Bei Kriegsausbruch in Kamerun
Auf dem breiten Strome des Kamerunflusses schwimmt unterhalb der Joßplatte das große Dock der Wörmannlinie. Die Landungsbrücken am Ufer von Duala sind voller Menschen. Freundliche Häuser liegen versteckt in dem dunklen Grün der Mangobäume. Auf der andern Seite des Stromes leuchten aus dem Uferwalde die Häuser von Bonaberi hervor. Weiter nach dem Meere hin ragt der Rücken des Kamerunberges empor. Weiße Nebelstreifen bedecken seinen Fuß.
Auf dem Strome liegen zwei große Dampfer. Ihre Riesengestalten und das Dock sind auffallende Erscheinungen in der weiten, wilden Natur.
Das Dock trägt einen Dampfer, an dem bis heute lebhaft gearbeitet wurde. Schwarze Hände nieteten an den Kielplatten vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Heute aber hat der Lärm der Arbeit aufgehört, und nur von Land her, aus der Regierungswerkstätte, tönt ein geschäftiges Klopfen, Schlagen und Hämmern, wie das, seit die Europäer ins Land kamen, an so vielen Stellen der afrikanischen Küste zu hören ist, wo früher nur das tiefe Brüllen der Flußpferde und der Schrei der Ufervögel die Ruhe unterbrachen.
Auf dem Dock ist reges Leben. Neger stehen an den Ventilen, der Dockmeister pfeift, die Neger drehen die Gestänge, und langsam sinken die Kasten in das Wasser, bis der Körper des gedockten Schiffes selbst zum Tragen kommt und die Balken aufschwimmen, die die Bordwand gegen die Wände des Docks gestützt hatten. Der Kapitän des Schiffes steht auf der Kommandobrücke und wartet auf den Augenblick, wo er den Maschinentelegraphen nach langen Tagen zum erstenmal wieder bewegen kann.
Ein Bild aus der Friedenszeit: Der Barredampfer »Marina« im Hafen von Lagos.
Endlich schwimmt die »Marina«. Der Telegraph schnarrt und klingelt, die Maschine springt an, das Schiff steuert im großen Bogen flußaufwärts und fährt sicher durch die Fischerboote der Eingeborenen hindurch, bis auf einen Ankerplatz gegenüber dem Wörmannhause und dem Strandhotel. Der Anker fällt. Der Dampf wird abgestellt.
Jetzt konnte auch ich an Deck kommen und mich mit meinen Kameraden freuen, daß die Arbeit beendet war. Das Schiff war wieder wie neu. Der Kapitän war froh über das gute Manöver des Schiffes, das so lange ruhig hatte im Dock liegen müssen, und spendete seinen weißen Mitarbeitern einen gemeinsamen Trunk.
Meine Tätigkeit an Bord der »Marina« war heute beendet. Ich mußte den nächsten Barr-Dampfer erwarten, der hier gedockt werden sollte, und freute mich auf einige Tage der Erholung. Mein eigentlicher Wohnsitz war Lagos. Da war ich bei der Werft angestellt, auf der die Barr-Dampfer ausgebessert werden, wenn sie bei ihrem schweren Dienst zu Schaden kommen. In Lagos selbst aber können nur kleinere Arbeiten ausgeführt werden; alle Arbeiten, zu denen ein Dock notwendig ist, müssen in Kamerun gemacht werden. Zu solchen Arbeiten war ich im Mai 1914 nach Kamerun gesandt worden.
Der Kapitän gab auch unseren schwarzen Arbeitern, die uns bei der Arbeit treu unterstützt hatten, Urlaub, damit sie zu ihren Landsleuten gehen und sich einige Tage ausruhen konnten. Er versprach außerdem, daß der Lohn auch für die Tage der Ruhe gezahlt werde, zur Belohnung für die gute Arbeit. Die Neger verließen das Schiff in froher Stimmung, und nun herrschte an Bord eine Stille, die nach dem Lärm der letzten Wochen sehr wohltuend war.
Der Kapitän ließ sich ein Beiboot klarmachen und fuhr an Land, um die Geschäftsstelle der Dampferlinie aufzusuchen. Wir anderen, die Maschinisten und ich, lagen in Korbstühlen an Deck, gedachten zu baden und uns auszuschlafen und durchblätterten die letzten Zeitungen, die schon ziemlich alt waren. Es war da etwas von dem Mord in Sarajewo zu lesen. In einem Boot, das mit Negern bemannt war, kam der Dockmeister an Bord und sagte: »Es ist dicke Luft, Rußland macht mobil.« Einer von uns aber sagte: »Ach, heutzutage gibt's so leicht keinen Krieg, und wenn's einen gibt, ist der in fünfzehn Minuten fertig!«
Mit einemmal hörten wir von Land her das bekannte Trillern der Pfeife des Kapitäns. Er stand auf der Landungsbrücke und winkte lebhaft mit einer großen Papierrolle, die er in der Hand hielt. Das fiel uns auf, denn dieser Mann war nicht so leicht aus seiner Ruhe zu bringen. Es mußte etwas Besonderes los sein. Jetzt sahen wir auch, daß auf vielen Häusern der Stadt Flaggen wehten.
Eiligst wurde das Verkehrsboot mit den Schwarzen an Land geschickt und kam mit dem Kapitän zurück. Gespannt erwarteten wir ihn, als er über die Strickleiter an Bord kam.
»Es ist Krieg!« rief er schon von unten. »Telegramm von Deutschland: ›Krieg mit Frankreich und Rußland‹.« Wir lachten ungläubig. Die Nachricht kam uns, die wir die letzten Zeitungen nicht verfolgt hatten, zu töricht vor. Als der Kapitän aber Einzelheiten mitteilte, mußten wir schon glauben, was er uns sagte, und hörten, daß wir uns gleich an Land zu melden hätten. Ich nahm meine Papiere, fuhr an Land und eilte zum Bezirksamt. Ich hatte einen sogenannten Auslandsschein und war danach bis 1916 vom Militärdienste befreit. Ich hatte also noch nicht gedient und bekam die Weisung, abzuwarten.
In den Straßen von Duala war ein ungewöhnliches Leben. Ansiedler, Kaufleute, Ärzte und andere, die sich grade im Lande aufhielten, waren gekommen, um sich bei dem Kommando der Schutztrupps zu melden. Man fürchtete auch Spione. Alle Häuser waren belebt, man trank heute noch mehr als sonst, und die Stimmung wurde immer zuversichtlicher. Niemand zweifelte, daß wir Deutsche beide Gegner bald niedergerungen haben würden. Bald aber kamen Nachrichten, daß es auch mit England losgehe. Jetzt dachte ich besorgt an unsere Kameraden in Lagos. Alles, was deutsche Kaufleute in der englischen Kolonie begonnen hatten, war auf dem Vertrauen aufgebaut, daß Weiße sich in den Kolonien untereinander nie bekämpfen würden; dieser Grundsatz schien durchbrochen zu sein, Freiheit und Eigentum der Deutschen war gefährdet. Auch ich hatte einen Verlust; fast meine ganze Ausrüstung hatte ich in Lagos gelassen.
Mein Vorgesetzter, Herr Ingenieur Hassenstein aus Lagos, war gerade in Duala und stellte sich in den Dienst der Regierung. Er brachte uns die Nachricht, daß die »Marina« besondere Aufträge bekäme, und daß ich als dritter Maschinist an Bord bleiben sollte, weil der Wachdienst für zwei Maschinisten zu anstrengend werden würde.
Man sagte zwar, nach der Kongoakte werde in den Kolonien kein Krieg geführt, dennoch wurde die Verteidigung vorbereitet, und die »Marina« bekam die Aufgabe, die Bojen der Fahrrinne des Kamerunflusses so zu verlegen, daß die Angaben der Segelhandbücher nicht mehr stimmten.
Weit draußen vor der Mündung lag eine große Hafenboje, die gehoben werden mußte. Die Arbeit wurde bei stürmischem Wetter ausgeführt. Die schwere Boje schlug gegen das Schiff; dabei wurden einige Neger, die an den Ketten arbeiteten, schwer verletzt.
Meine Aufgabe war, auf der Brücke aufzupassen, ob feindliche Schiffe hinter der Insel Fernando Póo hervorkämen. Wir waren ein richtiges Vorpostenschiff.
Als wir hier draußen Wache hielten, hatten wir eine große Freude: Alle die deutschen Barr-Dampfer von Lagos kamen mit der Zeit an. Wir hatten sie schon verloren geglaubt. Die Dampfer hatten sich bei den ersten Anzeichen des Krieges in Lagos voll Kohlen geladen und waren dann rechtzeitig ausgelaufen. So waren sie den Engländern entgangen. Zuletzt kamen die Schiffe, die wegen ihrer Langsamkeit und Seeuntüchtigkeit stets bespottet wurden. Als allerletzter kam der »Addo«. Fast alle Neger der Besatzung waren in Lagos heimlich entwichen. Die wenigen Weißen, die das kleine Fahrzeug über die hohe See herüberbrachten, hatten aber den Mut nicht verloren, und wir hörten durch die Nacht die Klänge des Pariser Einzugsmarsches in der echt afrikanischen Konservenmusik eines Grammophons.
Außer den Barr-Dampfern kamen viele Dampfer deutscher Linien in Duala an. Die Kamerunmündung war für alle der einzige Unterschlupf an der westafrikanischen Küste. Noch nie hatte der Hafen so viele Schiffe beisammen gesehen. Und alle die Deutschen, die mit den Dampfern kamen, eilten an Land, um sich bei der Behörde zu melden. Außerdem wurden viele Hunderte Neger aus fremden Kolonien gegen ihren Willen hier gelandet. Sie waren als Fahrgäste nach anderen Häfenplätzen unterwegs gewesen. Jetzt bedrängten sie die Regierung, sie wollten weiterreisen. Viele der Eingeborenen des Landes waren über die Ereignisse so erschreckt, daß sie, so recht nach Art der Wilden, ihr Hab und Gut in Boote einpackten und über den Strom fuhren, um sich ins Innere des Landes zurückzuziehen.
Die Funkentelegraphie unterrichtete Duala in den nächsten Tagen über die Ereignisse in der Welt. Die Funkenstelle auf der Joßplatte bekam ihre Nachrichten von Togo, von Kamina, das mit Nauen in Verbindung stand. Wir erfuhren die Einnahme von Lüttich und das siegreiche Vordringen unserer Truppen. Eines Tages aber kamen schlechte Nachrichten. Wir hörten, daß die Franzosen und Engländer in Togo eindrangen und Lome nahmen, und daß die Deutschen sich vor der Übermacht zurückziehen mußten. Die Stimmung wurde gedrückt. Auch Kamerun war ja ganz von feindlichen Kolonien umgeben, und jetzt wurde noch eifriger an der Vorbereitung der Verteidigung gearbeitet. Im Kamerunfluß sollte die Fahrrinne für große Schiffe gesperrt werden, und die Besatzung der »Marina« wurde beauftragt, zwei Schiffe im Fluß zu...