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Einstein - Einblicke in seine Gedankenwelt

Vollständige Ausgabe

AutorAlexander Moszkowski
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl323 Seiten
ISBN9783849632137
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Moszkowskis Biografie bietet gemeinverständliche Betrachtungen über die Relativitäts-Theorie und ein neues Weltsystem entwickelt aus Gesprächen mit Einstein. Inhalt: Vorspruch Erscheinungen am Firmament. Über unsere Kraft Walhalla Menschen-Erziehung Der Entdecker Aus verschiedenen Welten. u.a.

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Leseprobe

 


Entdeckung und Weltanschauung in zeitlicher Beziehung. – Absolutes und Relatives. – Der schöpferische Akt. – Wert der Intuition. – Die Tätigkeit des Konstruierens. – Die Erfindung. – Der Künstler als Entdecker. – Lehre und Beweis. – Klassische Experimente. – Physik der Urzeit. – Experimentum crucis. – Spektral-Analyse und Periodisches System. – Die Mitwirkung des Zufalls. – Widerlegte Erwartung. – Das Michelson-Experiment und der neue Zeitbegriff.

 

Das nächste Mal – so hatte eine Unterredung geschlossen – das nächste Mal, wenn Sie darauf bestehen, soll von Entdeckungen im allgemeinen die Rede sein. Das war mir eine besondere Verheißung. Denn hier galt es, einem Urquell der Belehrung nahezukommen, Aussprüche erfahren, über die hinaus man eine höhere Instanz wohl nicht aufzusuchen braucht.

 

Es ist uns verschlossen, einen Galilei über die Grundlagen der Mechanik mündlich zu befragen, einen Kolumbus über die inneren Vorgänge eines Seefahrers vor einer großen Landauffindung, einen Sebastian Bach über die Wertung des Kontrapunktes. Aber ein großer Entdecker lebt unter den Zeitgenossen, der uns Aufschluß geben will über das Wesen der Entdeckung selbst. Hätte ich nicht die Bedeutsamkeit verspüren sollen, die in dieser Zusage lag?

 

Ich wurde schon vorher von Betrachtungen überstürmt, die in mir aufbrachen, sobald sich nur das Stichwort »Entdeckung« anmeldete. Es gibt, so schien mir, nichts höheres; der Menschheit Einlagerung im Kreise des Erschaffenen, die Summe seiner Erkenntnisse kann abgeleitet werden aus der Summe der Entdeckungen, die in den Begriffen Kultur und Weltanschauung gipfelt, wie sie selbst durch die Weltanschauungen mitbedingt werden. Man könnte fragen: was geht vorher, was folgt nach? Und vielleicht könnte man schon in dem Doppelsinn dieser Frage den Keim der Beantwortung finden. Denn im letzten Grunde darf man die zwei Elemente gar nicht nach Ursache und Wirkung, nach Grund und Folge auseinanderspalten.

 

Keines ist primär, keines sekundär: sie sind auf das innigste verwoben, bieten nur verschiedene Aussichten ein und desselben Geschehens; An der Wurzel dieses Geschehens liegt der grundsätzliche Glaube an die Begreiflichkeit der Welt, der unerschütterliche, als elementarer Naturtrieb durchgreifende Wille aller denkenden Menschen, die wahrnehmbaren Vorgänge im Universum in Übereinstimmung zu bringen mit den inneren Vorgängen im Denken selbst. Ewig bleibt dieser Trieb, verschieden und dem Zeitwechsel unterworfen gestaltet sich nur die Form der Versuche, die Begreiflichkeit der Welt für uns zu vollenden. Die Versuchsform findet ihren Ausdruck in der jeweiligen Weltanschauung, die jede Entdeckung reifen lässt, wie sie selbst schon Bestandteile der reifen Entdeckung in sich trägt.

 

Schon auf diesem Punkte der Betrachtung glaubte ich einer Deutung der Einsteinschen Geistestat nahe zu sein. Sein Relativitätsprinzip entspricht ja tatsächlich einem regulativen Weltprinzip, das sich uns im Weltgeschehen mächtig genug eingebohrt hat. Wir haben das Ende des Absolutismus erlebt, die Maße der Machtfaktoren haben uns die Relativität, ihre Veränderlichkeit nach Standpunkt und Bewegung erwiesen, mit einer Entschiedenheit, an die kein Erlebnis früherer Geschichtsperioden heranreicht. Die Welt war in ihrer Anschauung reif geworden für eine abschließende Gedankenleistung, die das Absolute auch physikalisch-mathematisch, also restlos vernichtete. So zeigte sich Einsteins Entdeckung im Lichte der Notwendigkeit.

 

Ein leiser Zweifel befiel mich trotzdem. Einsteins Entdeckungen traten im Jahre 1905 hervor, als von den Stürmen, die seither in der Welt den Absolutismus entwurzeln sollten, kaum noch ein Vorwind zu spüren war. Wie nun, wenn in die Weltgeschichte und damit in die Weltanschauung eine andere Notwendigkeit hineingespielt hätte? Wir wissen heut aus urkundlichen und unbezweifelten Darstellungen, dass alles von uns in Krieg und Revolution Erlebte an dem haarfeinen Faden einer vereinzelten, äußerlich ganz unscheinbaren Menschenexistenz gehangen hat; – an einer Bürokratenfigur in der Wilhelmstraße, an einem galligen Sonderling, der das englisch-deutsche Bündnis, um die Jahrhundertwende sechs Jahre lang immer wieder von drüben dringlich angeboten, zu vereiteln gewußt hat.

 

In dem dröhnenden Gang der Historie kann die geheime, kleinliche Nagearbeit eines Maulwurfs nicht als weltgeschichtliche Notwendigkeit gewertet werden. Denkt man sie aus dem Gesamtbild fort, so bleibt als Ergebnis das genaue Gegenteil unserer Erlebnisse. Der Absolutismus wäre nicht über Bord gegangen, sondern er hätte voraussichtlich erstarkt auf Jahrhunderte das Steuer geführt, als Exponent einer deutsch-englischen Welthegemonie. Und eine grundsätzlich anders gerichtete Weltanschauung würde heut auf dem Erdball regieren.

 

Aber die Einsteinsche Relativitätstheorie hätte danach nicht im geringsten gefragt. Sie wäre entstanden unabhängig von Formen der geschichtlichen Weltanschauung, nur aus dem Grunde einer geistigen Fälligkeit. Eben deswegen, weil Einstein lebte und dachte. Und die Frage, ob sie auch für den Nichtphysiker den Absolutismus erschüttert hätte, ist nicht zu beantworten.

 

Ja, man könnte sogar bezweifeln, ob sie überhaupt schon fällig war. Bei manchen bedeutsamen Geisteserscheinungen läßt sich dies fast auf das Jahrzehnt nachweisen. So etwa bei der Deszendenztheorie, die tatsächlich in mehreren Köpfen gleichzeitig keimte, und unbedingt aus einem herausspringen mußte, selbst wenn die andern versagten. Ich möchte die Ansage wagen: Ohne Einstein hätte die Relativitätstheorie im weitesten Sinne, also mit Einschluß der neuen Gravitationslehre, möglicherweise noch zweihundert Jahre auf ihre Geburtsstunde zu warten gehabt.

 

Der Widerspruch beginnt sich zu lösen, wenn man die Zeiträume weit genug absteckt. Die Weltgeschichte richtet sich nicht nach den Zeitmaßen der Politik und des Journalismus, und die Weltanschauungen rechnen nicht nach den Einheiten der Tagesuhr. Die Weltanschauung des Aristoteles hat das Mittelalter beherrscht, und die des Epikur wird sich vielleicht erst in der kommenden Generation voll durchsetzen. Gibt man aber den säkularen Maßstab zu, so bleibt der Zusammenhang zwischen ihr und der großen Entdeckung bestehen.

 

Wer es unternimmt, dieser Bedingtheit nachzuforschen, der kann an der Tatsache nicht vorbei, dass das Resultat allerdings fast durchweg schon nachweisbar vorgebildet war, in reiner Anschauung, bevor noch die große Entdeckung – oder Erfindung – es in voller Begreiflichkeit hinzustellen vermochte. Selbst die Tat eines Kopernikus würde sich dieser allgemeinen Entwickelungsregel fügen: Sie war die letzte Ausfolgerung des sonnenmythologischen Bewußtseins, das die Menschheit niemals verlassen hatte, mochte auch Kirche und Eigenwille noch so stark auf die geozentrische Anschauung hindrängen. Kopernikus faßte zusammen, was aus uralter Priesterweisheit – und die reicht bis in energetische und elektrische Vorstellungen von heute – was aus Anaxagoras und Eleaten unter der Schwelle des Bewußtseins sich lebendig erhalten hatte, seine Entdeckung war die Verwandlung eines Mythos in Wissenschaft. Die Menschheit, die mit schweifender Phantasie ahnt, dann denkt und wissen will, bedeutet die Großausgabe des einzelnen Denkers. Der sieht nur weiter, da er sozusagen auf den Schultern einer weltanschauenden Gesamtheit steht.

 

Nehmen wir ein Beispiel aus der neuesten Anschauungs- und Entdeckungsgeschichte. Der Ablauf der Geschehnisse in völliger Stetigkeit und Lückenlosigkeit gehörte zu den allgemeinen Denkformen, wird auch noch heute von ernstzunehmenden Philosophen als ein sicherer Bestandteil der Weltanschauung vorgetragen. Der alte, durch Linné popularisierte Satz »die Natur macht keine Sprünge« gehört zu den Wortformeln dieser anscheinend unantastbaren Erkenntnis. Aber im Unterbewußtsein der Menschen hat stets ein Widerspruch dagegen bestanden, und wenn der französische Philosoph Henri Bergson es unternahm, mit metaphysischen Mitteln jene Stetigkeitskette zu zerreißen, der menschlichen Erkenntnis einen sprunghaften, geradezu kinematographischen Charakter zuzuweisen, so verkündete er nur als beredtsamer Lautsprecher, was eine noch unfertige neue Weltanschauung im Stillen mit sich herumgetragen hatte. Bergson hat da nichts »entdeckt«, er wie die Anschauung haben nur hindurchgefühlt in ein neues Feld der Erkenntnis, dass die wirkliche Entdeckung reif und fällig war. Und tatsächlich wurde diese in unseren Tagen geliefert von dem hervorragenden Physiker Max Planck, dem Träger des Nobelpreises von 1919, in seiner »Quantentheorie«. Nicht so zu verstehen, dass nunmehr eine gärende Weltanschauung und eine Errungenschaft der strengen Forschung restlos ineinander aufgingen; aber doch insoweit, als hier mit dem Rüstzeug der exakten Wissenschaft ein unstetiger, sprunghafter Ablauf, eine atomistische Struktur nachgewiesen wurde in Energien, für welche die landläufige Anschauung vordem eine ganz ebenmäßige, unabgeteilte Ausstrahlung verlangte. Hier lag wohl kein zufälliges Zusammentreffen neuphilosophischer Anschauung und physikalischer Begründung vor, sondern ein Erfordernis der Zeit, in der sich ein neues Denkprinzip zur Geltung durchringen will.

 

Schwieriger ist es, wie schon angedeutet, von Einsteins Entdeckungen zu vorausgehenden relativistischen Ahnungen die Brücke zu schlagen. Denn mit der bloßen Berufung auf den Niedergang des...

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