2 Theater im antiken Rom zur Zeit der Republik und in der Kaiserzeit
Zu keiner Zeit hat das römische Theater jene künstlerische Höhe erreicht, auch nicht jene symbolische Verbindlichkeit für Staat und Gemeinwesen, die das griechische Theater der klassischen Periode hat so prägend werden lassen für die europäische Theaterkultur der Neuzeit; und dies, obwohl das klassische griechische Theater in allen seinen wesentlichen Merkmalen mit der sozialen Wirklichkeit und der religionspolitischen Idee der Athener Polis unlösbar verbunden war. Im Hellenismus wurde diese Staatsidee abgelöst von der universalistischen Vision eines die damalige Welt umspannenden Staatengefüges, in dem das Theater eine gänzlich andere Funktion hatte. Dieses hellenistische griechische Theater aber – vor allem die Neue Komödie – wurde zur großen Inspiration für das römische Theater. Die Rezeption dieses Theaters, das die reale Welt auf die Bühne brachte, stand auch am Beginn des Theaters der Neuzeit. Dabei spielte das römische Drama nur in den Anfangsjahren eine gewisse Rolle. Sieht man vom Theater der Humanisten im 16. Jahrhundert ab, denen es um rhetorische Schulung an den lateinischen Originalen ging, wurden die Stücke von Plautus, Terenz oder Seneca, der drei bedeutendsten Dichter des römischen Theaters, in späterer Zeit praktisch nicht mehr aufgeführt. Das für die Bauform des neuzeitlichen Dramas lange Zeit geltende Prinzip der Gliederung in fünf Akte wurde zwar über das lateinische Drama vermittelt, beruhte aber, wie andere Dramaturgie-Elemente auch, auf den hellenistischen Vorbildern. Dass die Tragödien Senecas in der Zeit ihrer Entstehung für szenische Aufführungen geschrieben waren, ist ohnehin nicht wahrscheinlich.
Dennoch verdankt das europäische Theater der Neuzeit dem römischen Theater wesentliche Impulse, diese jedoch auf einer anderen Ebene als der der Rezeption des lateinischen Dramas oder der Verankerung des Theaters im kulturellen Gefüge des Imperium Romanum. Es war vielmehr die Grundidee des römischen Theaterbaus und im Zusammenhang damit auch die ersten bühnentechnischen Versuche einer illusionistischen Szenographie, die aufgenommen und weiterentwickelt wurden. Das Theater der Renaissance sah darin seine unmittelbaren Vorbilder. Beides hatte sich im römischen Theater erst um die Mitte des 1. Jahrhunderts v.Chr. ausgebildet. Seitdem wurden in Rom für das Theater Gebäude aus Stein errichtet, die in ihrer architektonischen Anlage gänzlich anders konzipiert waren als die griechischen Theaterbauten. In den Jahrhunderten zuvor, in den vorliterarischen Anfängen des römischen Theaters und noch bis in die Zeit der späten Republik, waren die Spielstätten für Theateraufführungen nur temporär errichtete Anlagen aus Holz. Anfangs waren es einfache Spielgerüste, um die sich die Zuschauer – stehend – versammelten. Bis nach der Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. war das Sitzen bei Theateraufführungen verboten. Später gab es auch größere, überdachte Gebäude von rechteckigem Grundriss, dann auch mit Sitzplätzen.
Die römischen Theater wurden nicht wie die nach allen Seiten hin offenen griechischen Theateranlagen in freier Landschaft errichtet, an Hängen und kultisch «geheiligten» Orten, sondern auf ebenem Gelände als rundum geschlossene, anfangs nur oben offene, später auch überdachte Gebäude. Sie waren eingefügt in ein Ensemble von Tempeln und staatlichen Repräsentationsbauten, die das Erscheinungsbild der Städte prägten. Das erste Theater, das diesem neuen Bautypus entsprach, hatte der römische Feldherr und Konsul Pompeius im Jahr 55 v.Chr. in Rom errichten lassen. Noch 150 v.Chr. hatte die römische Stadtregierung die Errichtung eines ständigen Theaterbaus verboten. Offenbar widersprach ein allzu häufiger Besuch solcher Vergnügungen – allein diesem Zweck dienten in Rom die Theater – den auf pragmatische Tüchtigkeit ausgerichteten Lebensprinzipien der Römer. Ein Theatergebäude aus Holz, das 58 v.Chr. in Rom erbaut wurde, war das erste permanente Theater in der Stadt. Es soll 8000 Sitzplätze gehabt haben und wurde wegen seiner monumentalen Bühnenanlage gerühmt.
Mit dem neuen Bautypus veränderte sich der räumliche Abstand des Publikums zum Geschehen auf der Bühne beträchtlich. Dieses rückte wesentlich näher an die Zuschauer heran, als dies in den griechischen Theateranlagen der Fall war. Auf das Bühnengeschehen war nun die Aufmerksamkeit der Zuschauer ausschließlich gerichtet. Das Publikum der griechischen Theater hatte mit der Theateraufführung auch die gesamte Landschaft im Blick. Im römischen Theater befand es sich in einem geschlossenen Innenraum. Sein Platz war das Auditorium mit seinen halbkreisförmig ansteigenden Sitzreihen, ausgehend von einer kleinen, ebenfalls halbkreisförmigen Orchestra. Da diese für theatrale Darbietungen keine Funktion mehr hatte, befanden sich dort die Sitzplätze der Honoratioren. Architektonisches Prunkstück der römischen Theater war die prächtig ausgestaltete, mehrstöckige Scaenae frons, die Bühnenfront, vor der – auf dem Proskenium – sich das dramatische Geschehen abspielte. Vorsprünge an beiden Seiten des Proskeniums führten in der Weiterentwicklung zur Ausbildung eines Bühnenportals. Die schmale Spielfläche konnte eine Breite bis zu 60 Metern haben, wodurch das Spielgeschehen vom Publikum gleichsam reliefartig wahrgenommen wurde. Dies entsprach den Vorgaben der hellenistischen Theateranlage.
Mit dem rundum geschlossenen Innenraum des Theatergebäudes und der Bühnenfront mit ihrer prächtigen dreitorigen, mehrgeschossigen Fassade war auch die Voraussetzung für die Entwicklung erster Ansätze einer illusionistischen Szenographie gegeben. Entscheidend dafür dürften die realistischen Tendenzen in der römischen Kunst gewesen sein. Dieser Hang zum Realismus war bereits im späten Hellenismus aufgekommen. So kam es im 1. Jahrhundert v.Chr. zu ersten Versuchen einer perspektivischen Bemalung der Bühnenfassade; zudem wurden mobile Dekorationselemente eingeführt. Ob die im hellenistischen Theater bereits eingesetzten Periakten auch im römischen Theater zur Zeit der Republik ebenfalls schon zum Einsatz kamen, ist nicht nachgewiesen. Vermutlich kannte das römische Theater die Periakten erst seit der Kaiserzeit. Sie hatten die Form senkrecht aufgestellter Prismen, deren drei Seiten unterschiedlich bemalt waren und die um ihre Längsachse gedreht werden konnten. Durch das gleichzeitige Drehen von mehreren Periakten, die auf beiden Seiten der Bühne aufgestellt waren, konnte der optische Eindruck der Szene rasch verändert werden. Zu dieser Verwandlung trug auch die Einführung eines Vorhangs (siparium) vor dem Bühnenportal bei. Damit wurden erstmals größere Verwandlungseffekte möglich. Der Vorhang wurde nicht wie in der Neuzeit zur Seite weg oder nach oben gezogen, sondern fiel zu Beginn der Aufführung von oben herab in einen Vorhangskanal am Rande der Bühne. Am Ende der Aufführung wurde der Vorhang wieder hochgezogen. Auch bei Zwischenspielen hob und senkte sich der Vorhang. Neben dem Hauptvorhang gab es weitere Vorhänge, mit denen einzelne Bereiche der Spielfläche abgedeckt werden konnten. Alle diese Vorhänge waren vermutlich bunt bemalt. Ein weiteres kräftiges Farbelement waren die ebenfalls farbigen Sonnensegel, die später in den römischen Theatern als Bedachung eingeführt wurden, um die Zuschauer vor zu heftiger Sonneneinstrahlung zu schützen. So ließ etwa Kaiser Nero ein purpurfarbenes Segel über das Pompeius-Theater spannen, den repräsentativsten Theaterbau in Rom. Pompeius (106–48) hatte dieses Theater als Prestigeobjekt – als erstes Theater aus Stein – errichten lassen, offenbar mit dem Ziel, die Gunst der Öffentlichkeit für seine politischen Ambitionen, das Triumvirat mit Crassus und Julius Cäsar, zu gewinnen. Zwei weitere bedeutende Theaterbauten aus Stein waren das in den Jahren um 13 v.Chr. von Lucius Balbus, einem politischen Gefolgsmann Cäsars, in Auftrag gegebene Balbus-Theater und das im Jahre 11 v.Chr. von Kaiser Augustus errichtete Marcellus-Theater, von dem noch heute eindrucksvolle Überreste erhalten sind. Dieses Theater fasste bis zu 14000 Zuschauer. Marcellus war Konsul, Neffe des Kaisers Augustus und galt eine Zeitlang als dessen möglicher Nachfolger. Alle drei Beispiele belegen, dass Theaterbauten in Rom stets mit den politischen Interessen ihrer Auftraggeber, die den Bau auch finanzierten, verbunden waren. Diese Praxis war nicht erst für die Kaiserzeit typisch. Auch in der Zeit der römischen Republik, die letztlich eine Art Adelsrepublik war und der Masse der Bürger nur wenige Rechte in der Mitgestaltung des politischen Lebens einräumte, diente der Theaterbau der politischen Karriere der Bauherrn. So festigte auch Marcus Aemilius Lepidus, der im Jahr 180 v.Chr. Pontifex Maximus und römischer Zensor war, durch den Bau eines Theaters und zahlreicher weiterer Repräsentationsbauten seine führende politische Position in Rom. Im Athen des 5. Jahrhunderts war dieser Interessenlage die Übernahme einer Choregie bei den Großen Dionysien vergleichbar. Dagegen war die Errichtung von Theateranlagen in Griechenland eine Angelegenheit der Stadt, also des gesamten Gemeinwesens, und nicht Angelegenheit einzelner prominenter Bürger.
Zusammengefasst ist die Theorie des römischen Theaterbaus und der Bühnengestaltung in dem zehnbändigen Werk «De Architectura» des römischen Architekten und Schriftstellers Marcus Vitruvius Pollio, der um 84 v.Chr. geboren wurde. «De Architectura» ist vermutlich in den...