Einleitung
MARKO FERST
„Viele spüren, ein Leben, das dem Erfolg, der Konkurrenz, der Ausbeutung dient, ist in Wirklichkeit ein Leben, das die Menschen unglücklich macht,“ schreibt Erich Fromm. Er ist jemand gewesen, der so unterschiedliche Geisteswerke wie die von Sigmund Freud, Karl Marx, Baruch de Spinoza und Meister Eckhart zusammendachte, natürlich im Sinne des Hegelschen Aufhebens. Eine erneuerte Psychoanalyse und marxistische Soziologie bekommen bei ihm ganz eigene Wesenszüge. Auch der buddhistische Zugang interessierte ihn, mit der jüdischen Religion war er sozialisiert worden. Religion begreift er als einen Rahmen der Orientierung, als ein Objekt der Hingabe, das nicht notwendigerweise an Gott, Idole und herkömmliche Religionssysteme gebunden sein muß.1
Als Psychotherapeut, Sozialwissenschaftler und Philosoph gehört Erich Fromm zu den wegweisenden Gestalten des 20. Jahrhunderts. Nicht zuletzt kritisierte er vehement die Hochrüstungsspirale, die leicht in einen Atomkrieg mit einem globalen Overkill hätte münden können, plädierte für einseitige Abrüstung und sprach in seinem letzten Lebensjahrzehnt auch die ökologische Fragestellung an. Schon überaus früh stellte er die westlichen Uberflußgesellschaften in Frage und meinte, wir müssen unseren Lebensstil und unser Konsumverhalten verändern. Auch die ungerechte Weltwirtschaftsordnung, die zwischen den reichen Industriestaaten und ärmeren Ländern des Südens wirkt, prangerte er an.
Sein Arbeitsschwerpunkt waren die psychologischen Prozesse der menschlichen Seele im Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Entwicklungen. Vor diesem Hintergrund befaßte er sich auch damit, auf welche Weise man zu demokratischen Wirtschaftsstrukturen kommen könnte und wie eine Verbesserung der Partizipation der Bürger und Bürgerinnen an den politischen Strukturen möglich ist.
In seinen vielen, weltweit bekannten Büchern wirft er unter anderem Fragen auf: Wie können wir die Werte des Seins über die des Habens stellen? Oder vermag Politik und Ethik Zusammenkommen? Wie kann die Kunst des Liebens gelingen? Gibt es eine Furcht vor der Freiheit?
Zum 100. Geburtstag von Erich Fromm erschien der Sammelband „Erich Fromm heute“, herausgegeben von Rainer Funk, Helmut Johach und Gerd Meyer mit verschiedensten Beiträgen, um die unverminderte Aktualität des Sozialpsychologen zu würdigen und sich mit seinem Werk auseinanderzusetzen. Hier nun ist eine Auswahl von Reden dokumentiert, auf verschiedenen Konferenzen gehalten, die zum großen Teil aus Anlaß des 100. Geburtstages stattfanden. Im Zentrum des Bandes steht, Fragen, die die ökologische Krise betreffen, mit den sozialpsychologischen Fragen zusammenzudenken in einer ersten Lesung. Weitere Texte zu den Themenspektren des Sozialpsychologen findet man vor. Es werden angesprochen zum Beispiel Fragen, in wie weit unsere normale Alltagswahrnehmung die inneren Möglichkeiten des Menschen einschränken, welche Probleme bereitet der Marketingcharakter, was kann Spiritualität und Religion heute heißen. Des weiteren geht es um Formen des seelisch-geistigen Produktiv-seins und unzureichenden Zugängen dafür, wirtschaftliche Demokratie und neue politökonomische Strukturen werden thematisiert.
Die Entstehungsgeschichte von „Erich Fromm als Vordenker“ beginnt mit einem Gespräch nicht weit entfernt von einem Ökohof in Hausen im Sommer 1998. Die Ökologische Plattform hielt dort ihr Bundestreffen ab. Wir hatten gerade die fragwürdigen Segnungen einer neuen Autobahn, quer durch Thüringen, besichtigt und ich kam mit Elke Wolf auf Erich Fromm zu sprechen und ob man nicht dazu mal eine Veranstaltung machen könnte. Im März des folgenden Jahres organisierte ich dann in Berlin eine Lesung von Zitaten Erich Fromms, dazu ein paar Lebensdaten und weiteres. Die Veranstaltung war sehr gut besucht, und das ermutigte mich dazu, über eine Erich-Fromm-Konferenz im folgenden Jahr nachzudenken. Mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung, für die hier noch mal herzlich gedankt sei, ließ sich dies dann auch praktisch umsetzen. Unter dem Titel „Vom Haben zum Sein - Seele und Ökologie“ fand diese dann am 20. Mai 2000 in Berlin statt. Beiträge von Rainer Funk, Burkhard Bierhoff und mir in dem vorliegenden Band stammen von dieser Konferenz. Im Nachgang zu dieser Tagung unterbreitete Burkhard Bierhoff den Vorschlag, die Unterlagen dieser Konferenz mit weiteren Texten zu dokumentieren. Im Laufe der Zeit wurde daraus das jetzt hier vorliegende Kompendium.
Zur Einführung sei hier an dieser Stelle noch mal die Krise zwischen Mensch und Natur jenseits der oft üblichen Beliebigkeit skizziert. Wir müssen uns heute damit auseinandersetzen: Die Menschheit treibt mit hoher Geschwindigkeit auf eine ökoglobale Richtstatt zu. Rettungsboote wird es bei dieser ultimativen Titanik-Tour nicht geben, wenngleich wohl Passagiere erster und dritter Klasse teilhaben. Viele Länder des Südens fahren mit den schlechtesten Tickets. Die Chance, daß wir eine ökologische Selbstzerstörung noch einmal abwenden können, ist sehr gering. Darüber muß man sich im klaren sein, bei allem Umweltmarketing, das um Aufmerksamkeit wirbt und uns über die Dimension menschlichen Scheiterns auf unserem Planeten hinwegzutäuschen sucht. Am Ende zählt nicht die schöne Vorstellung, die sich der Mensch von sich selber macht, ein Wunschfabrikat, am Ende zählt die Wirklichkeit hinter der Scheinwelt, mit der wir uns täglich neu, über unsere Stellung im Kosmos etwas vormachen. Unsere bisherige sozial-kulturelle Alltagserfahrung läßt sich nicht halten gegen die Koordinaten der Naturgesetze. Die psychischen Bastionen des „weißen Mannes“ als bestorganisiertes Patriarchat werden fallen, so wie andere Hochkulturen zuvor untergegangen sind - materiell und geistig. Wettkampfgesellschaften mit ihrem Drang zu immer neuen olympischen Wirtschaftserfolgen passen nicht in die Zyklen einer begrenzten Erde. Der sozialkulturelle Aktionszwang, unter dem unsere Kultur steht, ist der innere Motor, mit dem wir die Störkapazität maximieren. Auch die innere Produktivität des Menschen, auf die Erich Fromm soviel Wert legt, steht in Teilen im Verdacht, in einer Komplizenschaft mit dem zerstörerischen Sog unserer heutigen gesellschaftlichen und intellektuellen Kräfte zu stehen. Im ersten Durchgang ist es notwendig, etwas über die Tiefenstruktur der ökologischen Krise zu wissen, damit Aufklärung in uns selbst erst mal einen Zugang hat.
Die ökologische Weltkrise ist ein Grundlagenproblem in der seelisch-kulturellen und gesellschaftsstrukturellen Entwicklung der Gattung Mensch. Es geht hier nicht nur um einen Querschnittssektor in der Politik. Sie ist der markanteste Ausdruck für gravierende gesellschaftliche Fehlentwicklungen, die spätestens mit der Errichtung patriarchaler Großreiche in der menschlichen Geschichte beginnen. Die industriellen Revolutionen brachten eine Massenlast des Industriesystems hervor, die die ökologische Tragekapazität der Erde überfordern. Das zentrale Problem ist also nicht der einzelne Schadstoffeintrag, sondern die Gesamtlast, mit der wir die irdischen Gleichgewichte überbaut haben. Friedrich Schmidt-Bleek spricht davon, die stoffstromreichen Industrieländer müßten im Mittel um rund einen „Faktor Zehn“ dematerialisiert werden, um eine globale Stoffstromreduktion von 50 Prozent zu realisieren. Dabei ist ihm klar, daß dies nur ein Zwischenstand sein kann.2 Analoge Einschätzungen wird man bei Robert Havemann, Herbert Gruhl oder Rudolf Bahro finden.
Zwei Beispiele, die auf eine akute Gefährdung hindeuten: Bisher sind etwa 1,45 Millionen Tier- und Pflanzenarten wissenschaftlich beschrieben. Zwischen 5 und 30 Millionen liegt der Gesamtbestand an Arten. Geht man für die Rechnung von 10 Millionen Arten aus, dann leben davon im Regenwald etwa 6 Millionen. Anfang der neunziger Jahre betrug die jährliche Vernichtung des Gesamtbestandes des Regenwalds 2,3% . Von daher rechnet Wolfgang Engelhardt mit 370 ausgestorbenen Arten pro Tag, also um die 135000 im Jahr.3 Gibt es mehr Arten als veranschlagt, oder wird vermehrt Regenwaldfläche zerstört, und nimmt das Sterben der Korallenriffe, das zweitartenreichste Refugium, das unmittelbar durch die Klimaerwärmung zerstört wird, zu, muß man die Zahlen nach oben korrigieren.
Beispiel zwei: Der Treibhauseffekt wird in jedem Falle verstärkt die Polarregionen der Erde erwärmen. Man rechnet mit acht bis zwölf Grad im Schnitt. Dort lagern aber unter dem Eis und am Meeresboden riesige Mengen an Methanhydraten, die schon bei einer geringen Temperaturerhöhung binnen weniger Jahre freigesetzt würden. Mindestens 10000 Gigatonnen sind dort gespeichert, bis zu einer Million Gigatonnen reichen die Schätzungen. Auch im Permafrostboden finden sie sich. Methan besitzt eine bis zu 32-fache Wärmewirkung wie CO2 und bleibt ca. 17 Jahre in der oberen Atmosphäre und zerfällt in andere Treibhausgase. Könnte von diesem Methaneis nur ein geringer Bruchteil in die Atmosphäre entweichen, so käme es zu einem „Supertreibhauseffekt“. Schritt für Schritt würde ein Prozeß in Gang gesetzt, bei dem das Klima durch die ständig wachsende Methanzufuhr völlig außer Kontrolle gerät und die Wärmekatastrophe im Selbstlauf über uns hereinbricht. Auch die radikalste Verminderung des Ausstoßes an klimawirksamen Substanzen kommt dann absolut zu spät.4 Ausführlich stellte ich den Problemhorizont, der die Fakten des ökologischen Overkills umreißt, auch in dem Band „Wege zur ökologischen Zeitenwende“ vor.
Wir müssen uns heute, wie es noch nie zuvor eine Generation mußte, darüber Gedanken machen, wie wir zu einer Gesellschaft kommen könnten, in der die Balance mit der Bio Sphäre zurückgewonnen werden kann....