Vorwort
Das Jahrbuch der Diözese Gurk stand 2012 unter dem Motto »Was uns im Alter trägt«. In diesem Jahrbuch bezeichnete ich mit dem Wort des Propheten Jesaia »… bis ihr grau werdet, will ich euch tragen« – ein Zuspruch Gottes, auch im Alter und besonders dort bei den Menschen zu sein – Alter als ein Lebensprogramm mit Zukunft. Dabei ging es mir besonders darum, den Menschen aus einer Instrumentalisierung für die Arbeitswelt oder für die Freizeitindustrie herauszuhalten, einer Instrumentalisierung, die der Würde des Menschen widerspricht. In diesem Sinne ist der Mensch nicht mit seinem Alter – als Alter – zu umschreiben, sondern stets in erster Linie als Mensch zu sehen und das Alter in die Herausforderung der Gestaltung dieses Menschseins zu stellen. Würde ist unverrechenbar – negativ wie positiv auch mit der Zahl von Jahren. Würde ist nicht gebunden an Gesundheit oder Krankheit, sondern diese sind in Achtung der unverrechenbaren Würde so zu gestalten und zu behandeln, dass sie ihre Förderung erfahren können.
Auf diesem Hintergrund will ich einige Bemerkungen in Bezug auf den sehr wertvollen Sammelband über Medizin im Blick auf Alter einbringen.
Ein erster Punkt: Alter wird in einer Zeit, die unter der Perspektive der Jugendlichkeit steht – bisweilen gesteigert zum Jugendwahn –, manchmal mit Krankheit gleichgesetzt. Dies hat zur Folge, dass sich manche Mediziner und Medizinsparten in die Richtung der Anti-Aging-Medizin einordnen lassen.
Es ist erstrebenswert, dass einengende Folgen des Alterns erforscht, behandelt und dann vielleicht in Jugendlichkeit gewandelt werden, aber Alter stellt keine Krankheit dar, die bekämpft werden muss. Altern ist ein natürlicher Vorgang, der das Leben prägt und mit dem Leben gegeben ist. Deswegen ist es gerade der Entwicklung des Menschen abträglich, das Altern bekämpfen zu wollen. Vielmehr geht es aus meiner Sicht für die Gerontologie darum, Krankheit und Gesundheit unter den Bedingungen des Alters zu betrachten und nach Möglichkeiten zu suchen, das Wohlbefinden der Menschen unter diesen Bedingungen zu fördern.
Das kann nicht von Erfolg gekrönt sein, wenn man das Alter und das Altern bekämpft, sondern es soll bei der Anti-Aging-Medizin um die Frage gehen, wie Hilfe und Unterstützung in der Gestaltung des Alterns gewonnen werden können. Nach einem bekannten Spruch geht es auch in der Medizin nicht nur darum, Jahre ins Leben zu bringen, sondern ebenso auch darum, Leben in die Jahre.
Dazu eine zweite Bemerkung, diese den Gesundheitsbegriff betreffend. Gesundheit wird oft über Abwesenheit von Krankheit oder krankmachenden Faktoren definiert. Eine solche Sicht reicht dann bis in die Definition von Gesundheit in der Weltgesundheitsorganisation, nach der Gesundheit als die Abwesenheit von körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Beeinträchtigungen gefasst wird. In einem solchen Zugang ist es wichtig und richtig, dass nicht nur körperliche Beeinträchtigungen, sprich Krankheiten, gesehen werden, sondern auch seelische oder soziale Begegnungen. Aber ein vollständiges Freisein von solchen Beeinträchtigungen ist illusorisch, nicht nur bei alten Menschen. Gesundheit darf also nicht nur über die Abwesenheit von Krankheit definiert werden, sondern wesentlich auch positiv als Ausrichtung auf Wohlbefinden in den Ermöglichungen und Behinderungen durch das Alter. So ist es zum Beispiel wichtig, in einem positiven Lebenskonzept die Bedrohungen und Chancen durch das Alter positiv miteinzubeziehen, etwas, wenn man den Blick nur auf Krankheiten richtet, was nur zu leicht versäumt wird: Nicht nur die Vermeidung und Heilung von Krankheiten und Beeinträchtigungen, sondern, wenn sie unvermeidbar sind, der gelungene Umgang mit ihnen soll ein Ziel ärztlicher Anregungen sein.
Daraus ergibt sich eine dritte Bemerkung: Medizinische Behandlung besonders im Alter muss eingebaut sein in eine umfassende Strategie, zusammen mit pflegerischer, physiotherapeutischer, psychischer, psychosozialer, aber auch seelsorglicher Betreuung. Aus ethischer Sicht ist ein ganzheitlicher Zugang zum Menschen notwendig. Der Platz der seelsorglichen Betreuung wird von den anderen Zugängen mitbestimmt, wie der seelsorgliche Zugang integrierend auf die anderen Zugänge wirken soll. Dabei geht es vor allem um die Sinnfrage, die Frage nach Zusammenhängen, die auch über den Glauben gefunden werden können. Das Leben des Menschen, das besonders im Alter auseinanderzudriften droht, bedarf eines seelsorglichen Zugangs, der zur ganzmenschlichen Betreuung führt.
Nun zu einer vierten Bemerkung: Vermehrt finden wir uns heute in der Situation, dass Leben gerade im Alter auf nacktes Überleben reduziert wird. Mit den Möglichkeiten der Lebensverlängerung und Lebensbewahrung, aber nicht nur mit diesen, sind auch vermehrt Situationen verbunden, in denen der Mensch nicht mehr autonom entscheiden kann, weil beispielsweise Denkfähigkeiten reduziert bis ausgeschaltet sind, wo »nur« noch das biologische Überleben im Mittelpunkt steht. In diesem Zusammenhang bricht dann die lange zurecht als Tabu ausgegrenzte Frage des »lebenswerten Lebens« auf und die weitere Frage, ob denn die Würde es nicht erfordert, diesem »lebensunwerten Leben« ein Ende zu setzen. Hier gilt am grundsätzlichen Ausgangspunkt: »Das Leben des Menschen ist unantastbar« festzuhalten. Dieser verbietet eine verrechnende Sicht auf lebenswert und lebensunwert.
Mit Würde ist nach Immanuel Kant das angesprochen, was nicht verrechenbar ist, was nicht in Konkurrenz zu anderen Werten gesetzt werden kann, auch wenn eine solche Konkurrenzsituation immer wieder in der alltäglichen Wirklichkeit geltend gemacht wird. Immanuel Kant schreibt wörtlich: »… der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen…«1 Und an einer anderen Stelle schreibt er: »Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.«2 Mit der Figur der Menschenwürde wird der Mensch also der verrechnenden Konkurrenz entzogen, was besonders im Hinblick auf die Schwachen, viele alte Menschen und die, die keinen Anwalt haben, der ihnen in der Verrechnung beistehen könnte, wichtig ist. Im Hinblick auf die Formulierung »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, wie sie sich im Bonner Grundgesetz in Artikel 1 findet, bemerkt Hermann J. Pottmeyer: »Es besteht die Neigung, überall in Gesellschaft und Geschichte zu beobachten, den Kreis der Würdeträger auf die Tatkräftigen und Leistungsfähigen einzuschränken. Dieser Neigung wehrt das Grundgesetz, wenn sein Artikel 1 die Würde des Menschen unantastbar nennt.«3 Und Pottmeyer zitiert dann Arno Baruzzi: »Die Würde ist deshalb unantastbar, weil es Unmündige, Kranke, Kinder, Gebrechliche überhaupt gibt. Das Fragile des menschlichen Daseins ist vor allem mit Art. 1 benannt.«4
Hier kommt auch die Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zu tragen. Wenn die Würde auf dem Prüfstand steht, so kann die Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen zum Tragen kommen, wenn die Würde am Prüfstand steht, kann die Lehre der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott ein Moment sein, das die Würde schützt. Dies gilt besonders in den verletzlichen Phasen des Alters und des Sterbens.
Eine fünfte Bemerkung: Mit der Formel der Weisheit des Alters wird oft der Punkt angesprochen, dass der Überblick, den der Mensch in einem langen Leben gewonnen hat, nun in die Bewertung der Zusammenhänge einmündet. Damit kommt vermehrt auch die Autonomie in den Blickpunkt. Der Mensch, der für sich selbst verantwortlich ist, der selbstbestimmt sein Leben in die Hand nimmt, soll das auch und gerade im Alter tun. Mit Patientenverfügungen und ähnlichen Institutionen versuchen wir der Patientenautonomie gerecht zu werden. Mit dem Begriffsbestandteil »Verfügung« wird aber ein problematischer Gesichtspunkt angesprochen: Wer kann über Leben verfügen? Kann ich selbst über mein Leben verfügen? Verfügen kann man nur über Sachen: Ist das Leben eine Sache?
Somit zeigt sich angesichts des Alters die Wichtigkeit von Autonomie wie auch ihre Grenze. Erkenntnis heißt in unserem Zusammenhang auch Erkenntnis zur Anerkenntnis. Wir müssen, und auch der alte Mensch selbst, anerkennen, dass Leben unverfügbar ist, dies als Konsequenz der Würde. Weisheit wird damit auch eine Einordnungsgröße, der Mensch eingeordnet in die Weite des Lebens überhaupt.
In diesem Zusammenhang eine letzte Bemerkung: Medizin hat ein wichtiges Ziel in der Bekämpfung des Todes. Medizin bedeutet aber auch Anerkenntnis des...