Eva Fleischer / Andrea Trenkwalder-Egger
Freiheit und Notwendigkeit für Männer und Frauen aus der Care-Perspektive
In diesem Artikel gehen die Autorinnen zunächst der Frage nach den historischen Wurzeln der geschlechtsbezogenen Zuweisungen von Care nach. Daran schließen sich Überlegungen zu geschlechtsspezifischen Zuschreibungen an, die sowohl auf der individuellen Ebene wie auch in der sozialstaatlichen Organisation von Care-Aufgaben wirken. Wie mögliche Alternativen aussehen könnten, wird am Ende des Beitrags vorgestellt. (Redaktion)
1 Einleitung
„Care-Revolution“, „Care-Krise“, „Caring-Communities“, „Palliative Care“ – Care ist ein Begriff, der von verschiedenen Gruppen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft aufgegriffen wird, um ein umfassendes Phänomen zu beschreiben. Auch wenn einzelne Diskurse spezifische Aspekte betonen, so ist doch allen Zugängen eines gemeinsam: Care umfasst immer zwei Dimensionen. Kurz gesagt: Care ist immer Haltung / Beziehungsgeschehen und Tätigkeit zugleich. Einerseits ist die Ebene der Care-Beziehung relevant, welche die Qualität der Beziehung zwischen fürsorgender und Fürsorge empfangender Person bestimmt. Dieser liegt eine spezifische Care-Ethik zugrunde. Andererseits ist die Ebene des konkreten Tuns im Fokus, die eine „auf einen anderen Menschen gerichtete, unterstützende Tätigkeit in einem informellen oder professionellen Kontext“1 umfasst. Diese kann sich auf Phasen des Lebenszyklus beziehen, wie etwa Sorge für Kinder oder ältere Menschen, aber auch auf besondere Lebenssituationen, in denen Hilfeprozesse erforderlich sind, die soziale, psychische und physische Probleme bewältigen helfen sollen. Care umfasst also nicht nur alltägliche Hilfestellungen etwa für Kinder, sondern auch Bereiche wie Sozialarbeit und Pflege. Zunächst ist Care geschlechtsneutral, allerdings hat sich geschichtlich eine geschlechtsbezogene Zuweisung von Care entwickelt, die bis heute Arbeitsmarkt und Hausarbeit prägt.
In diesem Artikel gehen wir zunächst der Frage nach den historischen Wurzeln der geschlechtsbezogenen Zuweisungen von Care nach. Anschließend erläutern wir am Beispiel der Care-Arbeit im Bereich der informellen Pflege in Österreich, wie und welche geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und Praxen sowohl auf individueller Ebene wie auch in der sozialstaatlichen Organisation von Care weiterhin wirksam sind, und wie diese derzeit zu geschlechtsbezogener Ungleichheit führen. Wir schließen mit Überlegungen zu möglichen Alternativen ab.
2 Ursprung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung
Die aktuelle Einteilung in eine bezahlte Erwerbsarbeit und eine unbezahlte bzw. schlecht bezahlte Fürsorgearbeit, die noch immer weitgehend einer geschlechtsspezifischen Zuschreibung folgt, hat ihren Ursprung in der griechischen Antike. So unterscheidet Aristoteles zwischen Polis, dem Ort, an dem öffentliche Debatten stattfanden, und Oikos, der Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft. In der Polis versammelten sich die freien Männer, um gesellschaftlich relevante Problemlagen zu lösen. Diese Freiheit der Männer war nur deshalb möglich, weil Frauen und Sklaven für den Bereich der Notwendigkeit als zuständig galten, indem sie die für den Lebenserhalt notwendigen Arbeiten erledigten.2
Diese dichotome Einteilung in zwei Gegensatzpaare verbunden mit einer Über-und Unterordnung von Mann und Frau, Freiheit und Notwendigkeit, Kultur und Natur, Geist und Materie strukturiert nach wie vor unser westliches Denken.3
Eine Renaissance erfuhr die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im ausgehenden 18. Jahrhundert. Mit der Deklaration der Menschenrechte sollte die Position des Individuums gestärkt werden. Damit aber die Dominanz der Männer über die Frauen erhalten blieb, wurde die Gesellschaft in zwei Sphären geteilt: eine öffentliche von Männern dominierte Sphäre, in welcher die Menschenrechte galten, und eine Privatsphäre, in die bürgerliche Frauen zurückgedrängt wurden. Es setzte eine Entwicklung ein, in der „die Familie immer privater, Arbeits- und Organisationswelt immer ‚öffentlicher‘ wurden“4. Der Arbeit im öffentlichen Bereich wurde finanzielle und gesellschaftliche Anerkennung zuteil, während der Arbeit im Privatbereich diese versagt blieb. Dieser Trennung liegt die Annahme zugrunde, dass die beiden Bereiche nach unterschiedlichen Paradigmen funktionieren. Während für den öffentlichen Raum Interaktionen rechtsförmiger Art typisch sind, beruhen die Beziehungen im Privaten auf Verständnis, Zuneigung und Liebe. Care-Arbeit, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit beispielsweise als Soziale Arbeit oder als Pflegetätigkeit durchgeführt wird, erfährt häufig eine geringe Anerkennung. Dies geschieht nicht zuletzt deswegen, weil sie einer Fürsorge-Ethik verpflichtet ist. Diese Care-Ethik wird im öffentlichen Raum als Fremdkörper wahrgenommen. Professionalität und Liebe scheinen einander diametral entgegengesetzt zu sein. Das zeigt sich im Wort Amateur, dem Inbegriff für nicht professionell arbeitende Personen. Der Begriff Amateur leitet sich aus dem lateinischen Verb für lieben, amare, ab.
Obwohl diese alte Ordnung auf unterschiedlichen Ebenen brüchig ist, scheint die geschlechtsspezifische Teilung noch immer wirksam zu sein. So sind im Feld der unbezahlten bzw. schlechtbezahlten und kaum sozialrechtlich abgesicherten Fürsorgetätigkeit vor allem Frauen tätig. Dabei ist allerdings festzuhalten, dass in Wohlfahrtsstaaten unterschiedlich starke Ausprägungen dieser geschlechtsbezogenen Ungleichheit festzustellen sind. Im folgenden Abschnitt wird die österreichische Situation in Bezug auf die Pflege durch Angehörige näher beleuchtet.
3 Organisation von Care
Für jede Gesellschaft stellt sich die Frage, wie sie Care-Tätigkeiten organisiert: Wer soll sie leisten? Wie und an welchen Orten soll Care erbracht werden? Wie sollen die Zugangswege zu diesen Leistungen gestaltet sein? Sollen die Tätigkeiten entlohnt werden, braucht es berufliche Professionalität, um diese Tätigkeiten durchführen zu können? Welche Menschenbilder sollen die Basis von Care bilden? Soll es geschlechterbezogene Zuweisungen im Zusammenhang von Care geben? Diese Fragen werden je nach Genderregime unterschiedlich beantwortet. Unter Genderregime verstehen wir „die Wechselwirkung von sozialstaatlicher Struktur (polity), sozialpolitischen Inhalten und Programmen (policies), darin stattfindenden Politikprozessen (politics) und der tatsächlichen sozialen Praxis (practice)“5. Aus Platzgründen wird hier der Bereich der Pflege gewählt und genauer untersucht, wobei insbesondere auf die informelle Pflege eingegangen wird.
4 Pflege als Aufgabe von Familien
Das österreichische Pflegesystem ist stark durch eine familialistische Kultur geprägt, d. h. die Angebote und Leistungen des Sozialstaats setzen die primäre Zuständigkeit der Familie prinzipiell voraus. In der Tat spielt die Familie bezüglich der Pflege und Betreuung von Angehörigen eine große Rolle, wobei häusliche Pflegeleistungen zu 70 % von Frauen übernommen werden.6
Die Betreuungssituation stellte sich 2011 wie folgt dar:7
– Betreuung im Heim: 16 %
– Mobile Dienste, oft in Kombination mit Angehörigen: 29 %
– 24-Stunden-Betreuung: 2 %
– Angehörige allein: 53 %
Faktisch wird also der Großteil der pflegebedürftigen Österreicherinnen und Österreicher zu Hause von weiblichen Angehörigen betreut. Dies geschieht zum Teil mit Unterstützung durch mobile Dienste bzw. durch eine 24-Stunden-Betreuung.
Das Thema „informelle Pflege und Betreuung im Alter“ kann dabei unter verschiedenen Blickwinkeln mit einer genderkritischen Perspektive verknüpft werden. Ein Zugang erschließt sich über die Gruppe der pflege-/betreuungsbedürftigen Personen. Ein weiterer Zugang fokussiert Frauen/Männer als informell Pflegende. Was selten in den Blick gerät, ist eine doppelte mögliche Betroffenheit von Pflege- bzw. Betreuungsbedürftigkeit und / oder Pflege- bzw. Betreuungsleistung, die angesichts der hohen Rate von Frauen, die ihre Partner8 versorgen, ein eigenes Thema sein sollte.9 Da Männer und Frauen aber keine homogenen Gruppen sind, wurden – soweit vorhanden – sozioökonomische Differenzen ebenfalls einbezogen.
5 Männer und Frauen sowohl als Pflege- und Betreuungsbedürftige als auch Pflegende
Zur Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit von Frauen kann festgehalten werden, dass diese aufgrund ihrer insgesamt höheren Lebenserwartung eine größere Wahrscheinlichkeit haben, selber pflegebedürftig zu werden. Gleichzeitig wird der Gesundheitszustand und damit das Risiko pflegebedürftig zu werden, in hohem Ausmaß von Geschlecht, Bildungsstand, Einkommen, Wohnform (Singlehaushalt), Familienstand, Wohnort (in Deutschland „alte“ oder „neue“ Bundesländer) beeinflusst.10 So sind 38 % der alleinstehenden Frauen zwischen 70 und 79 Jahren in Österreich armutsgefährdet;11 ihr Gesundheitszustand ist entsprechend schlecht.12
Ein Indikator für die Pflegebedürftigkeit ist der Bezug von Pflegegeld – einschränkend zu erwähnen ist jedoch, dass nicht alle Personen, die pflegebedürftig sind, dieses auch beziehen. Bei einer repräsentativen Erhebung zur Hauskrankenpflege...