Männer - Frauen, ein Spannungsbogen
SPIEGEL 41A/2018
Dann halt eben mit Nagellack
Die Kunstszene? Die ist mondäner, aufregender und vor allem fortschrittlicher als der Rest der Welt. Oder doch nicht?
Zwei Künstlerinnen über Frauenkunst, Männergeschmack und die Frage, ob ihre Welt eine Gegenwelt ist. Von Ulrike Knöfel
Das Atelier von Josephine Meckseper befindet sich in einem alten Gebäude einer schmalen Straße, die an Chinatown grenzt. Viele kleine Geschäfte, viele Menschen, viele Nationalitäten, viel Alltag, viel Lautstärke, viel Leben. Diese Gegend in Manhattan ist so inspirierend wie der Rest der Stadt. Gar nicht weit entfernt sind auch noch die wichtigsten Museen des Planeten und die mächtigsten Galerien ansässig.
Die deutsche Künstlerin Meckseper liebt diese Metropole, die zufällig das Zentrum der Kunstwelt ist – aber was ist das eigentlich für eine Welt?
Dem Klischee zufolge ist die sogenannte Kunstszene unangepasster, mondäner, international vernetzter, aufregender und vor allem fortschrittlicher als der Rest der Gesellschaft.
Nur: Sobald es die Frauen betrifft, erweist sie sich als erstaunlich rückständig, in New York, in Berlin, eigentlich überall auf der Welt.
Spricht man mit Meckseper darüber, glaubt man fast eine gewisse Ungläubigkeit, gar eine Fassungslosigkeit zu spüren, dass es so gekommen ist. Denn genau damit war früher, als sie ein Kind war, nicht zu rechnen, es sah so aus, als schlügen die Leute (und vor allem die Künstler) eine andere Richtung ein. Als würden nicht alle einen Schritt zurückvollziehen.
Josephine Meckseper wurde sozusagen in einer Utopie groß. Sie wuchs auf unter Künstlern und Schriftstellern, und zwar an einem Ort, der in jeder Hinsicht weit weg ist von New York – in dem verwunschen wirkenden Künstlerdorf Worpswede. Ihr Urgroßonkel hatte diese norddeutsche Kolonie Ende des 19. Jahrhunderts mitgegründet, und schon von der Geschichte dieser Gemeinschaft geht eine leicht ermutigende Botschaft aus: Die Malerin Paula Modersohn-Becker gehörte mit zur Worpswede-Clique, eine der wenigen Frauen dieser Zeit, die von der Kunstgeschichte anerkannt werden. Auch Clara Rilke-Westhoff lebte seinerzeit dort, früh forderte sie Freiheit für Künstlerinnen.
Mecksepers Vater, ein Maler und Grafiker, hatte seit 1961 sein Atelier im Dorf. Das Leben sei ihr frei erschienen und ungeheuer weltoffen in ihrer Kindheit in den Siebzigerjahren, sagt Meckseper. Die Freiheiten und Chancen, den Eindruck hatte sie wenigstens, waren für alle da, für Männer und Frauen. Und auch im Idyll konnte man ein politischer Mensch sein. Ihre Mutter, eine Fotografin, war eine Zeit lang die Vorsitzende der Grünen in Worpswede. Sie selbst war schon als Schülerin auf Demos unterwegs.
West-Berlin, wo Josephine Meckseper in den späten Achtzigerjahren Kunst studierte, kam ihr dagegen altmodisch vor. An Deutschlands Hochschulen unterrichteten die Malerfürsten, Künstler wie Georg Baselitz oder Markus Lüpertz, die sich als Genies inszenierten. Auch an ihrer Akademie, der Berliner Hochschule der Künste, lehrte kaum eine Professorin.
Sie wechselte nach Kalifornien, machte dort ihren Abschluss, blieb im Land. Damals schienen die USA kein schlechter Platz für Frauen zu sein. Künstlerinnen wie Jenny Holzer und Cindy Sherman, 10, 15 Jahre älter als sie, wurden ernst genommen, wurden auch berühmt.
Josephine Meckseper ist heute eine der bekanntesten Konzeptkünstlerinnen Amerikas, ihre Werke wurden und werden in bedeutenden Museen gezeigt, dem Museum of Modern Art, dem Whitney Museum, es gibt Lob von den strengen Kritikern in New York. Und doch sagt sie, in Sachen Gleichberechtigung tauge New York nicht oder jedenfalls nicht mehr. Die Kunstszene ist eben keine bessere Gegenwelt, dort nicht, nirgendwo.
In dieser Kunstwelt wurde übrigens versucht, eine ähnliche Debatte wie in Hollywood auszulösen. Meckseper gehört zu den mehr als 2000 Menschen aus aller Welt, auch aus Deutschland, die nach dem Vorbild der Filmleute einen offenen Brief im Internet veröffentlicht haben, der unter der Überschrift »Wir sind nicht überrascht« sexuelle Übergriffe in Galerien, Museen und an anderen Orten der Kunst thematisierte. Der Umsturz blieb aus.
Zwar hat Meckseper unterschrieben, aber sie sagt, dass sie den Verlauf der Debatte schwierig finde. Diese Diskussion um ein paar Schuldige, das Skandalisieren von Vorfällen, »es lenkt ab von dem grundlegenderen Problem« – von der »fortlaufenden, systematischen Benachteiligung von Frauen«. Auch sie selbst bekomme dies zu spüren, »sogar jeden Tag«.
Wie sich das bemerkbar macht?
Zum Beispiel, ganz alltäglich, an den Witzen, die sie von Männern in der Kunstszene über die #MeToo-Bewegung zu hören bekomme. »Aber auch an den Preisen für meine Werke. Wären sie von einem Mann, könnten und würden Galeristen vermutlich das Doppelte verlangen.«
Künstlerinnen stoßen an Grenzen, an die männliche Künstler nicht stoßen, und das hat überhaupt viel mit Geld zu tun. Kunst ist ein Markt, ein Weltmarkt, auf ihm wird verbissen gekämpft (und nirgendwo härter als in New York, dem wichtigsten Marktplatz).
Das letzte Wort hat die Kundschaft, die besteht oft aus Unternehmern, Selfmademilliardären, die ihr Vermögen in anderen Branchen verdienen und es dann unter anderem in Kunst investieren. »Viele interessieren sich für Kunst aus spekulativen Gründen, es ist, als würden sie ›Monopoly‹ spielen, nur dass sie durchaus echte Gewinne machen wollen«, sagt Meckseper. Manchmal würden Werke von jungen Künstlern günstig erworben, und dann werde strategisch daran gearbeitet, dass die Preise hochschnellten.
Diese Klientel hält mit ihrem Geld den Kunstbetrieb am Laufen, deshalb zählt ihr Geschmack. Die Sammlerschaft, weitestgehend männlich, kauft auch vorzugsweise Kunst von Männern (und danach richtet sich das Angebot der Galeristen). Unter den 500 höchstbezahlten Künstlern des Marktes finden sich nur 19 Frauen.
Die solventen Kunden wünschen sich etwas, was man eine Männerkunst nennen könnte: Trophäen, die auffällig sind, dabei aber noch gefällig, die nicht wirklich stören. Obwohl Kunst doch gerade das sein sollte: ein Störfaktor.
Sie hoffe, sagt Meckseper, dass in Zukunft mehr Frauen in größerem Stil sammelten, dass sie dabei »auch mehr Risiken eingehen«. Sie selbst ist bekannt für pointierte Gesellschaftskritik. Auch ihre Werke verstecken sich dabei nicht. Denn sie sind großformatig, füllen oft Räume aus, drängen mit allen Mitteln zum Betrachter.
Da sind ihre minimalistisch eleganten Vitrinen aus Glas und Stahl, die sie mit scheinbar absurden Arrangements füllt. Mit Damenstrumpfhosen, Flakons, Klobürsten, blitzenden Autofelgen und mit T-Shirts, deren Aufdruck fordert, Veteranen zu danken. Weil die Krieger von einst in die Jahre gekommen sind, gibt's auch Rollatoren. Die Männer (und die Idee der Männlichkeit) sind alt geworden, doch die Klischees haben sich gut gehalten, haben auf jeden Fall überlebt. Wie ein Bumerang, so sieht Meckseper es, kehrten die alten gesellschaftlichen Gewohnheiten zurück, die traditionellen Rollenbilder, gerade in den Staaten. Deutschland erscheint der Künstlerin zurzeit geradezu fortschrittlich im Vergleich zu den USA. Immerhin, sagt sie, regiere in Berlin eine Frau. In den USA sei das Thema Frau eines, das gerade sogar in den »toten Winkel« gerate.
Vor knapp zwei Jahren hat »die Nichtwahl von Hillary Clinton« die Künstlerin zu einem filmischen Werk angeregt, es ist fürs Museum gemacht, hat aber Kinoqualität, ein Independent-Stück.
In dem Film leiten Aufnahmen der Paraden zu Trumps Amtseinführung und des Protests der Frauen am Tag danach hin zu einer bitteren Liebesgeschichte. Als Vorlage für dieses Beziehungsdrama verwendete sie ein französisches Schauspiel aus dem 19. Jahrhundert, »Pelléas et Mélisande«. Doch kämpfen bei ihr nicht wie im Original zwei Brüder um ein Mädchen, sondern zwei Frauen um einen Soldaten. Meckseper verkehrte in ihrem Film, den sie »Pellea(s)« nannte, einstige Zuschreibungen ins Gegenteil, bei ihr sind die Frauen mächtiger als der Soldat.
Auf die männerdominierte Welt antwortet sie mit ihrer Kunst, ihrer Unbeugsamkeit. »Dass es immer noch eine große Hürde ist, als Frau erfolgreich zu sein«, sei für sie ein Ansporn. Sie werde schon deshalb nicht resignieren, weil es dann »noch eine Künstlerin weniger gäbe«.
Die Machtfrage in der Kunst wird immerhin neu gestellt in diesen Tagen, und Mecksepers Analyse mag überraschen angesichts dessen, was sich in den vergangenen vier, fünf Jahren getan hat. Museen von Berlin bis London entdeckten, dass es auch Künstlerinnen gibt. Sogar Direktorenposten gingen an Frauen, wenngleich die wichtigsten Häuser weltweit, vom Louvre bis hin zum Museum of Modern Art, überwiegend in Männerhand geblieben sind. Aber niemand will sich mehr nachsagen lassen, er fördere nicht doch irgendwie die Frauen.
Die Szene ist also plötzlich voller Feministen. Nur: Meinen die es ernst?
Wer bei der Beantragung von Fördergeldern für Forschungsprojekte Begriffe wie »Gender« verwende, löse oft reflexartige Ablehnung aus, sagt die Kunsthistorikerin Alma-Elisa Kittner, die an der Universität Duisburg-Essen unterrichtet. Beschäftige sich eine Expertin mit Geschlechterfragen, etwa damit, wie Frauen und Männer typischerweise dargestellt seien und welche Rückwirkungen das auf die Gesellschaft habe, werde sie leicht als Frauenbeauftragte angesehen...