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E-Book

Frauen und Bibel im Mittelalter

Rezeption und Interpretation

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783170264359
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis52,99 EUR
Der Band bietet neue Erkenntnisse über den Umgang von Frauen mit der Bibel in literarischen, mystischen wie auch doktrinalen Texten und gibt Einblick in die Rezeption biblischer Themen in der Kunst und in der Musik. Dabei lässt sich einerseits ein Traditionsstrang von der Gregorianischen Reform (1046-1122) bis zum Hexenhammer (1498) verfolgen, der die Bibel zur Legitimation der Unterordnung der Frauen und ihres Ausschlusses aus der Sphäre der Macht benutzt. Andererseits entfaltet sich in dieser Epoche auch Gegenteiliges: Von Eloise (gest. 1164) bis zu Christine de Pizan (gest. 1430) begegnet man gelehrten Frauen, die sich ihrer weiblichen Identität bewusst sind, diese in ihren eigenen Schriften thematisieren und die mit den biblischen Texten, Figuren und Themen bestens vertraut sind.

Prof. Dr. Adriana Valerio, Universität Neapel. Prof. em. Dr. Kari Elisabeth Børresen, Universität Oslo.

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Leseprobe

Apostolin und Sünderin:
Mittelalterliche Rezeptionen Marias von Magdala


Andrea Taschl-Erber
Universität Graz

Die mittelalterliche Wirkungsgeschichte Marias von Magdala zu untersuchen bedeutet, die Wurzeln der westkirchlichen Legendenfigur zu beleuchten, deren Wirkmächtigkeit im kulturellen Bewusstsein sich trotz intensiver und vielfacher Forschungen historischkritischer wie feministischer Exegese kaum schmälern ließ. Dabei erlaubt das vielschichtige mittelalterliche Porträt mit seinen Ambivalenzen in diesem Rahmen keine umfassende Darstellung, sondern die Fülle an Material nötigt zu einer Auswahl. So richtet sich der Fokus der vorliegenden Studie vor allem auf die Rezeption der genuin biblischen Rolle Marias von Magdala als verkündigende Osterbotin.1 Inwieweit lassen sich Spuren der Apostolin bis an die Schwelle zur Neuzeit verfolgen?

1. Eine Mischgestalt aus verschiedenen neutestamentlichen Frauenfiguren


Ausgangspunkt der mittelalterlichen Magdalenenrezeptionen im Westen ist nach den patristischen Weichenstellungen2 nicht – oder nicht nur – die biblische Figur Marias von Magdala. Stattdessen haben wir es mit der – in einer Linie zusammenlaufenden – Wirkungsgeschichte von ursprünglich verschiedenen neutestamentlichen Frauengestalten zu tun. Aufgrund der Tendenz, gleichnamige Frauen zu identifizieren und ähnliche Erzählungen, in diesem Fall die diversen Salbungsgeschichten,3 zu harmonisieren, wurde Maria von Magdala, deren Attribut als österliche Myrophore das Salbgefäß darstellt, insbesondere mit ihrer betanischen Namensverwandten, der Schwester Martas (siehe Lk 10,38–42; Joh 11,1–45; 12,1–8), sowie der anonymen Sünderin aus Lk 7,36–50 gleichgesetzt.4 Zusätzlich wurde das Einheitsbild durch eine entsprechende Interpretation der in Lk 8,2 (sowie im sekundären Mk-Schluss) erwähnten sieben Dämonen gestützt. Bereits Hieronymus (ca. 347–420), der anderorts die Erstzeugenschaft der Osterbotinnen als „Apostolinnen der Apostel“ herausstreicht,5 erzielt hier durch ein Zitat von Röm 5,20 einen Konnex mit Sündhaftigkeit:

Maria Magdalena ist eben diejenige, von der er sieben Dämonen ausgetrieben hatte (Maria Magdalene ipsa est, a qua septem daemonia expulerat), sodass, wo im Übermaß Sünde gewesen war, in übergroßem Maß Gnade war (ut, ubi abundauerat peccatum, superabundaret gratia) ...6

Dasselbe Zitat begegnet bei Ambrosius7 (um 340–397) freilich im Kontext des Eva-Motivs, das seit Hippolyt8 (ca. 170–235) das Osterapostolat „der Frau“ als Wiedergutmachung ihrer Schuld deutet. Daher ist zunächst von einer generalisierenden misogynen Rede anstatt einer individualisierenden, konkret auf Maria von Magdala bezogenen Interpretation auszugehen.

Eine explizite Identifikation mit der Figur der Sünderin, welche sich kraft seiner Autorität in der Westkirche durchsetzte, bietet jedoch schließlich Gregor der Große (um 540–604):

Von dieser aber, welche Lukas eine sündige Frau, Johannes Maria nennt, glauben wir, dass sie jene Maria ist, aus der, wie Markus bezeugt, sieben Dämonen ausgetrieben worden waren (Hanc uero quam Lucas peccatricem mulierem, Iohannes Mariam nominat, illam esse Mariam credimus de qua Marcus septem daemonia eiecta fuisse testatur). Und was (bedeuten) die sieben Dämonen, wenn nicht sämtliche Laster bezeichnet werden (Et quid septem daemonia, nisi universa uitia designantur)?9

Mit seinen Homilien, die auch in der mittelalterlichen Liturgie, insbesondere am Festtag Maria Magdalenas (22. Juli10), verwendet wurden, schuf er die Basis für die Legendenentwicklung, was die „biblische“ Vita der Heiligen betrifft, und beeinflusste weitgehend die mittelalterlichen Magdalenenpredigten und -dichtungen.11 Später wurde teilweise auch die Samaritanerin „in das Magdalenenmotiv eingeschmolzen“12, ferner die Ehebrecherin aus Joh 8.13 Gegenüber diesem westlichen Einheitsbild hielt die ostkirchliche Tradition allerdings an der Verschiedenheit der einzelnen Frauen fest und verehrt bis heute Maria von Magdala als „apostelgleiche“ (ίσαπόστολος) Osterzeugin.

Drei Aspekte prägen nun wesentlich die „Magdalenologie“ im Westen, um mit einigen flotten Strichen das komplexe mittelalterliche Magdalenenbild zu skizzieren:

  • Als bekehrte und erlöste Sünderin repräsentiert Maria Magdalena die Antwort auf die Grundfrage des mittelalterlichen Menschen nach der Erlangung des Seelenheils und avanciert zu einer der populärsten Heiligen. Die Entwicklung läuft vom biblischen Sinnbild zum individuellen Vorbild und schließlich zur mächtigen Fürsprecherin. Ebenso fungiert sie aber auch als Typos für die sündigende und sich bekehrende Kirche und demgemäß als Symbolfigur für kirchliche Selbstkritik wie – von verschiedenen Orden getragene – Reformbewegungen. Damit wird die patristische Ekklesia-Typologie, die in der Zeugin des Auferstandenen die Kirche verkörpert sieht, fortgesetzt, wobei sich freilich der Akzent von der Verkündigung auf die Themen Reue und Umkehr verschiebt.
  • Ausgehend von der vita contemplativa der betanischen Maria wird die Gestalt der Büßerin zur Patronin der eremitischen Bewegung, Vorbild für Askese und Weltflucht.
  • Doch blieb auch das Wissen um die Erstzeugin des Auferstandenen lebendig. Der Aspekt der Apostolin und Verkünderin wird weiter ausgebaut in den Legenden des Apostolats Maria Magdalenas in Frankreich. Ihre vita apostolica reflektiert verschiedene Seiten (Armut, Wanderpredigt) der Identität der neu aufkommenden Mendikantenorden.

Mittels einer solcherart instrumentalisierten und dadurch kontrollierten Magdalenenfigur wird angesichts konkurrierender Protestbewegungen gegenüber der kirchlichen Hierarchie das Reformpotential innerkirchlich kanalisiert.

2. Impulse für die mittelalterliche Magdalenenverehrung


2.1 Magdalenenkult, Kirchenreform und Reliquienstreit

Zur mittelalterlichen Entwicklung der Magdalenenverehrung leistete die cluniazensische Reformbewegung einen wesentlichen Beitrag, unter deren Einfluss das Vorbild der Reue und Buße übenden Sünderin als Beispiel menschlicher Schuld und göttlicher Barmherzigkeit in Bußpredigt und -dichtung aufgenommen und verbreitet wurde. Eine weite Rezeption fand die traditionell Odo von Cluny (um 878–942), dem 2. Abt des 910 gegründeten Klosters, zugeschriebene Magdalenenpredigt, durch die Maria Magdalena eine individuelle Gestalt gewann. Sein Sermo II: In veneratione sanctae Mariae Magdalenae stellt nämlich nicht mehr eine Homilie zu einer bestimmten Perikope dar, sondern ist „zur Verehrung der heiligen Maria Magdalena“ verfasst. Die biblische Vita der Heiligen ergibt sich aus der Exegese der auf sie bezogenen Episoden (Salbung durch die Sünderin; Maria und Marta; Auferweckung des Lazarus; Passion und Ostern), welche an die patristische Auslegung anknüpft und durch legendarische Ausschmückungen und allegorische Exkurse erweitert wird.14 Dabei wird mehrfach die Kirchentypologie der Magdalenengestalt herausgestellt. In einem etymologischen Exkurs etwa wird das zuvor als castellum („Burg, Feste“) gedeutete „Magdalum“, nach dem Maria Magdalena benannt worden sei15 (ein erster Beleg für ihre adelige Herkunft in der mittelalterlichen Legendenentwicklung),16 „zum Turm der Kirche, der den Feinden Widerstand leistet“17.

Wie die Magdalenenhomilien Gregors beeinflusste dieser Text vor allem die monastische Liturgie und wurde als Magdalenenvita ab dem 11. Jh. in die lateinischen Legendarien aufgenommen (vita evangelica).18 Eine besondere Rolle spielte dabei das im Verband von Cluny befindliche Benediktinerkloster in Vézelay (Burgund), das erste bedeutende Kultzentrum Maria Magdalenas im Westen.19

Die Abtei wurde um 860 von Graf Girart de Roussillon und seiner Frau Bertha gegründet. Im Jahre 1037 wurde Abt Geoffroi gewählt, der die cluniazensische Reform einleitete und im Zuge der monastischen Erneuerung den Magdalenenkult einführte.20 Erstmals wurde das Patronat Maria Magdalenas (welches ein altes marianisches später sogar gänzlich ersetzte) in einer Bulle Leos IX. von 1050 erwähnt, Papst Stephan IX. bestätigte 1058 darüber hinaus auch ihr Grab an diesem Ort. Damit entwickelte sich Vézelay von einer Station auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela mit dem Grab des Jakobus zunehmend zu einem selbstständigen, wirtschaftlich florierenden und (gerade auch im Zusammenhang der Kreuzzugsbewegung) politisch bedeutenden Wallfahrtszentrum mit einem konkurrierenden Apostelgrab. Eine blühende Legendenbildung erklärte in teils widersprüchlichen Versionen den Besitz der Reliquien der „Apostolin Frankreichs“ (Meerfahrt der Heiligen von Palästina nach Südfrankreich,21 Überführung der Reliquien aus dem ursprünglichen Grab in der Provence, Wundererzählungen). In einer Phase des Niedergangs inszenierten die Mönche 1265 gegen rivalisierende Reliquienansprüche der Provenzalen unter der Anwesenheit päpstlicher Legaten die Entdeckung der Gebeine, 1267 wurden sie vor Ludwig IX. sowie geistlichen und weltlichen Würdenträgern feierlich zur Schau gestellt.

Doch war der Zenit für Vézelay längst überschritten, nach einer entsprechenden „Auffindung“ des Leichnams der Heiligen 1279 in der Krypta von...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Inhaltsverzeichnis8
EINLEITUNG12
Die Bibel im Zentrum12
Die renovatio ecclesiae und die Subjektwerdung von Frauen (12.–15. Jh.)12
1. DIE BIBEL UND DIE FRAUEN: REZEPTIONEN UND INSTRUMENTALISIERUNGEN42
Apostolin und Sünderin: Mittelalterliche Rezeptionen Marias von Magdala42
Frauen in Bibelkommentaren des 12. und 13. Jahrhunderts66
Die Bibel und die Frauen in der moralisch-didaktischen Literatur Spaniens83
Christinnen und Jüdinnen lesen die Bibel in den spanischen Königreichen98
Iuravit ad Sancta Dei Evangelia, tactis corporaliter Scripturis114
Bibel, Häretikerinnen und Inquisitoren114
Frauen, Bibel und Dämonologie im 15. Jahrhundert130
2. DIE FRAUEN UND DIE BIBEL: TEXTE UND KONTEXTE152
2.1 STUDIUM UND KREATIVE INTERPRETATION152
Heloisas Engagement für die Bibel: Ein kontinuierlicher Prozess152
Bibel und Poesie170
Bibelepik einer Frau (Ava) – Bibelepik über eine Frau (Judit)170
Weibliche Metaphern von der Heiligen Schrift zu Julian von Norwichs Offenbarungen186
Theodora Palaiologina und andere Gelehrte, Kopistinnen und Exegetinnen in Byzanz199
2.2 MYSTIK UND PROPHETIE219
Biblische Interpretationen im Werk der Hildegard von Bingen (1098–1179)219
„Wie eine zweite Rahel, behalte stets deinen Anfang im Auge“ Klara von Assisi und die Bibel232
Sprachfähig werden in unerhörten Gottesfragen Die Bibel als innovatives Zentrum der Theologie bei Mechthild von Magdeburg und Gertrud von Helfta247
Die Heilige Schrift in Birgittas Offenbarungen263
Stil und Übersetzung der Bibelzitate in den Briefen der Katharina von Siena275
„Der Wolf und das Lamm wohnen zusammen“ (Jes 11,6) Die Niederlage der Konversionsutopie im Werk von Teresa de Cartagena (1449–1478)286
3. REPRÄSENTATIONEN IN DEN KÜNSTEN304
Frauenbild und Erzählstrategien im Hortus Deliciarum der Herrad von Hohenburg304
Die Bibel im Hortus Deliciarum der Herrad von Hohenburg317
Frauen, Bibel und Musik im Mittelalter335
Die Bibel und die Frauen: Ikonographie einer Beziehung im Spätmittelalter350
Bibliographie370
Stellenregister405
AutorInnen414

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