1 Wie wirkt Flossing?
Zuerst sollen Sie die Durchblutung drosseln – um sie darüber zu verbessern? Und auch beweglicher zu bleiben – oder es wieder zu werden? Wie kann man das denn erklären?
Mit der Technik des Flossings umwickeln Sie einzelne Körperregionen mit einer elastischen Gummibinde und binden diese dadurch gezielt ab. Die Idee mag zunächst seltsam erscheinen, Flossing ist aber bereits seit einigen Jahren im Trainings- und Therapiebereich wohlbekannt und hält zunehmend Einzug in den Freizeitsportbereich. Gleichwohl: Sehr viele wissenschaftliche Studien gibt es zu der Technik noch nicht, aber ihr werden zum Teil spektakuläre Effekte zugeschrieben.
1.1 Was sind die unmittelbaren Effekte?
Direkt nach den ersten Anwendungen verbessern sich häufig die Beweglichkeit und sogar Schmerzen. Mit dem kleinen Gummiband können Sie Ihre Leistung im Training steigern, aber auch in Therapie und Rehabilitation große Effekte am Bewegungsapparat und im Feintuning des Muskel-Nerven-Zusammenspiels erzielen.
Prinzipiell arbeiten Sie mit der Flossingtechnik auf zwei Ebenen: Sie verändern den mechanischen Anteil von Bewegungen – also das Gegeneinanderverschieben von Muskeln, Faszien, Bändern oder Nerven bei körperlicher Aktivität. Die zweite Ebene geht noch etwas tiefer und betrifft die Versorgung des Organismus mit Nähr- und Baustoffen – denn der Stoffwechsel passt sich der Reizung an und verändert die Durchblutung. Durch den äußeren Druck verschieben sich Flüssigkeiten im Gewebe.
1.1.1 Einfluss des Drucks (Kompression)
Indem Sie eine Körperregion mit einem elastischen Band abbinden, entsteht ein gleichmäßiger Druck (Kompressionswirkung) auf alle eingewickelten Strukturen. Der Druck verschließt venöse Blutgefäße vorübergehend nahezu komplett und reduziert auch den arteriellen Fluss deutlich. Das Ergebnis: In den Zellen des Bindegewebes (auch z. B. der Faszien) wird die Wasseraufnahme verbessert. Die Kompression aktiviert außerdem die Mechanorezeptoren, das sind freie Nervenendigungen in den Körpergeweben (Haut, Muskeln, Bindegewebe, Faszien). Und das führt direkt zum nächsten Aspekt.
1.1.2 Flüssigkeit verschieben
Dadurch, dass Sie die Durchblutung durch Druck begrenzen, entsteht in dem Augenblick, da Sie das Band wieder abnehmen, eine Sogwirkung im Gewebe. Und das führt dazu, dass Endprodukte des Stoffwechsels schneller durch Lymphbahnen, Blutgefäße, Gelenkknorpel und Bindegewebe ausschwemmen und abtransportiert werden können. Zeitgleich strömt mehr neue Flüssigkeit in das Gewebe und bringt Nähr- und Baustoffe hinein.
1.1.3 Reaktive Mehrdurchblutung, bessere Beweglichkeit
Die Mehrdurchblutung nach Abnahme des Flossingbands reguliert außerdem den lokalen Stoffwechsel nach oben. Das führt dazu, dass Nähr- und Baustoffe, auch auf Zellebene, schneller aufgenommen und eingebaut werden – das ist vor allem für die Regeneration nach einer Trainingseinheit oder nach Verletzungen wichtig.
Eine erhöhte Friktion, also Reibung zwischen den Geweben, erreichen Sie dann, wenn Sie sich mit dem angelegten Flossingband bewegen. Dabei treten Reibung und Scherkräfte an verschiedenen Stellen auf: zunächst an der Kontaktstelle zwischen Flossingband und Haut. Da das Flossingband auf der Haut haftet, verschieben sich die Hautschichten gegeneinander. Das löst vor allem Verklebungen an den Vernarbungen alter Verletzungen. Wenn Sie noch stärker komprimieren, erreichen Sie auch die tieferen Gewebeschichten und pressen sie stärker gegeneinander. Damit gelingt es Ihnen, auch tiefere einzelne Gewebeschichten (Muskeln, Faszien, Nerven, Bindegewebe, Bänder usw.) gegeneinander zu bewegen. Oft lassen sich darüber Verklebungen lösen. Das erhöht die Beweglichkeit, Dieser Effekt ist direkt messbar. Diese Verklebungen resultieren aus alten Verletzungen, die meist nicht adäquat nachbehandelt wurden.
Gerade auch das Fasziensystem können Sie mittels Flossing hervorragend beeinflussen. Betrachten Sie Flossing als »Fascial Release«-Technik, die das Fasziengewebe gleitfähiger und elastischer macht. Und zwar darüber, dass sich dadurch Verklebungen im Bindegewebe lösen, sich Flüssigkeiten im Gewebe schneller verteilen und den bearbeiteten Bereich mobilisieren.
Ob grün, ob rot … Abhängig davon, welche Stärke das Flossband hat, kann es einen bestimmten Zug aufbauen.
1.1.4 Schwellung reduzieren
Durch die zirkulär angelegte Kompression eines Gelenks oder Körperteils verteilt sich die in den Geweben eingelagerte Flüssigkeit schnell und effektiv. Das Ergebnis: Sie reduzieren die Schwellung, das Gelenk bleibt beweglicher. Zudem erreichen Sie, dass kaum Flüssigkeit nachläuft. Das kann vor allem bei kleineren, akuten Verletzungen (z. B. Umknicktraumen der Fußgelenke, leichte Verdrehungen der Kniegelenke) enorm hilfreich sein. Hinzu kommt der Sogeffekt nach Ablassen des Drucks, der das Gewebe wieder entlastet und Flüssigkeit besser verteilt.
1.1.5 Nervensystem aktivieren, Schmerzen reduzieren
Der direkte Kontakt des Bandes mit der Haut aktiviert zunächst Haut-, Muskel- und Sehnenrezeptoren. Diese mechanorezeptive Aktivierung reduziert das Schmerzempfinden, weil es die aufsteigenden Nervenbahnen hemmt. Hintergrund: Unser Körper nutzt für die Weiterleitung von Schmerz- und Bewegungsreizen dieselben Nervenbahnen. Treten verschiedene Reize zeitgleich auf, kommt nur der stärkste Reiz in das Gehirn durch. Darüber hinaus führt die verstärkte Aktivierung der Rezeptoren dazu, dass Nervensystem und Bewegungsapparat besser zusammenarbeiten und der Muskel-Nerv-Kontakt besser wird. Das Ergebnis hier: Sie können Bewegungen besser koordinieren und damit sicherer durchführen.
Überblick über die wichtigsten Rezeptoren, die Sie mit Flossing erreichen.
Nervenendigungen/Rezeptoren | Funktionen |
Golgi-Rezeptoren | Wahrnehmung von schnellen ruckartigen Spannungsänderungen Spannungsreduktion zum Schutz vor Verletzung |
Pacini-Körperchen | Wahrnehmung von schnellem Dehnungswechsel und Vibrationsempfindungen Verbesserung der Bewegungssteuerung |
Ruffini-Körperchen | Wahrnehmung von langsamen Dehnungsveränderungen und der Gelenkstellungen im Raum |
Nozizeptoren | Schmerzwahrnehmung |
Thermorezeptoren | Temperaturwahrnehmung |
Meissner-Körperchen | auf Druck spezialisierte Mechanorezeptoren (nicht in behaarter Haut – dort ersetzen sog. Haarfollikelsensoren diese Funktion) schnell adaptierend (anpassend) |
Merkel Zellen | Mechanorezeptoren, die auf die Druckintensität reagieren |
1.2 Wann hilft Flossing?
Flossing können Sie im rehabilitativ-therapeutischen Bereich bei Schmerzen (Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, ausstrahlende oder lokal begrenzte Schmerzen), Bewegungseinschränkungen der Gelenke, bestehenden Narben oder Verklebungen des Gewebes (z. B. nach Operationen oder auch älteren Verletzungen) und bei vorhandenen Schwellungen einsetzen. Flossing kann auch die Leistung im Training verbessern und oder die Regeneration beschleunigen.
1.2.1 Präventives Flossing
Sie können Flossing vorbereitend (und vorbeugend) einsetzen. Zum Beispiel um vor dem Training die Stoffwechselprozesse zu beschleunigen, die neuromuskulären Prozesse zu aktivieren und darüber die Mechanik von Gelenken, Muskeln und Faszien zu optimieren. Wer eine gute Nerv-Muskel-Koordination hat, ist nicht so anfällig für Verletzungen. Und wenn Sie dem Präventionsgedanken weiter folgen, erkennen Sie zusätzliche Vorteile: Sollte dennoch eine Verletzung auftreten, verlaufen Wundheilung und Rehabilitation besser.
1.2.2 Regeneratives Flossing...