1. Mars und Apoll:
Selbsterziehung zum Monarchen
Als Kronprinz Friedrich am 31. Mai 1740 die preußische Thronfolge antrat, setzte er ein Zeichen. Seit Menschengedenken war es in Europa üblich, monarchischen Herrschaftsanspruch mit Gottesgnadentum zu begründen: Es sei Wille Gottes, dass dieser und kein anderer Fürst regiere. Friedrich nun legitimierte die herausgehobene Stellung auf der Ebene des Staats, dessen Leitung allein der König verantworte. Diese Vorstellung brachte er auf die sprichwörtlich gewordene Formel eines «ersten Dieners des Staates» («le premier Domestique»; Anti-Machiavel, Den Haag 1740[1]). In seinen 1747 begonnenen Mémoires pour servir à l’histoire de la maison de Brandebourg/Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg (Berlin 1751) führt er dazu aus: «Ein Fürst (‹ prince›) ist der erste Diener (‹serviteur›) und Beamte (‹magistrat›) des Staates. Ihm schuldet er Rechenschaft über die Verwendung der Steuern. Er erhebt sie, um den Staat durch die Truppen, die er hält, zu schützen, die ihm anvertraute Würde aufrechtzuerhalten, Dienste und Verdienste zu belohnen, eine Art Ausgleich zwischen den Reichen und den Belasteten herzustellen, Unglücklichen jeder Art ihr Los zu erleichtern und endlich freigebig bei allem zu verfahren, was den Staatskörper im allgemeinen angeht. Hat der Herrscher einen aufgeklärten Geist und das Herz auf dem rechten Fleck, so wird er seine sämtlichen Ausgaben für das Staatswohl und die größtmögliche Förderung seines Volkes verwenden».[2] Der König vertrat dieses monarchische Selbstverständnis bis ins hohe Alter und machte es in seinen politischen Schriften immerfort publik.
In den Mémoires/Denkwürdigkeiten fällt nun verstörend auf, dass mit der Proklamation des «aufgeklärten» Herrscherbildes die Herabwürdigung König Friedrichs I. einhergeht, unter dem das Kurfürstentum 1701 zum Königreich aufgestiegen war. Dieser habe die Hofhaltung nach den ersten Fürstenhäusern Europas ausgerichtet, dabei die Armen mit Füßen getreten, um die Reichen noch fetter zu machen, seine Favoriten hätten dicke Pensionen bekommen, während das Volk im Elend gelebt habe; seine Bauten seien prunkvoll gewesen, seine Feste prächtig usf. Friedrich hatte dergleichen bereits in der Kronprinzenzeit – in einem Brief an Voltaire vom 6. Juli 1737 – geäußert: «Friedrich I., König von Preußen, ein Fürst von höchst beschränktem Geiste, leutselig, aber leichtfertig, brachte während seiner Regierung die Künste zum Blühen. Dieser Fürst liebte Glanz und Pracht, er war großzügig bis zur Verschwendung. Hingerissen von all den Lobeshymnen, die man auf Ludwig XIV. sang, meinte er, gleichfalls gepriesen zu werden, wenn er sich jenen Monarchen zum Vorbild nähme. Binnen kurzem war der Hof von Berlin zum Affen Versailles’ geworden, alles wurde nachgeahmt, das Zeremoniell bei Hofe, die Redeweise, das gemessene Schreiten, gestelzte Worte [...].»[3] Möglicherweise verkannte der Kronprinz, dass um 1700 die Zeit für frühaufklärerische Ideen noch nicht gekommen war und es zur sichtbaren Präsentation des Königs und seiner Monarchie nach geltendem höfischem System und Zeremoniell keine Alternative gab, schon gar nicht im damaligen, um Anerkennung der Königswürde ringenden Preußen; möglicherweise wusste er das aber sehr genau und gründete die Herabsetzung Friedrichs I. in seiner Darstellungsstrategie, um auf der Folie des Negativbildes die vorbehaltlos positiv beschriebene Herrschaft des Vaters Friedrich Wilhelm I. umso glanzvoller erscheinen zu lassen: «Wenn es wahr ist, daß wir den Schatten der Eiche, der uns umfängt, der Kraft der Eichel verdanken, die den Baum sprossen ließ, so wird die ganze Welt darin übereinstimmen, daß in dem arbeitsreichen Leben dieses Fürsten und in der Weisheit seines Wirkens die Urquellen des glücklichen Gedeihens zu erkennen sind, dessen sich das königliche Haus nach seinem Tode erfreut hat.»[4] Die Schärfe der Attacke auf Friedrich I. ist dennoch erstaunlich, da Friedrich II. selbst etwa zu der Zeit, als die Mémoires/Denkwürdigkeiten erschienen – anlässlich des Fürstenbesuches des Bayreuther Markgrafenpaares im August 1750 in Potsdam bzw. Berlin –, ein geradezu rückwärtsgewandt barockes Hofzeremoniell, ein ungewöhnlich pompöses Fest inszenierte. In dessen Zentrum stand ein Reiterballett (Carousel), das «deutlich an den Turnieren Ludwigs XIV. [orientiert war], die dieser nach dem erfolgreichen Friedensschluss mit Spanien 1662 und 1664 veranstaltet hatte.»[5] Machte sich Friedrich II ebenfalls zum Affen Versailles’, stand er seinem gescholtenen Großvater also näher, als er glaubte? Auf jeden Fall tut sich ein Widerspruch auf, ein Widerspruch, der allerdings ins Zentrum seiner komplizierten Selbstfindung zum Monarchen – zum «Musiker und Monarchen» – führt.
Am 8. August 1736 hatte sich der Kronprinz erstmals an Voltaire gewandt und damit einen Briefwechsel eingeleitet, der tiefen Einblick in Friedrichs Gedanken- und auch Gefühlswelt gibt. Er war ein Suchender und fand in dem französischen Philosophen sein Idol: sogleich ließ er sich Voltaires Bücher und Manuskripte kommen, legte ihm seine eigenen Schriften und Dichtungen zur Korrektur vor und diskutierte wichtige Themen, darunter bemerkenswert oft die Rolle und Würde eines Monarchen. Sehr begierig war er auch, nach und nach Voltaires 1735 begonnenes Manuskript des Siècle de Louis XIV zu lesen, das 1751 in Berlin im Druck erschien. Der Kronprinz konnte nicht genug davon bekommen. Hatte er von Voltaire im März 1737 über Ludwig XIV. erfahren, ihm habe man «bloß Tanzen und Lautenspiel» beigebracht, er habe «nie» gelesen,[6] so erfuhr er im August 1739 – Friedrich hatte inzwischen die ersten Kapitel des Manuskripts erhalten: «Paris spricht nur noch von Festen und Feuerwerken; man gibt viel für Pulver und Raketen aus; viel mehr gab man vorzeiten für den Geist und für die Künste aus; und wenn Ludwig XIV. Feste gab, dann waren Corneille, Molière, Quinault, Lully, Le Brun mit von der Partie.» Sodann hebt er besonders die Bautätigkeit hervor und resümiert: «Ein Fürst, der baut, bringt notwendigerweise auch die übrigen Künste zum Blühen; Malerei, Bildhauerei, das Zeichnen sind das Gefolge der Baukunst. Ein schöner Salon muß der Musik vorbehalten sein, ein weiterer dem Theater.»[7] Ludwig XIV. wird mithin – insofern er Wissenschaft und Künste förderte – zum Vorbild gegenwärtiger und zukünftiger Monarchen, und so und nicht anders wird ihn Voltaire in seinem Geschichtswerk darstellen.
Friedrich machte sich Voltaires Ansichten zu eigen, denn fortan erklärte er die Pflege des Talents in Kunst und Wissenschaft, darunter der Musik, zur Pflicht des Edelmannes. Greifbar wird dies etwa im Briefwechsel mit Albrecht Wolfgang Graf zu Schaumburg-Lippe, ebenfalls ein Anhänger Voltaires. Der Graf hatte dem Kronprinzen eine seiner Kompositionen geschenkt. Hieraus nun entwickelte sich eine interessante Korrespondenz. Die Beschäftigung mit Wissenschaften und Künsten, schreibt Friedrich am 12. Oktober 1738, setze Edelleute nicht herab, sondern verleihe ihnen im Gegenteil Glanz. Der spanische Adel ergehe sich in Müßiggang, je vornehmer ein Mann in diesen Klimaten sei, desto weniger sei er beschäftigt; für seine eigene Nation wünsche er das Gegenteil, dass man in dem Maße als adlig anerkannt werde, in dem man es verdiene. Die Musik verfüge über die leidenschaftlichste und pathetischste Beredsamkeit. Einige Zusammenklänge rührten und bewegten die Seele auf wunderbare Weise. Man könne mit Musik den Geist ansprechen und, wenn man diese Kunst ausreichend beherrsche, den Zuhörern seine Gefühle vermitteln.[8] Der Graf lobte Friedrichs Kennerschaft, stimmte seiner Sichtweise zu und rief in diesem Zusammenhang Ludwig XIV ins Gedächtnis. Dieser habe sich Leute wie Colbert (seinen Finanzminister) und Louvois (seinen Kriegsminister) heranziehen können, da er sich nicht nur zum Förderer der schönen Künste erklärt, sondern begriffen habe, dass er selbst befähigt sein müsse, mit Sachkenntnis zu urteilen. Auch der größte Monarch der Welt habe Mußestunden, wenn er in der Lage sei, seine Zeit einzuteilen. Was könne er in dieser Zeit der Muße für sich und sein Volk dann Besseres tun, als sich zu sammeln, sich daran zu erinnern, dass er Mensch sei, seinen Geist zu pflegen habe, um sich all das anzueignen, was ihn schmücke und veredele. Im Übrigen bittet er den Kronprinz um eine seiner Kompositionen.[9]
Es ist bekannt, dass der Kronprinz seine philosophische Bildung wesentlich Voltaire verdankte. Auch der Beiname «roi-philosophe» geht auf ihn zurück. Er sei gerührt gewesen, als er seinen Brief bekommen habe, schreibt Voltaire im...