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Die Ebene der Lehrkräfte und des Unterrichts
2.1 Entwicklungsmöglichkeiten für Lehrkräfte und Unterricht – Kooperative Zusammenarbeit und Team-Teaching
Gemeinsamer Unterricht bietet die Möglichkeit, das umzusetzen, was die Bezeichnung suggeriert, nämlich eine gelingende Kooperation von Lehrkräften, die gemeinsam in einer inklusiven Klasse unterrichten.
Kooperation in Unterricht und Schule bezieht sich dabei vor allem auf die Bereiche der Unterrichtsplanung, der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Austauschs.
Unter der Prämisse, einen Schüler möglichst optimal zu unterrichten, zu fördern und notwendige Hilfen bereitzustellen, enthält Kooperation gemeinsame Zielsetzungen, die Absprache von Verantwortlichkeiten und die Adaption des Unterrichts an die gesamte Klasse, indem z. B. Lernziele, Methoden oder das sprachliche Niveau dem Entwicklungsstand der Schüler angepasst werden.
Ghedin (2014) legt dar, an welchen Stellen eine Schulklasse von einer Kooperation im gemeinsamen Unterricht profitiert. Zum einen ist eine Kooperationslehrkraft eine weitere personelle Ressource, die als Bezugspunkt für die Schüler agiert und unterrichtliche Aufgaben übernehmen kann. Zum anderen wird der Unterrichtsablauf erleichtert, da allen Schülern sowohl bei Verhaltensauffälligkeiten als auch auf inhaltlicher Ebene (z. B. bei konkreten Fördermaßnahmen) mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht werden kann. Dies gilt vor allem bei einer Differenzierung der Lerninhalte in unterschiedliche Leistungsniveaus. Zusätzlich kann eine zweite Lehrkraft die Rhythmisierung des Unterrichts positiv beeinflussen, indem vermehrt Einzel- oder Kleingruppenförderungen oder Time-Out-Situationen möglich werden.
Nicht zuletzt ziehen auch die Lehrkräfte selbst einen Nutzen aus der Kooperation: Ein Perspektivenwechsel kann einen Austausch und eine gemeinsame Reflexion über den Unterricht, über bestimmte Methoden oder die Gestaltung von Lehrer-Schüler-Beziehungen anstoßen.
Die Vorzüge kooperativer Zusammenarbeit im gemeinsamen Unterricht lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
»Gemeinsam arbeiten, zwei Perspektiven haben, Kompetenzen austauschen, Bereicherung durch Dinge, die man selbst nicht kann, praktische Unterstützung bekommen und die Arbeit des anderen erleichtern, weil man sich die Arbeit mit den Schülern aufteilen kann« (Ghedin 2014, 357 f.).
Melzer/Hillenbrand (2015) sind sich der Bedeutung pädagogischer Kooperation bewusst und versuchen mit ihrer Studie, eine genaue Beschreibung der Aufgaben sonderpädagogischer Lehrkräfte vorzunehmen, um die Professionalisierung von Regel- und Förderschullehrkräften inhaltlich füllen zu können. Dabei wird u. a. der Frage nachgegangen, wie sich die Aufgaben im stationären sonderpädagogischen System und bei inklusiver Beschulung unterscheiden.
In die Fragebogenuntersuchung wurden n = 1.061 Lehrkräfte einbezogen, die in verschiedenen inklusiven schulischen Settings unterrichten (Melzer/Hillenbrand 2015, 233):
• Lehrkräfte in präventiven und interventionsorientierten Maßnahmen (Mobile Dienste oder Mobile Sonderpädagogische Hilfe)
• Lehrkräfte im gemeinsamen Unterricht an inklusiven Schulen
• Lehrkräfte im stationären System (Förderschule, sonderpädagogisches Förderzentrum)
• Lehrkräfte, die in mehreren Organisationsformen tätig sind
Ein erstes, rein deskriptives Ergebnis zeigt wenig überraschend, dass in den unterschiedlichen Settings verschiedene Aufgabenverteilungen vorherrschend sind ( Tab. 7). Lehrkräfte, die in mehreren Organisationsformen eingesetzt werden, berichten, »im Vergleich die meisten Aufgabenbereiche häufiger zu bewältigen« (ebd., 234).
Tab. 7: Verteilung der Aufgabenbereiche in unterschiedlichen inklusiven Settings (erstellt nach Melzer/Hillenbrand 2015, 233)
Eine vertiefte Analyse der Unterschiede zwischen einem inklusiven Setting im gemeinsamen Unterricht und dem stationären sonderpädagogischen System zeigt weitere interessante Spezifika. Beiden Organisationsformen ist gemein, dass spezifische Förderung sehr häufig als Aufgabe wahrgenommen wird, administrative Aufgaben dagegen selten zu erledigen sind. Im stationären System (z. B. am sonderpädagogischen Förderzentrum) unterrichten Förderschullehrkräfte deutlich häufiger eigenverantwortlich als in inklusiven Settings, dort steht die Unterstützung einzelner Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf verstärkt im Vordergrund. Tabelle 8 stellt stationäres System und gemeinsamen Unterricht gegenüber:
Tab. 8: Gegenüberstellung des stationären Systems und des inklusiven Settings (erstellt nach Melzer/Hillenbrand 2015, 238)
In inklusiven Settings liegen die Schwerpunkte der Sonderpädagogen auf der Förderung und der spezifischen Unterstützung im Unterricht. Dazu gehören z. B. die Vermittlung von emotionalen und sozialen Basisfertigkeiten oder von Lernstrategien sowie die Durchführung von Einzel- oder Kleingruppenförderungen. Zusätzlich verschiebt sich das Arbeitsfeld in Richtung Beratung (ebd., 240), eine gemeinsame professionsübergreifende Planung von Unterricht findet sich selten.
Wenn sich der Einsatz von Sonderpädagogen in inklusiven Settings wie beschrieben gestaltet, dann scheint es die Aufgabe der Regelschullehrkräfte im gemeinsamen Unterricht zu sein, neben der Vorbereitung auch die inhaltliche Gestaltung und Durchführung des Unterrichts auf fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Ebene zu übernehmen. In logischer Konsequenz dienen dabei die Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf als Hauptbezugspunkt. Für die Anpassung des Unterrichts an die Bedürfnisse der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf zeichnen in erster Linie die sonderpädagogischen Lehrkräfte verantwortlich.
Bei einer solchen Aufteilung der Arbeitsbereiche können sich beide Professionen auf die Inhalte konzentrieren, mit denen sie bereits seit dem Studium vertraut sind. Allerdings ist eine solche strikte Trennung der Zuständigkeitsbereiche auch kritikwürdig ( Kap. 2.2.3).
Einen ausreichenden zeitlichen Rahmen vorausgesetzt, bietet Team-Teaching ungeachtet der verschiedenen Aufgabenverteilungen in inklusiven Settings unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten.
Zum einen kann auf ein Modell verwiesen werden, das die Möglichkeit bietet, die gemeinsame Beschulung unter bestimmten Bedingungen für eine bestimmte Zeitspanne aufzuheben. Die Rede ist von einem Lernen in heterogenen Stammgruppen, die sich flexibel auflösen und wieder zusammensetzen, um ein zieldifferentes Lernen zu ermöglichen. Auf Basis des didaktischen Konzepts des gemeinsamen Lernens an gemeinsamen Gegenständen (Feuser 2009) und der Idee der koexistenten und kooperativen Lernsituationen (Wocken 1998) kann dieses je nach individuellem und inhaltlichem Bedarf aus exklusiven Einzelsituationen oder aus dem Lernen an gemeinsamen oder verschiedenen Gegenständen bestehen ( Abb. 2).
Abb. 2: Heterogene Stammgruppen in inklusiven Settings (erstellt nach Jennessen/Wagner 2012, 342)
Von Bedeutung ist nicht nur eine flexible Organisation der Lerngruppen und -gegenstände. In Klassen mit hohem Unterstützungsbedarf müssen zusätzlich therapeutische und pflegerische Angebote vorhanden sein, die zum Teil viel Zeit in Anspruch nehmen. Die Schüler einer inklusiv unterrichteten Klasse sehen sich somit vielen Situationen gegenüber, in denen der ursprüngliche Klassenverbund nicht mehr existent ist. Damit keine dauerhafte Trennung in kleine, in sich homogene Gruppen (z. B. alle Kinder mit Therapiebedarf) erfolgt, muss die Schulklasse ihre ursprüngliche Funktion ändern. Sie wandelt sich zu einer Stammgruppe, die von einzelnen Schülern für bestimmte Unterrichts- und Unterstützungselemente verlassen wird, in die jedoch alle Schüler immer wieder zu gemeinsamen Aktivitäten und Lernphasen zurückkehren. Als Verbindung zwischen zieldifferentem Unterricht an verschiedenen Gegenständen, individuellen Einzelsituationen und therapeutischer Unterstützung bleibt die Stammgruppe der unterrichtliche und didaktische Mittelpunkt (Jennessen/Wagner 2012). Besondere Aufmerksamkeit ist dabei den Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Förderschwerpunkt Lernen und im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung zu schenken,...