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E-Book

Feders kleine Kräuterkunde

Das Essen liegt auf der Straße

AutorJürgen Feder
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783644400429
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wer Jürgen Feder kennt, weiß: Das Essen liegt auf der Straße. Denn eine Menge Kräuter und Gewächse, die der Extrembotaniker auf Feld, Wald, Wiesen und auch auf dem Grünstreifen an der Ampel findet, sind essbar und eine Bereicherung für jeden Speiseplan. Viele Heilpflanzen an der Straßenecke warten nur darauf, als Tee oder Aufguss ihre wohltuende Wirkung zu entfalten. Jürgen Feder begleitet Sie auf Ihrem Weg durch die Stadt und übers Land und zeigt Ihnen leckere Pflanzen, an denen Sie sonst achtlos vorbeigingen. «Jürgen Feder wirbt um Aufmerksamkeit für eine Vielfalt, die wir gerade zerstören. Seine Begeisterung ist ansteckend.» Berliner Zeitung

Jürgen Feder, 1960 in Flensburg geboren, ist Dipl.-Ing. für Landespflege, Flora und Vegetationskunde und zählt zu den bekanntesten Experten für Botanik in Deutschland. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner, bevor er sich dem Studium der Landespflege in Hannover widmete. Lange Zeit war er als selbständiger Landespfleger und Chef-Pflanzenkartierer tätig. Heute lebt er in Bremen.Mehr über den Autor erfahren Sie unter: www.juergen-feder.dewww.facebook.com/Extrembotanikerwww.youtube.com/user/juergenfeder

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Leseprobe

Dortmund/Hagen


am Hengsteysee und auf der Hohensyburg

Am nächsten Morgen starte ich in der Morgendämmerung und bei Regen südlich vom Hengsteysee, auf dem Gebiet der Stadt Hagen. Ein erster Biker in schwerer Kluft röhrte bereits kurz vor sechs neben mir auf, danach war an Schlaf nicht mehr zu denken. Heute steht eine Exkursion zu beiden Seiten des Hengsteysees und auf/an der Hohensyburg an, elf Leute haben sich angesagt. Die Hohensyburg, heute eine Ruine, war im Mittelalter ein Gefängnis. Dort wollte ich schon immer mal hin, ich will auf dem Syberg zwar nicht büßen, aber Aussichtsberge und Aussichtstürme ziehen mich an wie ein Magnet, schon seit Kindertagen. Obwohl – büßen müsste ich eigentlich auch etwas … Einem Kind habe ich vor einem Lidl-Laden in Lingen an der Ems vor Jahren die Luftpumpe geklaut. Mein Fahrrad verlor dauernd Luft, und ich hatte nicht mehr genügend Geld, um mir eine Pumpe zu kaufen. Und das Wenige, was ich noch hatte, brauchte ich für den Wochenendeinkauf (es war ein Samstag, ich vergesse es nie). Eiskalt habe ich die Pumpe vom Fahrrad des Mädchens gestohlen, eine Plastikpumpe. Natürlich war ich nicht ohne Pumpe losgefahren, aber die hatte ich beim Pumpen so schwungvoll gezogen, dass ich auf einmal den Proppen in der einen Hand und den Rest in der anderen Hand hielt. Für diesen Diebstahl müsste ich mindestens einen Tag im Turm zubringen, was aber zu ertragen wäre, denn ich hätte eine wunderbare Aussicht auf den Hengsteysee. Und wie oft habe ich schon Bohnen, Erbsen, im Juni Herzkirschen, im Juli Erdbeeren, im August Kulturheidelbeeren illegal «geerntet», aber ich schwöre beim Arminius – nur für den Eigenbedarf, und nur, wenn mich keiner dabei sah. Also, das macht zusammen zwei Tage Turm, mehr aber auch nicht!

Der Hengsteysee wird gebildet durch den Zusammenfluss von Ruhr und Lenne. Um acht Uhr wimmelt es trotz leichten Regens bereits von Menschen: Hundefreaks, Jogger und Mountainbiker. Die etwas heruntergekommene Bikerklause wird erst später geöffnet – dann ist sie dicht umlagert. Aus Richtung Dortmund jagen die Motorräder die Serpentinenstraße rauf und Richtung See bergab, auf der Stauseebrücke kommen die Fahrer dann allmählich wieder zur Besinnung (die meisten jedenfalls).

Enten, Haubentaucher und Tauben wundern sich über die Aktivitäten bei Regen, unter der Hengsteysee-Brücke bin ich mit ihnen fast allein. Noch sind keine Ruderer zu sehen, hier trainiert der Ruderclub RC Westfalen Herdecke und damit Johannes Weißenfeld, der im Deutschland-Achter an den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro teilgenommen hat. Hier ist die eigentliche Schmiede für den berühmten «Deutschland-Achter», oft schon golddekoriert, in Rio gab es jetzt aber «nur» Silber hinter den Briten, die bei Olympia sowieso richtig abgesahnt haben. Vor allem die Radfahrer – unglaublich, wie die dominierten. Unter den Radlern, die ich hier so sehe, wird es aber bestimmt keinen Goldfavoriten für die nächsten Spiele geben.

Ich mag fast alle Sportarten, außer Fechten, Reiten und Schießen. Beim Reiten entscheidet vor allem das viele Geld und neuerdings sind sogar deutsche Pferde gedopt. Fechten ist mir zu undurchsichtig (oft sogar für beide Beteiligte!), es gibt da nur schrille Schreie um nichts, und unter der Maske muss es höllisch heiß sein – der (Angst-)Schweiß rinnt! Schießen ist am schlimmsten, man sieht gar nichts, teilweise schießen die Schützen sogar auf falsche Scheiben. So hat ein Amerikaner, Matthew Emmons hieß der Mann, bei den Spielen in Athen 2004 und tatsächlich auch noch einmal in Peking 2008, jeweils klar in Führung liegend, mit dem allerletzten Schuss alles verloren – während er in Athen die falsche Scheibe anvisierte, fuhr er in Peking mit dem letzten Schuss das schlechteste Ergebnis der ganzen Spiele ein. Ich glaube, der ist danach völlig entnervt abgetreten. Der Mann hat mir richtig leidgetan.

Rudern mag ich aber ganz gern, da kann man gut sehen, wer vorne ist. Das Training stelle ich mir verdammt hart vor, nur das Schwimmtraining muss noch furchtbarer sein. Beim Rudern ist man wenigstens draußen an der frischen Luft, beim Schwimmen kann man nur die Kacheln zählen.

Doch zurück zum Hengsteysee: An dessen Südufer gibt es zwei Stellplätze für Wohnmobile und Camper mit Zelt, und einer dieser Stellplätze ist voll mit Gundermann (Glechoma hederacea), flächig wächst er wunderhübsch blau blühend und bis 40 Zentimeter hoch auf Hunderten von Quadratmetern, im Rasen, unter Bäumen, im Schotter. Obwohl es, den vielen Köddeln nach zu urteilen, hier nur so von Kaninchen wimmelt, hat der Gundermann Glück. Er wird von den eifrigen Langohren nämlich nicht gefressen. Wenn Sie in Kaninchengebieten seine Blätter sammeln, achten Sie bitte darauf, die Köddel liegen zu lassen. Das gibt Dünger für Rasen und Gundermann. Gundermann-Blätter riechen wunderbar (die frischen Köddel nicht, Sie werden es gleich bemerken!), pure Aromaspender in Dressings, Eierpfannkuchen, Salaten oder Suppen, ebenso zu Pellkartoffeln. Sie schmecken herb-aromatisch bis süßlich und enthalten viel Vitamin C, Kalium und Kieselsäure. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurde der Gundermann verwendet, um das Bier würziger zu brauen und es besser zu konservieren. Im Althochdeutschen bedeutet gund Eiter, und so hat diese Pflanze ihren Namen bekommen, weil sie in Form eines Wickels bei eitrigen Wunden und Abszessen verwendet wurde. Ein Teeaufguss von Blättern und Blüten wirkt stoffwechselfördernd, lindert aber ebenso Blasen-, Darm- und Magenleiden. Diese Allerweltsart wird bislang unterschätzt, und Sebastian Kneipp konnte so oft rufen, wie er wollte: «Gundermann, Heil aller Welt», bei dieser Pflanze blieb der bayerische Wasserpapst irgendwie ungehört.

Der Regen hat nachgelassen, die Tauben stiften wieder überall Unruhe, während die Enten still über den See ziehen, wenn nicht zwei Erpel gerade um ein Weibchen buhlen, welches schnatternd abhaut, weil es weder den einen noch den anderen attraktiv findet. Hartes Schicksal, aber nachvollziehbar. Ich nähere mich dem bis zu 25 Meter hohen Spitz-Ahorn (Acer platanoides), ein typischer Waldbaum. Viele wissen nicht, dass fast alles an ihm essbar ist: Blätter, Blüten, Früchte und junge Sämlinge. Die mild säuerlich schmeckenden Ahornblätter eignen sich als Salatgrundlage (dazu die jungen Blätter bis Ende April pflücken), sie sind eine wunderbare Zutat in Suppen (Linseneintopf, das kann ich empfehlen, am besten klein geschnitten frisch drüberstreuen), sie können aber auch einfach nur pur gegessen werden, direkt vom Baum. Aus den Ahornblüten kann man einen wässerig-süßen Sirup herstellen, ebenso aus dem Saft, der aus der Rinde dringt, wenn man den Baum anritzt. Das würde ich jedoch nur bedingt machen, denn bei häufiger Prozedur schädigt ihn das. Die Volksmedizin sagt dem Ahorn eine Menge Gutes nach: Blattsud und Saft helfen äußerlich bei Augenbrennen, Entzündungen, Fieber, Gicht und Insektenstichen. Am Spitz-Ahorn mag ich besonders seine frühe Blütezeit im April, stets vor dem Austrieb der bespitzten Blätter, viele grün-gelbe «Tennisbälle» an den Zweigen rufen immer den Frühling aus!

Nicht der Wald ruft, aber der nächste Baum, die Sal-Weide (Salix caprea). Die gerbstoffreiche Rinde eignet sich zum Rotfärben von Wolle, zum Gerben von Leder und als Beigabe zu Teer. Das Salicin in Blättern und Rinde ist umgewandelt zu Salicylsäure (Gattungsname Salix!) Grundstoff der Kopfschmerztablette Aspirin. Überhaupt ist die Sal-Weide eine Heil- und keine Esspflanze. Ein Tee aus der inneren Rinde hilft gegen Fieber, Gicht, Kopfschmerzen, Rheuma, Blasen-, Haut-, Magen- und Nierenreizungen. Gegurgelt bei Entzündungen in Hals und Mund gegen Zahnfleischbluten. Für zwei Tassen Weidenrindentee zwei Teelöffel klein geschnittene Rinde über Nacht in kaltem Wasser ziehen lassen, morgens aufkochen und dann über den Tag verteilt einnehmen. Ein Bad aus Weidenrinden (aufkochen) hilft gegen Schweißfüße, zerdrückte Blätter gegen Ohrenschmerzen, im Wickel gegen Biss-, Stich- und Schnittverletzungen (stoppt Blutungen und heilt ab). Die Asche von Weidenrinde lässt Hühneraugen und Warzen verschwinden. Unglaublich, mir wird ganz schwindelig. Und was hilft jetzt dagegen?

Diese Weide bietet sogar noch mehr: Aus dem ziemlich harten Holz werden Besen- und Schaufelstiele, Holzschuhe, Streichhölzer und Weidepfähle fabriziert. Junge Ruten eignen sich zum Flechten (Korbmöbel). Die im März sich entwickelnden Weidenkätzchen sind die erste Bienenweide, weshalb sie von Imkern bevorzugt um Bienenstöcke gepflanzt werden. Fast hundert Schmetterlingsarten ernähren sich im Raupen- und im Altersstadium von der häufigen Sal-Weide. Und im Mittelmeergebiet fressen die kletternden Ziegen gern Blätter und Rinde in kargen Sommermonaten, darum sind Ziegen immer so gut drauf, haben auch nie Kopfweh! So, jetzt reicht’s aber, andere Gewächse haben auch noch ein Daseinsrecht.

So zum Beispiel die Lieblingspflanze meiner Freundin Steffi (immer noch – beides …): Gewöhnlicher Beinwell (Symphytum officinale), bis zu 100 Zentimeter wird er hoch. Ich probiere die...

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