Theorie und Konsequenz
Die Forschung lehrt uns, dass das Leben in einer „Ursuppe“ entstand. So nennt man die heißen Meere der Urzeit. Winzige molekulare Gebilde darin hatten die Fähigkeit, sich zu vervielfältigen. Der Einzeller ist das erste, der Vielzeller das zweite wichtige Ergebnis dieser Entwicklung. Die Vielzeller unterscheiden sich von den Einzellern dadurch, dass sich bei ihnen bestimmte Zellen auf bestimmte Aufgaben spezialisiert haben. Diese Zellen bilden zusammen schließlich Organe und Organsysteme wie z. B. den aktiven und passiven Bewegungsapparat.
Die Zelle ist ein faszinierendes Gebilde. Sie schottet sich nach außen mit einer sehr dünnen und teilweise durchlässigen Wand ab, die Membran heißt. Mit ihrer Umgebung pflegt die Zelle einen selektiven Kontakt, indem sie Stoffe abgibt und aufnimmt. Sie tauscht Wärme, Nahrung, Sauerstoff, Abbauprodukte und Information mit der Umwelt aus. Im Urmeer war die Flüssigkeit um die Zelle herum unendlich. Auch unsere Körperzellen leben in einer flüssigen Umgebung, deren Volumen jedoch geringer ist als das Volumen der Zelle selbst. Dass sich die Umgebung der Zelle nicht innerhalb kürzester Zeit in eine Giftbrühe verwandelt und jedes Leben erstickt, verdanken wir dem Regulationsmechanismus der Blutversorgung. Wasser und Nahrung werden unentwegt zugeführt, Stoffwechselendprodukte über den Stuhl und den Urin ausgeschieden. Eine derartige „Instandhaltungs-Organisation“ braucht spezialisierte Organe, gebildet aus spezialisierten Zellen.
Der Stoff, aus dem wir sind
Alle Gewebearten sind voneinander abhängig
Als Gewebe bezeichnet man Zellmassen, die Organe oder andere Körperteile formen. Es gibt verschiedene Gewebearten, die jedoch alle voneinander abhängig sind und erst in ihrem Zusammenwirken Leben ermöglichen. Sechs Gewebearten wollen wir hier näher betrachten: Epithelgewebe, Bindegewebe, Muskeln, Knochen, Nerven und Blut.
Epithelgewebe
Dieses Gewebe begrenzt in mehrschichtigen Zelllagen Körperoberflächen oder Innenflächen Hohlräumen (z. B. als Haut). Seine Funktion besteht im Schutz des darunterliegenden Gewebes, der Absorption von Druck und der Sekretion.
Bindegewebe
Bindegewebe dient als Reparaturmaterial nach Verletzungen
Bindegewebe schützt und stützt. Es durchdringt den ganzen Körper und besteht zum Großteil aus den unelastischen Kollagenfasern. Die elastischen Anteile überwiegen nur dort, wo das Bindegewebe starker Verformung ausgesetzt ist. Bei Verletzungen tritt Bindegewebe als Reparaturstoff auf. Die Natur tut hier oftmals des Guten zuviel, indem unnötige Mengen von Bindegewebe angehäuft werden, z. B. bei Narben. Starke Bindegewebsbildung nach Verletzungen kann zu Bewegungseinschränkungen führen.
Bänder verbinden Knochen miteinander. Sie sind ähnlich aufgebaut wie Sehnen, haben jedoch einen höheren Anteil an elastischen Fasern, insbesondere jene, die an der Rückseite der Wirbelsäule befestigt sind.
Knorpel dienen dem Auffangen von Druck, z. B. durch Schläge. Knorpelmasse findet sich aufgrund seiner elastischen Eigenschaften überall dort, wo Verformung gewährleistet sein muss. Knochenenden gehen überwiegend in Knorpel über, die Bandscheiben bestehen zum größten Teil aus Faserknorpel, das Nasenbein endet in einer Knorpelspitze.
Sehnen übertragen die Muskelkraft auf die Knochen und werden daher auf Zug belastet. Sie bestehen hauptsächlich aus unelastischem Bindegewebe. Ihr Querschnitt zeigt meist eine runde Form. Die Sehnen der Bauchmuskeln sind jedoch flach und breit.
Muskeln
Mit Ausnahme des Herzmuskels sind die quergestreiften Muskeln dem Willen zugänglich
Muskelfasern werden in drei Gruppen unterteilt: glatte, unwillkürliche Muskelfasern, z. B. für die Verdauungstätigkeit; quergestreifte, willkürliche für die Bewegungen des Skeletts und die Herzmuskelfasern, die zwar auch quergestreift sind, jedoch nicht dem Willen unterliegen. Die Muskulatur insgesamt besteht hauptsächlich aus willkürlichen Muskelfasern, was bedeutet, dass sie prinzipiell unserem Willen zugänglich ist. Als Organ betrachtet enthält sie jedoch einen beträchtlichen Anteil an Bindegewebe, Blutgefäßen und Nerven.
Knochen
Krafttraining stärkt auch die Knochen
Knochen sind das härteste Stützgewebe. Ihre Stabilität erhalten sie durch einen bestimmten Anteil an Salzen. Ein salzfreier, „entkalkter“ Knochen wird biegsam. Unterernährung, Vitaminmangel oder hormonelle Störungen können Knochenerweichungen verursachen, wie dies beispielsweise bei Rachitis vorkommt. Die Knochen leben. Mit Krafttraining werden sie stärker, Mangel an Spannung schwächt sie.
Nerven
Das Nervensystem koordiniert die körperlichen Vorgänge
Das Nervensystem dient der körperinternen Kommunikation und Koordination. Stromkabeln vergleichbar durchziehen die Nerven unseren Körper in unterschiedlicher Dichte. Die Leitungsgeschwindigkeit ist im Vergleich zum Stromkabel nicht allzu beeindruckend: 50 bis 120 Meter pro Sekunde. Erstaunlich hingegen ist die Anzahl der Zellen. Allein unsere graue Hirnsubstanz wird auf etwa 150 Milliarden Zellen geschätzt. Der kleinste Gewebebestandteil des Nervensystems heißt Neuron. Die kleinste Funktionseinheit wird „Reflexbogen“ genannt.
Blut
Blut ist das Transportmittel für Auf- und Abbauprodukte
Als Transportmittel von Sauerstoff, Kohlensäure, Nährstoffen, Vitaminen, Hormonen und Abbaustoffen erfüllt das Blut eine Vielzahl unterschiedlichster Funktionen. Unsere Blutmenge liegt bei etwa fünf Litern. Verluste ab zwei Liter bedeuten Lebensgefahr.
Aktivität und Ruhe bedingen sich gegenseitig
Unser Organismus befindet sich stets in einem von zwei möglichen Zuständen: der Sympathikusphase oder der Parasympathikusphase. Der Sympathikus ist der Arbeitszustand. Schaltet er sich ein, steuert der sympathische Strang des vegetativen Nervensystems in unserem Körper eine ganze Reihe von Vorgängen mit dem einen Ziel: rasche Erstellung der Bereitschaft zu Angriff oder Flucht. Die Blutmenge verschiebt sich von den inneren Organen nach außen, in die Muskeln. Die Verdauungsorgane stellen ihre Arbeit weitgehend ein. Es wird ein „Klar-zum-Gefecht“-Zustand erstellt.
Die Leistungsbereitschaft variiert im Laufe des Tages
Trainieren soll man in der Phase des Sympathikus. Während der Nacht befindet sich der Körper in der Erholungsphase, die etwa eine Stunde nach dem Frühstück ihren Abschluss findet. Danach steigt die Leistungsbereitschaft, gegen Mittag sinkt sie etwas ab, steigt am Nachmittag nochmals an, um schließlich gegen Mitternacht an ihrem Tiefpunkt anzulangen.
Der Wechsel der Arbeits- und Ruhephasen vollzieht sich automatisch
Der Übergang von der Arbeits- in die Erholungsphase erfolgt beim gesunden Organismus eindeutig. Ein starkes Verlangen nach Nahrung und Ruhe bekommt die Oberhand. Das Blut kehrt von den äußeren Regionen in den Verdauungstrakt zurück, der Adrenalinspiegel sinkt. Dieser Szenenwechsel spielt sich weitgehend ohne unser Zutun und auch ohne unsere bewusste Wahrnehmung ab. Physiologisch richtig wäre es, jede Phase so lange auszuleben, bis sich die andere von selbst einschaltet – ein Idealzustand, den man nur noch bei Tieren und einigen Naturvölkern beobachten kann, der aber nur selten mit unserer Lebensweise in Einklang zu bringen ist.
Störungen
Die Eindeutigkeit, mit welcher ein Organismus jede Phase auslebt, ist ein Kriterium seiner Funktionsfähigkeit. Zweigleisigkeit deutet auf eine Verwirrung des zentralen Nervensystems. Der Mensch verharrt in einer Art Halbspannung der Muskulatur. Weder ist er bei voller Leistungsbereitschaft (geistig wie körperlich), noch kann er „abschalten“ und sich entspannen. Die Ursachen sind psychisch, vor allem latente oder akute Ängste, gestellten Aufgaben nicht gewachsen zu sein (heute Stress genannt).
Anspannung ist die Voraussetzung für Entspannung
Solche Halb-Spannungszustände, die nicht durch Arbeit abgebaut werden, führen langfristig zu Gesundheitsschäden. Den Gestressten aufzufordern, sich endlich mal zu entspannen, hat wenig Sinn. Ihm fehlt die Voraussetzung – die wirkliche Anspannung, anstelle der imaginären. Denn ihr folgt unmittelbar die Entspannung. Genauso wie ich erst einatmen muss, bevor – und damit – ich ausatmen kann. Um diese Entspannung muss ich mich nicht kümmern, da es sich um eine automatische Reaktion des Körpers handelt.
Hohe Muskelspannungen, wie sie das Krafttraining fordert, stellen gleichsam den einen Endpunkt einer Skala dar, der Tiefschlaf den anderen. Dabei ist zu beachten: Umfang und Tiefe der Erholungsphase ist weitgehend von der vorangegangenen Arbeitsphase abhängig. Hohe, kurzzeitige Anspannungen haben entsprechend deutliche Erholungsvorgänge zur Folge. Umgekehrt aber nicht! Schlaf kann man nicht „vorholen“. Der Sachverhalt wird gerne umgekehrt dargestellt: „Entspannen Sie sich!“ ist ein innerer...