Der Winter – die verlorene Jahreszeit im Garten
Früher Frost und erster Schnee im Oktober haben der üppigen Kapuzinerkresse im Hochbeet den Garaus gemacht.
In diesem Buch geht es vom Anfang bis zum Schluss um den Winter. Viel ist über diese Jahreszeit geschrieben, gedichtet, philosophiert worden, aber kaum jemals im Zusammenhang mit dem Garten. Winter und Garten: Diese beiden Begriffe scheinen nicht zusammenzugehen, außer man flüchtet zu den Werbeseiten und den Websites jener Firmen, die daraus mit hohem technischen Aufwand behaglich warme Wohlfühlräume in Form von Anbauglashäusern machen. In ihrer Grundbedeutung lassen diese beiden Begriffe aber doch großteils traurige Bilder in uns hochsteigen: leere, weiße oder eher graue Beete, abgestorbene Pflanzenteile, die letzten geschrumpften Karotten aus dem Keller.
Unter den vielen Zitaten und Aphorismen zum Winter bleibt mir besonders eines in Erinnerung. Es ist jene Verszeile von William Cowper, einem englischen Dichter des 18. Jahrhunderts, die auch Eliot Coleman in seinem Handbuch Wintergärtnerei zitiert:
„O Winter, der du die Kehrseite des Jahres beherrschst“. Tatsächlich: Der Winter bestimmt die Jahresrückseite. Garten und Gemüse verbinden wir aber mit Sonne und sommerlicher Üppigkeit, also mit der Jahresvorderseite. Viele Gartenbücher sind darüber schon geschrieben worden. Wir aber – und Sie verzeihen die etwas deftige Bildsprache gleich zu Beginn – wollen uns hier einmal mit dem Jahreshinterteil beschäftigen.
Fünf Thesen für den Wintergemüsebau
Ich fühle mich nur ein ganz klein wenig in der Tradition des großen Reformators Martin Luther, wenn ich hier nicht 95 Thesen an eine Kirchentür, sondern nur fünf Thesen bildlich gesprochen an die Gartentür hefte.
1. Der Winter ist die im Gemüsebau verlorene Jahreszeit.
2. Der Winter ist keine Wachstumszeit, aber Erntezeit.
3. Viele Gemüsearten sind frostfester als landläufig bekannt.
4. Neue-alte Gartenbautechniken helfen, die Saison zu verlängern (z. B. das Mistbeetkasten-Prinzip).
5. Diese Techniken müssen an unsere moderne Zeit angepasst werden.
Auch hier geht es darum, festsitzende Vorurteile aufzubrechen und neue Zugänge zu wagen. Gerade weil wir den Winter aus unseren Gartenkalendern herausgestrichen haben, lohnt es sich, einmal näher hinzusehen. Ich stelle diese fünf Thesen gleich an den Anfang, weil wir sie uns in diesem Buch vornehmen wollen, sie prüfen, das Potenzial darin entdecken und ausloten werden.
Was jetzt noch im Keller an Wurzeln und Rüben zu finden ist, sieht nicht mehr besonders knackig aus.
Eine Bestandsaufnahme zum Winter
In den meisten Nutzgartenkalendern, die ich kenne, startet das Gemüsejahr mit den ersten Aussaaten im Februar und geht bis zum Räumen der Beete im Spätherbst. In den Monaten Dezember und Jänner wird uns empfohlen, die Sämereien zu sortieren, Anbaupläne zu machen oder vielleicht noch Gemüsekeimlinge am Küchenfenster zu ziehen.
Manchmal findet man Hinweise auf den Vogerlsalat und seine Kältefestigkeit oder zur Ernte von Kohlgemüse im November. Insgesamt aber bleibt der Winter der buchstäblich weiße Fleck auf der Landkarte des Gartenjahres, weil wir uns von ihm einfach nichts erwarten. Kälte, Frost und Dunkelheit scheinen uns jeden Gedanken an winterliche Ernteerlebnisse zu rauben.
An dieser Stelle ist es notwendig, den Winter zunächst einmal überhaupt erst zu definieren.
Winterlandschaft: Der Winter ist eine bezaubernde Jahreszeit, mit Garten und Gemüse wird er aber niemals in Zusammenhang gebracht.
Die Üppigkeit des Sommers ist im Winter weit weg. Gerade deshalb wird er gerne aus Gartenbüchern und -zeitschriften verdrängt.
Man unterscheidet ja die astronomische und die meteorologische Begriffsbestimmung des Winters. Astronomisch beginnt der Winter auf der Nordhalbkugel mit der Wintersonnenwende am 21. Dezember und endet mit der Tag- und Nachtgleiche in der Nacht zum 21. März. Die Meteorologen fassen hingegen ganze Monate zusammen und zählen Dezember, Jänner und Februar zum Winter. Ich hoffe, Sie gestatten mir hier meine eigene gemüsebauliche Winterdefinition, mit der ich die Randbereiche, nämlich den spätherbstlichen November und den Vorfrühling im März, noch mit dazunehme. So kommen wir auf knapp ein halbes Jahr, das wir für unsere Wintergemüsekulturen nutzen können und das sonst als Erntesaison eigentlich verloren wäre. Wenn man es so betrachtet, scheint es tatsächlich absurd, auf eine derart lange Zeit im Hausgarten einfach zu verzichten. Aber genau das ist es, was wir normalerweise tun. Mir geht es hier gar nicht um Ertragsmaximierung in der Eigenproduktion, sondern um durchgehende Versorgung mit frischem Grün und knackigem Selbstgezogenem.
Höhe- (Tief-)Punkte des Winters
Meiner Ansicht nach hat der Winter zwei Schwerpunkte, die man vielleicht als Tiefpunkte bezeichnen kann, weil hier der Bedarf an Frischgemüse besonders akut wird und das heimische Angebot im Handel nahezu bei null liegt: Das ist die Zeit um Weihnachten und den Jahreswechsel, wo man zum feierlichen Anlass ganz Besonderes auf den Tisch bringen will und mit abwechslungsreichem Gemüse unbedingt für Ausgleich zum Festtagsbraten sorgen möchte. Immer mehr Leute wollen auf letzteren gleich überhaupt verzichten. Was aber könnte ein adäquater, gemüsebetonter Ersatz sein, wenn man sich qualitätsund umweltbewusst versorgen möchte? Die Erfahrung zeigt, dass die Weihnachts- und Silvestertafel sehr stark von exotischen Früchten und außersaisonalem Gemüse dominiert sind. Die Suche nach regionalen, schmackhaften Alternativen zu diesen Anlässen wird vielen unserer Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ein immer größeres Anliegen.
Der zweite Tiefpunkt stellt die Zeit des ausgehenden Winters dar, die Monate Februar und März, wo die Sehnsucht nach frischem Grün so stark wird, dass man den Frühling ja kaum mehr erwarten kann. Das sind jene Wochen im Jahr, in denen selbst der Großstädter bildlich gesprochen die winterliche Kost aus Nebelsuppe und Schneematsch-Eintopf satt hat, den wärmenden Sonnenstrahlen nachläuft und die ersten Frühlingsblumen im Beserlpark (= wienerisches Dialektwort für Kleinstpark) begrüßt. Apropos satthaben: Selbst überzeugte Regionalversorgungsverfechter haben zu diesem Zeitpunkt immer mehr Probleme, sich von den Resten an Karotten, Rüben und Weißkraut zu ernähren. Einige Anbieter von regionalen Gemüseabokisten haben mir schon gestanden, dass dies für sie die schwierigste Zeit im Jahr ist, ihre Kunden zufriedenzustellen, weil sich das saisonale Sortiment wochenlang auf die eben genannten Lagergemüse beschränkt. Die „Erlösung“ ist im derzeitigen System allerdings erst im April vorgesehen, wenn die ersten knackigen Radieschen und der erste frische Salat aus heimischem Anbau geerntet werden können.
Gartenkresse am Fensterbrett keimen zu lassen, ist eine Form des Wintergärtnerns – allerdings im behaglichen Innenraum statt im „echten“ Winter draußen.
Auf die Tatsache, dass Kohlgemüse eine beachtliche Winterfestigkeit aufzuweisen hat, wird in zahlreichen Gartenbüchern hingewiesen.
Kürbis-Quiche mit Asia-Salaten wäre zu Weihnachten nicht nur ausgesprochen saisonal, sondern durchaus Festtafel-tauglich.
Wintergemüse im Handel
Während wir im Hausgarten unser saisonales Auf und Ab erleben, scheint der Lebensmittelhandel vom Wechsel der Jahreszeiten völlig unbeeindruckt zu sein. Sommers wie winters finden wir im Supermarkt das volle Gemüsesortiment an Salaten, Gurken, Tomaten und Paprika. Nur der Blick aufs Kleingedruckte am Etikett zeigt uns die gewaltigen Unterschiede bei der Herkunft. So ist der Winter im Handel die Jahreszeit der Gemüseimporte aus südlichen Ländern oder der heimischen Ware aus geheizten Gewächshäusern. Beides ist eine energieintensive Angelegenheit mit allen ökologischen Auswirkungen, die uns die Freude an den gut bestückten Regalen verderben können.
Das Gemüsesortiment im Lebensmittelhandel weist kaum jahreszeitliche Schwankungen auf. Nur in der Herkunft unterscheiden sich die Produkte erheblich.
Wenn ich hier einige Zahlen aus dem Intensivtomatenanbau zur Veranschaulichung nenne, dann sicher nicht deshalb, weil ich heimische Gemüsebetriebe diskreditieren oder ein Schwarz-Weiß-Bild malen möchte. Dass der Einzelbetrieb sich nach den Gegebenheiten am Markt richten muss und der Nachfrage des Handels entsprechend anbieten muss, kann man ihm nicht zum Vorwurf machen. Tomaten als Ganzjahreskultur werden in Intensivgewächshäusern bereits Anfang Jänner gepflanzt und auf 18–20 °C hochgeheizt. So sind die ersten heimischen Früchte bereits Ende März zu ernten, in einer Zeit, die wir soeben noch dem Winter zugerechnet haben. Man kann sich vorstellen, dass hier hohe Energiemengen...