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Erneuerung jetzt

Impulse zur Kirchenreform aus Amazonien

AutorErwin Kräutler
VerlagTyrolia
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783702237875
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Frischer Wind aus dem Süden - Ein Plädoyer für Veränderung Das Buch zur Amazoniensynode im Vatikan Die Kirche steht unter Druck. Die Seelsorger werden weniger und weniger und viele Gläubige ziehen sich zurück. Was tun? Was lassen? Welche Prioritäten gilt es zu setzen? Was muss sich ändern, damit es der Kirche gelingt, den Menschen nahe zu sein? Priestermangel sowie soziale und ökologische Konflikte sind im Amazonas-Gebiet schon viel länger virulent als bei uns. Daher blicken die Katholiken Europas neugierig und gespannt nach Rom. Dort findet im Oktober 2019 eine Bischofssynode unter dem Titel 'Amazonien: neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie' statt. Im Vorbereitungsteam mit dabei ist Erwin Kräutler, seit 54 Jahren im Amazonasgebiet, 35 davon als Bischof. In diesem Buch geht er auf die Agenda der Synode ein und zeigt Wege auf für eine Kirche der Zukunft - in Amazonien, aber ebenso in Europa: Schutz für Mensch und Natur, de-zentrale Entscheidungsfindung, Leben aus der Bibel und Seelsorge vor Ort mit geweihten, auch verheirateten Männern und Frauen.

ERWIN KRÄUTLER, geb. 1939 in Vorarlberg, Mitglied der Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut, seit 1965 in Brasilien, war von 1981 bis 2016 Bischof der Prälatur Xingu. Für seinen Einsatz für die Umwelt und die indigenen Völker wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit Ehrendoktoraten, mit dem Alternativen Nobelpreis und mit dem Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln. JOSEF BRUCKMOSER, Mag., geb. 1954 in Salzburg, Studium der Theologie, von 1989 bis Februar 2019 Redakteur, jetzt ständiger freier Mitarbeiter der Salzburger Nachrichten. Gemeinsam mit Bischof Kräutler verfasste er dessen Bücher 'Mein Leben für Amazonien' und 'Habt Mut'.

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Leseprobe

1.1. Seit tausenden Jahren leben indigene Völker in Amazonien


Amazonien befindet sich in neun Ländern des südamerikanischen Kontinents. 67,9 Prozent sind in Brasilien und machen die Hälfte der Oberfläche dieses Landes aus (49,29 Prozent). Bolivien hat 9,8 Prozent, Peru 8,8 Prozent, Kolumbien 6,4 Prozent, Ecuador 1,6 Prozent. Die restlichen 5,5 Prozent der Amazonasregion verteilen sich auf Venezuela, Guyana, Französisch-Guayana und Surinam. Amazonien ist eine Makroregion sui generis. Es gibt sicher keine andere vergleichbare auf dem Planeten. Ursprünglich war es eine Welt üppiger Urwälder, durchflossen vom wasserreichsten Strom der Erde mit seinen gigantischen und zum Teil über 2000 Kilometer langen Nebenflüssen. Dazu noch das unermessliche Netz von Rinnsalen, Bächen, Tümpeln und Seen. Aber nicht nur tropischer Regenwald und die Flusslandschaften charakterisieren Amazonien. Es gibt auch eine Savanne von 267.000 Quadratkilometern, zu 90 Prozent in Brasilien und Bolivien und kleinere Flächen in Venezuela, Guyana und Surinam.

Lange Zeit wurde Amazonien als „grüne Hölle“ bezeichnet. Und es soll immer noch Fremdenverkehrsagenturen geben, die Ausflüge in den Urwald als Exkursionen in die „grüne Hölle“ anbieten. Selbst Nachtclubs und Diskotheken in den Breitengraden von Amazonien borgen sich diesen Namen, um erlebnishungrige Touristen zu ködern. Woher dieser Begriff stammt und wer ihn prägte, weiß ich nicht. Vielleicht war es einer jener Deutschen wie Von Humboldt, Von Martius, Von den Steinen oder Prinz Adalbert von Preußen, die im 19. Jahrhundert von Belém aus ins Landesinnere vordrangen und dann zurück im alten Kontinent ihre abenteuerlichen Expeditionen eindrücklich beschrieben.

Warum „Hölle“? Ist es der Myriaden von Insekten wegen, von denen in bestimmten Regionen einige Arten den Menschen das Leben tatsächlich zur Hölle machen können? Denken wir nur an die Anopheles, die die Malaria überträgt, oder die Stegomyia fasciata, die für das Gelbfieber verantwortlich ist. In diesem Zusammenhang kann man tatsächlich Goethe zitieren: „Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen“ (Johann W. von Goethe, Die Wahlverwandtschaften, II, 7, 1809). Er meinte dabei zwar nicht Amazonien, sondern Afrika, aber die Realität ist dieselbe. Sind es die Schlangen, die uns plötzlich im gedämpften Licht des Dschungels am feuchten Boden erschrecken? Sind es die Krokodile in den sumpfigen Wassern, deren große Augen im Licht der Scheinwerfer drohend blitzen? Sind es die Piranhas, die imstande sind, in Sekundenschnelle ihre Opfer bis auf das Skelett zu verzehren? Sind die Affen für den Namen „Hölle“ verantwortlich, weil manche von ihnen höllisch brüllen können und sich gar nicht einverstanden zeigen, wenn andere Zweibeiner auch nur auf einen Kurzbesuch in ihren Lebensraum eindringen? Sind es die fauchenden Leoparden und Wildkatzen, die selbst Einheimischen eine Höllenangst einjagen? Oder sind es vielleicht immer noch die „wilden Indianer“, von denen es zunächst hieß, sie hätten keine Seele und seien wie Tiere zu behandeln, bis schließlich ein Papst, Paul III., 1537 in seiner Bulle Veritas ipsa das Gegenteil behauptete, aber auf taube Ohren und blinde Augen stieß und keine menschenwürdige Behandlung für die Indios erreichte?

„Grüne Hölle“? Vielleicht handelt es sich um eine düstere Zukunftsvision. Ich denke dabei weniger an das Adjektiv „grün“, sondern an die „Hölle“. Hölle wird spätestens seit Matthäus 25,41 – „Hinweg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer“ – oder Markus 9,44, wo vom „unauslöschlichen Feuer“ die Rede ist, mit „Feuer“ assoziiert. In diesem Zusammenhang ist es schrecklich, dieses von Gott paradiesisch geschaffene Amazonien plötzlich als Hölle erleben zu müssen. Von skrupellosen Menschen dazu verdammt! Ich erinnere mich, wie mir im südlichen Teil unseres Bistums Xingu Tag und Nacht die Augen vom Rauch brannten. Während der Heiligen Messe und Firmung bekam ich bei der Predigt Atemnot. Die Sonne war den ganzen Tag über nur als rote Scheibe zu sehen. Sie stand zwar mittags am Zenit, aber es war Dämmerung. Ich war im Jeep zu den Gemeinden unterwegs. Soweit das Auge reichte, alles Asche und verkohltes Astwerk. Einige Bäume standen noch. Aber sie glühten und brannten und wurden in der Nacht zur rot leuchtenden, schaurigen Anklage der Gotteslästerung an die Menschen, die die Natur vergewaltigen, Gottes Schöpfung missbrauchen und zerstören. Der jahrtausendealte undurchdringliche Urwald wird in Brand gesteckt. Menschen machen Amazonien zur Hölle des Feuers.

Lacrimosa dies illa,

qua resurget ex favilla

judicandus homo reus.

Das sind die letzten Takte, die Mozart auf dem Totenbett für das Dies irae seines Requiems komponierte. Ein suggestives Crescendo lässt den Satz „Voll der Tränen jener Tag, an dem aus Asche zum Gericht sich erheben wird …“ von Silbe zu Silbe immer eindringlicher werden. Dann der verurteilende Forteausbruch bei den Worten „homo reus“ – „der schuldbeladene Mensch“!

In den vergangenen Jahrzehnten sind tausende und abertausende Quadratkilometer tropischer Regenwald niedergebrannt worden. Jedes Jahr kommen weitere tausende dazu. Wer kennt nicht die Fernsehspots, die darauf aufmerksam machen, dass in Amazonien alle zwei Minuten eine Fläche in der Größe eines Fußballfeldes abgebrannt oder abgeholzt wird? Ja, die Tropenwälder werden schneller zerstört als jeder andere Lebensraum. Der tropische Regenwald birgt so viele Reichtümer, die genutzt werden könnten, ohne dass auch nur ein Baum gefällt werden muss. Ich denke an die Paranussbäume, an den Hevea-Baum für die Gummiherstellung, ich denke an die Vielzahl der ölhaltigen Fruchtkerne, die Harze und Essenzen und die alle Arten von Arzneimitteln liefernden Bäume und tropischen Pflanzen.

Von einem Volk Amazoniens kann nicht gesprochen werden, denn es handelt sich um den Lebensraum unzähliger und je nach Herkunft, Kultur, Rasse und Sprache unterschiedlichster Völker. Seit Tausenden von Jahren leben indigene Völker in Amazonien. Das Alter der Höhlenmalereien in der Höhle der Pedra Pintada in Monte Alegre (Bundesstaat Pará), die Frauen und Kinder beim Sammeln von Paranüssen und Männer auf Tapirjagd erkennen lassen, beweist, dass Menschen schon seit vielen Jahrtausenden hier leben und in den tropischen Wäldern heimisch geworden sind.

Mit der Ankunft der Europäer begann die grausame Eroberung mit Feuer und Schwert, die Verfolgung und Versklavung dieser Völker. Eingeschleppte Krankheiten taten das Übrige, um viele Völker zu dezimieren oder gar vollständig auszurotten. Die indigenen Völker der Gegenwart sind nur noch kleine Restvölker einst starker Nationen. Und sie haben bis heute keine Ruhe. Trotz anderslautender Gesetzgebung geht der Trend in die Richtung, die Indigenen in die sogenannte nationale Gesellschaft zu „integrieren“, was nichts anderes bedeutet, als ihnen ihre je eigene Volksidentität abzusprechen. Mit dem Verlust ihrer Identität als Volk mit seiner kulturellen Andersartigkeit, mit einer eigenen Sprache, einem eigenen Lebensstil und einem spezifischen sozialen Gefüge geht auch das Recht auf ihr angestammtes Gebiet verloren.

Was tatsächlich passiert ist und in welches Dilemma die Missionare schon im 16. und 17. Jahrhundert getrieben wurden, beschreibt der berühmte Barockprediger und Jesuit Padre Antônio Vieira (1608–1697) in seiner denkwürdigen Epiphaniepredigt, die er 1662 vor dem portugiesischen Hof hielt:

Man möchte, dass wir die Eingeborenen zum Glauben bringen und sie dann der Gier überlassen; man möchte, dass wir die Könige zu Christus bringen und sie dann Herodes überlassen. Und wenn wir diese Sinnlosigkeit aufdecken, sind wir die Dummen. Wenn wir gegen die Ungerechtigkeit auftreten, sind wir in ihren Augen die Ungerechten. Wenn wir ihnen Grausamkeit vorwerfen, sagen sie, dass wir übertreiben. (…) Die Diener des Evangeliums sollen sich lediglich um die Seelsorge kümmern. Knechtschaft und Hörigkeit sind Sache der königlichen Diener. (…) Aber diese Wege und Sorgen trennen heißt weder Sorgen noch Wege wollen! (…) Die Seele vom Leib trennen heißt töten und diese Sorgen auseinander zu reißen heißt vernichten. Deshalb sind in kürzester Zeit auch so viele Gegenden zerstört und entvölkert worden. Von so zahlreichen Dörfern, von denen nur noch die Namen geblieben sind, sieht man heute nichts mehr als Ruinen und Friedhöfe. (Antônio Vieira, Sermões, tomo II, Sermão da Epifania, n. 5, Ed. Anchieta, São Paulo, 1943, Faksimile-Ausgabe der Edition von 1679).

Die meisten der versklavten Indios hatten nicht die körperliche Verfassung für die unmenschliche Sklavenarbeit. Also kamen die Kolonialherren zu der verhängnisvollen Entscheidung, Indiosklaven durch die...

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