3.6 Regelmäßiges Üben (Trainingsarten und Belastungsdosierung)
Dass nur regelmäßiges Üben zum Erfolg führt ist klar. Um sich selbst zu motivieren, sollte man sich die Gründe vor Augen führen, weshalb man trainiert. Zum Beispiel in Bezug auf die Gangschule: Ich werde wieder besser gehen lernen, damit ich mit meinem Kind auf den Spielplatz gehen kann. Oder: Ich werde mit meinem Partner durch den schönen Park gehen und die Natur genießen. Die angenehme Zielvorstellung motiviert.
Hinsichtlich der Belastungsdosierung des Trainings können hier nur standardisierte Durchschnittswerte aus der langjährigen Erfahrung der Behandlung von Patienten mit neurologischen Krankheitsbildern angegeben werden, die eine erste Orientierung geben. Diese sind hinsichtlich des individuellen Krankheitsbildes sowie der aktuellen körperlichen Verfassung des Patienten anzupassen.
Es stellt sich nun folgende Frage:
Warum aber werden hier standardisierte Durchschnittswerte angegeben, wenn oftmals eine individuelle Anpassung nötig ist?
Die Antwort lautet:
Die Gangschule erfordert die Einbeziehung unterschiedlicher Trainingsarten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Beim Sensomotorischen Training z.B. geht es um Bewusstmachung der eigenen Bewegung in einer Umwelt mit wechselnden äußeren Reizen. Dabei ist es wichtig langsam, konzentriert und aufmerksam die Übung auszuführen. Wenige bewusst und korrekt ausgeführte Übungen sind hier zielführend und nicht viele, schnelle und eventuell unsauber ausgeführte Bewegungen. Geht es hingegen um die Muskelausdauer ist weniger die Konzentration gefragt, sondern eine größere Anzahl von Wiederholungen ist nötig, um den Muskel zu trainieren und die Ausdauer aufzubauen.
Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es wichtig ist, zu wissen, was mit einer Übung bezweckt wird und wie das Ziel erreicht werden kann.
Deshalb werden im Folgenden die für die Gangschule relevanten Aspekte der Trainingslehre dargestellt. Die standardisierten Durchschnittswerte und Übungsempfehlungen geben eine erste Orientierung zum effektiven Üben sowie einen Vergleich zwischen den einzelnen Trainingsarten und -zielen.
Eine Übungseinheit/Trainingseinheit gliedert sich grundsätzlich in 3 große Blöcke:
- Erwärmung/Aufwärmen: Vorbereitung des Körpers auf das kommende Training. Dem Körper sollte nicht von Null auf Hundert Höchstleistung abverlangt werden.
- Hauptteil: Durchführung der eigentlichen Übungen
- Abwärmen: Der Körper wird wieder auf sein Ausgangsniveau gebracht mit dem Ziel der Entspannung.
Für den Hauptteil werden in der Regel ein oder zwei Themen gewählt (z.B. Muskelaufbau unter Einbeziehung koordinativer Elemente). Nach diesen Hauptthemen richten sich die Trainingsmethoden/arten sowie die passende Erwärmung/das passende Abwärmen.
Für das Aufwärmen/Abwärmen gelten folgende zeitliche Richtlinien:
Hier wird beispielhaft an einer 30-minütigen und an einer 40-minütigen krankengymnastischen Behandlung gezeigt, welche Anteile das Aufwärmen und Abwärmen haben sollten. Das gleiche gilt natürlich für Übungseinheiten zu Hause. Konkrete Übungen, die sich zum Auf- und Abwärmen eignen befinden sich in Kapitel 8: Auf- und Abwärmübungen!
Beispiel 1: 30-minütige krankengymnastische Behandlung:
5 min Aufwärmen
20 min Hauptteil (=Mittelteil)
5 min Abwärmen
Beispiel 2: 40-minütige krankengymnastische Behandlung:
10 min Aufwärmen
25 min Hauptteil (=Mittelteil)
5 min Abwärmen
Für das therapeutische Üben ist es wichtig, folgendes zu wissen:
Sinnvoll ist es zwischen zwei gleichartigen Trainingseinheiten (z.B. Muskeltraining für die Bauchmuskeln) eine Regenerations-Pause von ca. 24-48 Stunden einzulegen. Erst dann ist der Körper wieder aufnahmefähig für erneutes Üben. Oder einfach gesagt:
Mit Muskelkater üben bringt gar nichts!
In den Pausen können aber andersartige Trainingseinheiten (z. B. Koordinations-/Gleichgewichtstraining) ausgeführt werden. Das gesamte Trainingsprogramm wird dadurch abwechslungsreich. Außerdem werden so die verschiedenen Körperfunktionen trainiert, die für das Gehen benötigt werden.
Das Training sollte herausfordern, darf also anstrengend sein. Es sollte aber nicht überfordern! Motto: möglichst Schritt für Schritt die Schwierigkeit steigern!
Darüber hinaus bieten die unterschiedlichen Trainingsarten die zusätzliche Möglichkeit, das Training der Tagesform des Trainierenden anzupassen. Z.B. an Tagen mit fehlender Konzentration kann stupides Muskeltraining ausgeführt werden. An Tagen, an denen hingegen die Konzentration (=geistige Fitness) vorhanden ist, kann man gut Koordinations- u. Gleichgewichtsübungen machen.
Im Folgenden werden die wichtigsten Trainingsarten mit ihren Zielen und standardisierter Belastungsdosierung vorgestellt.
Zunächst erfolgt eine wichtige Erklärung zur Schreibweise der Übungswiederholungen, welche allgemein in der Sportliteratur verwendet wird.
Die Schreibweise wird an einem Beispiel erläutert.
Steht zu einer Übung folgendes geschrieben:
2 x 10-20 (= 2 Sätze x 10-20 Wiederholungen)
so ist damit folgendes gemeint:
Vom Patienten wird gefordert, dass er eine Übung 10-20-mal ohne Pause hintereinander ausführt (= 10-20 Wiederholungen, entsprechen einem Satz), dann eine Pause macht und nochmals die Übung 10-20-mal ohne Pause ausführt (= 2 Sätze insgesamt).
Als effektive, lohnende Pause zwischen zwei Sätzen werden mindestens 60 Sekunden angesehen. In Abhängigkeit von der Übungsintensität kann die Pause aber auch länger sein. Wichtig ist, dass der Körper sich ausreichend erholt, um effektiv weitertrainieren zu können.
Ein sehr wichtiger Aspekt bei allen Übungen -vor allem mit Kraftanstrengung- ist die effektive Atmung. Sie sorgt für eine gute Sauerstoffversorgung im Körper. Als Grundsatz gilt: Anstrengungsphase ist gleich Ausatmungsphase. Die Einatmung erfolgt in der Ruhephase bzw. in der weniger anstrengenden Phase der Übung. Beispiel: siehe Übung Kapitel 4.3.6, Training der Rumpfmuskulatur, Übung Nr.2. Es wurde eine Atemtechnik gewählt, die sich im Bereich der Rehabilitation vielfach bewährt hat. Es gibt auch andere Atemtechniken. Diese alle zu erläutern, würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Wer sich hierfür interessiert, kann sich weiter über die im Literaturverzeichnis aufgeführten Bücher informieren (u.a. Faller, Norbert: Atem und Bewegung).
Jetzt folgt auf den nächsten Seiten eine Übersicht über die Trainingsarten- u. Belastungsdosierungen, damit die Übungen sinnvoll ausgewählt werden können sowie korrekt ausgeführt werden. Wichtig zu wissen ist, dass manche Übungen mehreren Themenfeldern zugeordnet werden können und entsprechend mit unterschiedlichem Schwerpunkt geübt werden können.
Trainingsarten und Belastungsdosierung:
1. Dynamische Übungen (=Übungen in Bewegung):
Z.B. verschiedene Gangvarianten (Gang auf der Stelle, Gang am Seil entlang). Dient z.B. dazu, Bewegungsabläufe besser zu verstehen und umzusetzen.
Empfohlene Belastungsdosierung: 2 x 5-10 (Sätze x Anzahl der Wiederholungen)
Beispiel siehe Band 1: Kapitel 4.3.2 Spurbreite, Übung Nr.1.
Kennzeichnung im Buch:
Dynamische Übung
Wichtiger Hinweis:
Es gibt Übungen die sowohl statische als auch dynamische Anteile haben. In diesen Fällen wurde die Kategorie gewählt, die das stärkste Gewicht/den Hauptanteil hat.
2. Statische Übungen:
(=Übungen ohne sichtbare Bewegung oder Kräftigung ohne Bewegung oder Halteübungen)
Z.B. in der Hocke stehen beim Herausnehmen von Gegenständen aus einem niedrigen Schrank/Regal, starr stehen in jeder Form.
Empfohlene Belastungsdosierung: 2-5 x 5-10 Sekunden
Beispiel siehe Band 1: Kapitel 4.1.1 Propriozeptives Training, Übung Nr.9: Wand halten.
Kennzeichnung im Buch:
Statische Übung
Wichtiger Hinweis:
Es gibt auch Übungen, die sowohl statische als auch dynamische Anteile haben. In diesen Fällen wurde die Kategorie gewählt, die das stärkste Gewicht/den Hauptanteil hat.
3. Sensomotorische Übungen:
(=Übungen für die Körperwahrnehmung)
Z.B. Wie stehe ich? (Krumm? Gerade?) Wie gehe ich? (Breitbeinig? Schmal? Kleine Schritte? Große Schritte?) Eine gute Körperwahrnehmung ist sehr wichtig, um...