II Das System macht krank
Wie schön, die Freunde wieder zu sehen; nach so vielen Wochen sommerlicher Abwesenheit.
M. wehrt die herzliche Umarmung ab. „Ich hab´s mit den Bandscheiben“, ächzt der Top-Manager für ein neues Online-Bezahlsystem, „vermutlich muss ich an den Halswirbeln operiert werden.“ Oh Gott. Ich sehe G. gekrümmt auf seinem Sessel sitzen. „Hämorrhoiden – das wird immer schlimmer“, gesteht der Herr Vorstandsdirektor. Und CFO H. sieht doppelt, wagt es nicht mehr, Auto zu fahren. E. ist ohnehin dauerverkühlt. Die Diabetes von K. hat sich verschlechtert. Und bei CEO G. finden Ärzte keine Antwort, dass er seit langem antriebslos ist und mit nächtlichen Schweißausbrüchen zu kämpfen hat. M. wirkt wiederum in seiner Gesamterscheinung wie ein „begossener Pudel“. Warum ist C. heute nicht da? Der leidet an Burnout, wird gemunkelt, hat sich mit schweren Depressionen zurückgezogen …
Hallo? – Bitte könnt Ihr 1 + 1 zusammenzählen?!
Das miteinander verwobene Polit-Wirtschafts-Kultur-Medien-System bringt Euch um … Und Ihr tut so, als ob das alles normal wäre.
„Die Ankunft eines guten Clowns ist für die
Gesundheit einer ganzen Stadt wertvoller
als 30 mit Medikamenten beladene Esel.“
Antje Kühnemann
In den Seilen hängen
17. reichstes Land der Welt. Im Spitzenfeld Europas – mit stärkerem Wirtschaftswachstum als Deutschland … Die Finanzkrise sei überwunden … Wien gilt als lebenswerteste Stadt der Erde … Es geht uns gut.
K. erzählt gerade, sie „hänge seit Monaten in den Seilen“ … Und verstehe es selbst nicht. Denn objektiv seien alle Faktoren für ein gutes Leben gegeben. Lieber Mann, schönes Haus, gutes Einkommen, Gesundheit okay – bis auf kleinere Wehwehchen, Kind bereits erwachsen und die Eltern noch ganz gut drauf. Regelmäßig verreist man, gönnt sich was. Und doch gehe es „subjektiv bergab“ …
Offenbar teilen viele, sehr viele, diesen Befund. – Für mich das erschreckendste Alarmsignal: Eine Million Österreicher/ -innen schlucken tagtäglich Psychopharmaka. Zählen Sie mal durch: jede/-r Achte! Und wir reden nicht von den vielen Süchtigen: von Alkohol über Fressen bis zu wirklich schweren Drogen.
Welche Indizien & Beweise brauchen wir noch, um zu erkennen, dass es mit der Sinndimension in unserem herrschenden sozioökonomischen System schlecht aussieht?!
Burn out als Sinnalarm
40 Jahre stand er unter Termindruck, von früh bis spät. „Ich hätte nicht gedacht, dass mir das überhaupt nicht fehlen würde und ich die Selbstbestimmung nunmehr so sehr genieße“, resümiert der Spitzenpolitiker in Ruhe, ein halbes Jahr im neuen Lebensabschnitt. Er hatte jedoch den immensen Vorteil, überall und – wohl – zu jeder Stunde, wertgeschätzt, ja gehuldigt zu werden; und das Gehalt war auch (mehr als) angemessen ... Diese „Spitzen-Image-Position“ macht einen enormen Unterschied zum mittleren Management oder gar zum Fließbandarbeiter. Und so zeigen sich irgendwann Motivations-Downs und auch körperliche Abnützungs-Erscheinungen.
„Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie“, meinte Nietzsche. Viktor Frankl variierte den Satz: „Wer ein Wozu zum Leben hat, erträgt jedes Wie.“ – Dadurch wird der Sinn-Aspekt noch mehr betont.
Ich bin der Überzeugung, Burnout als DIE Krankheit unserer Zeit ist ein Sinn-Alarm! Wer kein „Wozu“ mehr im täglichen Rurcheln, Salutieren, Mobben und Intrigieren sieht, wer nicht mehr Feuer und Flamme für seine Sache ist, der brennt buchstäblich aus … Okay, das ist zur Kenntnis zu nehmen. Und der/die Betreffende kann nur eines machen: Sich regenerieren und etwas Neues suchen, wofür man wieder brennen kann.
Was macht jedoch unser System? – Nachvollziehbar lässt es diese „Angeschlagenen“ nicht einfach ziehen; denn jene könnten sich dann, wenn die Energie wieder vorhanden ist, ja auch GEGEN dieses System wenden, das sie krank gemacht hatte.
Also überweisen wir sie in eine „Burnout-Klinik“. Dort werden die Angeknacksten repariert und nach ein paar Wochen/Monaten wieder systemfit gemacht. Gestärkt geht’s zurück – bis wir nach kurzer Zeit neuerlich bemerken: Es hat sich nichts verändert, es ist nur noch schlimmer, brutaler geworden … Man wendet sich an den Therapeuten seines Vertrauens: und erhält die wunderbaren Psychopharmaka. Oder „ADS-Medikamente“, um wieder „auf Schiene“ zu funktionieren …
- Wer diese regelmäßig schluckt, schluckt auch das ganze System.
„Mein Burnout hat mich gerettet!“
Großartig, wer zu erkennen imstande ist, dass ein Krankheitssymptom ein Wegweiser sein kann. Warum habe ich diese Kreuzschmerzen? Welche Last kann und will ich nicht mehr schleppen? Warum – bzw. worauf bin ich permanent verschnupft?! Und diese Unterleibs-Beschwerden – was in meinem Leben ist so spannungsgeladen, dass es mich zusammenkrampft?!
Lydia hatte in ihren Mittdreißigern, obwohl taffe Marathonläuferin und Mountainbikerin, mit Hörsturz und Burn-out ihren „System-Zusammenbruch“. Zwei heranwachsende Söhne, Haushalt, Mann, daneben Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Einsätze als Trainerin & Coach; das alles war irgendwann zu viel. Plötzlich geht nichts mehr. Tilt.
Nach den üblichen Selbstanklagen und dem Suchen nach Gründen für’s vermeintliche Scheitern wurde ihr bald klar: „Mein Burnout hat mich gerettet! – Und ich musste/durfte das nicht mal infolge von Herzinfarkt, Hirnschlag oder gar Krebsdiagnose checken.“
Also keine weiteren Versuche, wie man die vielen Herausforderungen doch wieder unter einen Hut bannen kann – sondern RAUS. Und auf die eigenen Seelen-Bedürfnisse achten.
Mutige Entscheidungen treffen, die selbst von liebsten Freundinnen und Freunden mit Kopfschütteln quittiert werden. Sie verzichtet auf ein schönes Fixum als monatliches Grundeinkommen – mit dem alten Job – und geht in einen völlig Neuen hinein. Weil ihr „gesunde Nahrung“ schon immer ein Herzensanliegen war. Und sie eröffnet den ersten „Grüne Smoothies“-Laden Wiens. Geschäfts-Namen als Botschaft: „Lebenswert – Feinkostladen für Leib und Seele.“
– „Naja, und wirft der Shop überhaupt Gewinn ab?“, tönen die Skeptiker. „Ich will nur überleben, habe tagtäglich wundervolle Begegnungen sowie herzlichste Gespräche mit Kunden – und zudem stets beste Nahrung & Superfoods zur Verfügung“, wischt Lydia alle Bedenken zur Seite. Kompliment!
Arbeitslos – Gratulation!!!
Vor kurzem kam A. als Kundin in Lydias Laden. Wie ein Häuflein Elend, am Boden zerstört. Auf die Frage, was denn geschehen sei, piepste sie: „Ich wurde gekündigt …“
Lydias Reaktion – als perfekte paradoxe Intervention – ließ jene sich prompt wieder aufrichten: „Gratulation!“
Ist es nicht wirklich kurios, wie viele Menschen tagtäglich unter ihren Jobs leiden. Und an Montagen überbieten sich selbst Radiomoderatoren in immer derselben Originalität, indem sie tröten: „Nur noch fünf Tage bis zum Wochenende!“
Also, wenn der Job „so scheiße“ ist, warum sind jene, die so empfinden, nachher grenzenlos traurig, weil sie arbeitslos diese Scheiße namens ARBEIT LOS sind?!
Warum beginnen sie nicht zu feiern? Und sich in der – welch Segen ist doch unser Sozial-system in diesem Fall – finanziell unterstützten Arbeitslosenzeit um etwas NEUES, Spannendes, wunderbar Herausforderndes umzusehen?!
Arbeitslos = ich bin die blöde Hack’n endlich los …
Also: Grund zur Freude – und dafür, nunmehr Herzensprojekte umzusetzen.
Der große Therapeut C. G. Jung hat, so ist überliefert, Klienten, die ihm ihr Leid geklagt hatten, dass ihnen ein Karriereschritt im System versagt worden sei, mit einem Gläschen zugeprostet.
Ja, wer weiß, was einem erspart bleibt, weil man etwas NICHT erreicht … Und damit die Hände frei hat, um „Passendes“ anzugreifen?!
In der Legehennen-Batterie
Puh … was war das jetzt?! Eine Begegnung
der „dritten Art“ … Durchatmen. Ommmm.
Sind Sie schon mal vom Wohnungsnachbarn aus dem Moment heraus übelst beschimpft und sogar lautstark bedroht worden?
Dieses „Geschenk“ hat mir das Leben nun gemacht.
Weil ich – als Autor lebt meine Kreativität von der Ruhe und einem offenen Fenster mit Frischluft – die Mitbewohner im Haus höflich gebeten hatte, Lärm- und Rauchquellen etwas einschränken zu wollen. Viele Wochen hindurch ist's nun schon Usus, dass ich um 2 Uhr, um 4 und um 5 Uhr früh vom nachbarschaftlichen Zigarettenrauch, der sich in mein Schlafzimmer zieht, von Erstickungsanfällen geweckt werde; ab 6 Uhr früh wecken dann ohnehin die alles andere denn...