»Ich liebe Sie
trotz Ihrer Gepflogenheiten«
Das königliche Elternpaar Friedrich Wilhelm I. und Sophie Dorothea
Preußische Brautschau
Vierzehn Kinder! Einen besseren Beweis für ein harmonisches Ehe- und Familienleben schien es wohl kaum zu geben. Trotzdem haben Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. und seine Gemahlin Sophie Dorothea sehr eindrucksvoll das Gegenteil demonstriert. Selbst wenn fürstliche Ehen früher nur äußerst selten glücklich wurden, so spielten sich im Berliner Schloss mitunter doch recht drastische Szenen ab.
Eigentlich hatte der junge Kronprinz Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen eine ganz andere heiraten wollen: die schöne Caroline von Ansbach, eine Waise, die am Hof seiner Mutter Sophie Charlotte erzogen worden war. Zwar war sie fünf Jahre älter als er selbst, dafür aber entsprach sie so ganz dem Bild, das er sich von seiner zukünftigen Ehefrau machte: liebenswert, aber durchaus ernsthaft und sittenstreng. Doch mochte er auch heimlich von Caroline schwärmen, über seine zarten Gefühle konnte und wollte der schüchterne 17-Jährige nicht sprechen. Wie groß war deshalb die Enttäuschung, als Friedrich Wilhelm schließlich zu Ohren kam, dass ausgerechnet sein verhasster Vetter Georg August von Hannover der Glückliche sein sollte, der Caroline vor den Traualtar führen durfte! Nun aber war es zu spät. Im September 1705 heiratete die hübsche Ansbacherin den gleichaltrigen Welfenprinzen und nachmaligen König Georg II. von England. Friedrich Wilhelm war zwar ausgesprochen wütend, dass er den Kürzeren gezogen hatte, noch aber ahnte er nicht, wie viel Ärger ihm sein Rivale in Zukunft noch machen würde.
Das Thema »Ehe« war für den preußischen Kronprinzen damit vorerst erledigt. Sein Verhältnis zu Frauen gestaltete sich ohnehin etwas problematisch, nachdem er am Charlottenburger Hof seiner Mutter allzu viel Koketterie und Frivolität hatte erleben müssen, zumindest nach seinem streng calvinistischen Empfinden. Friedrich Wilhelms eigentliche Leidenschaft galt auch weniger dem weiblichen Geschlecht als vielmehr allem, was mit der preußischen Armee tun hatte, jener Armee, der er sein nahezu gesamtes Leben widmen sollte. Aus guten Gründen wurde er schließlich als »Soldatenkönig« bekannt.
Wäre es nach ihm selbst gegangen, so hätte er den Gedanken an eine Heirat am liebsten in die ferne Zukunft verbannt. Aber sein kränklicher Vater Friedrich I., Preußens erster König, drängte den einzigen Sohn inständig, eine Gemahlin zu finden und Nachwuchs zu zeugen. Der junge Friedrich Wilhelm spürte, wie ernst es dem Vater mit seinem Wunsch war und ließ sich schließlich erweichen. Eines jedoch stellte er unmissverständlich klar: Wenn er schon heiraten müsse, dann auf keinen Fall irgendeine fremde Prinzessin, sondern nur eine Frau, die ihm schon vorher bekannt war. Der Kreis dieser Kandidatinnen war nicht sonderlich groß. Und so fiel die Wahl schließlich auf seine ein Jahr ältere Cousine Sophie Dorothea von Hannover, die Schwester von Georg August.
Friedrich Wilhelms Mutter Sophie Charlotte, eine geborene Prinzessin von Hannover und Tante der Auserwählten, erlebte die Hochzeit ihres einzigen Sohnes nicht mehr. Die preußische Königin war bereits 1705 im Alter von nur 36 Jahren gestorben. Und doch schien ihr Geist über dieser Verbindung zu schweben, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter, Kurfürstin Sophie von Hannover, noch zu Lebzeiten angebahnt hatte, um die Achse Berlin– Hannover auch in Zukunft zu stärken.
Es war also keine Liebesheirat, die da stattfinden sollte. Die künftige Braut Sophie Dorothea wurde erst gar nicht nach ihrer Meinung gefragt. Das war auch nicht üblich. Hätte man es getan, wäre die Antwort wahrscheinlich »Um Gottes Willen! Nein bloß nicht« gewesen. Denn der preußische Vetter Friedrich Wilhelm entsprach nicht gerade dem Traumbild der verwöhnten Welfenprinzessin. Er brachte nicht nur gut zwei Zentner auf die Waage, sondern lief auch aus Protest gegen die ihm verhasste höfische Etikette wie ein einfacher Bauer herum. Entgegen den Gepflogenheiten seiner Zeit und Umgebung ließ er sich das Gesicht von der Sonne bräunen, trug keine Perücke, dafür vorzugsweise grobe Stiefel. Zudem hatte er einen regelrechten »Sauberkeitsfimmel« und legte größten Wert auf körperliche Hygiene, was in einer Zeit, in der Parfum und Puder die Rolle von Wasser und Seife übernommen hatten, als höchst ungewöhnlich galt.
Doch nicht nur das Äußere des Kronprinzen war gewöhnungsbedürftig. Viel schlimmer sah es in seinem Inneren aus. Von klein auf hatte er die höfische Gesellschaft mit fürchterlichen Wutausbrüchen malträtiert, Mutter und Erzieherinnen bisweilen zur Weißglut gebracht, seine Lehrer verprügelt und besonderen Spaß an derben Scherzen gehabt. Einmal erschreckte er einen Kammerherrn, der gerade aus dem Fenster guckte, so sehr, dass dieser das Gleichgewicht verlor und hinausstürzte, was der junge Kronprinz dann jedoch gleich zutiefst bereute. Denn in Friedrich Wilhelms Brust rangen gewissermaßen zwei Seelen um die Vorherrschaft, und eine davon war höchst empfindsam. Diese Seite jedoch offenbarte er nur ganz wenigen Menschen und wusste sie gut vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Das Bild des polternden Friedrich Wilhelm, des preußischen »Prügelprinzen«, erscheint daher ungleich größer als das eines kompromisslos ehrlichen, gottesfürchtigen und sittenstrengen jungen Mannes, der die gleichen Eigenschaften auch von seiner künftigen Frau erwartete.
Und hier lag bereits das erste Problem. Sophie Dorothea war nämlich die Tochter des Kurprinzen Georg Ludwig von Hannover, der 1714 als Georg I. den englischen Thron besteigen sollte. Von seiner Gemahlin, die wie die Tochter Sophie Dorothea hieß und unter dem Namen »Prinzessin von Ahlden« zu trauriger Berühmtheit gelangte, hatte er sich schon vor Jahren getrennt. Nachdem die Prinzessin nämlich lange genug unter der notorischen Untreue ihres Gemahls gelitten hatte, war sie zu dem Entschluss gekommen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und hatte eine Affäre mit dem attraktiven Grafen Philipp Christoph von Königsmarck begonnen. Die Liebesgeschichte flog natürlich auf, die Ehe wurde geschieden und Mutter Sophie Dorothea aus Hannover verbannt. Sie verbrachte die vielen Jahre bis zu ihrem Tod 1727 unter strengster Bewachung auf dem Wasserschloss Ahlden und durfte ihre beiden Kinder Georg August und Sophie Dorothea nicht mehr wiedersehen.
Die zwei wuchsen nun bei ihrer Großmutter Sophie in Hannover auf, die auch gleichzeitig die Großmutter des preußischen Kronprinzen war. Deshalb war schon der kleine Friedrich Wilhelm oft in Hannover zu Besuch gewesen und hatte so Cousin und Cousine mit der Zeit recht gut kennen gelernt. Während er den fünf Jahre älteren Georg August seit Kindertagen aus tiefstem Herzen hasste und ihm von daher so manche Tracht Prügel verabreichte, stand er Sophie Dorothea eher indifferent gegenüber. Sie hatte sich mit der Zeit zu einem recht hübschen jungen Mädchen entwickelt, das freilich nach seinem Geschmack ein wenig zu viel Wert auf Äußerlichkeiten legte, auf Kleidung, Schmuck und Schminke ebenso wie auf aufwändige höfische Feste – lauter Dinge also, die dem schlichten und sparsamen Friedrich Wilhelm zuwider waren. Hinzu kam ein gewisser Hang zur Koketterie, den er bei ihr zu erkennen glaubte, möglicherweise ein Erbteil ihrer – aus seiner Sicht – liederlichen und sittenlosen Mutter. Alles in allem aber erschien ihm die junge Frau im Vergleich zu einer völlig unbekannten Prinzessin offenbar als das »kleinere Übel«. Der Hochzeit stand damit nichts mehr im Wege.
Vater Friedrich I. und Großmutter Sophie von Hannover freuten sich ganz besonders, als der 18-jährige Friedrich Wilhelm und die 19-jährige Sophie Dorothea am 28. November 1706 im Berliner Schloss vor den Traualtar traten. Bereits ein Jahr später brachte die Kronprinzessin den erhofften Thronerben zur Welt, der nach seinem stolzen und überglücklichen preußischen Großvater den Namen Friedrich erhielt. Doch der kleine Prinz wurde nur ein Jahr alt und starb ausgerechnet im Mai 1708, als sich die jungen Eltern gerade zu einem Besuch in Hannover aufhielten. Schon bald zeigte sich zudem, dass diese Verbindung nahezu eine einzige Katastrophe werden würde. Der unerfahrene Ehemann, von zwiespältigen Gefühlen gequält, verfolgte seine Frau mit rasender Eifersucht und es kam zu allerlei hässlichen Szenen, obwohl sich Sophie Dorothea offenbar keiner Schuld bewusst war. Friedrich Wilhelm schmollte und tobte, wenn »sein Fiekchen«, wie er Sophie Dorothea zu nennen pflegte, scheinbar mit anderen Männern flirtete. Einmal schnitt er ihr im Zorn sogar die Haare ab, damit sie sich nicht mehr aufreizend-modisch frisieren konnte. Ein klärendes Gespräch aber war unmöglich, denn Friedrich Wilhelm zog es vor, seiner Frau wortlos den Rücken zu kehren und tagelang kein Wort an sie zu richten, bis endlich der Zorn verraucht war. Die Kronprinzessin sah schließlich nur noch eine einzige Möglichkeit für ein gemeinsames Zusammenleben: das ständige Heucheln von Liebe und Zuneigung und gemeinsamen Überzeugungen. »Ich liebe Sie trotz Ihrer Gepflogenheiten«, schrieb sie ihrem Gemahl am 16. September 1710, »ich liebe Sie viel zu sehr, ich bin überzeugt, dass Sie Ihr Benehmen einmal bitter bereuen werden.« Doch zu einer ehrlichen Aussprache zwischen den Ehepartnern ist es niemals gekommen. Beide verharrten in einem Zustand der Sprach- und Hilflosigkeit und Sophie Dorothea versuchte fortan, alles hinter dem Rücken ihres Gemahls durchzusetzen, Liebe und Loyalität vorzugeben, tatsächlich aber ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Das sollte fatale Folgen haben.
Schauplatz: Das Berliner...