2 Liberalisierung der Energiemärkte in der Europäischen Union
2.1 Liberalisierung und Deregulierung der leitungsgebundenen Energiewirtschaft
Innerhalb der Europäischen Union und im Rahmen der Harmonisierung der Märkte soll durch die Richtlinie zur Realisierung des Energiebinnenmarktes ein wettbewerblich organisierter einheitlicher Markt für Elektrizität[21] auf Erzeugerebene entstehen und zu deutlich niedrigeren Preisen führen, um die Versorgungssicherheit[22] und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft unter Berücksichtigung von Umweltaspekten sowie die effiziente Erzeugung und Verteilung von Energie[23] bei gleichzeitiger Intensivierung des zwischenstaatlichen Energiehandels - als logische Konsequenz der Römischen Verträge vom 25. März 1957[24] - zu gewährleisten. Gleichzeitig werden von der Öffnung der Energiemärkte Wohlfahrtszuwächse durch die Nutzung von Skalenerträgen (economies of scale) erwartet.[25]
Derzeit bestehen angesichts der sehr heterogenen Ausgangslage der nationalen Energiemärkte in den einzelnen Mitgliedsländern insbesondere in den leitungsgebundenen Energiesektoren Unterschiede, die erhebliche Anpassungen und Strukturverschiebungen[26] zur Folge haben werden.[27] Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip erfolgt die Realisierung und Umsetzung der auf EU-Ebene erlassenen Elektrizitätsrichtlinie 96/92/EG vom 19. Dezember 1996,[28] in Kraft seit dem 19. Februar 1997, in Abhängigkeit von der jeweiligen energiepolitischen Situation des Mitgliedstaates. Dabei weist jedes Land Besonderheiten im Hinblick auf nationale Energiequellen und -verbrauchsmuster sowie die Energiepolitik auf,[29] die Berücksichtigung bei der sukzessiven Umsetzung der EU-Stromrichtlinie in nationales Recht finden müssen und damit potentielle Zielkonflikte verursachen können.[30]
Mit der Wirksamkeit der europäischen Richtlinie für den Elektrizitätsbinnenmarkt sind konkrete Vorgaben für deren nationale Umsetzung bis 19. Februar 1999 in Kraft getreten. Im einzelnen betreffen die Regelungen der Stromrichtlinie insbesondere die Vorschriften über den Grundsatz der Liberalisierung der internationalen Energiemärkte, die Transit- und Durchleitungsbestimmungen (Third Party Access - TPA) für den zwischenstaatlichen Handel mit Energieträgern zur Schaffung eines funktionierenden Energieverbundes, die Minimierung schädlicher Umweltauswirkungen[31] infolge von Energieerzeugung sowie die Zulassung marktwirtschaftlich orientierter Preisbildung für Primärenergieträger und Energieerzeugnisse.[32] Als Voraussetzungen für einen europäischen Energiebinnenmarkt werden u.a. die Preistransparenz- sowie die Transitrichtlinie (Common Carriage) für Strom und Gas - dadurch sollen große industrielle Verbraucher Zugang zu günstigen europäischen Stromangeboten erhalten[33] - und das Unbundling genannt.[34] Zu diesem Zweck werden von den einzelnen Mitgliedsländern auf nationaler Ebene Energiegesetze erlassen, die eine Umsetzung der bereits in Kraft getretenen Strom- und der am 8. Dezember 1997 auf der Ebene der EU-Energiekommission zu verhandelnden Gasrichtlinien gewährleisten.
2.2 Auswirkungen der Marktöffnungen am Beispiel Großbritanniens
Mit „British Gas Public Gas Supply“ (im folgenden British Gas) erfolgte Ende 1986 im Rahmen des „Gas Act“ die erste vollständige Privatisierung eines staatlichen Energieversorgers, die jedoch vorerst keine wesentliche Veränderung der bisherigen Wettbewerbssituation für den Kontraktmarkt[35] mit sich brachte.[36] Trotz der Deregulierungsbestrebungen der britischen Regierung, Wettbewerbsstrukturen durch die Öffnung des Netzes für Dritte in den Gassektor einzuführen, existierten noch immer sehr hohe Marktzutrittsschranken für potentielle Konkurrenten aufgrund des ehemals alleinigen Einkaufsrechts von in der britischen Nordsee geförderten Gases durch British Gas und deren Kontrolle über das landesweite Gastransportnetz.[37] Aus diesem Anlaß wurden im Anschluß an die Netzöffnung auf der Basis mehrerer Untersuchungen verschiedene, die Monopolstellung von Britsh Gas unterminierende Regelungen getroffen. 1995 sind einige Regulierungseingriffe, so z.B. die Marktanteilsbegrenzungen für British Gas, die Veröffentlichungspflicht der Preislisten und andere aufgehoben worden, nachdem sich im Kontraktmarkt etwa zehn Jahre nach der Liberalisierung ein Wettbewerb einstellen konnte.[38] Auf gleicher Ebene entwickelte sich auf der Basis des Gasüberangebotes ein Spotmarkt für den kurzfristigen Bezug von Gasmengen.[39]
Für den Bereich des Tarifmarktes, in dem überwiegend Haushalte und kleinere Gewerbekunden vertreten sind, ist bis 1998 eine phasenweise vollständige Öffnung des Marktes geplant. Die Öffnung schließt die Möglichkeit regionaler Preisunterschiede aufgrund unterschiedlich hoher Transportkosten ein. Dennoch sind sowohl im Tarif- als auch im Kontraktmarkt deutliche Preissenkungstendenzen zu beobachten. Eine Regulierung des Gashandelsmarktes bleibt dahingehend erhalten, daß Endverbraucherpreise dem Price-Cap-Ansatz unterliegen.[40]
Die 1998 zu realisierende Marktstrukturregulierung sieht ein Verbot von Personen-identität zwischen Transporteur und Händler oder Verteiler vor. Daher wird ein Wettbewerb um Endverbraucher lediglich zwischen den Verteilern, deren Gasbezug von vorgeschalteten Erzeugern oder Händlern erfolgt, stattfinden. Außerdem sieht der Regulierungsansatz die getrennte Vergabe unterschiedlicher Lizenzen und Konzessionen für die zuvor genannten Tätigkeiten für ein im Vorfeld zu bestimmendes Versorgungsgebiet vor.[41]
2.3 Ableitung der Konsequenzen für den deutschen Energiemarkt
2.3.1 Veränderte Rahmenbedingungen im Gasbereich
Auf nationaler Ebene und im Gefolge der Energierechtsnovelle sollen die bis dahin geltenden Freistellungsregelungen des §§ 103 und 103a GWB für Energieversorgungsunternehmen abgeschafft[42] und das Energiewirtschaftsgesetz von 1935 einer Neufassung unterzogen werden.[43] Die Neufassung schließt u.a. eine Änderung des Namens von ursprünglich „Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft“ in „Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung“ ein. Hierin kommt zum Ausdruck, daß eine besondere Förderung der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft durch Gesetz nicht mehr notwendig erscheint.[44]
Die Kernaussage der Gesetzsnovelle beinhaltet, daß Energieversorgungsunternehmen in Zukunft wie alle anderen Unternehmen im Rahmen der Integration der EU grundsätzlich dem Kartellverbot unterliegen, die Ausnahmeregelungen somit im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts entfallen. Im einzelnen bedeutet dies, daß die Gebietsmonopole und Ausschließlichkeitsabreden in langfristigen Konzessionsverträgen in Zukunft für unzulässig erklärt werden, um schließlich Wettbewerbsvoraussetzungen für die Versorgung mit Energie zu schaffen. Dies schließt darüber hinaus eine Durchleitungsverpflichtung für Dritte (Third Party Access) ein. Hingegen wird gefordert, die Schutzklausel in langfristigen Lieferverträgen (Take or Pay) zum Schutz von Großinvestitionen weiterhin zuzulassen.[45] In bezug auf die Preistransparenz wird gefordert, daß Energieversorger ihre Kosten- und Preisstruktur für die Beschaffung von Elektrizität und Gas von Vorlieferanten offenlegen, um eine Beurteilung der von Energieversorgern auf Endkundenebene geforderten Bezugspreise im Hinblick auf einen möglichen Preismißbrauch durch eine zu schaffende Regulierungsbehörde vornehmen zu können.
Grundsätzlich ist von einer Überlegenheit des Marktes gegenüber dem Staat insbesondere im Hinblick auf die effiziente Ressourcenallokation auszugehen.[46] Daher sind auch im Bereich der Gaswirtschaft Neuregelungen im Rahmen des Energiebinnenmarktes geplant.
Im Rahmen der zu erlassenden Erdgastransitrichtlinie (TPA), die im Kern die Durchleitung von Gas und Elektrizität durch das Leitungsnetz fremder Energieversorger vorsieht, werden sich auf der Ebene überregionaler Gasgesellschaften zunehmend Wettbewerbstendenzen bemerkbar machen.[47]
Zudem wird die zukünftige organisatorische Trennung und Entflechtung hinsichtlich der Rechnungslegung, nicht jedoch der Bereiche Erzeugung, Transport und Verteilung gefordert. Hierdurch soll gewährleistet werden, daß die Einblicknahme in die internen Rechnungsunterlagen der Energieversorgungsunternehmen zum Zwecke der Preismißbrauchskontrolle durch die zuständigen Behörden ermöglicht wird.[48]
Auf langfristige Sicht können sich für die deutsche Gaswirtschaft nach der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht durchaus Veränderungen im Bereich der Gasversorgung...