1. Fotoauftrag beim Züchter
Der künstlerische Blick ist in der Pferdefotografie genauso wichtig wie in anderen Bereichen des kreativen Handwerks. Mindestens von gleicher Bedeutsamkeit ist es aber auch, einen Blick für die Models zu haben. Es ist nämlich nicht so einfach, vier Beine, einen langen Hals und wackelnde Ohrspitzen richtig zu sortieren.
Genauso wichtig wie der künstlerische Blick, ist der Blick für das Pferd selbst.
Canon 1Dx | 125 mm | 1/1250 s | f/2.8 | ISO 1600
Klassischer Einstieg
Als ich mit der Fotografie anfing, gab es für mich nur ein Motiv: Pferde. Ich muss keinem Leser dieses Buchs erst erklären, wie wunderschön und vollkommen diese Tiere für einen Pferdemenschen aussehen. Vor dem Reiten, während des Reitens und auch nach dem Reiten habe ich die Pferde mit einer kleinen digitalen Kompaktkamera fotografiert, mich ausprobiert und erste »rudimentär kreative« Bilder zustande gebracht. Ich platzte jedes Mal vor Stolz, wenn eines meiner Models im Galopp zu erkennen war (egal in welcher Phase) oder meine kleine Knipse beim Gegenlichtbild nicht komplett über- oder unterbelichtete.
Meine Lieblingsbilder teilte ich regelmäßig in sozialen Netzwerken mit gleichgesinnten Teenagern, die alle das Pferdefotografieren für sich entdeckt hatten. Es war eine lustige Zeit, als wir uns in der Community fast überschlugen beim Entdecken dieser neuen Welt und endlich eine Möglichkeit hatten, unsere Lieblinge (nach unserem damaligen Verständnis) eindrucksvoll in Szene zu setzen.
Ich durchforstete das Internet nach Pferdefotos und Pferdefotografen. Natürlich stolperte ich relativ schnell über die »verschwommenen« Hintergründe und messerscharfen Bilder von Pferden in Bewegung. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von Kameratechniken und Optiken. Meine ersten eigenen »unscharfen« Hintergründe versuchte ich mit Gimp zu erstellen (Stichwort »Weichzeichnerwerkzeug«). Sie sahen grässlich aus. Aber eine andere erklärbare Lösung fiel mir nicht ein, bis eines Tages das Thema »digitale Spiegelreflexkamera« in unserer Pferdemädchen-Fotografen-Community aufkam. Da war er also, mein mühsam gesuchter Schlüssel, der mir eine Tür öffnete, die mein Leben grundlegend änderte und prägte. Okay, ganz so dramatisch war es nicht. Ich hatte aber einen Anfang gefunden, um meine Pferdebilder optisch hochwertiger zu gestalten.
Ich kann mir vorstellen, dass es vielen Pferdefotografen am Anfang so ging.
Blickschulung Pferd
Mit neuem Fotowissen und neuer Kameratechnik ausgestattet (ich startete mit einer Canon 450D sowie einem Tamron 55-200 mm f/4-5.6), begab ich mich wieder zu meinen Pferdemodels. Die Züchterin meiner Fotopferde unterstützte mich von Anfang an in meinen Vorhaben, platzierte die Pferde für mich an Ort und Stelle und diskutierte die Auswahl der Bilder am Ende des Shootings. Recht schnell merkte ich, dass es nicht reicht, Kameratechnik zu beherrschen, wenn man ein Pferd fotografieren möchte.
Mir wurde anhand eines jeden meiner Fotos verdeutlicht, warum das Model auf dem einen Bild besser und auf dem anderen Bild unvorteilhafter aussieht. Mein Blick für ein harmonisches Pferd wurde dadurch stark geschult, gerade was rassetypische Merkmale der einzelnen Pferdearten anbelangte. Zudem studierte ich Rassebücher, um einen Eindruck von den optimalen Exterieurbeschreibungen zu bekommen und zu lernen, auf welches Merkmal unterschiedliche Rasseverbände Wert legen. Ich glaube, dass dies eines der wichtigsten Dinge ist, die man als Pferdefotograf sehen muss.
Bilder für die Exterieurbeurteilung
Im Netz finde ich immer wieder toll belichtete oder inszenierte Bilder von Pferden, auf denen das Pferd selbst aber völlig unvorteilhaft und unharmonisch aussieht: Die Beine stehen kreuz und quer, der Kopf wirkt zu groß, der Hals hingegen zu kurz, oder die Bewegungsphase passt gar nicht zum Tier. Für Züchter sind korrekte Bilder aber immens wichtig, um das Exterieur zu beurteilen bzw. die eigene Zucht entsprechend hochwertig zu präsentieren. Und auch wenn der Züchter selbst vielleicht kein fotografisches oder künstlerisches Auge hat, so hat er aber gewiss ein Auge für seine Tiere. Als professioneller Pferdefotograf muss man beides einbringen können.
In einem gewissen Rahmen gibt es sicherlich Positionierungen eines Pferdes, die subjektiv als schön oder als nicht schön bewertet werden können und eine reine Geschmacksfrage sind. Ein Westernpferd zum Beispiel kann ich im Stand klassisch von der Seite fotografieren oder aber auch schräg von vorne. Auf beiden Bildern sind Schulter- und Hinterhandbemuskelungen gut sichtbar.
Für die reine Exterieurbeurteilung eines Warmblüters würde ich persönlich aber immer die Seitenansicht bevorzugen, da es bei Warmblütern weniger um die Vor- und Hinterhandbemuskelung geht als eher um das Verhältnis von Hals, Rücken, Kruppe, Schulterwinkelung etc. (das natürlich bei Westernpferden auch eine Rolle spielt). Gleiches gilt für Biegung und Winkelung des Halses sowie für die Phasen im Galopp – einige Phasen sind ein No-go, mit anderen liegt man fast immer richtig, und wieder andere sind reine Geschmackssache und pferdeabhängig. Ich werde diese Themen an späterer Stelle wieder aufgreifen.
Die Allee sah schön urig aus und schützte mein Motiv vor ungünstigen Lichtflecken. Das Kopfsteinpflaster war jedoch ein sehr unebener Untergrund, sodass es dem spanischen Hengst schwerfiel, sich gleichmäßig hinzustellen. Hier gelingt es dann doch. Lediglich die Hinterbeine stehen etwas zu eng.
Canon 1Dx | 200 mm | 1/640 s | f/2.8 | ISO 1250
Klassische Standbilder
Zunächst möchte ich die sechs »Grundtypen« der Pferderassen anhand von klassischen Standbildern vorstellen und beschreiben. Es sei mir die Bemerkung erlaubt, dass eine hundertprozentige Aufteilung der einzelnen Pferderassen in »Grundtypen« nicht möglich ist. Es gibt Rassen, die aus diversen Ländern und Zuchten Einflüsse aufzeigen und erst gar nicht in die klassischen »Grundtypen« eingegliedert werden. Für uns Fotografen spielt die Eingliederung in Pferdetypen im Grunde auch keine alles entscheidende Rolle.
Viel mehr geht es darum, zu erkennen, ob das Pferd beispielsweise eher im Warmblut- oder Barocktyp steht, welche damit verbundenen Merkmale fotogen sind und was fotografisch eher ungeeignet ist. In jedem Rassebuch werden mitunter einzelne Rassen auch unterschiedlich kategorisiert. Eine feste Ordnung gibt es bei bestimmten Rassen also einfach nicht.
Ich werde mich zudem im Nachfolgenden zunächst auf das »Was?« konzentrieren, also auf die Punkte, die man bei den einzelnen Typen erkennen und beachten sollte, und im späteren Teil des Kapitels dann auf das »Wie?«, also die Umsetzung während des Shootings, eingehen.
Vollblüter, Krone der Schöpfung
Vollblüter gelten als die Krone der Schöpfung und als die reinsten aller Pferderassen. Fast jede andere Rasse der Welt hat Vollblutvorfahren als Veredler im Stammbaum. Man teilt das Vollblut in zwei oder drei Kategorien ein: das englische Vollblut sowie das arabische Vollblut, manchmal wird auch die Kreuzung aus beiden genannt, der Anglo-Araber. Die besonders edle Rasse des Achal-Tekkiners wird beispielsweise nicht als Vollblut anerkannt, ist optisch aber einem Vollblut zuzuordnen.
Das arabische Vollblut wird als wahrscheinlich älteste Rasse der Welt verehrt. Die Tiere wurden als Kriegs- und Transportpferde eingesetzt. Ein gutes Araberpferd, so hieß es, musste nicht nur den Reiter tragen, sondern auch seine Nahrung, Waffen, Teppiche und eine Fahne. Es musste einen ganzen Tag laufen können, ohne zu fressen und zu trinken. Zugleich galt das Pferd als Statussymbol und Inbegriff unvergleichlicher Schönheit. Es gibt unzählige Geschichten und Legenden über den Vollblutaraber aus arabischen Schriften.
Ich lasse mich gern von solchen Verehrungen und Lobpreisungen mitreißen, um die kulturelle Bedeutung einer Rasse zu verstehen und die Pferde dann auch ein wenig mit Ehrfurcht zu betrachten. Pferdelyrik ist für mich zudem eine Inspiration beim Abbilden der Tiere. Ein Zitat aus dem Koran beschreibt die arabische Stute wie folgt:
»Der Ausdruck ihrer Augen gleicht dem einer liebenden Frau. Ihr Gang dem eines schönen Weibes, ihre Brust ist wie die eines Löwen, ihre Flanke wie die der Gazelle. Sie ist die Trinkerin des Windes. Sie trottet wie ein Wolf und galoppiert wie ein Fuchs. Ihr Fell ist wie ein Spiegel, ihr Haar so dicht wie die Federn auf Adlers Schwingen und ihr Huf so hart wie Stein, von dem man Feuer schlagen kann, und gerade so weit, dass eine Maus darin ihr Nest bauen könnte. Sie ist sanft wie ein Lamm, aber wie ein Panther im Zorn, wenn sie geschlagen oder gereizt wird. Ihre Nüstern sind geöffnet wie Blütenblätter einer Rose. Ihre Schultern verwandeln sich in Flügel, wenn sie rennt. Ihre Beine sind stark wie die eines wilden Straußes und voller Muskeln wie jene des Kamels. Ihre Augenwimpern sind lang wie Gerstenähren, und die Ohren wie zwei Halbedelsteine eines Speerkopfes.«
ARABISCHES VOLLBLUT
Im Vergleich zu anderen Rassen besitzen Araber nur 17 Rippenpaare statt 18, 5 statt 6 Lendenwirbel und 16 statt 18 Schweifwirbel. Das Zuchtkürzel OX im Stammbaum des Pferdes kennzeichnet einen reinrassigen Araber. Das Kopfprofil ist konkav (Hechtkopf) oder gerade geformt, Augen und Nüstern sind groß. Die Ganaschen sind breit und weit. Der Hals ist gebogen und sitzt an einer schrägen Schulter. Die Kruppe ist leicht geneigt bis horizontal mit einem hohen Schweifansatz. Die Beine sind lang und trocken gebaut. Insgesamt ist der Araber ein kompaktes, athletisches...