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E-Book

Feldwebel Anton Schmid

Ein Held der Humanität

AutorWolfram Wette
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783104025834
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Dem einfachen Feldwebel Anton Schmid aus Wien gelang es, während der deutschen Besatzung in Litauen Hunderte jüdische Menschen zu retten. Wie Oskar Schindler requirierte er die Gejagten für vermeintlich dringende Arbeiten, verschaffte ihnen Papiere und bewahrte sie so vor dem Tod. Er riskierte es sogar, Internierte aus dem Ghetto von Wilna herauszubekommen - wofür er mit dem Leben bezahlte. Er flog auf, wurde vor ein Kriegsgericht gestellt und im April 1942 hingerichtet. Wolfram Wette erzählt erstmals die ganze Geschichte dieses weitgehend unbekannten Helden und beleuchtet den bis heute gehemmten Umgang mit seinem Andenken.

Wolfram Wette, geboren 1940, Dr. phil., Historiker und freier Autor, 1971-1995 am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg i.Br.; Mitbegründer der Historischen Friedensforschung; seit 1998 apl. Professor an der Universität Freiburg; Ehrenprofessur an der russischen Universität Lipezk.In der 'Schwarzen Reihe': Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941 (als Mithrsg. zus. mit G. R. Ueberschär, Bd. 4437); Stalingrad (als Mithrsg. zus. mit G.- R. Ueberschär, Bd. 11097); Retter in Uniform. Handlungsspielräume im Vernichtungskrieg der Wehrmacht (als Hrsg., Bd. 15221); Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS (als Hrsg., Bd. 15852); Die Wehrmacht. Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden (als Autor, Bd. 15645); Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur (als Autor, Bd. 18149).

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Leseprobe

Statt eines Vorworts


Für die verfolgten Juden in Wilna/Litauen stellte der Name des Wehrmacht-Feldwebels Anton Schmid eine Verheißung dar. Der Unteroffizier aus Wien war für die Todgeweihten, die an der Existenz eines gerechten und gütigen Gottes zweifelten, die personifizierte Verkörperung ihrer Hoffnung auf Rettung vor der Vernichtung. So wundert es nicht, dass Schmid von Holocaust-Überlebenden in der rückblickenden Erinnerung verklärt wurde. Sie sagten über ihn: »Für uns war er so etwas wie ein Heiliger!«[1] Gemeint war damit, dass Schmid in einer ganz außergewöhnlichen, ja einzigartigen Weise das Gute verkörperte. Simon Wiesenthal, dem nach dem Kriege solches berichtet wurde, übernahm die ehrende Charakterisierung auch selbst. In einem Brief an den deutschen Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping aus dem Jahre 2000 schrieb er: »Seit Jahrzehnten ist für mich der Name Feldwebel Anton Schmid so etwas wie ein Heiliger.«[2] Übereinstimmend nennen die Überlebenden die »Herzensgüte« Anton Schmids als sein ausschlaggebendes Handlungsmotiv. Seine gelebte Humanität war es, die ihn von anderen unterschied.

Arno Lustiger, der aus der polnischen Stadt Będzin stammende Überlebende mehrerer Vernichtungslager und Todesmärsche, später ein prominenter Historiker des jüdischen Widerstandes[3], sah in Feldwebel Anton Schmid einen der herausragenden »Helden des Widerstandes« gegen den Holocaust. Nach seiner Überzeugung stellt Schmids Vermächtnis ein moralisches Kapital dar, dessen sich die deutsche und die österreichische Gesellschaft noch immer viel zu wenig bewusst geworden ist. Seinem letzten großen Werk[4] mit dem Titel »Rettungswiderstand« stellt Lustiger die folgende Würdigung voran: »Dieses Buch widme ich dem Feldwebel Anton Schmid, Marianne Cohn und allen anderen Helden des Rettungswiderstandes in Europa, die ihre Aktionen mit dem Leben bezahlten. Ihrer zu gedenken ist heilige Pflicht.«[5]

Der vormalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, nutzte seine Rede zum Feierlichen Gelöbnis von Rekruten der Bundeswehr am 20. Juli 2001 dazu, nicht nur an den Offizierswiderstand des 20. Juli 1944 zu erinnern, sondern auch an einen »anderen Widerstandskämpfer«, der in Wilna viele Juden gerettet hatte. Er würdigte ihn in folgender Weise: »Männer wie Anton Schmid sind die eigentlichen Helden der deutschen Militärgeschichte im vergangenen Jahrhundert. Denn sie wagten alles – um Anderer willen.« Spiegel fügte hinzu: »Sie waren Menschen mit Mut und Zivilcourage, bereit, alles zu wagen und auch einem übermächtigen Bösen zu trotzen. Deshalb gehören sie nicht nur zur Vergangenheit Deutschlands, sondern auch zu unserer Zukunft.« [6]

Andere Historiker betrachten Schmid als die »Ikone des Rettungswiderstandes«, weil er seine humane Hilfsbereitschaft für verfolgte Juden so konsequent wie kaum ein anderer praktizierte, den Einsatz des eigenen Lebens eingeschlossen. Jakob Knab, Sprecher der »Initiative gegen falsche Glorie«, die sich für ein demokratisches Traditionsverständnis in der Bundeswehr einsetzt, nannte Feldwebel Anton Schmid den wahrscheinlich »edelsten« aller Wehrmachtsoldaten.[7]

Tobijas Jafetas, hochbetagter Holocaust-Überlebender aus Wilna, fasste seine Hochachtung für Anton Schmid in die Worte: »Es war ein sehr anständiger Mensch. Er hat gesehen, wie man selektiert hat. Er hat protestiert.«[8] Und Hannah Arendt, die jüdische Gelehrte von Weltrang, formulierte angesichts eines Zeitzeugenberichts über die Rettungstaten des Feldwebels Schmid den bis heute aufwühlenden Gedanken: Wie vollkommen anders alles heute wäre, wenn es mehr solche Geschichten zu erzählen gäbe.[9]

 

In diesem Buch wird der Versuch unternommen, die Geschichte des Feldwebels Anton Schmid aus Wien nachzuzeichnen. Für den Historiker ist das ein äußerst schwieriges Unterfangen, da es für alle Lebensphasen dieses außergewöhnlichen Mannes an primären Quellen mangelt. Nicht umsonst beginnt Arno Lustiger seine Kurzbiographie von Anton Schmid mit dem Satz: »Über Anton Schmid zu berichten, zählt aufgrund der schwierigen Quellenlage zu den sehr problematischen Aufgaben der historischen Forschung.«[10]

Anton Schmid, geboren am 9. Januar 1900 in Wien, hingerichtet am 13. April 1942 in Wilna/Litauen.

Allgemein können wir beobachten, dass der »kleine Mann« in Uniform in der Regel kaum schriftliche Zeugnisse hinterlassen hat, die es dem Historiker ermöglichen, fundierte biographische Forschungen anzustellen.[11] Zwar hat die – seit den 1990er Jahren aufblühende – Beschäftigung mit den Feldpostbriefen und den Fotografien einfacher Soldaten gezeigt, dass sich bei einer gründlichen Auseinandersetzung mit diesen alltagsgeschichtlichen Quellen doch mehr über ihr Kriegserlebnis ermitteln lässt, als ursprünglich angenommen wurde.[12] Mit dem schriftstellerisch begabten Wehrmachtsoldaten Willy Reese haben wir sogar den Fall eines Frontsoldaten ohne Offiziersrang vor uns, der eine hochwertige literarische Darstellung der Kriegswirklichkeit hinterlassen hat, die posthum veröffentlicht wurde und entsprechende Aufmerksamkeit fand.[13] Aber eine solche Leistung hat großen Seltenheitswert.

Im Falle des Feldwebels Anton Schmid liegen die Dinge anders: Schriftliche Vorgänge entstanden bei seinen Rettungsaktionen nicht. Hinzu kommt, dass dieser Mann weder ein Tagebuch führte noch ein großer Freund des Briefeschreibens war. Jedenfalls sind nur zwei – allerdings sehr aufschlussreiche – Abschiedsbriefe von Anton Schmid an seine Familie überliefert, datiert vom 9. und vom 13. April 1942. Weitere schriftliche Zeugnisse von ihm, die uns über seine Motive und Überlegungen näheren Aufschluss geben könnten, sind nicht erhalten geblieben.[14] Zu diesem Bild passt die Mitteilung, dass Anton Schmid, der Handwerker und Kaufmann, wenig las und sich für das größere militärische und politische Geschehen um ihn herum anscheinend nur wenig interessierte. Die Informationen, die er benötigte, um das Geschehen in seinem nahen Umfeld zu verstehen, verschaffte er sich, indem er nicht wegschaute, sondern Gesprächskontakte zu Menschen aus seinem persönlichen Umfeld suchte, nämlich zu Wehrmachtsoldaten, Polizisten der SS, zu Angehörigen der deutschen Zivilverwaltung, verfolgten Juden und zu den russischen Kriegsgefangenen, die in seiner Dienststelle Zwangsarbeit leisteten.

Wer in der NS-Zeit in irgendeiner Weise Widerstand leistete, musste äußerst vorsichtig und verschwiegen handeln. Das galt für die widerständigen Offiziere des 20. Juli 1944 ebenso wie für die Deserteure, die Kriegs»verräter« oder die Judenretter. Für sie alle galt das Gesetz, unentdeckt zu bleiben und möglichst keinerlei Spuren zu hinterlassen.[15] In einer Zeit, in der das nationalsozialistische Regime die Vernichtung der europäischen Juden ins Werk setzte, war Judenhilfe in jenen Regionen Europas, in denen Krieg geführt wurde oder in denen eine deutsche Besatzungsherrschaft etabliert war, ein todeswürdiges Verbrechen.[16]

In den militärischen Befehlen, die den deutschen Soldaten vor dem Beginn des Russlandkrieges bekanntgemacht wurden – den heute sogenannten »verbrecherischen Befehlen« –, figurierten die Juden als Feinde im militärischen Sinne, die genau wie die Soldaten der Roten Armee mit Waffengewalt bekämpft und getötet werden sollten. Mit diesen Befehlen verfolgten Hitler und die Wehrmachtführung das Ziel, bei den Soldaten und Polizisten jene natürlichen Hemmschwellen abzubauen, die der Ermordung wehrloser Zivilisten entgegenstanden.

Historiker halten es in der Regel für aussichtslos, bei einer so extrem schmalen Quellenbasis, wie sie bei Feldwebel Schmid gegeben ist, eine biographische Arbeit überhaupt erst zu beginnen. Der Fall des Widerstandskämpfers Georg Elser, der am 8. November 1939 Hitler im Alleingang durch ein sorgfältig vorbereitetes Sprengstoffattentat töten und damit den Zweiten Weltkrieg verhindern wollte, ist ähnlich gelagert.[17] Auch er hat keine persönlichen Quellen hinterlassen. Gleichwohl haben gleich mehrere Historiker den Versuch unternommen, sich auf der Basis anderer Quellen, insbesondere der Vernehmungsprotokolle der Gestapo, Elser biographisch anzunähern.[18] Neuerdings gibt es ein Rundfunkfeature, in dem Elser nicht selbst zu Wort kommt und seine Stimme symbolisch durch Zitherklänge ersetzt wird.[19]

Wie im Falle des Hitler-Attentäters Georg Elser, so besteht auch bei Feldwebel Anton Schmid das gesteigerte Interesse der Nachgeborenen an der Lebensgeschichte eines einfachen Mannes aus dem Volke, der unter den extremen Bedingungen des Krieges und des Holocausts außergewöhnliche humane Rettungstaten vollbrachte. Wir wollen wissen, was diesen Mann bewegt hat, wie er dazu kam, die Signale, die ihm sein Gewissen gab, höher einzuschätzen als die militärische Befehlslage, und wie er das Risiko seiner Hilfeleistungen und Rettungshandlungen einschätzte. Daher greifen wir begierig nach anderen Quellen, in denen wir etwas über den Menschen Anton Schmid und seine mutigen...

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