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E-Book

Ernest Hemingway

AutorHans-Peter Rodenberg
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644532618
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Ernest Hemingway ist immer noch einer der populärsten Autoren der klassischen Moderne, sein Bild oszillierend zwischen Metaphysiker, Macho und medialem Selbstdarsteller von hohen Graden. Ein erneuter, frischer Blick auf seine Romane und Kurzgeschichten zeigt einen sehr viel sensibleren, sehr viel weniger machistischen Hemingway, als die feministische Kritik herausgestellt hat. Den Hemingway'schen Helden plagen weit mehr Widersprüche und Selbstzweifel, als diejenigen wahrhaben wollen, denen er als Projektionsfigur männlicher Idealbilder dient. Diese kurze Biographie beschreibt Hemingways Leben und bietet eine Einführung in seine wichtigsten Werke. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Hans-Peter Rodenberg, Jahrgang 1952, Studium an der Hochschule für Bildende Künste und an der Technischen Universität Braunschweig, dann an der University of California in Los Angeles. 1986-1994 Redakteur beim NDR-Fernsehen, Abteilung Kultur. 1994-2018 Professor für Film, Neue Medien, Populärkultur und Kulturgeschichte der USA an der Universität Hamburg.

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Leseprobe

«Wo die Bars aufhören und die Kirchen anfangen»


Im Jahr 1899, als Ernest Miller Hemingway am 21. Juli als zweites Kind von Dr. Clarence Edmonds Hemingway und seiner Frau Grace Hall Hemingway in Oak Park, Illinois, geboren wurde, war von den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts noch wenig zu spüren. In Oak Park, einem Vorort von Chicago, wohnte der bürgerliche Mittelstand, ehrbar, angesehen und ein bisschen langweilig. Allenfalls der Architekt Frank Lloyd Wright brachte etwas Unruhe in die Gemeinde mit seinen modernistischen Häusern im «Präriestil», und erst recht, als er 1909 mit einer verheirateten Frau durchbrannte. Ansonsten war in der überschaubaren Welt des amerikanischen Mittelwestens noch alles in Ordnung. Man klopfte sich gegenseitig auf die Schulter und unterhielt sich voller Optimismus über den Gang der Welt. Ab 1901 sollte Theodore Roosevelt für acht Jahre ins Weiße Haus einziehen, und die Welt, das war Amerika, das beste Land überhaupt. Man war ungeniert WASP, eben weiß, angelsächsisch und protestantisch, und wollte unter sich bleiben. Wichtig war, dass man «jemand war», ein großes Haus zum Vorzeigen hatte und dem richtigen Club angehörte. Mit einem gewissen Hochmut sah man auf das nahe «proletarische», unmoralische und korrupte Chicago herab. Umgekehrt spöttelten die Chicagoer, Oak Park, das sei dort, wo die Bars endeten und die Kirchen begännen. Es war eine Atmosphäre des vorsichtigen Konformismus, der moralischen Achtbarkeit und der gegenseitigen Überwachung, aber auch ein Klima, in dem Kinder behütet und umsorgt aufwachsen konnten.

Die Hemingways gehörten zu den Honoratioren des Ortes. Ernest Hemingways Vater, Sohn eines Bürgerkriegsveteranen, der es als Immobilienmakler in Chicago zu Wohlstand gebracht hatte und dann nach Oak Park umgezogen war, hatte am Oberlin and Rush Medical College studiert und führte in Oak Park eine angesehene Praxis als praktischer Arzt und Geburtshelfer. Mit seinen 1,83 m war Ed, wie Dr. Clarence Edmonds Hemingway nur genannt wurde, eine große, stattliche Erscheinung, mit breiten Schultern und einem schwarzen Bart. Er war ein gewissenhafter Hausarzt, der für seine Patienten stets ansprechbar war und 1911 sogar zum Präsidenten der Medizinischen Gesellschaft von Oak Park gewählt wurde. Aus einem moralisch rigiden Elternhaus stammend – sein Vater Anson hatte den Dienst in der Armee quittiert, um für eine religiöse Organisation zu arbeiten –, gab es für Ed Hemingway keinen Zweifel daran, dass Gut und Böse klar erkennbare, genau fixierte Qualitäten waren, ohne Übergang zwischen ihnen. Luzifer lauerte überall: Wenn eines der sechs Kinder sich ausfallend benahm, musste es unverzüglich auf den Knien Gott um Verzeihung bitten. Beherrschte der junge Ernest sich einmal nicht und rutschte ihm ein Schimpfwort heraus, war die Mindeststrafe, die er für diese unentschuldbare moralische Schwäche zu erwarten hatte, das Zähneputzen mit Toilettenseife. Im Haus 600 North Kenilworth Avenue, das die Hemingways 1906 bezogen, nachdem sie vorher im Haus der Eltern von Hemingways Mutter gewohnt hatten, wurden Spielkarten und Tanz nicht geduldet; Tabak und Alkohol waren in den Augen des Dr. Hemingway Werkzeuge des Teufels, und Kirchgang samt Sonntagsschule war Pflicht für die Familie. Es war eine wirklichkeitsferne, in ihrer puritanischen Strenge für die amerikanische Mittelschicht nicht untypische Einstellung, gegen die Hemingway zeit seines Lebens mit seiner äußerlichen Negation des Religiösen und Übertritt zum Katholizismus, seinem Abtauchen in Alkoholexzesse und seiner existenzialistischen Betonung des Diesseits rebellieren sollte, dies umso mehr, als sie bei seinem Vater gleichzeitig mit Schüben von Jähzorn und sexueller Prüderie einherging. Dennoch liebte Hemingway seinen Vater mit einer ambivalenten Mischung aus Bewunderung, Abgestoßensein und Zärtlichkeit. In seiner stark autobiographisch gefärbten Kurzgeschichte Väter und Söhne sollte Hemingway Jahre später schreiben: Sein Vater war sehr nervös, wie alle Leute mit einer Fähigkeit, die menschliche Bedürfnisse übersteigt. Und sentimental war er auch, und wie fast alle sentimentalen Menschen war er beides, grausam und oft betrogen. Und dann hatte er auch viel Pech, und es war nicht alles seine Schuld. Er war in einer Falle umgekommen, an deren Aufstellung er nur wenig beteiligt war, und sie hatten ihn alle auf ihre verschiedene Art und Weise verraten, bevor er starb. Alle sentimentalen Menschen werden eins ums andere Mal verraten. Nick konnte noch nicht über ihn schreiben, er würde es später einmal tun, aber das Wachtelland rief ihn Nick ins Gedächtnis zurück so wie er war, als Nick ein Junge gewesen, und er war ihm für zwei Dinge sehr dankbar: Angeln und Jagen. Sein Vater war auf diesen beiden Gebieten so sattelfest, wie er zum Beispiel in Bezug auf alles Geschlechtliche ahnungslos war, und Nick war froh, dass es so gewesen war, denn es muss einem jemand die erste Flinte geben oder die Gelegenheit, eine zu bekommen und sie zu benutzen, und man muss dort leben, wo es Wild und Fische gibt, wenn man wirklich etwas über sie lernen will – und jetzt, mit achtunddreißig, angelte und jagte er genauso gern wie damals, als er zuerst mit seinem Vater gegangen war. Es war eine Leidenschaft, die niemals nachgelassen hatte, und er war seinem Vater sehr dankbar dafür, dass er sie in ihm geweckt hatte. (Sgla, S. 108ff.)

Dr. Hemingway hatte 1898 ein kleines Grundstück am Walloon Lake gekauft, auf das er ein Sommerhaus baute. Später kam eine 16 Hektar große Farm in der Nähe hinzu. Schon sieben Wochen nach seiner Geburt wurde Ernest hierher mitgenommen. Am Walloon Lake brachte Ed Hemingway seinem Sohn den Umgang mit Werkzeug und Waffen bei, hier lehrte er Ernest, wie man Wild ausweidete und zum Essen zubereitete, wie man mit den Fischen aus dem See umging. Es war eine männliche Welt, in der die Dinge einfach und unkompliziert schienen, jene Welt «ohne Frauen», in die auch sein Sohn Ernest immer wieder zurückkehren, in die er sich immer wieder flüchten würde, wenn er sich bedrängt fühlte. Heute muss man mit Hemingways Biographen Kenneth Lynn sagen, dass Dr. Hemingway bei aller Energie, die er besaß, wahrscheinlich ein zutiefst unglücklicher Mann war, dass seine plötzlichen, grausamen Ausfälle bei kleinsten Verstößen seiner Kinder, die er als religiöse Disziplinierung tarnte, seine fieberhafte Tätigkeit für die Gemeinde und seine sporadischen Nervenzusammenbrüche ein zusammenhängendes Muster manischer Depression ergeben. Am 6. Dezember 1928 setzte er sich die alte Smith & Wesson seines Vaters an den Kopf und drückte ab. Seiner Frau gegenüber eher weich und nachgiebig, quälten ihn, so lässt sich vermuten, Gefühle des Versagens als Ehemann und als Vater. Obwohl Ernest Hemingway sich seinem Vater sehr nahe fühlte, hat er ihm diesen Teil seines widersprüchlichen Verhaltens nie verziehen, es als Versagen gewertet. Ich werde nie vergessen wie widerlich er mir war, als ich zum ersten Mal merkte, dass er ein «cobarde» war, sinniert Hemingways Held Robert Jordan in Wem die Stunde schlägt über seinen Vater, der sich das Leben genommen hat: Los, sag es in deiner Muttersprache. Feigling! Man fühlt sich erleichtert, wenn man es ausgesprochen hat, und was soll es für einen Sinn haben, einen Lumpen nicht einen Lumpen zu nennen, sondern ihm ein fremdsprachiges Wort anzuhängen. Aber er war kein Lump. Er war einfach ein Feigling, und das ist das größte Pech, das einem Menschen widerfahren kann. Wenn er kein Feigling gewesen wäre, hätte er es mit dem Weibsbild aufgenommen und sich nicht von ihr tyrannisieren lassen. […] Er verstand seinen Vater, und er verzieh ihm alles und bedauerte ihn, aber er schämte sich seiner. (WdS, S. 327f.) Die Schuld für das Verhalten seines Vaters gab Ernest Hemingway eindeutig seiner Mutter. In einer wieder gestrichenen früheren Version von Väter und Söhne sollte er schreiben: Er war mit einer Frau verheiratet, mit der er weniger gemein hatte als ein Kojote mit einem weiblichen Pudel – denn er war kein Wolf, mein Vater. […] Wenn ein Mann mit einer Frau verheiratet ist, mit der er nichts gemein hat, bei der es nicht mehr um Gerechtigkeit geht, sondern unter dem Strich nur um Selbstsüchtigkeit und hysterische Gefühlswallungen, dann gibt es nur eins zu tun, und das ist, sie loszuwerden. […] Wer in einer solchen Ehe den ersten Zwist gewinnt, hat die Kontrolle, und der Verlierer mag noch sosehr an die Vernunft appellieren, erklärende Briefe schreiben, alles vor den Kindern noch einmal austragen – dann das unvermeidliche Erwachen, der Gewinner empfängt den Verlierer mit Großmut, alles, was den Kindern gesagt wurde, ist getilgt, ein Heim voll Liebe, Mutter hat dich an ihrem Herzen getragen, ah ja, und was ist mit seinem Herzen, wo schlug das, wo schlägt es jetzt und mit welchem hohlen Klang?[3]

Grace Hall Hemingway war in der Tat von anderem Zuschnitt als ihr Mann. War Ed Hemingway der Typ des zwanghaften, hinter seinem patriarchalischen Gehabe eher depressiven Menschen, war sie der Prototyp der dominanten, hysterischen Frau. Blauäugig, drall und schon früh mit einem beeindruckenden Busen ausgestattet, war sie eine Aufsehen und Bewunderung erregende Erscheinung. Aufgewachsen als gehätschelte Tochter von Ernest Hall aus Chicago, einem wohlhabenden, aus Sheffield in England stammenden Messer-Großhändler, und seiner eigensinnigen Frau Caroline Hancock Hall, lehnte sie die Restriktionen, die damals einer Frau auferlegt waren, entschlossen ab. Sie war früh davon überzeugt, dass ihr ererbtes musikalisches Talent und...

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