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Eine Stadt macht blau

Politik im Klimawandel - das Tübinger Modell

AutorBoris Palmer
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783462300499
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Was machen eigentlich ... die Grünen? Wir befinden uns im Jahr 2009. Ganz Deutschland wird von Energieverschwendern bewohnt. Ganz Deutschland? Nein. Eine kleine süddeutsche Stadt und ihr grüner Oberbürgermeister haben angefangen, das Klima zu schützen.Im Jahr 2006 gab es in Tübingen eine kleine Sensation: Bereits im ersten Wahlgang setzte sich der 34-jährige grüne OB-Kandidat Boris Palmer gegen die Amtsinhaberin durch. Und zwar mit einem dezidiert grünen Programm - das von der Abschaffung des Dienst-Daimlers zugunsten eines umweltfreundlichen Toyota Prius (und das im Ländle!) bis zur Initiierung einer Kampagne zum Klimaschutz reicht (»Eine Stadt macht blau«), die sich zu einer breiten Bürgerbewegung entwickelt hat.Boris Palmer zeigt, dass die wichtigste politische Aufgabe unserer Zeit, der Klimaschutz, an erster Stelle in den Städten und Gemeinden gelöst werden kann: Dort, wo sich die Menschen kennen und auskennen, können sie schnell und effektiv die Umwelt schützen. Weil in Tübingen bürgerschaftliches Engagement und Politik so erfolgreich ineinandergreifen, dass CO2-Ausstoß und Energiekosten sinken, ist die Stadt am Neckar in kurzer Zeit zu einem Modell geworden: Die Bürger sparen Geld, der Zusammenhalt in der Stadt wächst und die Lebensqualität steigt.In seinem schwungvollen Buch schildert Boris Palmer, welche Überzeugungen seiner Politik zugrunde liegen, erklärt das Tübinger Modell - die Ideen, die Kontroversen, die Bündnispartner, die Erfolge - und sagt, wie die grüne Politik der Zukunft aussehen muss - und mit wem sie umgesetzt werden kann. »Der neue Joschka - während sich die Grünen in Berlin zerfleischen, zeigt Tübingens Bürgermeister, wie es geht.« Vanity Fair

Boris Palmer studierte Geschichte und Mathematik in Tübingen und Sydney. 1996 trat er den Grünen bei und wurde Mitglied im Kreisvorstand der Partei. 2001 wurde er in den baden-württembergischen Landtag gewählt, dort war er umwelt- und verkehrspolitischer Sprecher, nach seiner Wiederwahl 2006 auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Nachdem er im Oktober 2006 zum Oberbürgermeister der Stadt Tübingen gewählt wurde, schied er 2007 aus dem Landtag aus.

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Leseprobe

Warum Grün blaumacht


Binsenweisheiten können bisweilen ganz schön nerven, denn die Weisheiten, die darin zweifellos vorhanden sind, verflüchtigen sich beim Publikum durch ihre endlose Wiederholung in leer gedroschenes Stroh. Dennoch gehören sie unverzichtbar zu unserem Wortschatz. Eine der ältesten Binsenweisheiten der Umweltbewegung lautet nun: »Global denken, lokal handeln«. Und wenn man aus einer solch betagten Binse heute noch ein spannendes Buch machen kann, dann muss der Autor über große Kenntnisse und eine noch größere Leidenschaft für die Sache verfügen. Genau dies trifft auf das vorliegende Buch und auf dessen Autor, Boris Palmer, zu.

Boris Palmer begann seine öffentliche Karriere als Umweltreferent im AStA der Universität Tübingen, wurde dann für Die Grünen Abgeordneter im Stuttgarter Landtag und schließlich im Oktober 2006 im ersten Wahlgang zum Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen gewählt. Und genau in dieser Funktion versucht er nun, Klimaschutz konkret zu denken und – wichtiger noch – zu machen, d.h. in einzelnen konkreten Schritten auf kommunaler Ebene umzusetzen.

Der Klimaschutz ist zweifellos die größte globale Herausforderung unserer Zeit, ja wahrscheinlich die zentrale Krise der Globalisierung, die das Jahrhundert definieren wird. Zu Zeiten des Club of Rome und seines Berichts über die Grenzen des Wachstums aus dem Jahr 1972 umfasste die Weltwirtschaft gerade einmal 800 Millionen bis 1 Milliarde Menschen, die überwiegend in den reichen Industrieländern des Westens lebten. Die Welt war zudem dreigeteilt in Ost und West und in den armen Süden. Zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges leben 6,7 Milliarden Menschen auf der Erde, und die Weltwirtschaft schließt heute 3 Milliarden Menschen ein, Tendenz steigend. Es gibt zudem keine Systemalternativen mehr, wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges, und die neuen Kommunikationstechnologien verbreiten die Träume von Wohlstand und Konsum bis in die hintersten Winkel des Globus.

Zur Mitte des Jahrhunderts werden 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben, die dann wohl alle mehr oder weniger in dieselbe Richtung streben, d.h. alles tun werden, um mittels Wirtschaftswachstum den Lebensstandard der reichen Industriestaaten des Nordens zu erreichen. Niemand wird sie dabei aufhalten können. Unter dem Gesichtspunkt der Überwindung von Armut und Unterentwicklung wird dies zweifellos einen großen Fortschritt bedeuten, denn schon heute gehen die Fortschritte bei der globalen Armutsbekämpfung ganz wesentlich auf das wirtschaftliche Wachstum in China und Indien mit ihren jeweils 1,2 Milliarden Menschen zurück.

Diese Entwicklung bringt jedoch unbeabsichtigt gigantische ökologische Folgewirkungen mit sich, welche die Lebensgrundlagen auf der Erde massiv und für die Menschen negativ zu verändern drohen. Denn wenn die Mehrheit der Menschheit innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte denselben Energie-, Rohstoff-, Land- und Wasserverbrauch anstreben wird, wie dies schon heute für die reichen Länder gilt, dann wird diese Entwicklung ökologisch schlicht nicht verkraftbar sein. Der Klimawandel ist dabei lediglich die bereits heute sichtbare Spitze jenes ökologischen Eisberges, auf den wir uns mit voller Kraft zubewegen.

Sollen die Armen deswegen arm bleiben, damit die globale Umwelt nicht gefährdet oder gar zerstört wird? Eine absurde, zutiefst amoralische, weil dem Gleichheitsgrundsatz widersprechende Position, die zudem in der Wirklichkeit niemals funktionieren wird. Es wird sich kein Argument finden lassen, warum die Menschen der armen Länder nicht denselben Anspruch, ja dasselbe Recht auf Wohlstand, soziale Sicherheit und individuelle Freiheit haben wie die Menschen in den reichen Ländern. Darüber hinaus werden die Folgen der globalen und regionalen Umweltkrisen nur noch äußerst kurzfristig einen Unterschied zwischen Reich und Arm machen, denn kippen die natürlichen Lebensgrundlagen global erst einmal um, dann wird sich diese gesellschaftliche Differenz sehr schnell als nichtig erweisen. Auf diesen Befund kann es daher nur eine Antwort geben, nämlich eine gemeinsame, globale: Verantwortung und Gerechtigkeit. Gemeinsame Verantwortung für die eine Umwelt und Gerechtigkeit bei der globalen Verteilung von Ressourcen und Lebenschancen.

Versucht man jedoch, diese Erkenntnisse in Politik umzusetzen, dann stößt man sofort auf ein fundamentales Problem von uns Menschen. Wir sind in unserer Interessenwahrnehmung nach wie vor überwiegend auf schwarze Pädagogik ausgerichtet – tut weh, tut nicht weh – und auf sehr kurze Zeiträume. Beispiel Atomenergie: Da wir kein Sensorium für Radioaktivität haben, obwohl sie an Gefährlichkeit die meisten anderen Emissionen um Faktoren übersteigt, kann diese gefährliche Energie dennoch als »sauber« an den Mann und an die Frau gebracht werden. Und die Zeiträume eines nuklearen Waste Managements von mehreren Hunderttausend Jahren überfordern schlicht unser Vorstellungsvermögen. Und so wird aus »extrem gefährlich« für viele Zeitgenossen eben »sauber«!

Eine komplexe, langfristige Interessensteuerung ist unsere Sache als Menschen nicht wirklich, sondern sie bedarf eines großen intellektuellen Abstraktionsvermögens – und exakt darin liegt das politische Kernproblem aller Umweltpolitik. Die Komplexität des globalen Ökosystems und die extrem langen, das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigenden Bremswege der Natur stehen in einem massiven Widerspruch zur Kurzfristigkeit unserer Triebstruktur und damit auch unserer Alltagsinteressen und schließlich des politischen Handelns.

Und damit sind wir wieder bei der bereits erwähnten ökologischen Binse angelangt, denn einerseits sind wirksame Klimaschutzstrategien nur möglich, wenn die wichtigsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verursacher gemeinsam und abgestimmt auf globaler Ebene handeln. Darin liegt etwa die Bedeutung des Kyoto-Protokolls und großer Klimaschutzkonferenzen und -konventionen. Und andererseits bedarf es deren entschlossener Umsetzung auf der nationalen, ja lokalen Ebene.

Dass die Wahrheit immer konkret ist, gilt auch und gerade für den Klimaschutz. Und konkret heißt in diesem Fall, man muss am Alltag der Menschen und damit in der Stadt und Gemeinde ansetzen. Was also hat die Einführung von Nachtbussen in der verträumten Universitätsstadt Tübingen – übrigens eine Leistung des AStA-Umweltreferenten und nicht des OB! – mit dem Erreichen der globalen Klimaschutzziele zu tun? Wenig und doch sehr viel, denn insgesamt ist dieser Schritt gewiss nur ein minimaler Beitrag, aber wenn dieselbe Maßnahme in möglichst vielen (potenziell allen!) Kommunen und Regionen unseres Landes durchgesetzt wird, dann ist die Wirkung von einer gewichtigen Größenordnung. Und damit sind wir schon wieder bei einer weiteren Binse, die, dem Gesetz der großen Zahl folgend, vor allem für die Umweltpolitik gilt: »Kleinvieh macht auch Mist« – in ökologischen Fragen sogar den größten! Und genau davon handelt das vorliegende Buch, von Klimaschutz in Stadt und Gemeinde.

»Tübingen macht blau« hat Boris Palmer seine kommunale Klimaschutzstrategie genannt, und d.h., seine Stadt unter Klimaschutzgesichtspunkten umfassend zu überprüfen und dann die entsprechenden Alternativen in Politik und Gesellschaft auf breiter, am besten überparteilicher Grundlage umzusetzen, getragen von einer »Bürgerbewegung für Klimaschutz«. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Klimaschutz unten, in der Kommune, auch von unten getragen und gemacht werden muss, nämlich von den Bürgern. Bei seinem politischen Ansatz helfen unserem OB zweifellos eine intime Kenntnis der ökologischen Sach- und Rechtslage und seine Liebe zum Detail.

Im berühmt-berüchtigten »Tübinger Dienstwagenstreit« etwa – der neu gewählte grüne Oberbürgermeister im Land des Daimlers entschied sich nach sorgfältiger ökologischer Prüfung aller Alternativen auf dem deutschen Automarkt für ein japanisches Auto mit Hybridantrieb, was alle schwäbischen PS-Patrioten aufschreien ließ, als ob sie vom politischen Kolbenfresser heimgesucht worden wären – wird dabei nicht nur den Herstellerangaben vertraut, sondern der OB misst da persönlich an der Tankstelle nach, getreu seiner Devise: »Nur an der Tankstelle erschließt sich der Spritverbrauch.« Merke: Traue niemals nur den Angaben des Herstellers, denn Papier ist geduldig.

Boris Palmer verfolgt ein bewährtes grünes Erfolgsrezept: unerschütterliche Leidenschaft für die Sache und kluger Pragmatismus in der Umsetzung. Es ist leicht, im luftigen Nichts von Programmen, Gutachten und Prinzipien das Blaue vom Himmel herunter zu fordern, unglaublich schwer hingegen, den Himmel im übertragenen Sinne des Klimaschutzes wirklich blau zu machen.

Allerdings vertragen sich gerade die Klimaschutzpolitik im Besonderen und die Umweltpolitik im Allgemeinen nur schwer mit einer Oppositionsstrategie, wenn man mit guten Gründen zu Recht laut beklagt, dass es bereits heute »Fünf vor zwölf« oder vielleicht sogar noch später wäre. Gerade Ökologen, die ihr Anliegen ernst nehmen, sind aus der Sache heraus zwingend dazu verpflichtet, demokratische Regierungsmacht anzustreben und politische und gesellschaftliche Mehrheiten zu schaffen, um hier und heute wirksam handeln zu können. Traditionelle ideologische Berührungsängste im demokratischen Parteienspektrum oder der Zwang zu pragmatischen Umwegen dürfen dabei kein Hindernisgrund sein, solange die Richtung stimmt und man auf dem Weg der ökologischen Erneuerung vorankommt.

Boris Palmer hat als OB sehr rasch seine Erfahrungen machen dürfen...

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