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E-Book

Form, System und Psyche

Zur Funktion von psychischem System und struktureller Kopplung in der Systemtheorie

AutorMichael Urban
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl294 Seiten
ISBN9783531915814
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,00 EUR


Dr. Michael Urban ist als Sozialwissenschaftler am Institut für Sonderpädagogik der Leibniz Universität Hannover tätig.

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Leseprobe
5 Das Beobachtungssetting der Psychoanalyse (S. 143-144)

Die Mehrperspektivität der theoretischen Konstruktion einer systemtheoretischen Beschreibung der Psyche muss vernetzt sein mit einer Reflexion auf die Mehrperspektivität der Formen wissenschaftlicher Beobachtung psychischer Prozesse. Die theoretische Konstruktion psychischer Systeme muss sich reflexiv auf die eigene Methode der Beobachtung psychischer Prozesse beziehen und sich auch auf einer solchen methodologischen Ebene zu den Formen der Beobachtung der Psyche relationieren, die anderen theoretischen Beschreibungen des Psychischen konstitutiv zugrunde liegen. Denkbar und wissenschaftlich erprobt sind mehrere differente Beobachtungszugriffe auf Psychisches. Bereits verwiesen wurde auf die Beobachtungsform der Introspektion, auf der die Beschreibung von Bewusstseinsprozessen in der Phänomenologie basiert.

Dabei zeigte sich, dass der phänomenologische Diskurs über das Bewusstsein, insofern es sich dabei um eine kommunikative Beschreibung handelt, einen spezifischen Beobachtungsunterbaus benötigt: ein besonderes Arrangement sozialer und psychischer Systeme, das es ermöglicht, psychische Selbstbeobachtung in Formen kommunikativer Konstruktion zu übersetzen. Ein ebenfalls auf Prozessen der Selbstbeobachtung rekurrierendes Verfahren ist in der psychologischen Forschung von Hurlburt (1990: 17ff und 1993: 9ff) verwendet worden. Er ließ Probanden über längere Beobachtungszeiträume zu zufällig ausgewählten Zeitpunkten ihr inneres Erleben reflexiv beobachten und in dialogisch-verbaler und in schriftlicher Form möglichst detailliert schildern. Andere psychologische Formen der Theoriebildung verwenden alternativ oder ergänzend andere Formen und Foki der Beobachtung.

Im Bereich der neuropsychologischen Forschung werden insbesondere indirekte Formen der Beobachtung genutzt, die an organismischen Prozessen anknüpfen und von dort ausgehend, Phänomene psychischen Symbolprozessierens zu erschließen trachten. Das methodologisch Interessante an einer solchen Form der Beobachtung von Psychen liegt vor allem darin, dass es mit einer solchen Methode möglich zu sein scheint, eine Theorie der Psyche zu konstruieren, die gar nicht mehr auf psychische Operationen im Sinne von Erleben oder Erfahrung, sowie von Introspektion und narrativer oder ästhetischer Expression rekurrieren muss.

Statt dessen kann in diesen wissenschaftlichen Diskursen, eine Theorie psychischer Prozesse dadurch entworfen werden, dass die kommunikativen Konstruktionen in Teilsystemen des Wissenschaftssystems mit der Messung von Körperzuständen als der spezifischen Form der Beobachtung der relevanten Umwelt dieser wissenschaftlichen Diskurssysteme gekoppelt werden173. Ältere, aber nach wie vor äußerst wichtige und etablierte Formen der Beobachtung psychischer Prozesse, organisieren sich ebenfalls indirekt als die Beobachtung von Personen, mit Vorliebe von Kindern und Säuglingen, und ihres Verhaltens, oder, und oft damit kombiniert, als die Beobachtung von Interaktionen und Ausdrucksverhalten insbesondere von Säuglingen und ihren Müttern.

Diese Varianten dürften, insbesondere im Bereich der Entwicklungspsychologie, die bislang einflussreichsten Formen der Beschreibung psychischer Prozesse, Entwicklungen und Strukturbildungen produziert haben. Beispiele für solche Formen theoretischer Diskurse über das Psychische stellen einerseits der kognitive Konstruktivismus Piagets (vgl. Buggle 2001) dar, andererseits die Säuglings- und Bindungsforschung (vgl. exemplarisch Spitz 1974, Stern 2007, Dornes 1993, 2006, Bowlby 1975, 1976), die in weiten Teilen ihrer Theoriebildung, die theoriegenerierende Reflexion ihrer Interaktions- oder Verhaltensbeobachtungen in einem engen Bezug auf die narrativ basierten theoretischen Konstruktionen der Psychoanalyse entwickelte.

Das bislang raffinierteste Setting zur Beobachtung psychischer Systeme dürfte jedoch in der therapeutischen Psychoanalyse entwickelt worden sein. Da diese Form der Beobachtung psychischer Prozesse in methodologischer Hinsicht eine hohe Komplexität aufweist und weil sich aus diesem spezifischen Arrangement der Beobachtung psychischer Systeme besonders wichtige und weitreichende Formen der theoretischen Beschreibung des Psychischen ableiten, soll dieses Beobachtungssetting näher analysiert werden.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Danksagung8
1 Einleitung9
2 Formtheoretische Begründungen der Systemtheorie Niklas Luhmanns20
3 Ansätze einer systemtheoretischen Konzeptionalisierung der Psyche als System92
4 Konstruktionserfordernisse für eine systemtheoretische Beschreibung der Psyche130
5 Das Beobachtungssetting der Psychoanalyse139
6 Psyche als Erfahrungssystem181
7 Zur Relevanz der strukturellen Kopplung vonpsychischen und sozialen Systemen für dasVerständnis des Erziehungssystems226
8 Literaturverzeichnis266

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