Die Zielstellungen, die der erlebnispädagogischen Arbeit in den verschiedenen Anwendungsgebieten und mit den unterschiedlichen Zielgruppen zugrunde gelegt werden, können im Einzelfall durchaus voneinander abweichen. Auch für den Bereich der Erlebnispädagogik in der Offenen Jugendarbeit gibt es einige sehr spezielle Zielvorstellungen, welche ich im Rahmen des Punktes 3 dieses Kapitels herausarbeiten möchte. Trotz dieser anwendungsbezogenen Unterschiede gibt es jedoch eine Reihe von grundlegenden Zielstellungen, die mit der Anwendung der erlebnispädagogischen Methodik erreicht werden können und auf deren Basis die konkreten Ziele der einzelnen Teilgebiete begründet sind.
Natürlich sind die Ziele, die von den verschiedenen Akteuren erlebnispädagogischer Aktivitäten verfolgt werden, keinesfalls identisch. Im Sinne der Erreichung bestimmter Lernziele sind die Erwartungen und Zielvorstellungen der Teilnehmer oft sehr viel weniger klar und ausgeprägt als die Intentionen der beteiligten Teamer und Gruppenbegleiter. Die Pädagogen verfolgen mit den Aktivitäten meist bestimmte Erziehungsziele, welche sich in eine pragmatische, eine emotionale und eine kognitive Dimension unterscheiden lassen. Im Rahmen der pragmatischen Dimension geht es um die Anbahnung von Fähigkeiten, die Entfaltung von Fertigkeiten und den daraus entstehenden Gewohnheiten. Die emotionale Dimension beinhaltet die Ermöglichung einer emotionalen Bewegtheit, die Entfaltung zum Erlebnis und die Herausbildung von Einsichten, während die kognitive Dimension die Vermittlung von Sachinhalten und eine eventuell daraus entstehenden Erkenntnis umfaßt. Da handlungsorientiertes und soziales Lernen bei erlebnispädagogischen Konzepten im Vergleich zur Informationsübermittlung im Vordergrund stehen, ist die kognitive Dimension bei der Zielbeschreibung meist weniger dominierend. Im Gegensatz zu diesen Erziehungszielen sind die Handlungsziele der Teilnehmer im Allgemeinen eher diffus und undeutlich. Diese Ziele muß der Pädagoge erkennen und analysieren, wobei er auch berücksichtigen muß, daß nicht jeder in der Lage ist, seine Bedürfnisse verbal auszudrücken. Um die Ziele der Teilnehmer in Erfahrung zu bringen, ist neben der Befragung also auch eine verstärkte Beobachtung und Decodierung der Handlungen von entscheidender Bedeutung, obwohl hierbei die Gefahr der Fehlinterpretation besteht. Dem Pädagogen sind die Handlungsziele der „Lernenden“ aufgrund dieser Analyseschwierigkeiten also oft nur unzureichend oder undeutlich bekannt, trotzdem ist es für eine gemeinsame Zielerreichung unabdingbar, daß diese Handlungsziele eine gleichberechtigte Bedeutung neben den eigenen Erziehungszielen erlangen. Erst aus der Verbindung der Zielstellungen von Teilnehmern und Pädagogen können die konkreten Lernziele für die einzelnen Aktivitäten oder Projekte entwickelt werden (vgl. Reiners 1995, S. 32).
Die allgemein möglichen Lernziele der Erlebnispädagogik lassen sich in drei unterschiedliche Bereiche einteilen, wobei eine klare Fixierung der Aktionen auf das Erreichen eines bestimmten Lernzieles in der Praxis oft schwierig und kaum sinnvoll erscheint. So steht z.B. beim Klettern sicher die Überwindung der eigenen Angst und die Stärkung des Selbstvertrauens im Vordergrund, durch das gegenseitige Sichern wird aber auch das Vertrauensverhältnis zu anderen Gruppenmitgliedern intensiviert. Im Folgenden möchte ich die verschiedenen Lernziel - Bereiche und die dazugehörigen Einzelziele kurz darstellen. Die Lernziele können unterteilt werden in (vgl. Reiners 1995, S. 33):
- die Entwicklung individueller Persönlichkeitsmerkmale wie Spontaneität, der Entwicklung von Eigeninitiative, Kreativität, Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl, Selbstbewußtsein, Selbstverantwortung, positivem Körpergefühl, realistischem Selbstbild und emotionaler Stabilität, Toleranz, der Überprüfung des eigenen Wertesystems, etc. ,
- die Förderung sozialer Kompetenzen wie Fähigkeit zur Teamarbeit, Rücksichtnahme, Vertrauen, Kommunikationsfähigkeit, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Konfliktbewältigung, etc. und
- das Wachsen eines systemisch geprägten ökologischen Bewußtseins.
Besonderer Wert liegt bei der Zielformulierung von erlebnispädagogischen Maßnahmen in der Vermittlung und Ausbildung von Schlüsselqualifikationen. Dies sind Fähigkeiten, welche helfen, neue und unerwartete Situationen zu meistern. Sie können also auch als allgemeine Handlungskompetenzen und Handlungsstrategien bezeichnet werden. Durch ihre wiederholbare und breitgefächerte Anwendbarkeit in bisher unbekannten Situationen sind solche Lerneffekte in besonderem Maße wichtig für die Ausbildung von alltagsrelevanten Handlungskompetenzen. Als allgemeine Schlüsselqualifikationen werden u.a. Selbständigkeit, Verantwortungsbewußtsein, Problemlöse- und Entscheidungskompetenzen, Kreativität, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit und die Fähigkeit zur Selbstreflexion bezeichnet.
Gerd Brenner faßte einige wichtige pädagogische Zielvorstellungen in den folgenden Punkten zusammen. Diese Vorstellungen sind im Einzelnen:
- das einschätzen und akzeptieren lernen der Konsequenzen des eigenen Handelns,
- die Erprobung der sozialen, gemeinschaftlichen Bewältigung von Herausforderungen,
- die Beschleunigung und Intensivierung der Bildung von Gruppen,
- die Ausbildung der Fähigkeit, eigene Möglichkeiten zur Problembewältigung realistisch einzuschätzen und vernünftig einzusetzen,
- die Fähigkeit, Erfolge und Mißerfolge angemessen zu gewichten und die Mißerfolge rational bewältigen zu können und
- durch erlebnispädagogische Anstrengungen den Kopf frei zu bekommen für theoretische Fragestellungen.
Werden solche Ansätze bei der Konzepterstellung nicht berücksichtigt, würde die Erlebnispädagogik nach Meinung Brenners dadurch „auf einen selbstzweckhaften, oberflächlich - touristischen Abenteuergenerator reduziert.“ (Brenner 1995, S. 137).
Bei alledem sollte aber nicht vergessen werden, daß diese formulierten Zielvorstellungen zunächst einmal eher theoretischer Natur sind. Die Handlungs- und Lernprozesse finden keinesfalls unter wiederholbaren Laborbedingungen statt und die Einwirkungen des „Faktors Mensch“ mit all seinen Merkmalen und Reaktionen auf den Lernprozeß ist somit kaum vorhersehbar. Dieser komplexe Entwicklungsprozeß läßt sich daher nur bedingt pädagogisch planen und methodisch - didaktisch vorstrukturieren (vgl. Ostenrieder/Weiß 1993, S. 46). Personen, Konstellationen, Ausgangsbedingungen, Stimmungen und Gefühle können in ihrer Mischung in den jeweiligen erlebnispädagogischen Situationen außerordentlich vielfältig sein. Könnte man in diesem Bereich für jeden Fall zutreffende Gesetze formulieren, „so müßte wohl das Prinzip der Individualität und Freiheit des Menschen umgeschrieben werden.“ (Heckmair/Michl 1998, S. 44).
Eine zutreffende Beschreibung konkreter Zielvorstellungen für die Offene Jugendarbeit kann nur gelingen, insofern sie nicht allein aus den Erziehungszielen der Pädagogen abgeleitet ist, sondern wenn, wie bereits für den Bereich der Erlebnispädagogik beschrieben, Erziehungsziele der Betreuer und Handlungsziele der Teilnehmenden zu konkreten und umsetzbaren Lernzielen verbunden werden.
Die grundsätzlichen Zielstellungen der Jugendarbeit lassen sich aus dem gesetzlichen Auftrag des § 11 KJHG ableiten. Die von der Jugendarbeit unterbreiteten Angebote „sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen.“ (KJHG 1997, § 11, Abs. 1). Eine konkrete Zielbestimmung für die Offene Jugendarbeit ist im Gesetzestext nicht zu finden, ein Fakt, welcher natürlich auch viel Gestaltungsspielraum für differenzierte und innovative Konzeptionen der Offenen Jugendarbeit ermöglicht.
Eine grundsätzliche Frage, welche sich die Jugendarbeit in der Vergangenheit immer wieder stellen mußte, war die Frage nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag. Sollte die Jugendarbeit vorrangig als Bildungsarbeit oder als Sozialarbeit betrachtet werden, eine Frage, welche sich z.B. schon aufgrund der institutionellen Trennung und eben auch der getrennten Förderung der beiden Bereiche ergab. Die institutionelle Trennung versperrt jedoch den Blick darauf, daß in der Praxis der Jugendarbeit beide Funktionen oft miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig ergänzen (vgl. Böhnisch/Münchmeier 1992, S. 29). Für die Zielentwicklung der Offenen Jugendarbeit bedeutet dies ein Einwirken beider Funktionen in die Konzepterstellung und Planung der täglichen Arbeit. Während es in diesem Punkt, aufgrund ihrer unterschiedlichen historischen Wurzeln, bis in die 70er Jahre hinein kein Einverständnis zwischen der Jugendverbandsarbeit und der noch jugendpflegerisch geprägten Offenen Jugendarbeit gab, konnte sich in der darauffolgenden Zeit eine relativ einheitliche Meinung über das...