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Freimaurerei und europäischer Faschismus

VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl120 Seiten
ISBN9783706557948
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Die Beziehung der Freimaurerei zum europäischen Faschismus war in der masonischen Forschung lange Zeit weitgehend tabu. Erst in jüngster Zeit ist diese brisante Problematik in den Mittelpunkt der Forschung gerückt. Die Beiträge in diesem Band befassen sich mit dem komplexen Verhältnis der Freimaurerei zum europäischen Faschismus sowie zu seinen einzelnen Ausprägungen im deutschen Nationalsozialismus, Austrofaschismus, im italienischen Faschismus, in der französischen 'Action française' und im Franco-Regime in Spanien. Faschismus wird dabei als europäisches Gesamtphänomen gesehen, obwohl es natürlich mehrere faschistische Bewegungen in Europa gegeben hat, die sich zum Teil ergänzten, aber auch in einzelnen Bereichen durchaus unterschiedliche Erscheinungsformen aufwiesen. Der Band leistet einen wesentlichen Beitrag zur Aufarbeitung eines wichtigen Kapitels der jüngeren Geschichte der Freimaurerei und füllt eine zentrale Lücke in der masonischen Forschung.

Helmut Reinalter, geboren 1943 in Innsbruck, Univ.-Prof. am Institut für Geschichte und Ethnologie der Universität Innsbruck seit 1981, seit 2000 Leiter des Privatinstituts für Ideengeschichte, Mitglied verschiedener internationaler wissenschaftlicher Kommissionen und Akademien, Mitglied des Club of Rome. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Neuzeit, Politische Philosophie, Ethik sowie Theorien, Methoden und Grundlagen der Geisteswissenschaften.

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Leseprobe

Helmut Reinalter


Einleitung


Freimaurerei und europäischer Faschismus


Die Beiträge dieses Bandes befassen sich mit dem komplexen Verhältnis der Freimaurerei zum europäischen Faschismus. Im Einzelnen geht es dabei um den deutschen Nationalsozialismus, den Austrofaschismus, den italienischen Faschismus, die französische Action française und das Franco-Regime in Spanien. Faschismus wird hier im Sinne Ernst Noltes als Gesamtphänomen gedeutet, obwohl es mehrere faschistische Bewegungen gab, die sich zum Teil ergänzen, aber auch in einzelnen Bereichen Unterschiede aufweisen. Obwohl der Faschismus nie eine konsistente Ideologie ausgebildet hat, weisen die hier erwähnten faschistischen Bewegungen eine Reihe von gemeinsamen Merkmalen auf.1

Vorurteile, Berührungsängste und ideologisch-politische Klitterungen der zeitgeschichtlichen Forschung haben bisher die Erforschung dieses sensiblen Themas eher erschwert als erleichtert. Heute ist es – auch wegen der geänderten Quellensituation – hoch an der Zeit, dass parallel zur bereits sehr umfangreichen zeithistorischen Forschung diese brisante Thematik fundiert und kritisch aufgearbeitet sowie in die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Zwischenkriegszeit eingeordnet wird – auch und vor allem im Sinne der europäischen Freimaurerei. In der Zwischenzeit sind erfreulicherweise mehrere fundierte wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema erschienen, wie aus der Auswahlbibliographie hervorgeht, die die Rolle der Freimaurerei im europäischen Faschismus aufzeigen und detailliert herausarbeiten.2

Schon vor der Machtergreifung Hitlers wurde die Freimaurerei in Deutschland besonders von Erich Ludendorff und seinem Kreis scharf angegriffen. Da die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien in Krisenzeiten sprunghaft zunahm, ist es verständlich, dass nicht nur in Deutschland nach 1918 Verschwörungsideologien neue Aktualität erhielten. In der nationalsozialistischen Propaganda gerieten verschiedene Gruppierungen, wie Juden, Jesuiten, Kommunisten, Sozialisten und Freimaurer in eine Schusslinie, weil sie weltweit Vernetzungen aufgebaut hatten und als überstaatliche Mächte angesehen wurden, die vom Nationalsozialismus, Austrofaschismus, italienischen Faschismus, von der Action française und dem Franco-Regime bekämpft wurden. Der mit 1930 einsetzende Aufstieg der Nationalsozialisten zur politischen Macht ließ für die Freimaurerei nichts Gutes erwarten. Aus diesem Grund verließen Freimaurer ihre Logen, zumal es auf lokaler Ebene zu Ausschreitungen gekommen war, Freimaurer bedroht und geschäftlich boykottiert wurden. Im Jänner 1934 unterzeichnete der preußische Ministerpräsident Hermann Göring eine Verordnung gegen die Freimaurerei. Zwar verzichtete er auf eine Stellungnahme zur Frage, ob die nationalen Logen als „staatsgefährdende Vereinigungen“ betrachtet werden müssen, doch begründete er seinen Schritt mit der These, dass angesichts der geschaffenen Einheit des deutschen Volkes kein Bedürfnis für die Erhaltung der Logen bestehe.3

Bei den Brüdern der humanitären Bauhütten war die grundsätzliche Ablehnung des Nationalsozialismus und seiner inhumanen Ideologie zwar sehr stark entwickelt, aber manche Freimaurer hofften, dass die national-konservativen Kräfte die Diktatur in Grenzen halten könnten. Die stärker national ausgerichteten Logen hingegen begrüßten die Machtübernahme Hitlers mit einem Gefühl banger Erwartung. Sie verbanden ihre Genugtuung über das Ende der Weimarer Republik mit der Hoffnung auf die Etablierung eines zwar autoritären, aber doch staatsrechtlich gelenkten Regierungssystems mit der Sorge über das eigene Schicksal. Der erste Schritt zur Bekämpfung der Freimaurerei durch den Nationalsozialismus bestand vor allem darin, dass Freimaurer von der Mitgliedschaft der NSDAP ausgeschlossen wurden. Im Zeitraum von 1933 bis 1935 vollzog sich sukzessive die Auflösung der deutschen Großlogen und Einzellogen, die von Plünderungen, Verhöhnungen, Deportationen, Folterungen und sogar vereinzelt von Morden begleitet war.

Die zum Großteil vom völkischen Milieu beeinflussten deutschen Freimaurer entwickelten zunächst Anpassungsstrategien. So bezeichnete sich die Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ nach 1933 „Nationaler Christlicher Orden“, die Große Loge von Preußen wurde zum „Deutschchristlichen Orden zur Freundschaft“, die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland zum „deutschchristlichen Orden“ und die Große Landesloge von Sachsen bezeichnete sich nun als „Deutschchristlicher Orden von Sachsen“. Die Bayreuther Großloge „Zur Sonne“ löste sich auf und verstand sich von nun an als Gesellschaft zur Pflege deutscher Kultur. Der Aufbau dieser Organisation scheiterte jedoch am Einspruch des Stadtrats von Bayreuth. Die humanitären Großlogen lösten sich z. T. 1933 auf, womit ihnen Anpassungsversuche erspart blieben. Deren Handlungsweise war allerdings kompliziert und z. T. auch widersprüchlich.4

Die Nationalsozialisten gingen mit Erlässen systematisch gegen die Freimaurerlogen vor, bis sie diese 1935 ganz auflösten. Wilhelm Frick sprach das endgültige Verbot aus und beschlagnahmte das Logenvermögen. Dabei berief er sich auf die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 und bezüglich des Vermögenseinzugs auf das Gesetz vom 14. Juli 1933. Innerhalb der verschiedenen freimaurerischen Systeme und Strömungen stellte die völkische Freimaurerei einen wesentlichen Faktor dar. Sie, aber auch die humanitären Systeme, führten den „Arierparagraphen“ ein und entboten den neuen Machthabern ihre „Pflichttreue“, wohl deshalb, um die staatliche Sanktionierung zu erreichen.

Nach den unter Druck erzwungenen Selbstauflösungen und dem Verbot jener Freimaurerlogen und freimauerähnlichen Organisationen, die sich vor August 1935 nicht freiwillig aufgelöst hatten, schlug die NS Freimaurer-Politik zwei Wege ein: die Ausschaltung des angeblich zersetzenden Einflusses der Logen auf Staat und Gesellschaft und die Steigerung der propagandistischen Ausschlachtung des Feindbildes „Freimaurerei“, insbesondere in Form der jüdisch-freimaurerischen Verschwörungstheorie. Diese erfüllte in der NS-Propaganda eine rationalisierende Funktion, indem sie vorgab, für grundlegende politisch-ökonomische Verunsicherungen und alle existentiellen Ängste, die hinter dem gesellschaftlichen Wandel stehen könnten, eine einfache Erklärung bereit zu stellen. Sie war durch eine interessengeleitete und pseudorationale Denkstruktur gekennzeichnet, sie entsprang einem Bedürfnis nach Reduktion komplexer Realitäten und erfüllte wegen ihrer wahnhaften Übersteigerung eine gefährliche Orientierungsfunktion. Bei der Verschwörungstheorie handelte es sich nicht um ein unparteiisches Erkenntnis-instrument, sondern vielmehr, wie die nationalsozialistische Propaganda zeigte, um ein der Feindbestimmung dienendes ideologisch-politisches Vehikel. Da sie zur Voraussetzung hatte, dass eine kleine Minorität die große Mehrheit und den Geschichtsprozess beeinflussen kann, mussten dieser Minderheit zwangsläufig übermenschliche Fähigkeiten angedichtet werden, wobei die schon fast pathologischen Züge tragenden Angstvisionen vom drohenden Umsturz jeder Ordnung in eine Dämonisierung der Juden und Freimaurer ausartete. Ein gutes Beispiel dafür sind „Die Protokolle der Weisen von Zion“.5

In Österreich wurde das Logenleben durch den autoritären Ständestaat unter Engelbert Dollfuß und der katholisch geprägten Regierungsdiktatur eingeschränkt und beeinträchtigt, sodass bald die Aktivitäten der Bauhütten außerhalb Wiens zum Stillstand kamen. Die Freimaurerei war allerdings in Wien zu dieser Zeit sehr engagiert und bestrebt, den pazifistischen Grundgedanken zu fördern und den inneren und äußeren Frieden auf ihr Programm zu setzen. Neben der Bildungspolitik (vor allem der Volksbildung) standen besonders Sozialreformen im Vordergrund der österreichischen Freimaurerei. Der Ständestaat vermied zwar antisemitische Propaganda, schlug aber den Weg der Zermürbungstaktik in Fragen des Judentums ein. Die Logenmitgliedschaft für Beamte wurde allerdings verboten. Es sind zwar bis März 1938 Neuaufnahmen in die Logen erfolgt, andererseits haben jedoch viele Brüder aus unterschiedlichen Gründen „gedeckt“. Die Großloge unterstützte die von Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg angekündigte Volksbefragung, doch ist davon auszugehen, dass viele Brüder der österreichischen Kette mit der damaligen Politik und dem „Austrofaschismus“ nicht einverstanden waren, weil er freimaurerischen Grundsätzen widersprach.6

Gleich nach Einmarsch deutscher Truppen in Österreich besetzte die Polizei die Großloge, und SA, SS und Pöbel plünderten das Logenhaus in der Dorotheergasse. So kam es zur Beschlagnahmung des Logenvermögens und zur Liquidation der Vereine durch die NS-Verwaltung. Führende Beamte der Großloge wurden verhaftet, wie z. B. der damalige Großmeister Richard Schlesinger, einige von ihnen wurden auch in Konzentrationslager deportiert....

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