11.
Grundlagen der Integrativen
Organisationsberatung – IOB
Die Integrative Organisationsberatung versucht, ein fundiertes Verständnis des Zusammenwirkens von Organisationen und Menschen zu schaffen. Auch die Beraterinnen sind Teil dieses Zusammenspiels. Um diese komplexe Interaktion verstehen zu können, braucht es einen möglichst umfassenden theoretischen Zugang und eine mehrperspektivische Betrachtung. Im folgenden Kapitel werden die wesentlichen Grundannahmen, Theorien und Modelle des Integrativen Ansatzes bzw. der IOB dargestellt. Die ausführliche Darstellung der IOB bezieht sich auf die Prozessberatung in Organisationen, in der Praxis fließt aber auch fachliches Know-how mit ein. Dazu werden je nach Fachdisziplin weitere Theorien und Konzepte herangezogen.
Zu Beginn dieser Einführung möchten wir einige grundlegende Begriffe anführen und erste Definitionen anbieten.
31.1 Grundlegende Begriffe
1.1.1 Definition von Organisation
Zur Bearbeitung des Themas Organisationsberatung ist vorweg eine Klärung des Begriffes „Organisation“ notwendig. Wir gehen dabei vom institutionellen Begriff der Organisation aus und nicht unmittelbar von der darin enthaltenen Tätigkeit des Organisierens.
Organisationen begegnen uns in allen Lebensbereichen: Wir werden im Krankenhaus geboren, gehen in die Schule, sind Mitglieder eines Sportvereins und/oder Teil einer kirchlichen Organisation, bestellen im Online-Shop ein Buch, gründen ein Unternehmen, verbringen unseren Lebensabend in einem Altenheim und werden letztendlich Kunden eines Bestattungsunternehmens (vgl. Simon 2011).
Organisationen „organisieren“ unsere Gesellschaft und vielfach auch unser individuelles Leben. Diese Tatsache ist für uns so selbstverständlich, dass wir uns im Alltag kaum Gedanken über dieses Phänomen machen. Was aber zeichnet eine Organisation aus und wann können wir von einer Organisation sprechen?
In der Wissenschaft gibt es dazu keine eindeutige Antwort. Organisationen sind komplexe Gebilde, die sich nur aus unterschiedlichen Perspektiven erschließen. Die jeweilige Beschreibung hängt stark vom Fokus ab. So kann man zwischen politischen, gesellschaftlichen, rechtlichen, wirtschaftlichen, ökologischen, soziologischen und psychologischen Definitionen unterscheiden. Ebenso ist eine Unterteilung in funktionale und systemische Beschreibungsformen möglich. Die Liste der Perspektiven wird sogar noch deutlich länger, wenn Mischformen bzw. theoriespezifische Ansätze einbezogen werden. Wir sehen bereits an dieser Stelle, dass die Betrachtung eines einzelnen Begriffes, zum Beispiel dem der „Organisation“, die Komplexität und Vielfalt unserer postmodernen Zeit sichtbar macht.
Exemplarisch möchten wir nun erste Definitionen zitieren und deren Unterschiedlichkeiten aufzeigen:
Unter einer Organisation versteht man „… die Gesamtheit eines mehr oder weniger kompleXen Ordnungsgefüges, das zum Zweck der Erreichung bestimmter Ziele in ganz spezifischer Weise (durch-) strukturiert ist und nach einem mehr oder weniger eXpliziten Regelsystem funktioniert.“
Schönig/Brunner 1993
Ähnlich wie diese Definition orientieren sich viele Ansätze an einem mechanistischen oder linearen Verständnis und Weltbild. Die Beschreibungen suchen nach einer logischen und kausalen, das heißt auf Ursache und Wirkung begründeten Erklärung.
Der Integrative Ansatz steht im Gegensatz dazu einem komplexen, systemischen und postmodernen Weltbild nahe. Die Organisationsphänomene sind dieser Ansicht nach multikausal und entstehen durch dynamische interne und externe Wechselwirkungen.
4 Organisationen sind „feldorientierte Systeme“ (Kundenorientierung) und „Ziele realisierende und beständig Ziele suchende und generierende Systeme“.
Petzold 2007
Diese Definition beinhaltet bereits den Begriff „System“ für die Organisation. Daraus wird ersichtlich, dass der systemische Ansatz eine wichtige Referenztheorie in der IOB darstellt (siehe Kapitel 1.2.2.1).
An dieser Stelle möchten wir bereits eine Definition im Sinne der IOB anführen. Da in dieser Definition noch „undefinierte Begriffe“ enthalten sind, sei auf Kapitel 1.4 Integrative Theorie zur Organisation verwiesen, in dem die Integrative Theorie zur Organisation ausführlich beschrieben wird.
„Organisationen entstehen durch die Ko-respondenz (Interaktion) von Menschen und Systemen. Sie sind in einem ständigen Entwicklungsprozess in KonteXt und Kontinuum. Organisationen sind einerseits als abgrenzbare Einheiten zu betrachten (Eigenleiblichkeit mit intraorganisationaler Ko-respondenz) und sie sind gleichzeitig immer in Verbundenheit mit der Umwelt (interorganisationale Ko-respondenz).“
Göschlberger, Willesberger 2017
1.1.2 Organisationsberatung, Organisationsentwicklung und Change Management
Da für die Beratung und Begleitung von Entwicklungsprozessen in Organisationen die Begriffe Organisationsberatung und Organisationsentwicklung verwendet werden, möchten wir beide Begriffe einer Definition zuführen.
Ähnlich wie beim Begriff Organisation gibt es bei den Begriffen Organisationsberatung, Organisationsentwicklung und Change Management eine Vielzahl von Definitionen und Beschreibungen. Auch hier sind wir mit einer großen Vielfalt und Komplexität von Ansätzen und Konzepten konfrontiert. Wir haben daher versucht, eine gängige und praxisgerechte Beschreibung auszuwählen.
Gemäß der ÖVS – Österreichische Vereinigung für Supervision und Coaching – siehe www.oevs.or.at/beratungsformate/organisationsberatung (17.7.2017) – können Organisationsberatung und Organisationsentwicklung wie folgt unterschieden werden:
„Organisationsberatung ist der Oberbegriff für sämtliche professionelle Beratungsinterventionen, die darauf abzielen, Organisationen oder Teile von ihnen zu verändern, auf die gesetzten Ziele hin nachhaltig zu entwickeln und zu stabilisieren. Ihr Focus ist im Unterschied zu Supervision und Coaching primär die Organisation mit ihren Strukturen und ihrer Kommunikation, weniger die Personen. Der Begriff der Organisationsberatung beschränkt sich demnach in Abgrenzung zur Unternehmensberatung vorwiegend auf Prozessberatung und die Beratung im Zusammenhang von Veränderung und Entwicklung in Organisationen.“
5 „Organisationsentwicklung ist eine Sonderform der Organisationsberatung, welche die Betroffenen in den Entwicklungsprozess einbindet, d. h. Betroffene zu Beteiligten macht. Organisationsentwicklung konzentriert sich demnach im Wesentlichen auf den sozialen Wandel in Organisationen und kann als zielgerichtete Prozessbegleitung bei Veränderungen in Organisationen bezeichnet werden.“
Der Begriff des Veränderungsmanagements wird auf Wikipedia folgendermaßen definiert:
„Unter Veränderungsmanagement (Change Management) lassen sich alle Aufgaben, Maßnahmen und Tätigkeiten zusammenfassen, die eine umfassende, bereichsübergreifende und inhaltlich weitreichende Veränderung – zur Umsetzung von neuen Strategien, Strukturen, Systemen, Prozessen oder Verhaltensweisen – in einer Organisation bewirken sollen.“
Wikipedia 2017
Entgegen der oben angeführten breiten Definition von Change Management verwenden wir in der IOB diesen Begriff zur Bezeichnung der konkreten Führungsaufgabe im Sinne von „Veränderungen managen“. Change Management ist damit den Führungskräften vorbehalten, kann aber natürlich durch eine externe oder interne Beratung unterstützt werden. Die Beratungsleistung wird in der IOB als Organisationsberatung, als Begleitung von Veränderungsprozessen oder als Change-Beratung bezeichnet.
Verwendung des Begriffes „Beratung“ in der IOB
Für die Bezeichnung unseres Ansatzes haben wir den Begriff der Beratung gewählt.
Im Wesentlichen liegen dieser Begriffswahl folgende Überlegungen zugrunde:
• Umfassende und unterschiedliche Möglichkeiten der Beratungstätigkeit: Der Begriff Beratung kann intern wie auch extern und sowohl in Form einer „kleinen“ Beratung (im Sinne von „Rat geben“) als auch in Form eines umfangreichen Beratungsprojektes verwendet werden. Somit sehen wir – wie beschrieben – Organisationsentwicklung als Teilaspekt der Beratung.
• Abgrenzung der IOB von der Integrativen Organisationsentwicklung von Hilarion Petzold: Wir übernehmen wesentliche Grundlagen des Integrativen Ansatzes, lassen in die IOB aber auch eigene und andere Konzepte und Ideen einfließen.
• Der Begriff der Beratung weist auf das konkrete Tun hin. Die IOB ist ein Beratungsansatz, der die Tätigkeit der Beraterin beschreibt. Aus einer theoretischen Fundierung heraus erklärt die IOB die Praxis des Beratungsprozesses.
1.1.3 Prozessberatung und Fachberatung
In der Beratung werden Prozessberatung und Fachberatung oft voneinander getrennt betrachtet. Die prozessorientierte (z. B. systemische) Organisationsberatung blickt auf...