Kapitel 5., Belastungsfaktoren in der Pflege Demenzkranker:
Wer die Pflege eines Demenzkranken übernimmt, muss mit Belastungen rechnen. Belastungen, die seine körperliche, aber auch seine psychische Gesundheit strapazieren. Pflege Demenzkranker bedeutet immer für denjenigen, der sie übernimmt, aber auch für viele, die um ihn herum sind, ein hohes Maß an Verlust. Was das genau bedeutet, werde ich gleich erläutern. Zunächst möchte ich aber erst einmal darlegen, wer überhaupt Demenzkranke pflegt,
Nur der kleinste Teil aller Demenzpatienten wird in einem Alters- und Pflegeheim betreut, nämlich nur 25%. Die restlichen 75% werden zu Hause versorg. Zur näheren Erläuterung stellt Krämer folgendes Diagramm zur Verfügung:
Pflegende Angehörige haben mit den verschiedensten Belastungsfaktoren zu kämpfen. Grob kann man sie in zwei Kategorien einteilen: die objektive Last und die subjektive Belastung oder der subjektive Verlust. Die objektive Last kann erfasst werden. Wie viel Zeit muss der Pflegende mit dem Demenzkranken verbringen? Was muss er alles für ihn tun? Besonders die körperlichen Belastungen seien hier erwähnt – wie viel, wie schwer muss der Angehörige z.B. heben? Sind die objektiven Belastungen erst einmal erfasst, kann man ihnen mit Entlastungshilfen entgegenwirken. Bei den subjektiven Belastungen ist es schon schwieriger. Hier kann kein Außenstehender eine Strichliste führen, um zu sagen wie hoch die Belastung ist. Für jeden ist das Belastungsempfinden anders.
Doch mit welchen konkreten Belastungsfaktoren haben die Pflegenden Angehörigen nun zu kämpfen?
Veränderung der eigenen Lebensplanung: Jeder Mensch macht in seinem Leben bewusst oder unbewusst eine Lebensplanung. Nach der Schule die Ausbildung, danach der Beruf. Ein glückliches Leben mit dem Partner. Und dann das Aus. Der Partner hat Demenz. Ab dieser Diagnose ändert sich alles. Pläne, die für die nahe oder ferne Zukunft geschmiedet worden sind, der Lebensabend, all das kann nicht mehr so durchgeführt werden, wie es einst beschlossen wurde. Von einem partnerschaftlichen Miteinander ändert sich das Leben für den Pflegenden in ein „Ich bin immer für dich da“. Pflichtbewusstsein stellt sich ein. Die Betreuung des Partners steht von nun an im Mittelpunkt. Auch wenn der Gepflegte nicht der Partner ist, ändert sich das Leben für den Pflegenden. Meist ist es die Tochter oder Schwiegertochter, die die Pflege des Vaters/ der Mutter oder Schwiegervaters/ Schwiegermutter übernimmt. Die Pflege nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass Arbeiten nicht mehr möglich ist. Die Familie erleidet unter Umständen finanzielle Einbussen. Auch psychisch leidet die Familie unter der Pflege. Der gepflegte ist immer da. Ein normales Eheleben wird schwierig, Beziehungsprobleme können auftreten.
Angebundenheit / Zuständigkeit: Die Angebundenheit ist eine der größten Belastungen für die Angehörigen. Wie oben schon beschrieben, ist der Gepflegte immer da. Man kann, je nach Stadium, nicht einfach mal alleine lassen oder gar einfach so in den Urlaub fahren. Ist der Demenzkranke noch nicht bettlägerig, ist er sehr mobil. Er läuft den ganzen Tag durch das Haus. Man muss aufpassen, dass er nicht wegläuft. Auch kann man ihn nicht immer und überall mitnehmen. Nachts haben viele Pflegende Angehörige ständig ein waches Auge und ein waches Ohr aus Angst, der Patient könnte weglaufen oder sonst einen „Unfug“ anstellen.
Etwas leichter wird es, wenn der Gepflegte bettlägerig ist. Dann kann man ihn schon mal alleine lassen. Aber nicht für lange Zeit, denn nun braucht er verstärkt die körperliche Pflege. Er muss gewaschen werden, Einlagen müssen ausgewechselt werden. Er muss gelagert werden, damit sich kein Dekubitus einstellt. Natürlich könnte man sagen, dass man sich in der Familie abwechseln könnte mit der Pflege. Doch praktisch sieht es so aus, dass keiner Zeit hat, weil sie alle arbeiten, oder einfach die Pflege nicht übernehmen wollen, weil sie es psychisch nicht können. Alles bleibt also an der Hauptpflegeperson hängen.
Verschlechterung des Gesundheitszustandes / Nähe zum Tod:
Als große Belastung empfinden die Pflegenden Angehörigen die stetige Verschlechterung des Gesundheitszustandes von Demenzkranken aus zweierlei Gründen. Erstens bedeutet dies eine stetig wachsende körperliche Belastung. Der Gepflegte kann immer weniger selbst, man muss ihn waschen, muss ihn heben. Körperliche Schäden durch falsches, ungelerntes Heben bleiben da meist nicht aus, wenn man bedenkt, dass viele Pflegende selbst schon älter sind und körperliche Leiden haben. Viel gravierender sind jedoch die psychischen Belastungen. Man kennt seinen Partner oder seinen Familienangehörigen ja noch von früher. Meist kommt die Aussage, dass er/sie ein lebenslustiger Mensch war, ein starker Mann, eine energische Frau. Der stetige geistige Verfall der Patienten wird zwar wahrgenommen, man will ihn aber nicht wahr haben. Gerade der Faktor, dass eine Demenz zur Folge hat, dass die Logik versagt und dafür die emotionale Seite Oberhand gewinnt, stellt eine enorme Belastung dar, mit der die Angehörigen umzugehen lernen müssen.
Doch selbst, wenn der geistige und körperliche Verfall akzeptiert und verstanden wurde kommt eines Tages der Zeitpunkt, wo die man sich die Frage stellen muss, wie lange der Demente wohl noch lebt. Der Tod mit all seinen Facetten ist in unserer Gesellschaft ein Tabuthema. Man spricht nicht darüber. Der Tod macht Angst. Im Falle der Pflegenden Angehörigen nicht nur, weil man demnächst einen lieb gewonnenen Menschen verlieren wird, sondern weil man durch den Tod auch der Lebensinhalt verschwindet. Man hat seine Lebensplanung auf die Pflege umgestellt, ist durch die dauernde Angebundenheit auf den zu Pflegenden fixiert und dann ist er weg. Was kommt dann?
Fehlende Anerkennung:
Viele Angehörige leiden unter fehlender Anerkennung. Die Gesellschaft mit ihrem Leistungsdruck sieht nur (meist) eine Frau, die zu Hause ist. Was sie aber täglich leisten muss, mit welchen Problemen sie zu kämpfen hat, wird nicht gesehen. Teilweise werden Pflegende Angehörige vom Bekanntenkreis auch abgelehnt, weil sie gemeinsame Aktivitäten wegen der Angebundenheit nicht mehr mitmachen können. Selbst vom Gepflegten erhält der Angehörige meist keine Dankbarkeit, weil er oft dazu nicht mehr in der Lage ist. Auch vom Pflegesystem ist es teilweise schwierig Anerkennung zu bekommen."