Im kommenden Kapitel soll nun geklärt werden, inwiefern diese ergründete Bedeutung der Bewegung für die Entwicklung der Identität eines Menschen relevant ist. In diesem Zusammenhang soll vorweg gehend die Identität des Einzelnen in ihrer Maßgeblichkeit für die schulische Bildung dargestellt werden. Dazu muss jedoch zunächst ihre Begrifflichkeit und Entwicklung erläutert werden.
Der Begriff der Identität, wie wir ihn heute auf Menschen bezogen kennen, wurde in den fünfziger Jahren unter anderem durch Erik Erikson für die Sozialwissenschaften bedeutsam. Über dieses Feld hinaus fand er dann Eingang in viele Diskurse. Er wird heute im Alltag häufig gebraucht, ohne genau die definierten Zusammenhänge zu kennen (vgl. Kößler 1997, S.113). Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass Identität eine Unterscheidbarkeit durch bestimmte Merkmale, Kriterien und Kennzeichen impliziert. Zu Unterscheiden ist im Bezug auf den Menschen jedoch zwischen der Objekt- und der Subjekt-Identität. Beispielsweise geben die Daten des Personalausweises die unverwechselbare Objekt-Identität eines Menschen wieder und sagen aus, wer er ist (vgl. Kößler 1997, S.114). Die Subjekt-Identität dagegen beschreibt, wie sich ein Mensch selber sieht, zu sich selbst verhält und womit er sich identifiziert. „Spezifische menschliche Identität nämlich ist eine 'Selbstreferenz', ein Verhältnis, das auf sich selbst und ihre Beziehung zur Umwelt reflektierende menschliche Individuen oder Gruppen zu sich selber haben.“ (Kößler 1997, S.115) Diese Identität ist das Ergebnis der Prägung und Formung der persönlichen Lebensgeschichte. Man nimmt an der Geschichte teil, kann sie aber kaum in ihrer Wirkung auf einen Selbst beeinflussen. Dazu zählen aber auch vorgegeben Grundbedingungen mit der Geburt (vgl. Kößler 1997, S.115). Daraus ergibt sich zum Beispiel die geschlechtliche oder auch nationale Identität.
Die Subjekt-Identität ist jedoch nicht festgelegt. Sie entwickelt sich über einzelne Lebensabschnitte hinweg und durch prägende Erfahrungen in einem langwierigen Prozess. Sie ist daher aber insofern konstant, als dass sie als individuelle Orientierung und Rahmung der Persönlichkeit dient. Die Persönlichkeit selber ist ein Bestandteil der Identität und wird weiter unten erläutert. Sie bestimmt Interessen und Neigungen, Verhalten und Zielsetzungen und impliziert Einstellungen.
Menschen, die diese Kontur nicht für sich selbst finden, nicht ihre eigenen Individualität in ihren Merkmalen erkennen, erleben eine konturlose, undeutliche Identität (vgl. Kößler 1997, S.116). Es gibt aber auf der anderen Seite auch Menschen, die sich starr auf ihre Identität fixieren und eine weitere Entwicklung, durch stures Festhalten an ihren Einstellungen und Abwehren von gegenteiligen, blockieren. Die Bildung dagegen soll eine Entwicklung zwischen diesen beiden Extremen fördern (vgl. Kößler 1997, S.117).
Nach diesem Abschnitt wird auch deutlich, dass Identität sich aus den Beziehungen zur Umwelt nicht nur entwickelt, sondern jeweils auch über sie definiert ist. Identität kann also nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Umwelt betrachte werden, da sie nur in ihr und durch sie existiert. Identität zu entwickeln bedeutet Einstellungen und Stellungnahmen zur Umwelt zu entfalten. Daher gehört zu Subjekt-Identität auch eine geschichtlich-soziale Identität und eine Gruppen-Identität. Die Subjekt-Identität spiegelt demnach die Position eines Menschen innerhalb des Bezugssystems der Gesellschaft wieder (vgl. Kößler 1997, S.117).
Wie oben bereits angedeutet, wird Identität durch vielerlei genetischer und gesellschaftlicher Faktoren beeinflusst. Einige davon sind direkt mit Bildung verknüpft. Religiöse und geschichtliche Bildung prägen so zum Beispiel eine Identifizierung mit Zugehörigkeiten, eine kulturelle Identität (vgl. Kößler 1997, S.118). Diese wiederum zählt explizit zur Gruppen-Identität. Deren traditionelle Übermittlung und Ausformung ist Aufgabe der Schule (vgl. Kößler 1997, S.118 f.). Dabei ist eine Flexibilität hinsichtlich kritischer Reflexion offen.
Gruppen-Identität meint dabei eine gemeinsame Identifikation mit spezifischen Einstellungen und spiegelt Gemeinschaft wieder (vgl. Kößler 1997, S.119). Zu beachten gilt dabei, dass die kulturelle Identität zwar innerhalb der Gruppe gleichermaßen Einfluss nimmt, jedoch in individueller Auswirkung. Individuell deshalb, weil sie durch die bereits vorhandenen Komponenten der eigenen Identität unterschiedlich verarbeitet werden. So ergibt sich aus der kulturellen Identität der Gruppe auch eine persönliche kulturelle Identität. Dabei stehen das Individuum und die Gruppe in Wechselwirkung, denn so wie die Gruppe eine Person beeinflusst, beeinflussen einzelne Personen auch die kollektive Identität der Gruppe (vgl. Kößler 1997, S.120).
Einer der wichtigsten Faktoren der Identitätsbildung ist das Verhalten der Eltern gegenüber ihrer Kinder. So entstehen übernommene Identitäten häufig aus stark behüteten oder autoritären Kontexten. Ein entscheidender Faktor ist natürlich auch das eigene Verhalten und das Bestreben, aber auch die generellen Möglichkeiten Selbsterfahrungen zu machen. Die schulische Beteiligung und speziell die Freizeitgestaltung können hier sehr einflussreich sein. Das Ausüben von Hobbys und die Teilnahme an Vereinen können einen wichtigen Raum für Selbsterfahrungen bieten.
Die Identitätsentwicklung bleibt auch nicht unbeeinflusst von dem sozialen Umfeld und dem historischen Kontext. So kann eine niedrigere soziale Schicht eine geringere finanzielle Fördermöglichkeit der Karriere, aber auch mangelnde Karriereinformationen und eine eingeschränkte Rollenauswahl bedeuten. Im historischen Kontext sind vordergründig die sich verändernden Rollen- und somit Identitätsoptionen zu nennen (vgl. Siegler, DeLoache, Eisenberg 2005, S.617).
Grundlegend für eine Darstellung der Identitätsentwicklung ist die psychosoziale Theorie von Erikson. Erikson schloss sich an viele Theorien Freuds an, ergänzte sie aber entscheidend im Bezug auf das Ich. Er betonte, „[...] dass das Ich neben seiner vermittelnden Rolle zwischen den Trieben des ES und den Geboten des Über-Ich einen positiven Beitrag zur Entwicklung leiste und auf jeder Entwicklungsstufe Haltungen und Fertigkeiten erwerbe, die das Individuum zu einem aktiven, nützlichen Mitglied der Gesellschaft werden lassen.“ (Berk 2011, S.18) Er beschreibt verschiedene Phasen, welche jeweils mit einem spezifischen psychischen Konflikt einhergehen, der eine Spannbreite von einer möglichst positiven bis zur negativsten Lösung bietet sowie die damit korrelierenden zukünftigen Anpassungsfähigkeiten. Zu Freuds Modell ergänzte er drei weitere Stufen, die das Erwachsenenalter betreffen und sein Modell somit die Entwicklung der Identität im Bezug auf den gesamten Lebenslauf erfasst (vgl. Berk 2011, S.18).
Eine zusätzliche besondere Erweiterung ist sein Blick auf den Einfluss äußerer Faktoren, wie die kulturellen und aktuellen Situationen. Er geht von acht altersabhängigen Entwicklungsphasen aus, wovon fünf das Kindes- und Jugendalter betreffen. In jeder Phase muss der Mensch eine spezifische Problemstellung bewältigen, um gefestigt das Problem der nächsten Stufe angehen zu können. Jedes Stadium wird eingeleitet durch Reifungsprozesse oder sozialen Druck (vgl. Siegler, DeLoache, Eisenberg 2005, S.476).
Im ersten Lebensjahr eines Kindes, so Erikson, ist die Qualität der elterlichen Fürsorge von entscheidender Bedeutung, um ein Urvertrauen beim Kind zu generieren. Durch das Urvertrauen ist das Kind in der Lage sich vertrauensvoll der Umwelt zuzuwenden und sie zu erkunden (vgl. Berk 2011, S.243).
Entwickeln Kinder schon im Säuglingsalter eine sichere Bindung zu ihren Bezugspersonen und erleben sie ein Gefühl von Zuneigung und Sicherheit, wird langfristig eine sozial Kompetenz, Kooperationsfähigkeit, positive Beziehung zu anderen und insgesamt das Selbstwertgefühl gefördert (vgl. Berk 2011, S.272 f.). Entscheidend ist jedoch auch das Andauern dieser Bindung. Denn nimmt die liebevolle Fürsorge für das Kind ab, kann es ebenso zu Entwicklungsschwierigkeiten kommen, wie bei Kindern mit dauernder unsicherer Bindung (vgl. Berk 2011, S.273)
Beeinflusst wird eine sichere Bindung und die Qualität der elterlichen Fürsorger durch Faktoren, wie „[...] die individuellen Persönlichkeitseigenschaften von Eltern und Kind, die Qualität der ehelichen Beziehung der Eltern, Belastungsfaktoren außerhalb der Familie, die Verfügbarkeit sozialer Unterstützung, die Sicht der Eltern auf ihre eigene Bindungsgeschichte sowie die Häufigkeit und Qualität der Kinderbetreuung.“ (Berk 2011, S.274) Hier zeigt sich schon die Bedeutung über die Beziehung selbst hinaus und verweist auf das ökologische System mit seinen unterschiedlichen Ebenen, dass die Entwicklung des Kindes beeinflusst (vgl. Berk 2011, S.274.).
Es wird davon ausgegangen, dass sich das Ich-Bewusstsein von Säuglingen und Kleinkindern im Zusammenhang mit der Erkenntnis entwickelt, Menschen und Gegenstände reagieren auf vorhersehbare Weise auf die Handlung des Kindes. Beziehungen zwischen sich selbst und der Umwelt werden so erkannt (vgl. Berk 2011, S.275). Durch das entstehende Ich-Bewusstsein und das Bewusstsein...