Mein Zeugnis
Warum ich glaube
Warum ich glaube – das ist ein sehr persönliches Thema. Warum glaube ich überhaupt? Und warum glaube ich immer noch? Warum schließlich fällt es vielen heute so schwer? Ich will einige Antworten versuchen. Kein Katechismus, eher ein Zeugnis.
Eine erste Antwort: Ich glaube, weil ich den Glauben geerbt habe. Meine Eltern glauben. Ich habe mir diesen Glauben einfach abgeguckt. Ich habe nachgeahmt, was ihnen wichtig war. In meiner Heimatgemeinde fand ich Christen, die glaubwürdig waren. Ich habe zunächst nicht in Frage gestellt, was dort üblich war, habe einfach mitgemacht. Aber: Wenn das schon alles gewesen wäre, dann würde ich jetzt nicht mehr glauben. Die Tradition, in der ich aufgewachsen bin, war wichtig, aber sie konnte nicht alles sein.
Daraus ergibt sich meine zweite Antwort: Ich glaube, weil ich mich irgendwann dafür entschieden habe. Diese Grundentscheidung nennt die Bibel: Bekehrung. Das griechische Wort für »Bekehrung« lautet: Metanoia. »Metanoiete« heißt aber nicht: »bekehrt euch«, wie es meistens etwas moralisierend übersetzt wird, sondern es heißt wörtlich: »denkt um« bzw. »denkt größer«. Denkt größer von Gott! Denkt so, wie Jesus von ihm gedacht hat. Also kann ich sagen: Als Erwachsener habe ich mich bekehrt. Mich für Jesus Christus entschieden.
Aus dieser Erfahrung ergibt sich eine dritte Antwort auf die Frage, warum ich glaube.
Ich glaube, weil es vernünftig ist. Wer einmal seinen Kinderglauben in Frage gestellt hat, sucht nach Argumenten. Sicher, es gibt für Gott keine Beweise. Niemand kann Gott beweisen, so wenig wie man Liebe beweisen kann. Aber es gibt gute Gründe zu glauben. Diese Gründe habe ich für mich geklärt.
Dennoch, ich muss es ganz deutlich sagen: Wenn es das Christentum in seiner westeuropäisch-aufgeklärten Form nicht gäbe, wenn ich also glauben müsste, ohne zu verstehen, oder wenn ich – schlimmer noch – nur Autoritäten zu gehorchen hätte, dann wäre ich lieber Agnostiker. Wohlgemerkt: nicht Atheist, sondern nur unentschieden. Ohne vernünftige Argumente würde ich mich heraushalten.
Warum ich glaube. Eine vierte Antwort auf die Frage, die ich mir gestellt habe: Ich glaube, weil es Jesus gibt. Denn ich bin davon überzeugt: Wir können nicht von Gott reden, ohne von Jesus zu sprechen. Denn der Name »Gott« ist ambivalent, er kann eine Chiffre sein für alles Mögliche, für jeden Fanatismus und fast jede Dummheit. Der Name »Jesus« aber kann das nicht!
Auf den Koppelschlössern der Soldaten im Ersten Weltkrieg stand noch: »Gott mit uns«. Niemand hätte – auch schon damals! – gewagt, darauf zu schreiben: »Jesus mit uns«. Weil in Jesus Gott so nahe ist, so voller Liebe und Erbarmen, so eindeutig, dass man seinen Namen nicht mehr missbrauchen kann.
Manche fragen: Was hat uns Jesus eigentlich gebracht? Ist die Welt durch ihn etwa besser geworden? Darauf möchte ich ganz einfach antworten: Jesus hat Gott gebracht! Er hat den nahen, barmherzigen Gott gebracht, der keine Opfer will, sondern Barmherzigkeit. Den liebenden Gott, der mir jede Angst nimmt: die Angst vor dem Tod genauso wie die Angst vor dem Leben. Jesus nennt ihn »Abba, lieber Vater« und deshalb nenne ich ihn auch so.
Daraus ergibt sich eine neue Antwort auf die Frage, warum ich glaube. Ich glaube, weil ich ewig leben werde. Ich glaube fest daran, dass Jesus vom Tod auferstanden ist. Sonst wären seine Jünger für diese Botschaft nicht in den Tod gegangen. Das bedeutet für mich: Mein Leben kann nicht mehr scheitern. Ich kann mich einsetzen für andere, ohne Angst zu haben, dabei etwas zu verlieren oder zu verpassen. Ich bin gelassen im Vorletzten, weil ich geborgen bin im Letzten.
Und deshalb glaube ich auch: um dieser Erde willen, um der Menschen willen. Wenn man sich für nichts und niemanden mehr einsetzen mag, wozu ist man dann noch auf der Welt? Ich bin fest davon überzeugt: Es ist Gottes Erde, die wir bewohnen, und es sind seine Menschen, mit denen wir leben. Deshalb ist es Gott nicht egal, was aus seiner Erde wird. Und darum ist es auch mir nicht egal. Ich möchte mich da einbringen, möchte mitmischen. Wenn ich vielleicht auch nur ganz wenig verändern kann – ich will es versuchen. Wenn auch das Reich Gottes für mich eine Nummer zu groß ist – ich vertraue darauf, dass Gott mich braucht.
Deshalb also glaube ich: Weil ich es so erfahren und gelernt habe. Weil ich mich irgendwann dafür entschieden habe. Weil es vernünftig ist. Weil es Jesus gibt. Weil ich auferstehen werde, und weil ich davon überzeugt bin, dass ich hier auf der Erde gebraucht werde.
Mein Glaubensbekenntnis heißt: Ich glaube Jesus seinen Gott. Das klingt zuerst wie falsches Deutsch, so, als wäre der Dativ wirklich dem Genitiv sein Tod. Aber ich meine es anders. Ich glaube ihm – diesem Jesus im Dativ – seinen Gott. Ich glaube ihm seinen Gott, das heißt: Ich glaube, dass der Gott und Vater Jesu wirklich der Schöpfer der Welt ist. Und ich glaube, dass Gott wirklich so ist, wie Jesus von ihm gesprochen hat. Wie er mit ihm gelebt hat. Wie er ihn geliebt hat.
Aus jeder meiner Antworten folgen neue Fragen über den Glauben. Als Pfarrer muss ich mich ihnen immer wieder stellen. Und darüber mit anderen Christinnen und Christen im Gespräch bleiben. Deshalb wähle ich für weitere Gedanken die Form des Dialogs.
Ich finde, du sprichst überzeugend von deinem Glauben, sehr persönlich auch. Aber: Kennst du denn gar keine Zweifel? Ist für dich immer alles so sonnenklar?
Nein, selbstverständlich nicht. Ich habe auch meine Zweifel. Außer der Existenz Gottes habe ich schon alles in Zweifel gezogen, was die Kirche lehrt. Wirklich alles außer der Existenz Gottes und dem ewigen Leben. Beides war mir immer gewiss. Glauben ist eben kein Zustand, sondern ein Weg. Dazu gehört das Auf und Ab, das Finden und Verlieren, die Leere und die Fülle. Auch für mich.
Was meinst du, warum fällt es vielen heute so schwer, zu glauben? Hat Religion nicht alle Selbstverständlichkeiten verloren? Für mich war früher auch alles klar. Aber heute?
Die Menschen waren nicht religiöser als heute, aber ihre Welt war religiöser, sie war voller Rituale, Zeichen und Geläufigkeiten. Kultur und Religion waren noch ganz nahe beieinander, sie sahen einander zum Verwechseln ähnlich. Und »bei Kirchens« machte man einfach mit, aber man machte sich weiter keine Gedanken. Das aber funktioniert nicht mehr. Die Menschen glauben nicht mehr wie von selbst. Man glaubt, weil man sich für Gott entschieden hat. Oder wenigstens, weil man Leute kennt, die sich entschieden haben und von denen man sich irgendwie mitziehen lässt.
Du hast gesagt: »Das funktioniert nicht mehr«. Hat Religion denn früher funktioniert? Kann man das überhaupt sagen, dass Religion eine Funktion hat?
Na klar. Seit ihrer Entstehung war Religion vor allem eine seelische Krücke, die man sich unter den Arm klemmt, um mit der Angst fertigzuwerden, der Angst vor dem Leben und der Angst vor dem Tod. Religion war ein Mittel gegen Daseinsangst.
Und was glaubst du, warum ist Religion funktionslos geworden?
In archaischen Religionen war das Göttliche anziehend und schrecklich zugleich. Deshalb musste man sich absichern gegen Unheil, indem man die Götter gnädig stimmt und für seine Sünden Sühne leistet. Man hatte Angst vor Unwetter, Krankheit und Krieg. Um sich mit dem Göttlichen gut zu stellen, brachte man Opfer dar. Alles, was Menschen nicht erklären konnten, fühlte sich irgendwie göttlich an.
Und heute?
Heute ist das Leben hundertprozentig entzaubert, vor allem durch Wissenschaft und Technik. Es scheint für fast alles eine Erklärung zu geben. Deshalb muss vor dem Göttlichen niemand mehr zittern und niemand mehr staunen. Auch die Naturgewalten sind entzaubert. Deshalb muss niemand mehr vor einem Gewitter Angst haben und niemand muss um eine gute Ernte bitten. Alles wächst, weil die Genetik es so will, nicht aber das Göttliche. Vor allem sind Sünde und Schuld kein Problem mehr. Nicht der einzelne Mensch sündigt. Immer sind die Umstände, die Gesellschaft oder die Erziehung schuld. So kann man sich guten Gewissens selber leidtun – und braucht niemanden um Verzeihung zu bitten, am wenigsten Gott. Unschuldswahn nennt man das.
Du meinst also, man macht alles nur noch mit sich selbst aus?
Genau. Der Mensch fühlt sich heute nicht mehr abhängig, sondern selbstständig. Er hat sich mit seinen »existenziellen Beleidigungen« abgefunden: Er hat sich damit abgefunden, nicht mehr Mittelpunkt des Weltalls zu sein, Zufall der Evolution zu sein, ja nicht einmal mehr Herr seiner selbst. Wozu bedarf es eines letzten Lebenssinns, wenn der Mensch sich selbst als bedeutungslos...