Eishockey
Das Spiel, seine Regeln und ein Schuss übertriebene Härte
von Frank Bröker
Lektorat: lektorat-lupenrein.de
Neuausgabe, 1. Auflage 2024 © Verlag Andreas Reiffer
ISBN 978-3-910335-45-1, Text identisch mit der Printausgabe
Verlag Andreas Reiffer, Hauptstr. 16 b, D-38527 Meine
www.verlag-reiffer.de
»Wichtig ist für mich ein demokratischer Umgang mit den Spielern. Gleichzeitig stehe ich für eine Diktatur des Könnens und der Professionalität.«
Vyacheslav Bykov (Nationaltrainer Russlands 2006–2011)
FUßBALL IST DIE EHEFRAU
Eishockey die Geliebte
So könnte es zumindest aus männlicher Passion lauten. Hinter diesem unzüchtigen Gedanken verbirgt sich all das, was im Kultvergleich beider Sportarten heißkalte Unterschiede ausmacht. Ob in den großen Arenen der Deutschen Eishockeyliga (DEL) oder in den kleineren Oberligatempeln: Die Geliebte hört gerne auf Tiernamen, wenn man sie ruft. Die Frau dagegen heißt VfL oder FC Rita. Ist es deshalb nicht schön, eine Geliebte zu haben, die sich rarmacht, stets knapp bei Kasse ist, an der man sich süchtig berauschen kann? Voller Leidenschaft, mit größter Hingabe, beseelt von einem unendlich großen Herzen? Die Ehefrau ist immer präsent, kein Tag vergeht ohne sie. In Gedanken, Worten, Werken und Panini-Sammelalben.
Fußball ist reich, bestechlich, langsam und wird (im Eishockey fehlen dafür glücklicherweise die Anreize) von einem korrupten Weltverband regiert. Ein Spiel ist nach neunzig Minuten vorbei, womöglich mit einem Unentschieden. Wer hingegen dem Puck nachjagt, findet sich in einer Nische wieder, beinahe in einer verschworenen Gemeinschaft. Doch genau das steigert die Vorfreude auf glänzendes Eis, wuchtige Schüsse, faire, wenn auch heftige Bandenchecks und spektakuläre Kämpfe um ein Stück rundes, schwarzes Hartgummi. In keinem anderen Mannschaftssport muss die körperliche Leistung mit der geistigen so gut und fix harmonieren wie im Eishockey. Das gilt selbstredend auch für die Chipstütenfreaks an den Spielekonsolen. Wer nach einer durchgezockten NHL-Nacht aus nicht nachvollziehbaren Gründen auf das FIFA-Pendant umsteigt, wird nach einer Weile denken, das Gerät sei defekt. Doch die Konsole funktioniert tadellos; Fußball ist eben eine sehr behäbige Angelegenheit.
Die Geliebte Eishockey ist reinste Dynamik, hart im Nehmen und teilt genauso aus. Und wenn Sie wissen wollen, wie sie gespielt wird, nehmen Sie dieses praktische Buch mit nach Hause. Denn dort wartet nur die Ehefrau.
Noch ein Fingerzeig für die Novizen: Die Wurzeln des Pucksports liegen in Kanada, von wo aus Hockey vor mehr als 100 Jahren den Planeten eroberte. Somit ist Eishockeysprache Überseesprache, gewürzt mit einem sehr speziellen Jargon. Dank detailreicher Übersetzungen und Umschreibungen der einzelnen Begrifflichkeiten werden Sie allerdings kein Nachschlagewerk benötigen und selbst bei Übertragungen aus der besten Eishockeyliga der Welt (National Hockey League, NHL) fortan mit großem Fachwissen glänzen können.
IHR SEID NUR EIN PUNKTELIEFERANT
Auf geht’s, Stoff geben
Das Eis glänzt, es regnet frisch gekühlte Pucks vom Himmel. Man nehme, gemäß den Regeln des Weltverbandes, maximal 22 Spieler (zwei Torhüter, bestenfalls gesellen sich acht Verteidiger und 12 Stürmer dazu), fertig ist der Meldebogen, und auf dem Roster wird die Aufstellung präsentiert. Apropos Eishockeyregeln: Alle vier Jahre überarbeitet eine Kommission der Internationalen Eishockey-Föderation (IIHF) die Schiedsrichterbibel des Pucksports. Daneben gibt es eine Reihe von ligarelevanten Durchführungsbestimmungen, welche etwa die Anwesenheitspflicht eines Arztes vor Spielbeginn regeln, wie auch die Mindeststärke eines Teams (z.B. neun Feldspieler plus Torhüter) festlegen.
Je mehr genormte, mit Sponsorennamen übersäte Trikots sich beim Aufwärmen (Warm-up) auf der Eisfläche tummeln, umso erbaulicher steht’s um die Club-Finanzen. Gleiches gilt für die Bandenwerbung. Wer es schafft, im europäischen Eishockey genügend Geldgeber um sich zu vereinen, feiert Triumphe, überlebt oder wendet zumindest eine Insolvenz ab. Gleich vorm Saisonauftakt, während der ersten Testspiele, stellen sich deshalb bange Fragen: Wird das Brustlogo eines potenten Hauptsponsors sowohl auf den Auswärts- wie auf den Heimtrikots prangen? Wurde die Halle gut vermarktet? Kleben Sponsoren-Folien unter allen vier Bullykreisen?
Bevor wir uns selbst aufs Glatteis begeben, heißt es für die Cracks ganz simpel: Einrüsten in der Kabine (dem Locker Room, dazu später mehr) und die nummerierten Polyester-Jerseys in den Teamfarben überstreifen. Rückenhoch sollten die Zahlen am Stoff 25-30 cm angenäht sein, für die Ärmelvorderseiten gilt ein Zehnzentimetermaß. Der Spielername sticht in zumeist charismatischen Großbuchstaben rücklings hervor. Auch Stutzen und Helme neigen dazu, Zahlen zu tragen. Mit Langhaarigen verhält es sich so: Wessen Flow-Mähne die Trikotdraufsicht verdeckt, muss Zopf tragen oder die Zotteln in der Manier indischer Sikh unter den Kunststoffhelm eindrehen. Dass diese Brain Bucket oder Lid genannte, bequem und gut belüftete Lebensversicherung mit einem geschlossenen Kinnriemen befestigt sein muss, versteht sich von selbst.
Im kältesten, schnellsten Mannschaftssport der Welt ist bis in die kleinste Finesse alles bestens geregelt. Nachlässigkeiten bleiben nicht ungesühnt. Wer sich etwa erdreistet, einen Spieler mit falscher Trikotnummer aufs Oval zu schicken, bekommt dies zu spüren. Wie im Fall Benjamin Kronawitter am ersten Gameday der 2. Deutschen Eishockeyliga (DEL2) in der Saison 2014/15. Auf dem Meldebogen hatten die Bietigheim Steelers eine für die Spielzeit reservierte #36 vermerkt. Der Zeugwart hing dem Neuzugang jedoch in der Fremde einen Dress-Code mit der #52 in die Kabine. Nach Würdigung aller Beweismittel entschied das Liga-Gremium: Da der ordentlich lizensierte Stürmer für den Schiedsrichter deutlich zu erkennen gewesen war, wurde der 6:4-Sieg in Landshut zwar nicht aberkannt, eine Geldstrafe setzte es dennoch.
Ausnahmen bestätigen die Regel: Wer in den 500er-Club nach ebenso vielen Ligaeinsätzen aufgenommen wird, darf, eine vorherige Genehmigung eingeschlossen, ruhigen Gewissens eine Kluft mit selbiger Nummerierung am Jubiläumstag spazieren fahren. Hauptsache, das Trikot flattert im Wind, denn vollständig in die Hose gestopft werden darf es nicht. Wer doppelt so lange im Geschäft ist, bekommt ein Hemd mit der #1000 übergeholfen. Theoretisch sind im Normalfall alle Jersey-Nummern von #1 bis #99 gestattet. Praktisch ist es anders. Finger weg von der heiligen #99! Die durfte nur einer tragen: Wayne Douglas Gretzky, größter Centerman ewiger Hockeygeschichte.
Die Idee, Rückennummern besonders honoriger Idole nicht mehr zu vergeben, stammt aus den USA und gehört seit 1934 zur NHL-Show dazu. In einer feierlichen Zeremonie wird das Trikot des Alumnis unters Stadiondach gezogen, die Rückennummer in die clubinterne Rente geschickt. Darüber hinaus können Nummern landesweit für Ligen und Verbände gesperrt werden. Aus Respekt. Etwa vor der #80 des 2009 verstorbenen deutschen Keepers Robert Müller. Also: Such dir deinen Helden, Verteidiger, Stürmer, Goalie, kauf dir sein Trikot, wirf dich in Schale, sei dabei. Kelle an den Puck und losgeschliddert.
DIE GANZE HALLE HÜPFT
Glass Banger, Rotlicht, Buzzer: Das Spielfeld ist ein Hexenkessel
The Barn of Fire and Ice: Ein rechteckiges Feld (siehe Kapitel: »Trapezkünstler«) mit abgerundeten Ecken, umgeben von einer, gemessen ab Eisoberfläche, 107 cm hohen Bandenkonstruktion (Dasher Boards), das ist der Spielbereich. Seit der Saison 2020/21 sind u.a. in der DEL Flexbanden Pflicht, die beim Check belastungsreduziert nachgeben und Verletzungsgefahren minimieren. Die Kickleiste (Kick Plate) bildet den unteren Abschluss. Aufgesetzte Acryl- oder Plexiglasscheiben, darüber hinaus versehen mit Fangnetzen hinter den Querbanden, bewahren die Zuschauer vor unliebsamen Puckkollisionen. Für IIHF-Meisterschaften muss auch dieser Bereich mit einem Glasaufsatz versehen werden.
Weil an den Längsseiten des Spielfelds zu den Zuschauerrängen hin in den meisten Stadien keine Schutznetze angebracht werden, fliegt schon mal das eine oder andere Hartgummi in die Tribünen hinein. Im November 2008 wurde eine Straubinger Zuschauerin vom Puck am Kopf getroffen und verletzt. Sie ließ gerichtlich feststellen, ob die veranstaltende Straubing Tigers GmbH verpflichtet sei, ihren Schaden zu ersetzen, und bekam im Juli 2015 Recht. Sowohl das zuständige Landes- wie Oberlandesgericht erörterten der Beklagten, dass Zuschauer in jeder Hinsicht zu schützen seien, und zwar ungeachtet jedweder DIN-Vorschriften des Hockeyzirkus. Da aber ein solch tragischer Vorfall ...