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E-Book

Faszination Apokalypse

Mythen und Theorien vom Untergang der Welt

AutorThomas Grüter
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783104007595
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Weltuntergang 2012? - Nicht nur die Maya glauben dran Schon immer haben die Menschen geglaubt, dass es mit der Welt irgendwann zu Ende geht. Kriege, Kometen, Seuchen und Hungersnöte galten in früheren Zeiten als sichere Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs. Und seit unser Planet als begrenzter Raum wahrgenommen wird, fürchten die Menschen, dass die Erde auch auf ganz weltliche Weise zerstört werden könnte. Bis heute beeinflussen Weltuntergangsszenarien die praktische Politik. All diese Aspekte des Weltendes untersucht Thomas Grüter in seinem neuen Buch. Dabei beleuchtet er auch die psychologischen Hintergründe und analysiert die aktuellen Endzeitideen.

Thomas Grüter wurde 1957 in Münster geboren. Nach seinem Medizinstudium arbeitete er fünf Jahre lang in Osnabrück, Paderborn und Münster als Arzt, bevor er ein eigenes Softwareunternehmen gründete, dessen Geschäftsführer er war. Er forscht seit 2002 über die Neuropsychologie der Gesichtserkennung und hat darüber eine Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen verfasst. Von 2006 bis 2008 hatte er einen externen Lehrauftrag an der psychologischen Fakultät der Universität Wien und ist seit 2009 Affiliate am Lehrstuhl für allgemeine Psychologie der Universität Bamberg. Seit einigen Jahren schreibt Thomas Grüter populärwissenschaftliche Bücher und Artikel, z.B. für Spiegel Online und Focus. Er lebt und arbeitet in Münster.

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Leseprobe

2 Weltende und Erlösung in Philosophie, Soziologie und Psychologie


Fallstudie: Die Wiedertäufer in Münster

Die Zeit zwischen der Erfindung des Buchdrucks gegen 1450 und dem Beginn der Reformation gilt den Historikern als Ende des Mittelalters und Beginn der Neuzeit. Es war eine Zeit des Umbruchs, viele der mittelalterlichen Herrschaftsstrukturen waren ins Wanken geraten, das Bürgertum der Städte verlangte mehr Rechte. Von Italien breitete sich die Renaissance über Europa aus. Künstler, Gelehrte und Herrscher bemühten sich, an die als Höhepunkt der Zivilisation verstandene Antike anzuknüpfen. Die Humanisten unter den Gelehrten orientierten sich am Menschenbild und an den philosophischen Lehren des klassischen Altertums. Die stilistisch elegante und rhetorisch brillante Benutzung des antiken Lateins galt ihnen als wichtiges Merkmal der höheren Bildung. Damit grenzten sie sich bewusst gegen das degenerierte Küchenlatein der Scholastiker und Mönche ab. Anders als im Mittelalter gingen die Impulse des geistigen Lebens jetzt nicht mehr von den Klöstern aus.

Die Kirche hatte viel von ihrer Macht und Autorität verloren. Nördlich der Alpen war die Abneigung gegen die Amtskirche sehr verbreitet. Der Papst gebärdete sich als Renaissancefürst und hielt prächtig Hof. Die ganze Institution Kirche verbrauchte unglaublich viel Geld, das sie wiederum von den Gläubigen holte. Die Priester galten als bestechlich und sündig, viele trieben einen schwunghaften Handel mit geweihten Gegenständen, denen magische Kräfte zugeschrieben wurden. Bischofssitze waren zu Pfründen verkommen, die oftmals im Erbbesitz adeliger Familien waren. Das gute Leben der Bischöfe und einiger Orden sowie die Verlotterung der Priester führten bei vielen Menschen zu einem tiefen Misstrauen gegen die Kirche. Sie forderten die Rückbesinnung auf christliche Tugenden und wollten das Monopol der Amtskirche auf die Vermittlung zwischen den Gläubigen und dem christlichen Gott nicht länger anerkennen. Ob in Klöstern allerdings dermaßen geprasst wurde, wie die Kritiker behaupteten, darf man durchaus bezweifeln. Andererseits besaßen viele Klöster umfangreiche Ländereien, unterhielten Brauereien, Weingüter oder Manufakturen und waren vergleichsweise reich. Nicht zuletzt die steuerlichen Privilegien der Klostermanufakturen wurden zum Auslöser für das Erstarken der Täuferbewegung in Münster. Die Täufer waren eine vielgestaltige Bewegung in der Folge der Reformation. Anfang des 16. Jahrhunderts forderten immer mehr Gelehrte eine grundsätzliche Kirchenreform, »an Haupt und Gliedern«, wie man damals sagte. Die Kirche sollte sich wieder mehr auf ihren geistlichen Auftrag besinnen und den Menschen das Evangelium nahebringen.

Luther war nicht der Erste, der gegen die Amtskirche wetterte, aber er war einer der wenigen, die sich nicht einschüchtern ließen. Die Urkunde über die Androhung des Kirchenbanns verbrannte er öffentlich am 10121520 vor dem Elstertor in Wittenberg. Seine Schriften wurden in hohen Auflagen gedruckt, und er war schon damals, zu Beginn der Reformation, ein berühmter Mann.

Kaiser Karl V. war verpflichtet, dem Kirchenbann die Reichsacht folgen zu lassen, aber angesichts des zunehmenden Widerstands der Reichsstände zögerte er. Auf dem Reichstag in Worms bekam Luther Gehör und Gelegenheit zum Widerruf. Er lehnte ab und führte unter anderen aus:

Der Papst ist die Macht, die mit ihren allerbösesten Lehren und ihrem schlechten Beispiel die christliche Welt mit den geistlichen und leiblichen Übeln verheert, verwüstet und verdorben hat. (Propyläen Weltgeschichte, Band 7, Seite 38)

Der Kaiser verhängte die Reichsacht, konnte sie aber nicht durchsetzen. Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen ließ Luther auf die Wartburg bringen, wo er erst einmal in Sicherheit war. In den nächsten Jahren setzten sich Luthers Ideen in weiten Teilen des Reichs durch. Päpste und Konzilien sind fehlbar, so lehrte er. Der Mensch brauche die Kirche nicht als Vermittler göttlichen Heils, wer sich der göttlichen Gnade unterwerfe, finde seinen eigenen Weg zur Vergebung der Sünden. Nur das Evangelium sei verbindlich. Luther sah eine deutliche Trennung zwischen göttlicher und weltlicher Herrschaft. Das Evangelium sei der Maßstab, um im Gottesreich die Erlösung zu finden, aber in der diesseitigen Welt schulde der Mensch der Obrigkeit Gehorsam. Mönchische Weltabgeschiedenheit lehnte er ab. Die ausdrückliche Unterscheidung zwischen weltlichem und göttlichem Reich kam den Reichsfürsten und freien Reichsstädten sehr entgegen. Sie verweigerten die Abgaben für die Kirche, ließen kirchliche Güter einziehen und lösten Klöster auf. Fürsten waren zu allen Zeiten bis auf wenige Ausnahmen chronisch klamm und konnten das beträchtliche kirchliche Vermögen gut gebrauchen. Zugleich demonstrierten sie damit ihre Unabhängigkeit vom Kaiser. Allerdings duldeten sie zum überwiegenden Teil (und mit Zustimmung Luthers) keine Abweichungen vom rechten Glauben. Katholische Gottesdienste waren verboten und wurden bestraft, ebenso abweichende Auslegungen des Evangeliums. War die Religion vorher Sache der Kirche, so war sie jetzt Sache des Landesherrn. Luthers Parteinahme gegen die Aufständischen in den Bauernkriegen (15241525) stärkte noch einmal die Position der Fürsten.

Man hat den Eindruck, dass Luther alles versuchte, seine religiösen Reformen durchzusetzen, ohne die weltliche Ordnung über Gebühr zu gefährden. Im Grunde hätte ihm das egal sein können, denn er war – zumindest in seiner späteren Zeit – davon überzeugt, dass das Ende der Welt unmittelbar bevorstand. Er hatte im Papst den Antichrist erkannt, den endzeitlichen Widersacher von Jesus Christus. Genauer gesagt, waren die Päpste nach seiner Überzeugung bereits seit Jahrhunderten Antichristen. Mit dem »Mann der Gesetzwidrigkeit«, der nach dem zweiten Thessalonicher-Brief im Tempel des Herrn auftritt und sich sogar selbst zum Gott erklärt, konnte nur das organisierte Papsttum gemeint sein. Die Päpste und die Kirche nahmen für sich in Anspruch, Gottes Wort verbindlich auszulegen. Damit stellten sie sich zwischen die Gläubigen und Gott. Sie waren also Eindringlinge im Tempel des Herrn, und zwar seit Jahrhunderten. Warum war das Ende der Welt dann noch nicht gekommen? Luther ging davon aus, dass erst die Entlarvung des Papstes als Antichrist das Ende der Welt einleitet. Erst wenn der Antichrist aus der Verborgenheit tritt, ist das Jüngste Gericht nahe. Luther selbst aber hatte den Papst als Antichrist enttarnt und damit an die Öffentlichkeit gezerrt.

»UND hie sehen wir, das nach dieser zeit, so der Bapst offenbart[entlarvt], nicht zu hoffen noch zu gewarten ist, denn der Welt ende und aufferstehung der Todten«, schrieb Luther 1541. Er schloss daraus nicht, dass alle weltliche Ordnung ohnehin nur noch wenige Wochen oder Jahre bestehen werde und deshalb im Grunde unwichtig sei. Ob Luther und gelehrte Lutheraner nach Luthers Tod solche Weltende-Ankündigungen gezielt ausstreuten, um die Menschen bußfertig zu machen oder zu halten, wie zum Beispiel der Jenaer Kirchengeschichtler Volker Leppin andeutet, halte ich allerdings für fraglich.

 

Luthers in hoher Auflage seit 1522 verbreitete Bibelübersetzung machte die Heilige Schrift auch den einfachen Menschen zugänglich. So bildeten sich bald überall Sekten, die sich auf ihre ganz spezielle Auslegung der Schrift beriefen. Dazu gehörten auch die Täufer. Sie lehnten die Kindstaufe ab, weil ein Kind sich nicht aus eigener Überzeugung für den Glauben entscheiden konnte. Also nahmen sie nur Menschen in ihre Gemeinschaft auf, die sich noch einmal taufen ließen. Deshalb nannten ihre Gegner sie spöttisch »Wiedertäufer«. Brüderlichkeit, Mildtätigkeit, gemeinschaftlicher Besitz waren wichtige Glaubensinhalte. Charismatische Prediger und Propheten scharten eigene Gemeinden um sich und sorgten bald für eine weite Auffächerung der Ansichten der Täufer. Durch den Initiationsritus der Erwachsenentaufe bekamen die Gruppen den Charakter fester Bündnisse, die oft genug ihre Kontakte mit der Außenwelt auf ein notwendiges Minimum beschränkten. Vielfach betrachteten sich die Täufergemeinden als Inseln des rechten Glaubens in einer durch und durch verdorbenen Welt und kapselten sich immer mehr ab. Mit Bezug auf die Bergpredigt lehnten die meisten Täufer jede Eidesleistung ab. Damit konnten sie keine Beamte werden, was viele sowieso nicht für richtig hielten, weil damit immer eine Gewaltandrohung der Obrigkeit gegen Mitmenschen verbunden war.

Die katholischen wie evangelischen Glaubenshüter wollten solche Eigenmächtigkeiten nicht dulden, und so verbot der Reichstag von Speyer im Jahre 1529 die Täuferlehre als Ketzerei. Unbelehrbaren Täufern drohte die Todesstrafe. Bereits zuvor waren die Täufer immer wieder schikaniert und vertrieben worden, was allerdings eher zur Verbreitung ihrer Ideen beitrug. Aber auch nach dem reichsweiten Verbot blieben die Täufer in einigen Gegenden geduldet oder wurden lediglich des Landes verwiesen. Einige tausend starben allerdings für ihren Glauben.

Angesichts der Schlechtigkeit der Welt und der Verfolgung ihrer Gemeinden glaubten viele Täufer, dass die Zeit der »Trübsal« gekommen sei, die dem Ende der Welt unmittelbar vorausgeht. Auch Luther war davon überzeugt, dass das Weltende nicht mehr fern sei, zumindest sah er den Papst als Inkarnation des Antichrist, des endzeitlichen Verführers und Verderbers der Christenheit an. Die vielen Sonnen- und Mondfinsternisse und die drei...

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