Für die folgenden Betrachtungen ist es erforderlich, die für diese Arbeit wesentlichen Begrifflichkeiten zu erläutern und voneinander abzugrenzen. Im Zusammenhang mit Untersuchungen zum Thema Wirtschaftskriminalität werden häufig die Begriffe Unrichtigkeiten, Fehler, (Gesetzes-) Verstöße, dolose Handlungen oder auch Bilanzdelikte – teilweise ähnlich, teilweise synonym – verwendet. Diese Aufzählung ist bei Weitem noch unvollständig und belegt die Notwendigkeit einer exakten Begriffsabgrenzung. Mangels einer Legaldefinition[23] und einer einheitlichen Terminologie in der einschlägigen Literatur, soll an dieser Stelle ein für den weiteren Verlauf dieser Arbeit gültiges Begriffsverständnis entwickelt werden.
3.1 Unrichtigkeiten und Verstöße – Definition und Abgrenzung
Analysiert man die Strukturierungsansätze der verschiedenen Autoren und Institutionen, so erscheinen drei Abgrenzungskriterien im Kontext dieser Arbeit als besonders maßgebend und zielführend:
Erstens, die Unterscheidung von Gesetzesverstößen, die direkt gegen Bilanzrecht verstoßen und denen, die gegen Gesetze verstoßen, die das Bilanzrecht nicht betreffen.[24]
Als zweites Klassifizierungskriterium dient häufig die Frage nach dem Vorsatz des Täters. Wurde ein bestimmter Gesetzesverstoß begangen, weil sich der Täter persönlich bereichern wollte oder tat er es „für das Wohl des Unternehmens“? Wurden die Konsequenzen für die gesetzwidrigen Handlungen vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig in Kauf genommen?[25]
Des Weiteren kann zwischen fraudulenten Handlungen von Mitarbeitern der oberen Führungsebene, dem sog. (Top-) Management-Fraud, und Verstößen der übrigen Mitarbeiter eines Unternehmens – Employee Fraud – unterschieden werden. Die Auswirkungen von Mitarbeiterdelikten sind in der Regel vergleichsweise gering, wenn man sie Verstößen auf Managementebene gegenüberstellt.[26] Aufgrund ihrer Machtposition und der damit verbundenen Verfügungsgewalt im Unternehmen, können Mitglieder der oberen Hierarchiestufen erheblich größere Schäden, z.B. durch Bilanzmanipulationen oder Falschinformation der Jahresabschlussadressaten, verursachen.[27]
In dieses Klassifizierungsmuster gilt es nun die geläufigsten Termini einzuordnen.
3.1.1 Unrichtigkeiten – Error
Das Institut der Wirtschaftsprüfer bezeichnet unbeabsichtigt falsche Angaben in Abschluss und Lagebericht als Unrichtigkeiten.[28] Beispielhaft werden hier Schreib- und Rechenfehler, unbewusst falsch angewendete Rechnungslegungsvorschriften und unabsichtlich fehlerhafte Einschätzungen genannt.[29]
Derartige Fehler im Rechnungswesen haben – unabhängig von ihren Ursachen – die Konsequenz, dass sowohl Abschluss als auch Lagebericht kein den Tatsachen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens wiedergeben, sofern sie für die Gesamtaussage wesentlich sind.[30] Das IDW vertritt damit das gängige Begriffsverständnis.[31] Maßgebend für die Zuordnung einer Handlung zu den Unrichtigkeiten oder Fehlern ist der fehlende Vorsatz des Täters.
Eine der Hauptursachen für unbewusst fehlerhafte Rechnungslegung liegt in der Komplexität der Regelwerke selbst. Wachsende Unternehmen erfordern beispielsweise ein mitwachsendes Rechnungswesen und nicht immer kann die personelle und fachliche Entwicklung mit der Expansion des Unternehmens Schritt halten.[32] Werden die erhöhten Anforderungen an das Rechnungswesen nicht erfüllt, so resultieren daraus möglicherweise Informationsdefizite und Fehlentscheidungen, die wiederum auch ein redliches Management in Bedrängnis bringen können.[33]
3.1.2 Verstöße – Fraud
Den unbewussten Fehlern stehen die bewussten Gesetzesverstöße gegenüber. Auch hierfür findet sich in der Literatur kein einheitlicher Terminus, jedoch werden häufig die Begrifflichkeiten deliktisches Handeln, (wirtschafts-) kriminelle Handlungen, Betrug oder die entsprechende englische Übersetzung Fraud verwendet.[34] Im Rahmen einer betriebswirtschaftlichen Konkretisierung des Terminus können die folgenden berufsständischen Definitionen herangezogen werden:
Das Institute of Internal Auditors (IIA) hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Interne Revision e.V. (IIR) Fraud als eine Reihe von Unregelmäßigkeiten und illegalen Handlungen, die mittels vorsätzlicher Täuschung zum Vor- oder Nachteil einer Organisation von Mitarbeitern der Organisation oder Außenstehenden begangen werden, definiert.[35] Synonym zum Terminus Fraud wird hier auch der Begriff dolose Handlungen verwendet, der, aus dem Lateinischen übersetzt, soviel bedeutet wie „arglistig, mit bösem Vorsatz“.[36] Im Rahmen dieser Arbeit sollen dolose Handlungen dem Begriff Fraud untergeordnet werden. Als dolos sollen Verstöße bezeichnet werden, die nicht das Bilanzrecht betreffen, die aber vorsätzlich und mit Bereicherungsabsicht begangen werden.
Der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer verwendet im Zusammenhang mit Fraud den deutschen Ausdruck Verstoß. Als solche Verstöße werden laut den Prüfungsstandards des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW), speziell IDW PS 210, und den International Standards on Auditing (ISA) falsche Angaben in Abschluss und Lagebericht verstanden, die auf einer absichtlichen Missachtung von gesetzlichen Vorschriften und/oder Rechnungslegungsgrundsätzen beruhen.[37] Unter die Definition des IDW PS 210 fallen insbesondere Täuschungen, Vermögensschädigungen und sonstige, beabsichtigte oder unbeabsichtigte Gesetzesverstöße:[38]
Täuschungen sind bewusst falsche Angaben in Abschluss und Lagebericht sowie Fälschungen in der Buchführung, deren Manipulation, die Unterdrückung von Rechnungsbelegen oder auch die bewusst falsche Anwendung von Rechnungslegungsvorschriften. Täuschungen gehen häufig mit der gezielten Außerkraftsetzung des ansonsten wirksamen Internen Kontrollsystems durch die gesetzlichen Vertreter einher. Solche Täuschungen können beispielsweise fingierte Buchungen oder die vor- bzw. nachgelagerte Erfassung von Geschäftsvorfällen zum Zwecke der Ergebnisbeeinflussung sein.[39]
Vermögensschädigungen sind alle Handlungen gesetzlicher Vertreter, die auf die widerrechtliche Aneignung oder Verminderung von Gesellschaftervermögen sowie die Erhöhung von Verpflichtungen für das Gesellschaftsvermögen gerichtet sind, sofern sie zu fehlerhaften Ausweisen im Abschluss führen.[40] Beispielhaft seien hier die Unterschlagung von Zahlungseingängen, Entwendungen von Vorräten zum persönlichen Gebrauch, Zahlungen an fiktive Lieferanten oder der Gebrauch von Vermögensgegenständen für private Zwecke genannt.[41]
Sonstige Gesetzesverstöße sind alle Verstöße von gesetzlichen Vertretern oder Mitarbeitern gegen gesetzliche, gesellschaftsrechtliche oder sonstige Vorschriften, die nicht das Bilanzrecht betreffen. Der Täter handelt in diesem Fall bewusst oder unbewusst, aber ohne persönliche Bereicherungsabsicht.[42] Sonstige Gesetzesverstöße können beispielsweise Verstöße gegen steuerrechtliche Vorschriften sein, die Einfluss auf den Steueraufwand, die Steuerverbindlichkeiten oder die Steuerabgrenzung haben.[43]
Als Zusammenfassung der vorangegangenen Definitionen kann das Begriffsverständnis der Association of Certified Fraud Examiners (ACFE) betrachtet werden. Sie bezeichnet Fraud als Vorsatzhandlung eines Täters, die durch (Aus-) Nutzung seiner Beschäftigung, zur Erzielung eines monetären Vorteils begangen wird und zum Abfluss von Vermögensgegenständen und/oder zur Schädigung der betroffenen Organisation führt.[44]
Den folgenden Ausführungen dieser Arbeit soll diese Definition der ACFE zugrunde gelegt werden. Insbesondere Bilanzdelikte, dolose Handlungen sowie sonstige vorsätzliche Gesetzesverstöße ohne Bereicherungsabsicht, sollen im weiteren Verlauf unter dem Begriff Fraud zusammengefasst werden. Fehler, im Sinne des Abschnitts 3.1.1, sowie sonstige fahrlässige Gesetzesverstöße ohne unmittelbare persönliche Bereicherungsabsicht, werden im Folgenden nicht näher betrachtet. Abbildung 1 soll diese Systematisierung veranschaulichen.
Abbildung 1: Systematisierung von Gesetzesverstößen
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Sell (1999:5).
Resultate fraudulenter Handlungen sind in erster Linie direkte,...