Einführung
Was ist ein Fachwerkhaus?
Für Fachwerkhäuser hatte ich schon immer eine Vorliebe. An ihnen ist nichts genormt, gerade oder übertrieben exakt. In ihnen steckt das Wissen, die Erfahrung und die Handwerkskunst der Zimmerleute von mehr als 1 000 Jahren. Fachwerkhäuser sind sozusagen die Individualisten unter den Häusern. Sie sind elastisch und äußerst widerstandsfähig. Sie können Jahrhunderte überdauern.
Eine Fachwerkkonstruktion ist ein äußerst stabiles, langlebiges und konsequent errichtetes Holzständerwerk, welches im Wesentlichen durch reine Holzverbindungen zusammengehalten wird. Die Wandfelder (Gefache) sind mit weichen Materialien ausgefüllt, die dem elastischen Holzgefüge angepasst, wetterbeständig, winddicht und hoch atmungsaktiv sind. In der Regel handelt es sich bei den Baumaterialien um organische Stoffe oder um solche organischen Ursprungs. Ein Fachwerkhaus ist also ein wirkliches Ökohaus.
Fachwerkhäuser wurden in nahezu grenzenloser Zahl erbaut, seit mehr als 1 000 Jahren. Die ältesten, die heute noch erhalten sind, stammen aus dem 13. und 14. Jahrhundert.
Zu den Bauten, die als Fachwerkkonstruktionen errichtet wurden, gehören
- Burgen und Schlösser,
- Rathäuser und prunkvolle, vielgeschossige Patrizierhäuser,
- große, prächtige Schulzenhöfe und einfache Pachthöfe,
- Scheunen, Remisen und Werkstätten,
- Handwerker-, Tagelöhner- und Ackerbürgerhäuser,
- Kirchen, Klöster und viele mehr.
Die Fachwerkkonstruktion war für jeden Haustyp geeignet. Sie war solide und langlebig. Fähige Handwerker und die notwendigen Baumaterialien gab es in unseren Regionen überall.
Im Norden Deutschlands wurde vornehmlich Eiche verwendet, in anderen Regionen dagegen seit dem späten Mittelalter häufig auch Nadelholz, dann jedoch mit größeren Balkenquerschnitten. In diesen Fachwerkkonstruktionen wurden Riegelverbindungen mit kurzen Zapfen oft nur gesteckt und nicht durch Holznägel gesichert. Diese Konstruktionen sind durch aufwändige Strebenverbände so versteift, dass auf die Riegelanschlüsse keine Zugkräfte einwirken. Dadurch konnte dort auf Holznagelung verzichtet werden (Abb. 1). Obwohl ich mich in diesem Buch auf Eiche als Fachwerk-Baumaterial beschränke, treffen meine Anregungen bei Nadelholzkonstruktionen in gleicher Weise zu.
Zur Geschichte des Fachwerkhauses
Das Fachwerkhaus hat eine lange Geschichte, die in Deutschland und fast allen anderen Ländern des nördlichen Europas vermutlich bis ins 5. und 6. Jh. n. Chr. zurückgeht. Kleine Pfahl- und Pfostenhäuser mit Weidengeflecht und Lehmbewurf waren seine Vorgänger.
Die Entwicklung schritt schnell voran. Bereits im frühen Mittelalter entstanden mehrgeschossige Fachwerkbauten. Neben den massiven Bruchsteinburgen der Bischöfe, Fürsten und Ritter war das Fachwerkhaus die übliche und am weitesten verbreitete Hausform.
Zu seiner höchsten Blüte gelangte der Fachwerkbau im 13. Jh. Sie währte bis ins 16. Jh. hinein. Überall entstanden kunstvoll verzierte Patrizierhäuser mit profilierten und mit feinem Schnitzwerk überzogenen Balken, mit wunderbaren Flecht- und Schmuckfachwerken. Häuser, die mitunter 7 bis 8 Stockwerke hoch waren. Eine Blütezeit erlebten auch der Handel und das Handwerk. – Es war die Zeit der Hanse. Damals wurde auch mit dem Bau der großen Kathedralen begonnen, wie z.B. mit dem Kölner Dom.
Foto: Manfred Christ
Abb. 1: Die Fachwerkfassaden prachtvoller Bürgerhäuser prägen auch heute noch das Stadtbild vieler historischer Innenstädte.
Mit Beginn des 30-jährigen Krieges, im Jahre 1618, war diese Epoche endgültig vorbei. Nach diesem Krieg, in den fast ganz Nordeuropa verwickelt war, begann eine zögerliche Aufbauphase. Die Fachwerkkonstruktionen wurden einfacher und sachlicher. Man baute mit geringeren Balkenquerschnitten. Die Ständer, Pfosten und Riegel lagen weiter auseinander, Verzierungen gab es nur wenige. Man musste sparen, vor allem beim Bauholz.
Im 18. und 19. Jh. wurden die Balkenquerschnitte weiter reduziert. Die Konstruktionen blieben dennoch stabil und dauerhaft. Die meisten der bis heute erhaltenen Fachwerkbauten stammen aus dieser Zeit. Erst zum Ende des 19. Jh. und mit dem beginnenden 20. Jh. wurde auch in Norddeutschland neben der Eiche, dem eigentlichen Fachwerk-Baumaterial, Nadelholz mit sehr geringen Balkenquerschnitten verwendet. Zuerst nur für die Innenwände, bald aber auch für die Außenwände.
Die Zeit der Fachwerkkonstruktionen war um 1925 im Großen und Ganzen zu Ende. Eiche war zu teuer, die späten Nadelholzkonstruktionen nicht dauerhaft genug. Andere Bauweisen wurden bevorzugt. Sie waren preiswerter, stabiler und boten mehr Wohnqualität.
Die Kunst der Zimmerleute, eine hochwertige Fachwerkkonstruktion zu entwerfen und zu errichten, ging nach und nach verloren. Nicht zuletzt auch wegen der zunehmenden Flut von immer neuen Bauvorschriften, in denen für das Fachwerkhaus kein Platz mehr war.
Verloren gegangenes Wissen und Nachschulung
Die alte Tradition des Zimmererhandwerks, das seine Konstruktionen ausschließlich mit reinen Holzverbindungen fertigte, geriet mit den letzten alten Zimmerleuten in den 50er- und 60er-Jahren des 20. Jh. endgültig in Vergessenheit. In den 70er- und 80er-Jahren erkannte man diesen Verlust.
Auf Anregung der Landesdenkmalämter, aber auch aufgrund von Eigeninitiative organisierten Fachinstitute, Handwerksverbände und Akademien Schulungen für Ingenieure, Architekten, Meister, Handwerker und interessierte Laien.
Das verschüttete Wissen von den alten Handwerkstechniken, über Verfahren und Materialien für den richtigen Umgang mit dem historischen Kulturerbe sollte wieder belebt werden. Denn welcher Architekt oder Ingenieur wusste, wie ein Fachwerkhaus sach- und fachgerecht zu sanieren und zu modernisieren war? Welcher Zimmermann kannte noch die alten Holzverbindungen? Welcher Maurer konnte noch einen Bogen, geschweige denn ein Kreuzgewölbe mauern? Welcher Stuckateur konnte noch Schablonen fertigen, Stuckprofile ziehen und anbringen? Welcher Maler konnte noch Deckenornamente und Wandfriese anfertigen, vergolden und Schriften malen? Welcher Steinmetz konnte noch eine einfache Vierung einpassen oder gar eine Kreuzblume anfertigen? So wurden also interessierte Fachleute zum Denkmalpfleger oder zum ›Restaurator im Handwerk‹ weitergebildet.
Langsam kam etwas in Bewegung, denn die dramatische Zunahme der Schäden an den historischen Bauten verlangte dringend nach geeigneten Sanierungsmethoden. Die für die Ausbildung eigentlich zuständigen Institutionen wie Berufsschulen, Ausbildungsbetriebe und Lehrbauhöfe, aber auch Ingenieurschulen und Universitäten, konnten die Wissenslücken nicht mehr füllen. Seit Mitte der 80er-Jahre ist aber auch hier ein Wandel eingetreten. Es werden, wenn auch noch zögerlich, Lehrgänge, Seminare und Ausbildungslehrgänge für die praktische Denkmalpflege und zur Nachschulung der Handwerker angeboten.
Heute kann der Eigentümer eines historischen Fachwerkhauses wieder Fachleute und Handwerker finden, die wissen, worum es geht, wie man es machen darf und wie nicht. Es ist aber immer noch mühsam und leider oft auch ein Glücksspiel, die richtigen Partner für die Sanierung seines Hauses zu bekommen. Mit der Zeit wird sich diese Situation jedoch verbessern, denn man hat das Problem erkannt und arbeitet an einer Lösung.
Das typische Fachwerkhaus
In diesem Buch beziehe ich mich auf ein westfälisches Fachwerk-Bauernhaus aus dem späten 18. Jh., wie es in dieser oder ähnlicher Form heute recht oft anzutreffen ist – mit allen Veränderungen und Spuren, die im Laufe von rund 250 Jahren hinzugekommen sind.
Foto: Gerda Jucho, Archiv Almuth Platte, Hamm
Abb. 2: Westfälischen Fachwerk-Bauernhaus
Abb. 3: Bestandteile eines typischen westfälischen Fachwerkhauses
Ganz bewusst habe ich ein Bauernhaus als Beispiel gewählt, weil infolge der gravierenden Veränderungen in der Landwirtschaft Häuser dieser Art mehr und mehr völlig umgenutzt und umgebaut werden. Wohn- oder auch Büronutzung erstreckt sich oft über das gesamte Haus mit dem ehemaligen Wirtschaftstrakt, mit Deele und Stallungen.
Meine Lösungsvorschläge beziehen also diesen besonderen Problembereich mit ein, ohne damit höherwertige Fachwerkhäuser auszuschließen. Ganz im Gegenteil, ich bemühe mich um Allgemeingültigkeit. So treffen meine Vorschläge zur Feuchtesanierung, zur Wiederherstellung der Fachwerkkonstruktion, zum Erneuern der Ausfachungen, zum Einbau einer Wärmedämmung, zur Erneuerung der Hausinstallationen, zum Dachausbau und zu anderen Themen in gleicher Weise auf alle Fachwerkbauten zu.
Schäden und Ursachen
Obwohl das Fachwerkhaus im Grunde sehr stabil und langlebig ist, weist es häufig ganz erhebliche Schäden auf.
- Das Holz ist angefault, Balkenteile fehlen.
- Verbindungen sind locker oder nicht mehr vorhanden.
- Gefache sind lose oder fallen ganz heraus.
- Wände sind schief und haben sich gesetzt.
- Decken hängen nach außen.
- Fenster und Türen klemmen
- und vieles andere mehr.
Wie kann es dazu kommen? Wo liegen die Ursachen? Eigenartigerweise trifft...