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Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit

Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann

AutorBarbara Hogan, Cpt. Jens Olthoff, Marco Wunderlich, Martin Hinsch
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl199 Seiten
ISBN9783170312630
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis37,99 EUR
Der Alltag in Krankenhäusern ist seit Jahren geprägt von stetig zunehmender Komplexität, Informations- und Dokumentationsflut, Zwang zu intensiver Teamarbeit und ständigem Wandel der Rahmenbedingungen. Da die Luftfahrt über jahrzehntelange Erfahrung in einem solchen Umfeld verfügt, erläutert dieses Buch in leicht verständlicher Sprache praxiserprobte Konzepte und Arbeitsmethoden dieser Branche, die sich gut in den Krankenhausalltag übertragen lassen. Der Fokus richtet sich auf Maßnahmen im Bereich der Teaminteraktion, Kommunikation, Prozessorientierung, auf Fehlervermeidungskonzepte und die Schwächen der menschlichen Leistungsfähigkeit (Human Factors).

Dr. Martin Hinsch (Dipl. Volkswirt) ist freier Berater für luftfahrttechnisches Qualitäts- und Safety-Management. Seine Erfahrung sammelte er vor allem bei Lufthansa Technik, wo er weltweit auf diesen Gebieten tätig war. Dr. Barbara Hogan ist Geschäftsführerin und Ärztliche Leitung einer Gruppe Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) und Präsidentin der Europäischen Gesellschaft für Notfallmedizin (EuSEM). Hogan war Gründungspräsidentin der Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA). Cpt. Jens J. Olthoff flog 38 Jahre als Pilot bei der Deutschen Lufthansa AG (DLH), davon viele Jahre als Airbus A320/A340- Ausbildungskapitän. Daneben war er in der Position eines Vice Präsidenten weltweit in verschiedenen Positionen tätig. Unter anderem war Olthoff Leiter der Lufthansa-Verkehrsfliegerschule und in dieser Position Chef der gesamten DLH-Pilotenausbildung. Olthoff und Hinsch sind Partner von Safe Hospital Medical Network und werden des Öfteren auf medizinischen Kongressen und Workshops als Gastredner zum Thema Sicherheit sowie Risiko- und Qualitätsmanagement geladen.

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Leseprobe

2          Medizin ist wie Fliegen … fast


 

 

 

 

Von den Champions einer Branche oder Berufsgruppe zu lernen, ist eine äußerst ökonomische Variante, um Herausforderungen anzugehen. Oft ist es nicht nötig, das Rad neu zu erfinden, sofern die grundsätzliche Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen gegeben ist.

2.1       Blaupause: Von anderen Branchen lernen


Wie ist der Fall in der Medizin gelagert? Welche Anforderungen und Rahmenbedingungen muss eine Branche oder ein Berufsfeld erfüllen, damit diese für die Medizin nützlich wird?

Es sollte eine Industrie oder eine Berufsgruppe sein, in der

•  Überzeugungs- und Durchsetzungsfähigkeit gebraucht werden,

•  die Mitarbeiter hohe Verantwortung tragen,

•  hohe Selbstsicherheit im Job gefragt ist,

•  eine hohe Komplexität zu beherrschen ist,

•  ein hoher Grad an Interaktion mit verschiedenen Fachgebieten/Abteilungen notwendig ist,

•  Entscheidungsfähigkeit innerhalb eines definierten Rahmens besteht,

•  unter Zeit- und Handlungsdruck gearbeitet wird,

•  eine hohe Situationsflexibilität erforderlich ist.

Im Idealfall handelt es sich um einen Wirtschaftszweig, der über transparente Prozesse verfügt und individuelle, selbstbewusste Talente und »Künstler« in ihrem Berufsalltag zu starker Teamorientierung und Prozessstandardisierung gelenkt hat.

2.2       Die Luftfahrt als Impulsgeber für die Medizin


Die Luftfahrt ist so eine Branche. Sie funktioniert unter den genannten Bedingungen und kann dabei seit Jahrzehnten eine sehr hohe Erfolgsquote vorweisen. Kaum eine andere Branche setzt höhere Maßstäbe an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität. Fluggesellschaften landen mehr als 99,99 % ihrer Flüge ohne nennenswerte Vorkommnisse sicher am Ziel. Unternehmen der Luftfahrtbranche werden daher auch als Hochleistungsorganisationen klassifiziert. Dies bedeutet, dass im Rahmen der Wertschöpfung deutlich weniger Fehler auftreten, als dies statistisch zu erwarten wäre. Die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts liegt bei nur 1:100 Mio. Flügen – und das, obwohl sich Airlines in einem harten Wettbewerb behaupten müssen.

Es ist nicht überraschend, dass solche Werte nur durch ein hohes Maß an Standardisierung und Training zu erreichen sind. Hierfür sind die zahlreichen vorgeschriebenen Check-Flüge im Simulator alleine nicht genug. Um derartige Erfolge zu erzielen, muss Training als Erlebnisfaktor in den Berufsalltag integriert sein.

2.2.1     Abstraktion vom Kernprozess der Flugdurchführung


Beim Fliegen geht es darum, ein Ziel sicher und entsprechend dem Zeitplan zu erreichen. Der Standardprozess unterteilt sich dazu gemäß Abbildung 2 in fünf Kernelemente: Zunächst bedarf es der Vorbereitung auf das vorgegebene Ziel und der Planung der Route. Dazu zählen z. B. die Programmierung der Bordcomputer sowie die Abstimmung der Wetterverhältnisse, der zugewiesenen Luftstraßen, der Beladung, der Kraftstoffmenge, usw. In weiteren Prozessschritten folgen der Start und der Reiseflug entsprechend den Vorbereitungen und den allgemeingültigen Standard Operating Procedures. Der Gesamtprozess endet mit der Landung und der Nachbereitung. Auch die Nachbereitung als letzter Prozessschritt ist wichtig, denn die Passagiere wollen ihr Gepäck ausgehändigt bekommen und das Flugzeug soll für den nächsten Einsatz bereitgestellt werden. Nicht zuletzt lassen die Beteiligten den zurückliegenden Flug in einer Nachbesprechung (Debriefing) Revue passieren, um daraus für zukünftige Flüge zu lernen.

Während jeder Prozessphase müssen alle Beteiligten mit ihren Partnern und Zulieferern an den Schnittstellen kommunizieren. Piloten interagieren also nicht nur untereinander, sondern auch mit der Kabinencrew, dem Catering, dem Pushback, den Cargo-Beladern, den Gate-Mitarbeitern sowie der Technik und dem Control-Center der Airline und schließlich auch den Fluglotsen.

Abb. 2: Der Prozess einer Flugdurchführung im Vergleich mit dem der notfallmedizinischen Versorgung

Vergleichbar wiederholt beobachtbare Verläufe finden sich auch in klinischen Prozessen. Auch wenn diese inhaltlich deutlich anders ablaufen, so gibt es auch bei den meisten medizinischen Handlungen klare Prozessstrukturen, die es vor einer Standardisierung systematisch zu erfassen gilt. So lässt sich beispielsweise der notfallmedizinische Prozess in einem Fünf-Phasen-Schema abbilden ( Abb. 2). Dieser beginnt mit der Einsatzleitsteuerung des Rettungsdienstes. Diese Phase umfasst die Annahme des Notrufs, Situationsbewertung und Alarmierung.

Die darauffolgende präklinische Phase der Notfallversorgung beginnt mit der Rettung und Lagerung des Notfallpatienten. Es folgt die Sicherstellung oder Aufrechterhaltung der Transportfähigkeit sowie die weitere Stabilisierung und Behandlung des Patienten während des Transports und bis zur Primärtherapie. Parallel dazu ist es im Verlauf der präklinischen Notfallversorgung Aufgabe der Rettungsleitstelle, die Koordination des Einsatzes und die Suche bzw. Zuordnung eines Krankenhauses sicherzustellen.

Der präklinischen Notfallversorgung schließt sich nach einer systematischen Übergabe die klinische Phase der Notfallversorgung in der Notaufnahme an, mit Erstversorgung, Stabilisierung der Vitalparameter, Monitoring, Anamnese und körperlicher Untersuchung. Darauf folgen die Notfalldiagnostik und die Notfallbehandlung ggf. unter Hinzuziehung anderer Fachdisziplinen.2

An die Phase der klinischen Notfallversorgung schließt sich die Verlegung und/oder Entlassung aus der Notaufnahme an. Dieser Prozessschritt umfasst die adäquate Versorgung und Aufklärung des Patienten, die Zuordnung und Übergabe zur weiterbehandelnden Fachabteilung oder zum weiterbehandelnden Krankenhaus. Dies umfasst neben der Organisation des sekundären Transports ebenso die korrekte medizinische Dokumentation sowie eine strukturierte Übergabe Arzt zu Arzt bzw. Pflege zu Pflege.

Die Nachbereitung beinhaltet abrechnungsrelevante Kodierung und Dokumentation, ggf. ein Debriefing sowie unter Umständen auch ein Feedback an den weiterbehandelnden Hausarzt oder die Angehörigen.

Ähnlich segmentierte Prozessabläufe finden sich auch in allen anderen Bereichen und Fachabteilungen eines Krankenhauses, innerhalb der klinischen Versorgung, auf den Dienstleistungsebenen und ebenso bei der Organisationsführung.

2.2.2     Ist die Medizin tatsächlich mit dem Fliegen vergleichbar?


»Beim Fliegen geht es doch um Menschenleben!«

Dieser Ausspruch gilt analog für die Medizin, wenngleich das Leiden des Patienten nicht immer lebensbedrohlich ist. Dies ist auch nicht entscheidend: Wenn von Menschenleben die Rede ist, lässt sich dies als Sinnbild für eine sehr hohe Verantwortung sehen, die auch der Arzt für seine Patienten und sein Krankenhaus trägt.

»Piloten bezahlen ja auch mit ihrem eigenen Leben, wenn sie Fehler machen!«

Ja, deshalb müssen Piloten durch Regeln, Vorgaben und Training vor Fehlern geschützt werden. Verhalten sich Ärzte falsch, müssen andere schlimmstenfalls mit ihrem Leben dafür bezahlen. Daher ist es umso wichtiger, Fehler klar zu analysieren. Da dies noch zu selten systematisch geschieht, dafür aber weniger offensichtliche und weniger medienwirksame Konsequenzen als in der Luftfahrt auftreten, ist das ein umso besserer Grund für mehr Systematik auf dem Weg zur Exzellenz.

»Fliegen ist ein linearer Prozess von A nach B, in der Medizin kann die Behandlung viele Ausgänge haben!«

In der Medizin gibt es ebenfalls nur zwei Möglichkeiten: 1) Patient wird erfolgreich therapiert, 2) Patient wird nicht erfolgreich therapiert. Der Luftverkehr ist, wie auch medizinische Behandlungen, stets ähnlich, aber, anders als der Laie gemeinhin glaubt, nie gleich. Die Anzahl der zufälligen Variablen unterscheidet sich in der Vielzahl nicht wesentlich von den unbekannten Größen im Cockpit (Wetter, Ziele, Route, Verkehr, Technik, Verkehrsaufkommen am Boden oder in der Luft, Verspätungen, Passagiere). Die Komplexität einer Flugdurchführung wird oftmals unterschätzt. Wenn auch jeder Patient und jede Behandlung spezifische Eigenarten aufweisen, so ändert dies nichts an der grundsätzlichen, strukturellen Herangehensweise des Arztes, die dem der Piloten in ihren Wesensmerkmalen so unähnlich nicht ist.

Ein tieferer Blick in den...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Geleitwort6
Vorwort8
Inhalt12
Geleitwort6
Vorwort8
Inhalt12
Abbildungsverzeichnis17
1 Anforderungen an die Medizin der Zukunft18
1.1 Patientensicherheit und Effizienz als ein Topthema der nächsten Jahre18
1.2 Die Anatomie des Arztes der Zukunft20
1.3 Die Treiber von Veränderungen23
1.3.1 Patienten24
1.3.2 Gesetzgeber und Krankenkassen24
1.3.3 Betriebsinterner Druck25
2 Medizin ist wie Fliegen… fast27
2.1 Blaupause: Von anderen Branchen lernen27
2.2 Die Luftfahrt als Impulsgeber für die Medizin28
2.2.1 Abstraktion vom Kernprozess der Flugdurchführung28
2.2.2 Ist die Medizin tatsächlich mit dem Fliegen vergleichbar?31
2.2.3 Zwischenfazit33
2.3 Wie die Luftfahrt das Hochleistungsmanagement entdeckte34
2.3.1 Welche Maßnahmen haben die Airlines ergriffen?36
2.3.2 Aus einzelkämpferischen Weltkriegspiloten wurden Teamplayer in Passagierjets37
2.4 Implikationen für die Medizin38
2.4.1 Chancen für die Medizin sind groß40
Die erfolgreichen Methoden und Konzepte der Luftfahrt42
3 Wozu auf die Luftfahrt blicken? Eine Einführung44
4 Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors46
4.1 Was sind Human Factors und warum sollte man sie betrachten?46
4.2 Die menschliche Leistungsfähigkeit und deren Grenzen51
4.2.1 Die Grenzen der Wahrnehmung und des Situationsbewusstseins51
4.3 Human Factors im persönlichen Umfeld53
4.3.1 Verantwortungsbewusstsein54
4.3.2 Arbeitsbelastung und Stress54
4.3.3 Unterforderung56
4.3.4 Motivation57
4.4 Human Factors im sozialen Umfeld58
4.4.1 Kommunikation58
4.4.2 Führung59
4.4.3 Teamwork61
4.4.4 Druck62
4.4.5 Organisationskultur64
4.5 Human Factors im physischen Arbeitsumfeld66
5 Das Dirty Dozen - die 12 häufigsten menschlichen Fehler67
5.1 Mangel an Kommunikation68
5.2 Mangel an Teamwork70
5.3 Druck71
5.4 Soziale Normen72
5.5 Fehlende Durchsetzungsfähigkeit73
5.6 Ablenkung74
5.7 Selbstgefälligkeit und Apathie75
5.8 Fehlendes Problembewusstsein76
5.9 Erschöpfung77
5.10 Stress78
5.11 Mangelndes Wissen und Können79
5.12 Ungenügende Ressourcen80
6 Crew Resource Management (CRM)82
6.1 Was ist CRM?82
6.2 Teamwork und Führung84
6.2.1 Teamwork84
6.2.2 Führung88
6.3 Kommunikation94
6.3.1 Briefing97
6.3.2 Debriefing100
6.4 Situationsbewusstsein und Workload-Management104
6.4.1 Workload-Management106
7 Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung108
7.1 Prozessorientierung im betrieblichen Alltag108
7.2 Umsetzung einer Prozessorientierung: Prozessdefinition114
7.3 Umsetzung einer Prozessorientierung: Mitarbeiterqualifikation119
7.4 Was bedeutet dies nun?122
8 Qualifikation und Training124
8.1 Ganzheitliches Training und Standardisierung124
8.1.1 Die drei Kernkompetenzen124
8.1.2 Integriertes Training127
8.1.3 Standardisierung der Mitarbeiterqualifikation128
8.2 Einrichtung von Qualifikations- und Trainingsstrukturen131
8.2.1 Aller Anfang ist schwer - die Entwicklung eines Qualifikationsund Trainingsprogramms132
8.2.2 Fazit oder: Was bleibt?137
9 Personalauswahl und Potenzialanalyse139
9.1 Bestimmung von Qualifikationsanforderungen142
9.2 Testaufbau und Testmodellierung147
9.3 Unterstützung von Experten148
9.4 Was bringt Personalauswahl konkret?149
10 Über Fehler und Verbesserungspotenziale sprechen können152
10.1 Bereitschaft zu Fehlerreflexion und Fehlerbewusstsein154
10.2 Straffreiheit für den Fehlerverursacher?155
10.3 Fehlerreflexion-aber wie?156
Neue Wege zur Optimierung in der Medizin162
11 Spitzenleistung durch Exzellenz in der Medizin164
11.1 Zukunftsweisende Konzepte sind vorhanden164
11.2 Organisationsexzellenz in der Medizin166
11.2.1 Safety167
11.2.2 Wirtschaftlichkeit168
11.2.3 Organisationssteuerung169
11.3 Die Bedeutung des Patientennutzens170
11.4 Das Fundament medizinischer Exzellenz171
11.4.1 Pfeiler 1: Mitarbeiter171
11.4.2 Pfeiler 2: Prozesse und Regeln175
11.4.3 Pfeiler 3: Infrastruktur180
11.4.4 Pfeiler 4: Organisationsentwicklung180
12 Team Resource Management183
12.1 Dreiklang in der Medizin-ein ganzheitlicher Ansatz184
12.1.1 Fachwissen185
12.1.2 Prozesswissen185
12.1.3 Interpersonelle Fähigkeiten186
12.1.4 Fehlerkultur188
12.2 Betriebliche Implementierung189
12.2.1 Treiber für Veränderungen190
12.2.2 Budgets: Investitionspläne in Wettbewerbsvorteile wandeln191
12.2.3 Stringente Umsetzung191
12.2.4 Nachhaltigkeit sicherstellen mit einem Medizincontrolling192
12.2.5 Kulturwandel: konsequente Orientierung an der Patientensicherheit193
Nachwort195
Die Autoren196
Sachregister198

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