-Konfuzianismus in der Organisation des Beamtentums zu spielen unternahm, war es natürlich von Bedeutung, die Tradition über Kungs Amtstätigkeit aufzubauen und auszuschmücken.
Einzelheiten aus den ersten beiden Abschnitten finden sich u.a. in zum Teil abweichenden Versionen in Dso Dschuan, Ding 1 (Legge S. 745), im Lü Schï Tschun Tsiu (Wilhelm S. 248), im Kapitel Tan Gung des Li Gi (Legge S. 150) und in der Biographie des Konfuzius im Schï Gi. Die dramatische Fürstenzusammenkunft im Jahre 500 ist in der älteren Literatur häufig dargestellt. Sie wird erwähnt im Tschun Tsiu (Ding 10. Jahr) und ist danach ausführlicher beschrieben im Gu Liang, in einer Glosse zum Gung Yang und im Dso Dschuan (Legge S. 776, Couvreur 3,558). Im Schï Gi wird sie dreimal beschrieben: in den Annalen von Tsi (Chavannes 4, 77f.), in denen von Lu (Chavannes 4, 127) und ausführlicher in der Biographie des Konfuzius (Chavannes 5, 319ff., Wilhelm 1928 S. 13ff.). Auch das Sin Yü des Lu Gia (2. Jh. v.Chr.) enthält eine Schilderung (Annemarie von Gabain in Ostasiatische Studien 1930, 37f.). Alle diese Texte einschließlich des Gia Yü Texts wurden analysiert von Granet, Danses et légendes de la Chine ancienne 2, 171ff. Danach ist die Version des Gia Yü in einem oder mehreren der früheren Texte belegt. Sie zeigt jedoch in der Anordnung des Stoffs und in einzelnen Formulierungen Selbständigkeit. Die Reduktion der Stadtmauern der Adelsgeschlechter ist im Tschun Tsiu unter diesem Jahr erwähnt. Das Dso Dschuan (Legge S. 781, Couvreur S. 571f.) und nach ihm das Schï Gi (Chavannes X. 324ff., Wilhelm 1928 S. 15f.) enthalten eine ausführliche Schilderung. Der Ausspruch des Kung am Anfang des Abschnitts ist im Gung Yang unter diesem Jahr aufgezeichnet. Der letzte Abschnitt findet sich im Sün Dsï, Kap. Ju Hiau (Dubs S. 94f.) und im Sin Sü des Liu Hiang, Kap. 1 und 5. Die segensreichen Folgen seiner Wirksamkeit, zum Teil eine Wiederholung des ersten Abschnitts, finden sich auch im Schï Gi.
1. Stadthauptmann in Dschung Du
Meister Kung trat seine amtliche Laufbahn an als Stadthauptmann von Dschung Du1. Er schuf feste Ordnungen für die Ernährung der Lebenden und die Bestattung der Toten. Alte und Junge hatten verschiedene Nahrung2, Starke und Schwache hatten verschiedene Berufe, Männer und Frauen gingen getrennt auf den Wegen. Auf den Straßen kam Verlorenes nicht weg. Geräte waren nicht mit täuschendem Zierat geschmückt. Die Innensärge waren vier Zoll dick, die Außensärge waren fünf Zoll dick. Natürliche Bodenerhebungen wurden als Gräber benutzt, kein Grabhügel wurde aufgehäuft und keine Bäume wurden gepflanzt.
Nachdem er ein Jahr also gewirkt hatte, da nahmen ihn die Fürsten der westlichen Gegenden3 zum Vorbild.
Fürst Ding4 redete zu Meister Kung und sprach: »Wie wäre es, wenn wir für die Regierung des Staates Lu Eure Maßregeln anwendeten?« Meister Kung entgegnete: »Für die ganze Welt würden sie taugen, nicht nur allein für Lu.«
2. Aufseher der öffentlichen Arbeiten
So ging es zwei Jahre lang, da ernannte ihn Fürst Ding zum Aufseher über die öffentlichen Arbeiten5. Da teilte er das Land in fünf Klassen nach der Art des Bodens6, und jedes Gewächs erhielt den Standort, auf dem es am besten gedieh, so war jedes an seinem Platz.
Vormals hatte das Haupt der Familie Gi den Fürsten Dschau südlich abseits von der fürstlichen Gräberstraße beerdigen lassen. Meister Kung ließ diesen Ort durch einen Graben in den Bereich des fürstlichen Begräbnisfeldes einbeziehen7. Er äußerte darüber zu Gi Huan Dsï: »Einen Fürsten zu brandmarken, so daß die eignen Sünden noch deutlicher hervortreten, ist nicht der Ordnung gemäß. Ich habe nun dieses Grab mit den andern wieder vereinigt und so den Vorwurf von Eurem Vater genommen, daß er nicht als treuer Diener seines Herren gehandelt.«
Vom Aufseher der öffentlichen Arbeiten wurde Kung zum obersten Richter von Lu gemacht. Als solcher schuf er Gesetze, die aber nicht angewandt zu werden brauchten, da es keine Leute gab, die sie übertraten.
3. Die Fürstenzusammenkunft in Gia Gu
Fürst Ding hatte eine Zusammenkunft mit dem Fürsten von Tsi8 in Gia Gu. Meister Kung, der das Amt des Kanzlers versah, sprach: »Ich habe gehört, daß man bei friedlichen Verhandlungen stets auf den Krieg vorbereitet sein muß und in kriegerischen Verwicklungen stets auf den Frieden vorbereitet sein muß. In alter Zeit hatten die Fürsten, wenn sie ihr Land verließen, stets Beamte jeder Art im Gefolge. Darf ich bitten, den ersten und zweiten Marschall mitzunehmen.«
Fürst Ding folgte dem Rat. Als man zum Ort der Zusammenkunft kam, war eine Terrasse vorbereitet, zu der drei Erdstufen hinaufführten. Man begrüßte sich nach dem einfachen Begegnungszeremoniell. Mit einer Verbeugung bot man sich gegenseitig den Vortritt an und stieg dann hinauf. Als die Zeremonie des Zutrinkens und Wiedertrinkens beendigt war, ließ der Fürst von Tsi Laibarbaren9 herbeikommen, um sich unter dem Lärm der Waffen und Trommeln des Fürsten Ding zu bemächtigen.
Meister Kung eilte die Stufen hinauf, ließ den Fürsten zurücktreten und rief: »Soldaten vor zum Angriff! Unsere beiden Fürsten kommen in freundlicher Absicht zusammen, und diese Sklaven von wilden Grenzstämmen wagen sie mit Waffen zu stören! Das ist nicht die Art, wie der Fürst von Tsi sich unter den Herrschern durchsetzen könnte. Die Grenzvölker haben sich nicht um China zu kümmern, die Wilden dürfen China nicht stören, Sklaven geht ein Bundesschwur nichts an, Waffen dürfen sich in freundliches Zusammentreffen nicht einmischen. Das wäre den Göttern gegenüber unheilvoll, dem eignen Wesen gegenüber ein Unrecht und unter den Menschen eine Sittenwidrigkeit. Ein Fürst handelt nicht so.«
Der Fürst von Tsi kam in Verlegenheit und winkte ihnen ab.
Nach einer Weile ließ Tsi Haremsmusik machen, zu der Gaukler und Zwerge vor der Terrasse tanzten. Meister Kung eilte herbei, stieg die Stufen bis auf die oberste hinauf und sprach: »Daß solches Gesindel Fürsten zu behelligen wagt, ist ein Frevel, der den Tod verdient. Ich bitte, daß der zweite Marschall sofort die Strafe an ihnen vollziehen wolle.« Da wurden die Zwerge zusammengehauen, daß Hände und Füße umherflogen. Der Fürst von Tsi geriet in Furcht und zeigte Beschämung.
Als man an den Bundesschwur ging, wurde von Tsi aus folgende Bestimmung in die Schwurformel eingefügt: »Wenn die Heere von Tsi ins Feld ziehen und Lu nicht dreihundert Kriegswagen stellt, so geschehe ihm dem Bundesschwur entsprechend.« Meister Kung ließ durch Dsï Wu Süan erwidern: »Wenn Tsi ohne unser Gebiet nördlich vom Wenfluß zurückzugeben uns Befehle erteilt, so möge ihm ebenso geschehen.«
Der Fürst von Tsi wollte noch ein Gastmahl zurichten lassen. Da sprach Meister Kung zu Liang-kiu Gü10: »Wie kommt es, mein Herr, daß Ihr von den alten Bräuchen zwischen Lu und Tsi nichts gehört habt? Nachdem die Geschäfte beendigt sind, nun noch ein Gastmahl halten zu wollen, wäre unnötige Bemühung des Personals. Außerdem verlassen die festlichen Trinkgeräte nicht das Heiligtum, und die festliche Musik paßt nicht fürs Freie. Wäre beim Festmahl alles vollzählig vorhanden, so wäre es ein Mißbrauch der Sitten, wenn aber die Vorbereitungen nicht vollständig wären, so wäre es Lolch (statt Weizen). Lolch (statt Weizen) zu bieten wäre eine Beschimpfung des Fürsten. Die Sitten zu mißbrauchen brächte in schlechten Ruf. Warum habt Ihr das nicht bedacht? Auch soll ein Festmahl dazu dienen, die gute Absicht zum Ausdruck zu bringen. Wenn die nicht zum Ausdruck kommt, so ist es besser, die Sache sein zu lassen.« So kam denn das Festmahl nicht zustande.
Als der Fürst von Tsi heimgekehrt war, machte er seinen Dienern Vorwürfe. Er sprach: »In Lu gehen sie ihrem Fürsten zur Hand mit den Sitten des Edlen. Ihr aber habt mir geraten, nach der Weise der Barbaren zu handeln, so daß ich ins Unrecht gesetzt wurde.«
Darauf gab er die von Lu geraubten vier Städte und das Gebiet nördlich vom Wenfluß11 wieder zurück.
4. Schleifung der Stadtmauern der drei Adelsgeschlechter
Meister Kung sagte zum Fürsten Ding: »Die Adelsgeschlechter sollen keine Rüstung im Vorrat...