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E-Book

Entwicklungen der Psychiatrie

Symposium anlässlich des 60. Geburtstages von Henning Sass

VerlagSpringer-Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl410 Seiten
ISBN9783540301004
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR

Psychiatrie, Psychopathologie, Psychotherapie und Psychosomatik: Wie sind die Entwicklungen des Faches? Anlässlich des 60. Geburtstages des Psychiaters Henning Saß haben Experten die Zukunft dieser Themen diskutiert. Frühere und jetzige Wegbegleiter, Schüler und Mitstreiter aus DGPPN, AEP und anderen Institutionen haben sich hier zusammengefunden.

Das Spannungsfeld der Beiträge dieses Buches reicht entsprechend den Interessen von Henning Saß von der Stellung des Faches in der Gesellschaft und im Konzert der universitären Wissenschaften, über die Grundlagenwissenschaften bis zur Versorgungspolitik und der forensischen Psychiatrie. Diese Beiträge zeigen nicht nur die besondere Bedeutung von Henning Saß für das Fachgebiet auf, sondern präsentieren die Psychiatrie und Psychotherapie als spannendste medizinische Disziplin.

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Leseprobe

21 Die subjektive Befindlichkeit als Erfolgskriterium antipsychotischer Therapie (S. 191-192)

Dieter Naber
Eng verknüpft mit der Entwicklung der atypischen Antipsychotika, wurden innerhalb der letzten 10 bis 15 Jahre die Erfolgskriterien einer antipsychotischen Therapie sehr viel ehrgeiziger und umfassender. Neben einer stärkeren Berücksichtigung der Negativsymptomatik und der kognitiven Störungen ist insbesondere die überfällige Berücksichtigung der Patientenperspektive eine wesentliche Erweiterung.

Die Sicht der Betroffenen, ihre Lebensqualität oder ihre subjektive Befindlichkeit, wurden bis in die neunziger Jahre nur selten erhoben (Naber 2005). Angesichts der weiten Verbreitung antipsychotischer Therapie ist es überraschend, dass die Patientenperspektive so wenig wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten hat, insbesondere in einem Fach, das ansonsten die Äußerungen der Patienten sehr ernst nimmt, weil u.a. die Diagnose zumindest in großen Teilen darauf beruht. Während die Angaben von Patienten über akustische Halluzinationen oder Wahnideen nur selten in Frage gestellt werden, sind Klagen über subjektive Nebenwirkungen der neuroleptischen Therapie wie Anhedonie oder Dysphorie für lange Zeit wissenschaftlich nur sporadisch untersucht worden (Hogan et al. 1983, Jaeger et al. 1990, Liddle u. Barnes 1988, van Putten u. May 1978, Selten et al. 1993, Singh u. Smith 1976).

Die Psychiater konzentrierten sich bezüglich der Nebenwirkungen weitgehend auf die motorischen Symptome, subtilere Beschwerden über affektive und kognitive Einbußen mit erheblicher subjektiver Belastung und Bedeutung für die Langzeittherapie wurden oft nicht ernst genommen oder als Negativsymptome fehlinterpretiert (Gerlach u. Larsen 1999, Hellewell 2002, Lewander 1994, Weiden et al. 1989, Windgassen 1992). Die emotionalen Einschränkungen unter Neuroleptika sind seit Beginn dieser Therapie bekannt und wurden überwiegend nur kasuistisch entsprechend ihrer sehr vielfältigen individuellen Ausgestaltung unterschiedlich beschrieben, z.B. als „neuroleptic dysphoria", „pharmacogenic depression", „akinetic depression", „neuroleptic depression", und „neuroleptic-induced anhedonia" (Voruganti u. Awad 2004).

So wurde häufig beim Fehlen deutlicher motorischer Nebenwirkungen irrtümlich angenommen, dass der Patient unter keinen relevanten Nebenwirkungen leidet. Bei erneuter Therapie z.B. nach einem psychotischen Rückfall erfuhr der Psychiater dann oft, dass sich der Patient zumindest in den ersten Monaten nach Absetzen der neuroleptischen Therapie deutlich besser fühlte und in seiner Überzeugung, dass die Medikamente ihm eher schaden als helfen, verstärkt wurde. Wahrscheinlich waren insbesondere drei Gründe für diese wissenschaftliche Zurückhaltung bedeutsam:

1. Viele Psychiater waren (sind?) überzeugt, dass die große Mehrheit der schizophrenen Patienten aufgrund ihrer Krankheit nicht in der Lage ist, den Erfolg einer Therapie konsistent zu beurteilen. Dieses Vorurteil ist mittlerweile widerlegt: Zahlreiche Studien der letzten 10 bis 15 Jahre zeigen, dass die große Mehrheit der schizophrenen Patienten, wenn sie nicht mehr akut psychotisch oder kognitiv erheblich eingeschränkt sind, sehr wohl Selbstbeurteilungsbögen adäquat ausfüllen kann (Hogan u. Awad 1992, Lambert et al. 2003, Naber 1995, Voruganti et al. 1998).

2. In den 70er und 80er Jahren hatten die Psychiater wenig Möglichkeiten, auf die oder andere subjektiven Beschwerden ihrer Patienten hilfreich zu reagieren. Eine Reduktion der neuroleptischen Dosis war oft (manchmal nur vermeintlich) nicht möglich, eine bessere Aufklärung über die Notwendigkeit, Nutzen und Risiken der neuroleptischen Behandlung nicht üblich oder nicht erfolgreich. Der Wechsel von einem hochpotenten typischen Antipsychotikum zu einem anderen ist nach Sicht der Literatur nur bei 5 % der Patienten erfolgreich und der Wechsel von einem hochpotenten zu einem niederpotenten (oder umgekehrt) wurde nur selten durchgeführt.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Vorwort6
Inhaltsverzeichnis8
1 Entwicklungen17
2 Psychiatrie: Anfänge als Perspektive23
3 Die Psychiatrie auf dem Weg zu einem neuen Selbstverständnis35
4 Psychiatrie als Neurowissenschaften: Neue Perspektiven und Chancen43
5 Ist die Psychiatrie eine aussterbende Disziplin?49
6 Die Identität der Psychiatrie aus internationaler Perspektive55
7 Die Zukunft der Psychiatrie: Eine amerikanische Perspektive67
8 Nachwuchs als Zukunftsproblem der Psychiatrie71
9 Seelenheilkunde und Neurowissenschaften85
10 Wohin geht die Psychopharmakologie?103
11 Ökonomische Determinanten ärztlichen Handelns109
12 Kann Wissenschaft Gesundheitspolitik beeinflussen?123
13 Das „Outsourcing“ von dreiUniversitätskliniken – Zentrum fürintegrative Psychiatrie (ZIP) gGmbH133
14 Die Rolle der stationären „psychosomatischen Rehabilitation“ in der Versorgung psychisch Kranker137
15 Perspektiven der Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie149
16 Als Psychiater von West nach Ost163
17 Warum noch Psychopathologie?167
18 Auf dem Wege zu einer präventiven Psychiatrie175
19 Brücken zwischen Neurobiologie und Anthropologie185
20 Neurolyrik199
21 Die subjektive Befindlichkeit als Erfolgs kriteriumantipsychotischer Therapie207
22 Das Publizieren in der Psychiatrie215
23 Vorbilder in der Psychiatrie239
24 Temperament und Persönlichkeit247
25 Therapie und Prävention von Persönlichkeitsstörungen im Kindes- und Jugendalter255
26 Sucht und Psychiatrie: Eine verspätete Teildisziplin holt auf273
27 Helfen mit illegalen Drogen?277
28 Komorbidität Psychose und Sucht – was tun?285
29 Veränderungen am tradierten Konzept der Zwangsstörungen293
30 Zum Interesse des Psychiaters am „gesunden“ und „gestörten“ Schlaf301
31 Psychiatrie – die am wenigsten respektierte Disziplin in der Medizin?313
32 Psychiatrie in den Fakultäten – Betrachtungen anhand der Heidelberger Psychiatriegeschichte321
33 Ein Psychiater im Rektorat (als Vizepräsident)?335
34 Kunst und Krankheit341
35 Gehirn und Verbrechen: Neurobiologie von Gewalttaten351
36 Entwicklungstendenzen der Forensischen Psychiatrie – von der Phrenologie zur klinischen Kriminologie365
37 Methodenprobleme der forensischpsychiatrischenPrognosebeurteilung377
38 Kriterienkataloge: Ein Beitrag zur Qualitäts sicherung in der Forensischen Psychiatrie391
39 Persönlichkeitsgestörte Straftäter in den Maßregelvollzug?403
40 Biographie, Persönlichkeit und Verantwortung411
Abkürzungsverzeichnis421
Sachverzeichnis423

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