Es kam alles ganz anders!
Wie gesagt: Es kam ganz anders, als ich mir mein Leben vorgestellt hatte. Ich will von vorne anfangen: Ich bin froh, dass es meine Eltern waren, die mich großgezogen haben!
Und meine Großeltern hatte, väterlicherseits wie mütterlicherseits. Die Eltern meiner Mutter, d. h. die Oma brachte mir sticken, häkeln und stricken bei und die Liebe zu Tieren. Mein Opa bastelte für mich. Ich besaß eine Puppenstube bestehend aus 3 Zimmern: Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer, und eine Schule, d. h.ein Klassenzimmer mit drei Doppelbänken, einem langen Zeigestock für die Tafel, die Lehrerin und die sechs Kinder waren liebevoll von meiner Großmutter angezogen (bestrickt) worden, das Schönste aber war mein Laden! Er hatte 16 Schubladen, in denen je ein Pfund Bonbons Platz hatte. Im Krieg war er schwer zu füllen. Ich weiß nicht; wie meine Mutter es immer schaffte! Jedes Schoss war bis zu einem Drittel oder zur Hälfte voll!
Ich war etwa fünf Jahre alt, als mein Vater mir meinen Hintern versohlte. Wahrscheinlich war ich sehr ungezogen gewesen. Für mich brach eine Welt zusammen, mein Vater hatte mich das erste Mal geschlagen. Im Nachhinein gesehen hat es ihm mehr wehgetan als mir. Denn die Erziehung war meiner Mutter überlassen, und er hat mich nie wieder angerührt. Meine Mutter brauchte mich nur anzusehen. Ihr Blick sprach Bände! Ich habe eigentlich nicht viele Schläge bekommen, manchmal habe ich zwar geknurrt wie ein Hund, aber doch das getan, was sie wollte.
Mein Vater ist ein Zwilling, genau wie mein Mann. Der Mann mit den zwei Seelen. Er hing oft seine Ausziehsachen auf einen imaginären Hacken (den es gar nicht gab). Meine Mutter und ich guckten uns vielseitig an. Wir kannten ihn ja. Er wunderte sich, wenn er seine Sachen auf dem Boden wieder fand.
Als ich circa sechs Jahre alt war, war ich bei meiner Großmutter im Parterre, es muss im Sommer gewesen sein, denn das Fenster stand ein bisschen offen. Mein Vetter Wolfgang war draußen im Hof und hat mich pausenlos geärgert, meine Oma hatte alles mitbekommen, und plötzlich zog ich meine Pantoffeln aus und warf ihm eine an den Kopf. Leider war das Fenster dazwischen, es klirrte fürchterlich. Ich hatte Wolfgang selbstverständlich nicht getroffen, und er lachte schallend. (Mein Erstgeborener kann genauso lachen.) Meine Großmutter sagte kein Wort, ich glaube, die Schimpfe hat Wolfgang alleine abbekommen, und das Fenster musste auf seine Rechnung repariert werden. Ich zog beleidigt zu meiner Mutter in den ersten Stock und ließ mich trösten. Meine Großmutter hat nie wieder ein Wort über das Fenster verloren.
1936 war die Olympiade in Berlin, ich blieb bei meiner Oma (mütterlicherseits), und als sie wiederkamen, brachten sie mir große, bunte Murmeln mit. Ich war so stolz, keiner hatte so schöne Murmeln wie ich!
Mit sieben wurde ich eingeschult, und dabei lernte ich meine Freundin U. K. kennen. Wir waren unzertrennlich und haben die ersten vier Jahre in der Schule zusammen gesessen. Dann kamen wir auf die Realschule, wo wir auch zusammen waren. Ursula wurde mit ihrer Mutter evakuiert, in den Kreis Butzbach (es war ja mitten im Krieg). Sie bekam ihr Schwesterchen. Ich war untröstlich. Habe nie wieder eine so enge Freundschaft geschlossen. Das muss nach dem Luftangriff 1943 in Barmen gewesen sein. Unsere ganze Schulklasse wurde evakuiert, ich durfte natürlich nicht mit ins KLV-Lager und habe Rotz und Wasser geheult. Meine Mutter ließ sich darauf nach Thüringen (Schmalkalden) evakuieren, wo wir für ca. 1 Jahr bis 1 ½ Jahre waren.
Als ich nach der Einschulung schreiben gelernt hatte, habe ich meinen Namen von Waltraut in ein Waltraud mit d umgewandelt. Eigentlich ist das ja ein Amtsmissbrauch, aber das wusste ich mit 8 Jahren nicht. Und so ist mein d geblieben!
In Thüringen fühlte ich mich in der Schule scheel angeguckt. Ich habe keine Freundschaften geschlossen. Sie hatten ja keine Ausfälle gehabt durch Bombenangriffe. Ich kam kaum mit, weil ich zu viele Defizite hatte. Sie hatten ein Faible für Geschichte, ich konnte vier DIN-A4-Seiten auswendig lernen. Ich habe geheult vor Wut! Als ich wieder zurück war, habe ich alles aus meinem Gedächtnis gestrichen. Es gab an diesem Ort weder Realschule noch Gymnasium, deshalb musste ich die dortige Volksschule besuchen.
Einmal haben wir einen Angriff in Hagen mitgemacht. Meine Mutter wollte wieder die ganze Familie mit Lebensmitteln versorgen und hatte eine Woche bei einem Bauern in Waldeck genäht. An dem Tag, als wir zurückfuhren, war meine Mutter schon morgens unruhig. Wir sind mit dem Zug gefahren, das Schienennetz war noch intakt. Es müssen die Herbstferien gewesen sein. Anders konnte ich ja nicht. Ich war den ganzen Tag im Stall oder brachte die Kühe auf die Weide und holte sie auch wieder ab. Die Kühe wussten ihren Weg schon alleine (bei unseren Verwandten).
Einmal habe ich als Kind einen Professor Bender aus Berlin, kennen gelernt, er kam aber mit seiner Forschung nicht weiter. Meine Großmutter väterlicherseits stammt aus diesem Hof Klenken/Bender. Leider ist die Kirche in Usseln/Waldeck im 18ten Jahrhundert nieder gebrannt und mit ihr alle Unterlagen. Nur durch mündliche Überlieferung wurde alles weiter gegeben. Demnach sollen die Hugenotten aus Frankreich sich mit den Waldeckern vermischt haben. Die Namen wurden zum Teil eingedeutscht. Mein Großvater stammt aus dem Hause Bick (Wo Heute ein Altersheim draus entstanden ist). Ich bin eine geborene Saure, der Name wird Französisch anders ausgesprochen. Die anderen Großeltern tragen ebenfalls einen französischen Namen, ebenfalls eingedeutscht Kuhbier. Vor 500 Jahren hat auch Martin Luther seine Thesen an die Kirchentür geschrieben in Wittenberg. Vielleicht besteht ja ein Zusammenhang, ich bin nämlich Evangelisch Lutherisch.
Als wir auf dem Rückweg waren, gab es in Hagen Vollalarm. Der Zug hielt mitten auf dem Bahnsteig. Alle mussten aussteigen. Wir kamen nur bis zur Unterführung, da flogen schon die ersten Bomben, und wir mussten uns hinlegen. Neben uns, auf der anderen Seite der Treppe, lag ein älteres Ehepaar, da war eine Bombe eingeschlagen, und von dem Ehepaar war nichts mehr zu sehen. Uns war nichts passiert, wir waren nur grau von oben bis unten, unsere Mützen waren von unserem Kopf gerissen! Obwohl wir vor Angst gebibbert haben, wusste ich tief in meinem Inneren, dass uns nichts passiert! Nach dem Angriff stiegen wir über die Brandbomben und wurden alle gesammelt. Wir wurden in einer Schule untergebracht, wo nur noch das Kellergewölbe stand. Und da stellten wir fest, dass wir einige Kacheln aus der Unterführung in unserer Tasche mitgeschleppt hatten (die Schule war bei einem vorherigen Angriff zerbombt worden. Es war ja unwahrscheinlich, dass noch ein Angriff kam.) Und am nächsten Morgen wurden wir von Busstelle zu Busstelle transportiert. Wuppertal ein bisschen näher gebracht, bis wir wieder zu Hause waren!
Ein andermal, es muss Sommer gewesen sein, die Flurfenster standen offen, sah ich, wie drei Flugzeuge ziemlich tief flogen, ihre Klappen öffneten und die Bomben rauswarfen. Eine Weile flogen Bomben und Flugzeuge zusammen. Wir liefen so schnell, wie wir konnten, in den Luftschutzkeller. Ein paar Straßen weiter schlugen die Bomben fast zur gleichen Zeit, wie wir im Keller waren, ein (der Alarm war spät gekommen).
Wir kamen nach Schmalkalden nach dem Hauptangriff 1943, wir wohnten im schönsten Haus am Entenplan 13. Zuerst bekamen wir ein Zimmer mit Küchenbenutzung, dann zwei Zimmer mit Küchenbenutzung. Das Schönste war ein Schaukelstuhl, den ich sofort in Beschlag nahm. Eine sehr nette Dame namens Frau M. zeigte uns ihren Garten, wo sie auch ihre eigene Marmelade her hatte, ein Glas hatte sie uns geschenkt. Es schmeckte wunderbar! So hatten wir gleich einen Gesprächsstoff, denn zu Hause besaßen wir auch einen Garten. Ich nehme an, meine Mutter hat auch für sie genäht.
Einmal hatten wir Besuch von Düsseldorf. Meines Vaters Vetter mit seiner Familie war da. Tante Auguste, Onkel Karl, Ruth und Dieter.
Es muss Anfang des Zweiten Weltkrieges gewesen sein (mein Vater war ja noch da, er wurde anschließend eingezogen). Der Laden war nicht ganz gefüllt, mittags war er leer. Bei mir flossen die Tränen, Ruth und Dieter aßen nichts mehr zu Mittag. (Sie waren ja satt!) Meine Mutter konnte mich trösten: Sie hatte noch einige Reserven. Den Laden gibt es heute noch! Er steht bei unserer Tochter (und wartet auf deren Enkel). Die Kinder meines ersten Sohnes haben auch damit gespielt.
Die anderen Großeltern wohnten mit im Haus, im Parterre (die Eltern meines Vaters).
Die Großmutter brachte mir die Liebe zur Homöopathie bei, und sie hatte wunderbaren braunen und weißen Kandiszucker (sie wusste, welche Naschkatze ich war!).
Mein Opa wollte mit mir nach Buxtehude gehen. Ich glaubte ihm nicht. Ich sehe immer noch seine leuchtenden Augen! Und er hatte seinen Spaß! Erst viel später erfuhr ich, das Buxtehude bei Hamburg liegt und wirklich existiert (mein Opa war da schon längst tot).
Ich hatte eine sehr behütete Kindheit!
Meiner Mutter hätte ich mehrere Kinder gegönnt! Dann wären nicht alle Verbote allein über mich gekommen! Ich hätte so gern Geschwister gehabt...