Einleitung –
Ich will etwas verändern
„Pastorinnen und Pastoren machen sich unheimlich viele Gedanken, um ihre Gemeindeglieder dazu zu bringen, als Christen in der Welt etwas zu verändern“, sagte einmal ein Kollege zu mir. „Die meisten wissen nur nicht, wo sie ansetzen sollen.“
Vielleicht sind sie einer dieser Leiter oder eines dieser Gemeindeglieder, über die sich Gemeindeleitende so viele Gedanken machen. Sie lieben Gott von ganzem Herzen. Sie sind Jesus begegnet, sei es im Gottesdienst oder durch die Begegnung mit anderen Christen. Sie haben den Heiligen Geist gespürt und erlebt, wie Gott das Leben von Menschen verändern kann.
Sie lassen sich inspirieren von der Bibel, besonders davon, wie sehr das Reich Gottes das Leben verändern kann. Mit dieser Hoffnung gestalten Sie Ihr Leben in der Nachfolge Jesu Christi, bei sich zu Hause, auf Ihrer Arbeit und in Ihren Netzwerken.
Aber die biblische Vision, für die sie beten, geht noch darüber hinaus: wenn der Segen, den Sie erfahren, doch irgendwie auch auf andere ausstrahlen könnte. Eigentlich müsste die Kirche viel mehr bewirken in unserer Gesellschaft, sie müsste die Menschen bereichern und ihnen die Frohe Botschaft bringen.
Sie nehmen die unendlich großen gesellschaftlichen Veränderungen im Umfeld der Kirche wahr. Und Sie sehnen sich danach, neue Anknüpfungspunkte für das Evangelium in unserem 21. Jahrhundert zu finden. Sie sehnen sich nach einer Sprache, die die Menschen von heute erreicht.
Vielleicht liegt das Leben noch vor Ihnen. Sie möchten etwas verändern in der Welt. Aber Sie sind auch voller Sorge, so wie die 22-jährige junge Frau mit gutem Hochschulabschluss, die einen tollen Job fand, sich dann aber die Tretmühle vorstellte, die vor ihr lag.
„Es geht im Leben doch nicht nur darum, Geld zu verdienen, oder?“, fragte sie sich. Sie wollte in dieser Welt etwas verändern und nun fürchtete sie sich vor den eingefahrenen Schienen des normalen Alltags.
Oder sind Sie beschäftigt mit Ihrem BAföG oder Stipendium, der Jobsuche, Ihrer beruflichen Entwicklung und der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung? Natürlich bietet das Internet genug Möglichkeiten, um mit der Welt in Verbindung zu treten, aber tun Sie genug, um jemanden zum Zuhören zu bewegen?
Vielleicht identifizieren Sie sich auch mit den Lesern einer großen christlichen Zeitschrift – ich habe den Chefredakteur gefragt, welches Gefühl zum Thema christlicher Glaube seinen Lesern wohl zuerst in den Sinn käme, wenn man einen Blick hinter ihre Fassade werfen würde. Er antwortete ohne Zögern: „Enttäuschung.“
Und eine der größten Enttäuschungen dabei ist die Trauer darüber, dass sie mit ihrem Leben in der Welt nicht mehr bewegen können. Sie tun alles, was ein Christ tun muss. Sie besuchen regelmäßig den Gottesdienst. Sie versuchen, ihren Glauben im Alltag zu leben. Aber wenn sie morgen sterben würden, dann wäre der Nachruf nicht besonders umfangreich. Sie hätten keine Spuren hinterlassen auf dem Weg ihres Lebens. Statt die Welt verändert zu haben, haben sie sich vermutlich eher von ihr verändern lassen. Sie sind losgegangen mit der Hoffnung, etwas zu bewegen, aber haben erlebt, wie ihr Traum nach und nach verblasst ist. Ist es zu spät für einen neuen Traum?
Vielleicht haben Sie schon einmal von einer neuen Bewegung gehört, in der sich Menschen jenseits der Kirche in vielen verschiedenen Kontexten engagieren, mitten in der Welt von heute. Einer Bewegung, die neue Formen findet, um Kirche im ganz normalen Alltagsleben zu sein. Ist es das, wonach Sie sich gesehnt, wofür Sie gebetet haben? Können Sie vielleicht Teil dieser Bewegung werden?
Es gibt dem Leben einen Sinn, wenn man Dinge bewegen kann. Das ist ein entscheidender Faktor für das Wohlbefinden eines Menschen. Eine Studie von 2013 hat durch die Befragung von 600 Amerikanern gezeigt, dass es einige unserer psychologischen Kernbedürfnisse befriedigt, wenn wir Dinge tun, die für uns sinnvoll sind.5 Drei dieser Bedürfnisse sind besonders wichtig:
- Kompetenz – eine Tätigkeit gut machen;
- Beziehung – mit anderen in Verbindung stehen;
- Autonomie – das eigene Leben unter Kontrolle haben.
Für andere Menschen etwas bewirken zu können befriedigt diese Bedürfnisse. Man zeigt, dass man kompetent ist, man tritt in Beziehung mit anderen und man hat die Kontrolle über das eigene Leben, weil es die eigene Entscheidung ist, dies zu tun.
Wer das Gefühl hat, nichts zu bewegen, fragt sich: „Bin ich effektiv?“ – „Werde ich von anderen wertgeschätzt?“ – „Bin ich machtlos?“ Von dort ist es nur noch ein Schritt zu der Feststellung: „Ich bin nichts wert.“
Ein unverwechselbares Zeugnis?
Ohne Wirkung zu bleiben – für einen Christen ist dieses Gefühl besonders quälend. Denn genau dazu sind wir berufen: Wir sollen uns unterscheiden und anderen die Frohe Botschaft bringen.
Man kann dafür viele Worte finden: „Seid das Salz der Erde, das Licht der Welt“, „seid liebende Gegenwart“, „seid Zeugen Jesu, Zeugen des Reiches Gottes“ oder „spürt, was der Geist Gottes tut, und tragt das eure dazu bei“.
Wenn man aber auf das eigene Leben blickt, ist man allzu oft unzufrieden mit dem, was man tatsächlich bewirken kann. Vielleicht ist es das Gefühl der Machtlosigkeit, das einen zurückhält. Der Einzelne kann die Probleme nicht lösen, von denen wir in den Nachrichten hören. Dazu sind sie viel zu groß. Und die großen Taten berühmter Menschen hinterlassen das Gefühl: „Dazu wäre ich niemals in der Lage!“ Und dann fühlt man sich ganz schnell wie ein unbedeutender kleiner Stern im Universum und alle Energie löst sich in Luft auf.
Das Gefühl der Machtlosigkeit hat viele Wurzeln. Eine davon ist unsere zunehmend organisierte Welt. Die Anzahl existierender Organisationen und Institutionen hat extrem zugenommen, das gilt für registrierte Unternehmen in Kalifornien (zwischen 1960 und 2001 um das Fünffache gestiegen) genauso wie für internationale Nichtregierungsorganisationen, deren Zahl von weltweit 176 im Jahr 1909 fast ein Jahrhundert später auf über 44.000 angestiegen ist.6
Auch das private Alltagsleben ist oft bestimmt von Organisationen und Institutionen, angefangen bei der Kinderbetreuung in der Kindertagesstätte. Für die ehrenamtliche Arbeit gilt dies ebenso. Fast alle Entscheidungen, die das tägliche Leben bestimmen, haben ihren Ursprung in Organisationen – in Marketingfirmen, Unternehmen, Medien, Regierungen, Aufsichtsbehörden, Schulen, Krankenhäusern und vielen anderen mehr. Auch wenn durch die sozialen Medien der Einzelne ganz neue Möglichkeiten hat, haben Organisationen und Institutionen noch einen starken Zugriff auf unser Leben.
Die Organisationen und Institutionen selber empfinden, dass immer mehr organisiert wird: mehr Bestimmungen, mehr Zielsetzungen, mehr Rechenschaftspflicht. Die englischen Soziologen Paul Heelas und Linda Woodhead nennen dies den eisernen Käfig des „zielgerichteten Lebens“. Der Einzelne ist zum Gefangenen der Ziele am Arbeitsplatz geworden.7
Die Existenz von mehr Organisationen und Institutionen bedeutet aber auch mehr Wahlmöglichkeiten: Als Familie zum Beispiel kann man für seine Freizeitaktivitäten aus viel mehr Angeboten wählen. Das Leben wird zunehmend rastlos bei dem Versuch, alles darin unterzubringen. Gleich ob Sie Ihre Kinder von einer Veranstaltung zur nächsten fahren, sich selbst an die Grenzen Ihrer Kräfte bringen, um die Zeitvorgaben am Arbeitsplatz einzuhalten, oder ob Sie ausgebrannt sind durch den ehrenamtlichen Einsatz in Ihrer Kirchengemeinde – Organisationen und Institutionen lassen Sie ertrinken in einer Flut von Anforderungen. So hat man weder die Zeit noch das Durchhaltevermögen, in dieser Welt wirklich etwas zu verändern.
Zusammenkommen zum Gottesdienst, auseinandergehen ins Leben?
Die Art und Weise, wie die meisten Christen im normalen Leben Zeugnis ablegen, erschwert zudem den Kampf, Dinge zu verändern und etwas zu bewirken. Meist passiert nämlich Folgendes: Wir kommen am Sonntag zusammen zum Gottesdienst und gehen dann als Einzelne zurück in die Welt. Und während der Woche, am Arbeitsplatz, in der Familie, bei Freunden und in unserer Freizeit sind wir auf uns allein gestellt, um von Jesus Zeugnis abzulegen.
Natürlich werden wir durch die Gottesdienste und durch die Gebete der Gemeinde getragen und auch durch christliche Freunde und Verwandte. Vielleicht engagieren wir uns auch bei missionarischen Aktionen und Programmen der Gemeinde.
Trotzdem bleibt bei dem größten Teil der Gottesdienstbesucher das Gefühl: „Wenn es darum geht, den eigenen Glauben zu bekennen, bin ich nach dem Gottesdienst für den Rest der Woche als Christ auf mich alleine gestellt.
Besonders dann, wenn das Leben sich in einem Umfeld abspielt, in dem Kirche stark auf dem Rückzug ist – wir schauen uns dann vielleicht an unserem Arbeitsplatz oder in unserer Wohnsiedlung um und fragen uns: „Ist hier noch irgendjemand Christ?“
Gläubige versammeln sich, um Rückhalt zu bekommen, und trennen sich, um ihren Glauben zu bezeugen.
Dieses Schema des Zusammenkommens und Auseinandergehens ist so selbstverständlich geworden, dass wir es kaum je infrage stellen. Daneben aber entsteht nach und nach ein anderes Modell, wie man in der Welt wirken kann.
Christen treffen sich – normalerweise in kleinen Gruppen – in Pubs und Cafés, an Arbeitsplätzen, in Netzwerken und Nachbarschaften, um dort etwas für...