Anstatt einer Einleitung:
Die GaYme Changer sind los. Wie eine dynamische Minderheit die globale Wirtschaft verändert
Wirtschaft und Gesellschaft wandeln sich rasanter denn je: Sie werden interkultureller, vielfältiger und für manche auch unübersichtlicher. Wie ist damit umzugehen?
Durch die schnellen Veränderungen wachsen nicht nur Risiken. Es entstehen auch laufend neue Chancen: für jeden einzelnen – und auch für Unternehmen. Immer mehr von ihnen reagieren auf die Notwendigkeit, sich zu wandeln, indem sie sich nunmehr auch Minderheiten zuwenden: mit Blick auf aktuelle und künftige Mitarbeiter und Führungskräfte, mit Blick auf Kunden, Geschäftspartner, junge Generationen und die kritischer werdende Öffentlichkeit.1
Eine der in dieser Hinsicht spannendsten Entwicklungen der letzten Jahre betrifft eine lange ausgegrenzte, vielerorts sogar kriminalisierte Gruppe: die LGBT+-Community. Zu ihr gehören Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender sowie Menschen weiterer, von der Mehrheit abweichender sexueller und geschlechtlicher Identitäten.
Fünfzig Jahre nach den Stonewall-Unruhen im Sommer 1969, als von der New Yorker Polizei drangsalierte Mitglieder dieser Gruppe erstmals deutlich sichtbar für ihre Menschen- und Bürgerrechte eingestanden sind, geht von dieser Minderheit eine ungeheure ökonomische und soziale Dynamik aus – unterstützt von international operierenden Unternehmen sowie anderen Akteuren und Entwicklungen aus deren Umfeld.
Man könnte auch sagen: Die GaYme Changer sind los. Wobei das Wort »Gay« im Englischen und auch sonst häufig als Synonym für die gesamte LGBT+-Community verwendet wird.
Wertschätzung und Wertschöpfung statt Ausgrenzung und Produktivitätseinbußen
Mit großem Tempo etabliert sich diese Community als wichtiger Faktor in Unternehmen, Märkten und Volkswirtschaften. Mehr noch: Die Frage ihrer Anerkennung, der Wertschätzung und Offenheit ihr gegenüber ist zu einem der wichtigsten Prüfsteine für lebendige Organisationskulturen, funktionierende Märkte und wachsende Ökonomien geworden.
Denn Unternehmenspraxis und Wissenschaft belegen immer klarer: Die Mitglieder der LGBT+-Community sind, je mehr man ihnen gleiche Rechte und Chancen gewährt, unternehmerische Akteure von Kreativität und Veränderung. Sie werden gebraucht in modernen Gesellschaften, die auf Innovation und Wandlungsfähigkeit existentiell angewiesen sind.
Unternehmen, Regierungen und gesellschaftliche Gruppen, die das nicht verstehen oder akzeptieren wollen, berauben sich wertvoller Ressourcen- und Produktivitätspotentiale. Anzuerkennen und wertzuschätzen, dass die Menschen vielfältig unterschiedlich sind, ist nicht nur human und fair. Es ist auch ökonomisch vernünftig.
Vielfalt und Inklusion: Erfolgsfaktor und Megatrend
Ein wichtiges Konzept ist dabei die Vielfalt. Wird Vielfalt nicht nur anerkannt und wertgeschätzt, sondern auch genutzt, ist das zum Vorteil von Gesellschaft, Volkswirtschaft und Firmen, von Bürgern, Mitarbeitern, Führungskräften und Unternehmern gleichermaßen.
Vielfalt meint dabei: jegliche Vielfalt. Ethische, religiöse, kulturelle, geschlechterbezogene und andere Formen der Vielfalt. Sie meint auch die Diversität sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten.
Das verstehen auch immer mehr Unternehmen rund um den Planeten. Vorreiter sind dabei die Vereinigten Staaten, aber auch Großbritannien und überhaupt der angloamerikanische Raum liberal-westlich geprägter Gesellschaften und globaler Firmen.
Aber auch viele andere Teile der Welt öffnen sich immer stärker für dem Leitgedanken der Wertschätzung und Nutzung von Vielfalt und Inklusion. Eine rasant wachsende Zahl von Unternehmen – und auch anderer Organisationen – managt sie strategisch und systematisch. Auch in Deutschland. Vielfalt und Inklusion und ihr erfolgreiches Management sind im Begriff, zum Megatrend zu werden. Oder sind es bereits.
LGBT+-Inklusion, das bedeutet: Durch die geeigneten Maßnahmen zu gewährleisten, dass alle Menschen den gleichen Schutz, die gleichen Rechte und die gleichen Chancen haben, etwas aus ihrem Leben zu machen. Auch Angehörige sexueller Minderheiten.
Etwas aus seinem Leben zu machen, heißt dabei nicht zuletzt, in einem Unternehmen die Karriere verfolgen zu können. Bis an die Spitze. Als die ganze Person, die jemand ist. Es heißt zugleich, einen Beitrag für das Unternehmen leisten zu können und zu dürfen. Und so auch für die Gesellschaft.
Das erfolgreiche Management von LGBT+-Vielfalt und -Inklusion bedeutet also auch, dass die legitime Forderung nach Schutz, Gerechtigkeit und Fairness einerseits und die nach Leistungsorientierung andererseits nicht gegeneinander in Stellung gebracht werden dürfen.
Das Gegenteil ist richtig: In einer hoch kompetitiven globalen Wirtschaft können und müssen diese Dimensionen überall auf der Welt zusammengedacht werden.
Rasante Entwicklung
Welche Ursachen treiben diese Entwicklung an?
Etwa rasante demografische Veränderungen. Oder die Effekte der Globalisierung, Digitalisierung und Medialisierung. Oder der permanent wachsende Veränderungs- und Innovationsdruck.
Oder der Wertewandel bei den Jüngeren, darunter ihr einschneidend anderer Umgang mit Sexualität und Identität – eine kleine Revolution mit großen Folgen.
Oder ihre veränderte Erwartung gegenüber dem, was Unternehmen leisten sollten – sich nämlich der Gesellschaft gegenüber über das hinaus verantwortlich zu zeigen, was Recht und Gesetz vorschreiben.
Welche Protagonisten – welche GaYme Changer – spielen dabei die zentrale Rolle?
Es sind viele. Nicht nur einzelne LGBT+ auf allen Firmenebenen, sondern auch immer mehr heterosexuelle Verbündete, sogenannte »straight allies«.
Die GaYme Changer sind nicht nur engagierte LGBT+-Mitarbeiternetzwerke, sondern gesamte Unternehmen.
Es sind zudem Plattformen, Kooperationen, Allianzen, Partnerschaften, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und andere Institutionen rund um den Globus, die – bislang vor allem zusammen mit globalen Großunternehmen – mit Ideen, immer mehr Einfluss und Macht auf verbesserte LGBT+-Gleichheit im Job (und in der Gesellschaft) hinarbeiten.
Es sind auch andere Player wie die Medien, die Politik, die Vereinten Nationen oder nun auch – nach langem Zögern – das Weltwirtschaftsforum in Davos, wichtiges Machtzentrum des globalen Business.
Welche Folgen hat diese Entwicklung in einer globalisierten Welt mit ihrer großen Vielfalt an Unternehmen und Persönlichkeiten, mit unterschiedlichen Geschichten, Kulturen, Ethnien und Gesetzen? Leben und Lieben, Arbeiten und Führen, Konsumieren und Investieren in New York, London, Frankfurt oder Berlin ist anders als in Hongkong, Johannesburg oder Rom.
An diese und viele andere Orte bin ich für dieses Buch gereist. Habe viele Einzelinterviews geführt. Recherchiert. Zugehört. Beobachtet.
Habe Vertreter von Accenture, Allianz, Allianz Global Investors, Axel Springer, Baloise, Barilla, Bertelsmann, BCG, BNP Paribas, BP, Commerzbank, Discovery, Deloitte, Deutsche Bank, EY, Freshfields Bruckhaus Deringer, Hogan Lovells, IBM, KPMG, McKinsey, Latham & Watkins, Microsoft, Norton Rose Fulbright, Oliver Wyman, Raiffeisen, Royal Bank of Canada, PwC, Salesforce, SAP, Shell, Siemens, Siemens Healthineers, Societé Générale, Thyssenkrupp, Vodafone und vielen anderen Unternehmen erlebt oder gesprochen.
Vertreter auch von Stiftungen, Verbänden, Handelskammern, Universitäten, NGOs, der UN und weiteren Institutionen.
War auf Konferenzen, Workshops und anderen Events von Unternehmen, manchmal als einziger Externer. Durfte in geschlossenen Gruppen mitverfolgen, was in sozialen Medien gepostet wurde. War bei der UN in Manhattan und im Europäischen Parlament in Brüssel. War Gast bei Kongressen in Wien oder Seattle, wo rund 6.000 Teilnehmer der großen Out & Equal-Konferenz zur LGBT+-Gleichheit am Arbeitsplatz neue Rekorde beschert haben.
Dieses Buch basiert also nicht nur auf aktuellen Forschungsergebnissen zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen. Es dokumentiert außerdem die Erfahrungen von LGBT+-Führungskräften, -Aktivisten und -Mitarbeitern. Auch von heterosexuellen LGBT+-Unterstützern, von denen es immer mehr gibt.
Ein interessantes Ergebnis: Die Zeit um 2014 markiert so etwas wie einen Wendepunkt zu sich schnell verändernden Anstrengungen für mehr LGBT+-Gleichheit in den Unternehmen und der Welt. Viele Indikatoren und Storys belegen das.
Viele Wege und bessere Welt
GaYme Changer zeigt mit seinen Geschichten, Analysen und Hintergründen auch, dass es viele Wege und unterschiedliche Konzepte und Schritte für Unternehmen gibt, um ein integratives, regenbogenfreundliches Umfeld zu schaffen.
Diese Konzepte und Tempi können je nach lokaler Geschichte, Kultur und Rechtsordnung, aber auch je nach lokalem Fortschritt,...