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E-Book

Gemeinsame Tagzeiten

Motivation - Organisation - Gestaltung

AutorAchim Budde
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl350 Seiten
ISBN9783170264328
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Die Wiederbelebung des Stundengebets in den Gemeinden ist seit dem 2. Vatikanischen Konzil nur selten gelungen. Warum? Die vorliegende Untersuchung versucht eine Antwort auf diese Frage zu geben, indem sie den bislang unbeachteten Aspekt der Organisation in die Analyse einbezieht: Welches geistliche Movens führte unter welchen pragmatischen Bedingungen zu welcher liturgischen Gestalt? Und welche Modifikationen werden heute notwendig, wenn der Gottesdienst z. B. ehrenamtlich oder in einem citypastoralen Kontext durchgeführt wird? Die Ergebnisse überraschen und stehen teils im Widerspruch zu verbreiteten Auffassungen. Einer Bewährungsprobe sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse seit Jahren im Bonner Mittagsgebet und in der Initiative Ökumenisches Stundengebet ausgesetzt. Das Buch dokumentiert auch solche Erfahrungen aus der gottesdienstlichen Praxis.

PD Dr. Achim Budde ist Leiter der Bildungsstätte Burg Rothenfels am Main und Privatdozent für Alte Kirchengeschichte und Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.

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Leseprobe

(A) Motivation


David Holeton charakterisierte die inzwischen vollendete Reform des Book of Common Prayer folgendermaßen: »Jetzt aber wurde zum ersten Mal seit der Reformation die Grundfrage gestellt: Zu welchem Nutzen oder mit welchen Zielen sollte das Tagzeitengebet bestimmt sein, und auf welcher Grundlage sollte es gestaltet sein?«1 Die Frage nach dem theologischen Movens soll auch in dieser Studie das erste große Themenfeld sein, auf dessen Grundlage dann über die organisatorischen Bedingungen und über Konsequenzen für die liturgische Gestaltung in der Praxis reflektiert wird.

Historisch und logisch ist der Ausgangspunkt dafür der einzelne Christ, die einzelne Christin: ihr Glaube, ihre Interpretamente der sie umgebenden Wirklichkeit, ihr Verhältnis zu Gott. Aus diesen Faktoren leitet sich die zunächst private Gebetspraxis ab. Erst auf deren Grundlage hat sich dann sekundär, wo immer es technisch möglich war, auch der gemeinsame Vollzug entwickelt – aus Motiven heraus, die als theologisches Plus über die Begründung des Privatgebets hinausgehen. Schließlich tritt als dritte Ebene der Auftrag der Glaubensgemeinschaft gegenüber ihrer Außenwelt hinzu. Der Unterscheidung dieser drei Ebenen entspricht die Kapitelaufteilung des ersten Teils.

I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet


Vor über 40 Jahren beschrieb Dorothee Sölle den gesellschaftlichen Stellenwert des Gebetes folgendermaßen: »Beten gilt dem gegenwärtigen nachchristlichen Bewußtsein als Ersatzhandlung [...] dessen, der zu wirksamem Handeln nicht fähig oder nicht willens ist.«2 Und obwohl das ausgehende 20. Jahrhundert als eine seiner »echten Überraschungen«3 auch eine neue Wende zum Religiösen brachte, ist die Krise des Gebetes dadurch keineswegs überwunden oder auch nur gemildert worden. Vielmehr schlägt sich die neue Religiosität vielfach in Vorstellungen nieder, die entweder kein personales oder kein wirkmächtiges oder kein hinreichend transzendentes Gottesbild kennen und deshalb zwar Kontemplation und Meditation, aber kein Gebet im klassischen Sinne für sinnvoll erachten. Die Beantwortung der »schöpfungstheologischen ›Gretchenfrage‹: Wie hältst Du es mit dem Gebet?«4 fällt dann negativ aus. Warum also beten? Diese Frage steht heute wieder so dringlich und grundsätzlich im Raum, wie sie sich bereits den ersten christlichen Apologeten stellte. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, inwiefern die christlichen Grundinterpretamente der Wirklichkeit – sie nämlich erstens als Schöpfung und zweitens als Heilszeit zu verstehen – den einzelnen Christen zum Gebet, zu Anbetung, Lobpreis und Bitte motivieren, und warum sie schließlich zu dem Anspruch führen, jeder Christ und jede Christin solle häufig und intensiv beten.

Nach Karl Rahner ist und bleibt das Gebet jedes einzelnen Christen die theologisch entscheidende Ebene – auch für das gemeinsame und das gottesdienstliche Gebet5. Für die liturgia horarum spiegelt sich diese Priorität auch in der historischen Entwicklung wider: Tägliches Gebet wurde den Gläubigen als Basis ihrer christlichen Existenz zunächst im privaten Vollzug, erst später auch in Gemeinschaft anempfohlen. Die Frage, welchen Sinn die Tagzeitenliturgie für das Gebetsleben des Einzelnen entfalten kann, ist deshalb nicht allein durch die Untersuchung liturgischer Zeugnisse zu beantworten. Denn jener Sinn, den das private Gebet im Alltag des Einzelnen erfüllt, wird gewissermaßen in den Gottesdienst mitgenommen. Dort wird er zwar um neue Aspekte ergänzt, bleibt aber weiterhin in Kraft: Dasselbe Movens, das die einzelnen Gläubigen überhaupt zum Beten antreibt, soll dann auch bei der Teilnahme am gemeinsamen Gebet zur Geltung kommen können. Es bleibt daher ein wichtiger Maßstab für Organisation und Gestaltung des täglichen Gottesdienstes.

1. Geschöpflichkeit


Die erste grundlegende Voraussetzung christlichen Betens ist der Schöpferglaube. Weder ist es beweisbar noch allgemein anerkannt, dass die den Menschen umgebende Welt eine geschaffene ist. ›Geschöpflichkeit‹ ist formal nur ein Interpretament dieser Wirklichkeit – ein Interpretament allerdings mit Konsequenzen für das Selbstbild und das eigene Verhalten. Bereits die frühchristlichen Apologeten errichten ihre Vorstellungen vom Gebet auf der Basis dieser gläubigen Voraussetzung: Der Christ deutet die gesamte wahrnehmbare Wirklichkeit und seine eigene geistig-leibliche Existenz als von Gott geschaffen. Daraus leiten sich die Praxis und der Inhalt des Gebets als christlicher Grundhaltung ab. Ein Passus aus der Apologie des Märtyrers Justin kann diesen Vorgang exemplarisch deutlich machen:

»Daß wir nicht gottlos sind, da wir doch den Schöpfer dieses Alls verehren und, wie wir gelehrt worden sind, behaupten, daß er keiner Schlacht-, Trank- und Räucheropfer bedarf, und die wir ihn bei allem, was wir zu uns nehmen, durch Gebet und Danksagungswort, soviel wir können, lobpreisen, indem wir als die seiner allein würdige Ehrung nicht die kennen lernten, das von ihm zur Nahrung geschaffene durch Feuer zu verzehren, sondern die, es uns und den Bedürftigen zugute kommen zu lassen, ihm aber zum Danke in Worten Huldigungen und Gesänge emporzusenden für unsere Erschaffung und für alle Mittel zu unserem Wohlsein, für die Mannigfaltigkeit der Arten und für den Wechsel der Jahreszeiten, und die wir Bitten emporsenden, daß wir wieder in Unvergänglichkeit erstehen durch den Glauben an ihn – welcher Vernünftige wird das nicht einräumen?«6

In diesem langen Satz ist eine ganze schöpfungstheologische Grundlegung des Gebets enthalten. Die Anerkennung des Schöpfers steht am Anfang, und damit auch die Anerkennung und Bejahung der eigenen Geschöpflichkeit und Endlichkeit. Aus dieser Verhältnisbestimmung ergibt sich die Verehrung als der angemessene Modus der Kommunikation mit dem transzendenten Gott. Da das Werk des Schöpfers in jüdisch-christlicher Tradition als gut angesehen wird, ist ihm dafür, inklusive der eigenen Erschaffung, Dank zu sagen. Aus der Bejahung der Schöpfung leitet sich auch ab, dass die physikalischen Rahmenbedingungen des menschlichen Lebens als wertvolles Geschenk dankbar angenommen werden. Dass die Notwendigkeit der Nahrungsaufnahme von Gott eingerichtet wurde, erfährt seine gebührende Würdigung deshalb nicht in der Vernichtung von Nahrungsmitteln in Form von Opfern, sondern darin, sie ihrer natürlichen Bestimmung zuzuführen, indem man sie isst und anderen davon zu essen abgibt. Die Gabe, die der Mensch seinem Schöpfer dafür zuteil werden lässt, ist hingegen keine Materie, sondern das Gebet7: der Dank für die Gaben der Schöpfung, von denen der Mensch leben kann, für den Reichtum der Natur insgesamt und für Naturabläufe wie den Jahreskreis. Schließlich wird in der Bitte um Auferstehung und Unvergänglichkeit die eschatologische Vollendung als Zielvorstellung vor Augen geführt. Und die abschließende rhetorische Frage setzt voraus, dass all dies der Vernunft des Menschen entspricht.

Formal ist dabei zu beachten, dass das Gebet als dankende Antwort und Bitte nicht nur inhaltlich aus dem Schöpfertum Gottes abgeleitet ist, sondern auch selbst die menschliche Geschöpflichkeit durch die Vollzugsform des Gesangs bejaht8, in dem Geistigkeit und Körperlichkeit miteinander verbunden sind.

Gebet und Leiblichkeit

Die einzelnen bei Justin aufscheinenden Facetten bedürfen einer eingehenderen Reflexion. Aus der Überzeugung, dass die Welt erstens von Gott geschaffen und zweitens gut ist, erwächst der Dank für die eigene Körperlichkeit und die durch sie bedingten Vorgänge: Es ist gut, dass der Mensch essen muss und kann9, es ist gut, dass er abends einschläft und morgens aufwacht, dass die Sonne auf- und untergeht. Diese Überzeugung teilen auch liturgische Texte, sobald sie in der schriftlichen Überlieferung fassbar werden. Das Abendgebet, das die äthiopische Fassung der Traditio Apostolica bewahrt hat, nimmt den natürlichen Lauf des Tages und das Schwinden des Lichtes am Abend zum Anlass, die Erleuchtung durch das unvergängliche Licht, Jesus Christus, zu thematisieren. Aber es ist nicht nur die spirituelle Ebene, für die sich der Beter interessiert; und mit der geistlichen Überhöhung des physikalischen Phänomens ist keine Abwertung des geschöpflichen Lichtes verbunden. Im Gegenteil: Das Erleben des Lichtes am Tag wird im Rahmen einer Mahlfeier als Sättigung bezeichnet und damit zu den notwendigen ›Lebensmitteln‹ gezählt, die Gottes Schöpfung für den Menschen bereithält10. Von Anfang an waren deshalb die erwähnten natürlichen – besser: geschöpflichen – Abläufe auch beliebte Anlässe zum Gebet11. Aber bereits Justin deutet an, dass die Schöpfung nicht nur hinreichend Grund zum Gebet bietet, sondern auch dessen Modus vorgibt: Die Danksagung des Geschöpfes an seinen Schöpfer hat zwingend eine leibliche Komponente, über deren konkrete Gestalt auch in anderen frühen Zeugnissen klare Vorstellungen herrschen:

(1) Das betrifft zunächst die Körperhaltung: Für das Gebet wird von den ältesten Zeugnissen an das aufrechte Stehen als angemessene Haltung vorausgesetzt, und zwar im Privaten wie im Gottesdienst12. Ebenfalls von frühester Zeit an wird betont, dass die äußere Körperhaltung Ausdruck einer inneren Haltung ist. So bevorzugt Origenes die stehende Haltung mit erhobenem Blick und ausgestreckten Armen, weil man dadurch »gleichsam das Abbild der besonderen Beschaffenheit, die der Seele während des Gebetes geziemt, auch am Körper trägt«13. Clemens von Alexandrien hatte das »Streben des Geistes empor in die geistige Welt«...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
INHALT6
Vorwort8
Einleitung10
(A) Motivation14
I. Der Einzelne – Leben aus dem Gebet14
1. Geschöpflichkeit15
2. Zeitlichkeit36
II. Die Kirche – Beten in Gemeinschaft49
1. Gemeinschaftlichkeit51
2. Kirchlichkeit68
III. Die Welt – Gemeinsam im Dienst79
1. Öffentlichkeit80
2. Verantwortlichkeit89
(B) Organisation98
I. Der Einzelne – Strukturierung des Betens99
1. Gebetszeiten100
2. Mitvollzug115
II. Die Kirche – Gestaltung der Gemeinschaft129
1. Rahmenbedingungen131
2. Gemeinsames Handeln154
III. Die Welt – Präsenz des Auftrags189
1. Das Stundengebet im öffentlichen Raum189
2. Die Öffentlichkeit im Stundengebet194
(C) Gestaltung198
I. Das pastoral-liturgische Konzept201
1. Grundentscheidungen201
2. Ein Modell konzentrischer Kreise208
II. Der Gottesdienst212
1. Hymnus219
2. Psalmodie230
3. Lesung250
4. Bittgebet261
III. Die Liturgie-Hefte268
1. Aufbau und Grafik269
2. Die Revision271
3. Finanzierung274
4. Dokumentation276
Epilog: Chronik eines neuen Anlaufs294
Literaturverzeichnis308
Quellen308
Sekundärliteratur317
Register348

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