2 Theoretische und konzeptionelle Betrachtung der Fachlaufbahn
Die Ausgestaltung von beruflichen Karrieren stellt ein Themengebiet dar, welches für Individuen und Organisationen gleichsam von großer Relevanz ist. Personen versuchen sich selbst als Berufstätige zu positionieren, mit dem Ziel, aus der täglichen Arbeit Zufriedenheit und Sinnhaftigkeit zu schöpfen, für den Lebensunterhalt nötige finanzielle Mittel zu verdienen und eine berufliche Identität auszugestalten (vgl. Schreiber & Rietiker 2010, S. 296). Organisationen hingegen sind auf die Unternehmensstrategie und ihre Ziele ausgerichtet. Für die Erfüllung dieser Ziele suchen sie Individuen mit hinreichenden Kompetenzen, welche die Anforderungen an bestimmte Positionen erfüllen. Je nach Betrachtungsperspektive lassen sich nun in der wissenschaftlichen Literatur individuelle Karrieretheorien, die Karrieren als eine Abfolge von Übergängen im Kontext der beruflichen Entwicklung und der Ausgestaltung einer beruflichen Identität sehen[5] (ebd., S. 296f.) sowie Laufbahn- und Karrieremodelle auf der organisationalen Ebene unterscheiden.
Allgemein wird also zwischen individuellen oder kollektiven Karrieren differenziert. Die individuelle Karriere charakterisiert einen subjektiv erlebten und/oder einen objektiv erreichten relativen Statusgewinn eines einzelnen Menschen im sozialen Gefüge einer Organisation oder organisatorischer Teileinheiten. Als kollektive Karriere wird der Aufstieg einer Gruppe im Gefüge der Wertschätzung einer Organisation bezeichnet. Kollektive Karrieren sind Folge der Bedeutungszunahme, bspw. von Führungskräften oder Expertengruppen. (vgl. Becker 2013, S. 611f.)
Entsprechend der Fragestellung steht die betriebliche kollektive Karriere- bzw. Laufbahnplanung im Fokus dieser Arbeit. Unter ihr wird „die gedankliche Vorwegnahme möglicher, zukünftig im Betrieb zu besetzender Stellen und der mit ihnen verknüpften Qualifikationen […] “ (Becker 2002, S. 205) verstanden.
In den traditionellen unternehmensinternen Karriereplanungssystemen wird häufig kein Unterschied zwischen leitender Fach- oder Führungskraft gemacht. Oftmals kann damit das Problem einhergehen, dass ein fachlich höchst kompetenter Mitarbeiter, bspw. ein Ingenieur, aufgrund seiner Fachkompetenz eine Führungsposition erhält, für die er nur geringe andere Fähigkeiten aufweist. Seine fachliche Expertise hat in der neuen Rolle als Führungskraft weniger Bedeutung, da die neue Position eher steuernde und organisatorische Aufgaben beinhaltet. So kann eine gute und förderungswürdige Fachkraft dem Unternehmen verloren gehen, während eine schwache Führungskraft geschaffen wird. (vgl. Heller 2011, S. 214; North & Reinhardt 2005, S. 84ff.) Lässt man den Schaden, der durch eine solche Fehlbesetzung entstehen kann, außer Acht, bleibt ein nicht weniger problematischer Umstand, dass zumindest die fachlichen Potentiale des Mitarbeiters ungenutzt bleiben. Als Ausweg eines derartigen Szenarios wird in der wissenschaftlichen Literatur und in der betrieblichen Praxis der Aufbau einer Fachlaufbahn oder Fachkarriere vorgeschlagen (vgl. Domsch & Ladwig 2011, S.15ff.).
In den folgenden Abschnitten werden die theoretischen Grundlagen zur Fachlaufbahn erläutert. Zuerst wird hierfür in Abschnitt 2.1 auf den Karrierebegriff und den engen Bedeutungszusammenhang von Karriere-, Laufbahn- und Nachfolgeplanung sowie dem Talentmanagement eingegangen. Des Weiteren werden verschiedene Karrieremodelle beschrieben, um im folgenden Abschnitt 2.2 die konzeptionellen Aspekte der Fachlaufbahn darzustellen. In Abschnitt 2.3 werden die Zielsetzungen in Verbindung mit der Etablierung einer Fachlaufbahn erläutert. Schlussendlich wird durch den Abschnitt 2.4 der Begriff Fachexperte definiert und abgegrenzt, um ein theoretisches und vor allem einheitliches Verständnis dieses Begriffs als Basis für die qualitative Inhaltsanalyse zu schaffen.
Der Begriff Karriere hat sich im Laufe der Zeit gewandelt und wird in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedlich hergeleitet[6]. Zum einen wird Karriere auf das lateinische (via) carraria zurückgeführt, was so viel heißt wie Fahrweg zu etwas und im übertragenen Sinn Lebensweg bedeutet (vgl. Reinhardt 2012, S. 45). Zum anderen wird der Begriff vom französischen Ausdruck Carrière abgeleitet und bedeutet die Laufbahn einer Person, die Rennbahn in einer Reitschule oder der schärfste Galopp eines Pferdes (vgl. Stengel 1997, S. 65; Becker 2013, S. 608f.). Ab den 1970er-Jahren wurde Karriere als Abfolge der verschiedenen Stationen eines sozialen oder beruflichen Aufstiegs und im allgemeinen Sprachgebrauch fast immer als rasche Folge von Aufwärtsbewegungen in einer Organisationhierarchie verstanden (vgl. Becker 2013, S. 609). Moderne Bestimmungen des Begriffs beinhalten jede Form der beruflichen Bewegungsrichtung und umfassen sowohl den beruflichen Aufstieg, Seitenschritte und Veränderungen in der Funktion als auch Abwärtsbewegungen (vgl. Sieber Bethke 2013a, S. 6).
„Karriere soll als subjektiv empfundene und objektiv bestätigte Zunahme der Bedeutung einer Person oder Gruppe in einem sozialen Gefüge verstanden werden. Die Zunahme der Bedeutung ist mit der Übertragung von Pflichten und der Gewährung von Rechten sowie mit der Ausübung einer bestimmten Funktion verbunden. Ausdruck des Karrierestatus kann die individuelle bzw. die Entlohnung der jeweiligen Statusgruppe sein.“ (Weitbrecht 1992, Sp.1114 [zit.n.]: Becker 2013, S. 609)
Generell zeigt sich innerhalb sozialer Gruppen, dass bei den Individuen in kleinem oder großem Ausmaß eine Tendenz existiert, sich in der Gruppe nach oben zu begeben (vgl. Rosenstiel 1997, S. 13). Diese Bewegung nach oben, in Organisationen als Karriereweg verstanden, ist vom Bildungsstand und dem persönlichen Streben der Karriereaspiranten sowie vom Bedarf an Funktionen der Organisation abhängig[7].
Karriereplanung
Das Karrieremanagement ist Teil des strategischen Human Resource Management (siehe hierzu Abschnitt 3.1.3), das sich mit aktuellen und potentiellen Mitarbeitern als wichtige Ressource des Unternehmens beschäftigt (vgl. Stengle 2013a, S. 41). Während die Unternehmensführung mit der strategischen Planung den Bedarf an Funktionen und Positionen festlegt, sucht die Personalwirtschaft oder im engerem Sinne die Personalentwicklung geeignete Kandidaten und qualifiziert diese für die Übernahme der Funktionen und Positionen (vgl. Knörzer 2011, S. 44f.; Becker 2013, S. 610f.). Entschieden wird, welche Personen welche Aufgaben und welches Ausmaß an Verantwortung in der organisationalen Hierarchie erhalten sollen (vgl. Lang-von Wins 1997, S. 101).
Die Unternehmen versuchen in diesem Kontext insbesondere talentierte und leistungsstarke Mitarbeiter zu akquirieren und zu binden. Dies wird durch Nachfolge- und Nachwuchskräfteentwicklungsprogramme angestrebt, die oft recht unterschiedlich als Laufbahnplanung, Karriereplanung, Nachfolgeplanung oder auch als Talentmanagement bezeichnet werden. In der Praxis werden diese Bezeichnungen nicht trennscharf benutzt und auch in der wissenschaftlichen Diskussion fließen ihre Bedeutungen stark ineinander. Schwierigkeiten bereitet besonders die klare begriffliche Abgrenzung von Karriere- und Laufbahnplanung. Mit der Karriereplanung wird ein Teil einer langfristigen Personalplanung beschrieben, um den zukünftigen Bedarf vor allem an Fach- und Führungskräften sicherzustellen. (vgl. Rohrschneider 2011, S. 77)
Die Karriereplanung wird durch eine Laufbahnplanung und eine Nachfolgeplanung ergänzt (siehe Abbildung 1). Die Laufbahnplanung kann also als Teil der Karriereplanung verstanden werden und legt fest, welche Positionen ein Mitarbeiter im Laufe seiner beruflichen Entwicklung noch einnehmen kann und wie er dafür qualifiziert wird (ebd., S. 77f.). Die systematische Nachfolgeplanung soll die rechtzeitige und anforderungsgerechte Wiederbesetzung freiwerdender Stellen gewährleisten (vgl. Becker 2013, S. 610f.). Wobei unter Nachfolge der Austausch eines Mitarbeiters durch einen anderen in einer bestimmten Funktion oder Position zu verstehen ist (ebd.).
Das Talentmanagement hingegen wird weit gefasster verstanden als die eben erläuterten Begriffe (vgl. Rohrschneider 2011, S. 78). Karriereplanung und damit auch die Laufbahn- und Nachfolgeplanung können Teil des Talentmanagements sein, unter dem im weitesten Sinne alles verstanden werden kann, was die Identifikation, die Entwicklung, das Engagement, die Erhaltung und den Personaleinsatz eines Talentes innerhalb eines spezifischen Organisationskontexts beinhaltet (vgl. Ritz & Sinelli 2011, S. 9).
Abbildung 1: Übersicht Karriereplanung und Talentmanagement
(vgl. Rohrschneider 2011, S. 77f.; Becker 2013, S. 610)
Ziele einer systematischen...