Das Vorspiel. Von Mimi.
»Ey Mimi. Kann ich dich was fragen?« Sven Pfeiffer sitzt neben mir im Gras und riecht nach Weed und Weichspüler. Während er nach den passenden Worten sucht, beobachte ich ihn und denke, dass Sven Pfeiffer der wunderschönste Junge der Welt ist. »Ich habe vor Kurzem einen Porno gesehen, und die Frauen in dem Porno haben alle geschrien wie die Schweine, und die haben so Sachen gemacht!«
»Was für Sachen?«
»Arschficken und Anrotzen und so was.«
Ich räuspere mich und ziehe verlegen an meinem Ohr. »Jetzt frag schon«, sage ich.
»Aber sei nicht sauer, okay?« Sven Pfeiffer atmet tief ein. »Warum machst du so was nicht, wenn wir Sex haben?«
Diese Szene ereignete sich zu einer Zeit, als sich allein das Aussprechen des Wortes »Porno« verboten anfühlte und nur die Kinder mit den unvorsichtigen Vätern an die heiße Ware herankamen. Es muss gegen Mitte der Neunzigerjahre gewesen sein, als mein damaliger Freund Sven Pfeiffer und ich auf einer Waldlichtung saßen und er mir die Frage stellte, die zum Auslöser meiner Pornoangst werden sollte. Ich war ein Teenager mit einem zerbrechlichen Selbstbewusstsein, Sven Pfeiffer dagegen ein kiffender Skaterjunge mit dem Taktgefühl eines Vertreters der Lokalpresse. Wir hatten wenige Wochen zuvor unser gemeinsames erstes Mal in einem Zelt auf dem Bullshit-Festival in der nordrhein-westfälischen Provinz absolviert, und was soll ich sagen? Der Name des Festivals hätte den Erlebnischarakter unserer Sexpremiere nicht besser beschreiben können. Es tat weh, und ich blutete meinen Schlafsack und ein bisschen Sven Pfeiffers Jeans voll. Wenigstens war das Gemetzel nach wenigen Minuten vorbei, ich frohlockte.
Dementsprechend hielt sich meine Begeisterung für diesen Sex, den angeblich alle so toll fanden, in Grenzen. Doch ich war willens, mich zur Ekstase vorzuvögeln, die sich laut BRAVO spätestens dann einstellen sollte, wenn ich mich nur genügend »locker machte«. Als nun Sven Pfeiffer mir durch die Blume mitteilte, dass ich noch lange nicht locker genug und wenigstens im Vergleich zur Pornokonkurrenz ein graues Mäuschen war, fiel mein Sex-ist-vielleicht-doch-gar-nicht-so-Kacke-Kartenhaus laut krachend in sich zusammen.
Ich räusperte mich, straffte meinen Rücken und sagte etwas wie: »Ey Sven. Du bist so ein perverses Ekelschwein. Dann hol dir doch einen auf deine Pornos runter, ich mach Schluss.«
Natürlich war Sven Pfeiffer kein perverses Ekelschwein, sondern ein anständiger Kerl mit einem gesunden, pubertären Sexdrive. Doch sorgte dieses Gespräch im Wald dafür, dass ich einen Minderwertigkeitskomplex entwickelte, weil die Pornodarstellerinnen all das taten, wozu ich zu dieser Zeit nicht in der Lage war. Ich fand Pornos angsteinflößend, selbst die, die Freitagnacht auf Sat.1 liefen, also schaute ich sie mir nicht an. Für mich war es in Ordnung, beim Sex, den ich ja gerade erst kennengelernt hatte, nicht gleich aufs Ganze zu gehen, sondern in meinem Tempo herauszufinden, was mir gefiel und was nicht. Sven Pfeiffers Bemerkung aber setzte mich unter Druck. Dachten alle Jungs so? War ich schlecht im Bett, weil ich Analsex scheiße fand? Weil ich nicht verstand, was daran geil sein sollte, wenn mir jemand ins Gesicht rotzte?
Trotz aller Selbstzweifel ließ ich mich von Sven Pfeiffers Bemerkung im Wald nicht ins Bockshorn jagen und schickte mich stattdessen an, das Sexuniversum auf eigene Faust zu erkunden – nach meinem Gusto, ohne Pornostress.
Erst Jahre später begann ich mich zum ersten Mal mit Pornografie auseinanderzusetzen. Auslöser war wieder ein Freund. Lars war ein fanatischer Pornoliebhaber, und anders als Sven Pfeiffer stellte er es geschickt an, mich auf seine Seite, die Pornoseite, zu ziehen.
»Ich stehe auf Bukkakepornos«, gestand er mir eines Nachts.
»Buh, Kackepornos.« Ich feixte und dachte: Geht das schon wieder los?
»Sei mal ernst, Mimi«, wurde ich getadelt. »Bukkakepornos sind die, in denen viele Männer auf eine Frau wichsen und sie mit Sperma zukleistern, megagut.«
»Igitt«, sagte ich, und dass ich so etwas niemals machen würde.
»Musst du auch gar nicht. Ist doch nur Inspiration«, beruhigte mich Lars.
Dieser Satz war es, der mich ins Grübeln brachte. War es möglich, sich Pornos einfach nur so anzusehen? Weil sie anturnten? War der Wunsch meines Liebsten nach einem gemeinsamen Pornoabend nicht gleichbedeutend mit einer Kritik an meinen Sexfähigkeiten? Kein diskreter Hilfeschrei, der mir sagen sollte: »Alter, Mimi, jetzt sieh dir doch bitte an, wie die Profis das machen, und dann schau dir was davon ab, du Sexniete«?
Zu diesen Gedanken gesellte sich Neugierde – ich wollte wissen, was an diesen Bukkakepornos, von denen Lars gesprochen hatte, so megagut sein sollte. Zu Hause setzte ich mich an den Rechner, machte mich auf die Suche und wurde schnell fündig: »Neues aus der Wichse-Gulaschkanone« – ich erinnere mich an diesen Titel, als wäre es gestern gewesen. Ich gab mir den Clip bis zum bitteren Ende, bis die Wichse-Gulaschkanone ausgelöffelt war. Als das Girl sich unter der Spermafontäne ihrer Mitspieler räkelte, dabei etwas Soße ins Auge bekam, sich schüttelte und dann in ein tiefes Lachen ausbrach, gefiel mir das. Vielleicht waren Pornodarstellerinnen ja gar keine blöden Schlampen, die mir die Freunde ausspannen und mir meine sexuellen Unzulänglichkeiten vorhalten wollten. Sondern nette Mädchen, bei denen auch mal etwas schiefging. Außerdem machte ihr Anblick etwas mit mir.
Von da an begann ich mich auf Youporn und Pornhub zu tummeln. Zum einen aus schnöder Geilheit. Zum anderen, weil ich herausfinden wollte, was es außer Spermasauereien noch so gab. Inzwischen mit meinem Körper und Sex halbwegs im Reinen, wurden die Pornomädchen zu meinen Geliebten und Freundinnen, von denen ich mir den ein oder anderen Kniff abguckte. Oder die mir Dinge zeigten, die ich bis heute ablehne. Zu dieser Zeit verliebte ich mich in die Pornografie. Na gut, das wäre zu viel gesagt, denn es gibt eine ganze Menge Schrott da draußen. Ich verliebte mich in die Art von Porno, die meine Sprache spricht.
Über zwanzig Jahre sind vergangen, seit Sven Pfeiffer und ich nebeneinander auf einer Waldlichtung saßen. Es macht mir keine Angst mehr zu sehen, dass andere Frauen beim Sex anders abgehen als ich, krasser vielleicht, wilder, verspielter, tabuloser, weil mein Sex-Ich und ich cool miteinander sind. Druck von außen ist kein Thema mehr, Druck von innen noch viel weniger. Ich weiß und sage, worauf ich beim Sex Bock habe und worauf nicht, ich lerne noch immer, kotze manchmal ab, bin mal Fan, mal anti, stelle Fragen und staune.
Vielleicht liegt das daran, dass die Beschäftigung mit Pornos, ihren Akteuren und Schrullen, mein Job geworden ist, ob als Journalistin, Ghostbloggerin für Darstellerinnen oder als ein Teil des Pornoblogs Mimi&Käthe. Die deutsche XXX-Szene ist mir Büro, Wohnzimmer und Partykeller zugleich, Fickfilme sind mir Inspiration, Entertainment und Aufklärungsmaterial. Hätte Sven Pfeiffer mir diese Zukunft zwei Jahrzehnte zuvor vorausgesagt, hätte ich mir wahrscheinlich mit einem Zeigefinger gegen die Stirn getippt und gesagt: »Am Arsch, Sven Pfeiffer, rauch mal nicht so viel Gras.«
Aber hier sind wir nun, die Pornografie und ich. Und ihr. Lasst euch bei der Hand nehmen, durchschreitet den großen Pornovergnügungspark und lernt, wie sich die Dinge, die euch in den versauten Clips so anturnen, für das reale Sexleben adaptieren lassen. Adaptieren? Warum Uschi nicht ohne Vorwarnung das Glied ins Gesäß rammen, wie es in den kessen Analstreifen gezeigt wird? Oder sich bukkakemäßig von des Gatten Männergesangsvereinskollegen das Gesicht vollejakulieren lassen?
Weil Pornosex eine Illusion ist, ein Schauspiel, extra inszeniert für den Saal im Kopfkino, über dessen Eingang ein schummriges, rotes Licht leuchtet. Risiken für Leib und Leben, Dehnübungen für Körperöffnungen, Gleitmittel, Einläufe, Viagra, Penisringe, Coolpacks für steife Nippel, die durch zu viele OPs gefühllos geworden sind – das ist die Realität hinter den Kulissen der Pornosets, über die nur selten gesprochen wird.
In diesem Buch sprechen wir darüber. Weil wir, Mimi &Käthe, anders sind als die anderen Sexspielekinder, die sich in der deutschen Medienlandschaft tummeln. Wir setzen an der Stelle an, an der die anderen die Finger zurückziehen: Da, wo es wehtut, wenn man draufdrückt. Da, wo es schleimig wird und nach Aquarium riecht. Da, wo es überhaupt erst spannend wird.
Verliebt euch in die Pornografie und ihre Kunststückchen, schwimmt furchtlos durch die Liebessuppe.
Willkommen in meinem Zuhause, willkommen bei Mimi&Käthe.
PS: Wir lieben die sexuelle Vielfalt, wir lieben es schwul, lesbisch, bisexuell, asexuell und queer, lieben Frauen, Männer, trans*, nicht binäre und intersexuelle Menschen. Im Folgenden wird dennoch stets die Rede von heterosexuellen Verpaarungen zwischen Mann und Frau sein. Nicht, weil wir euch vergessen haben, sondern mit voller Absicht. Weil es uns das Schreiben erleichtert hat, uns auf eine einzige sexuelle Verbindung zu konzentrieren, und weil dieses Buch, hätten wir immer alle Möglichkeiten der körperlichen Vereinigung...