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E-Book

Gebrauchsanweisung für Deutschland

3. aktualisierte Auflage 2017

AutorWolfgang Koydl
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492954501
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Seit Jahren blickt Wolfgang Koydl aus der Ferne auf Deutschland. Mit feiner Ironie lotet er die Untiefen der deutschen Seele aus; er bietet unentbehrliche Tipps für den richtigen Umgang mit dieser eigentümlichen Nation von Bausparern, ADAC-Mitgliedern und Schnäppchenjägern. Ob als Heimat oder Reiseziel, für Einheimische oder Fremde - dieser Band enträtselt urdeutsche Geheimnisse: die Ordnungsliebe und den typisch deutschen Humor, die Dialekte, den Lokalpatriotismus und das scharfe »ß«, Karnevalsprunksitzungen, Verkehrsregeln und Paragrafenreiterei, die Fußgängerzonen mit ihrem nicht tot zu kriegenden Sommerschlussverkauf und die deutsche Küche zwischen Döner Kebab und Sushi, Toast Hawaii und handgekneteter sardischer Fischpaste.

Geboren 1952, er war Redakteur beim »Münchner Merkur«, Reporter für die »BBC« und ist seit 1996 Auslandskorrespondent für die »Süddeutsche Zeitung«. Nach Stationen in Istanbul, Washington, Kairo und Moskau berichtet Koydl seit 2005 für die SZ aus London. Er ist Autor mehrerer Bücher, zeitweise unter dem Pseudonym Maxim Gorski. Zuletzt veröffentlichte er den Bestseller »Fish and Fritz. Als Deutscher auf der Insel«. Mit seiner Familie lebt Wolfgang Koydl in dem Londoner Vorort Kingston upon Thames. 

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Leseprobe

Prolog:
Eine Beichte


Was ist schon exotisch an Deutschland? Ja, die Fezzan-Ebene in Libyen vielleicht, oder die Vulkane von Kamtschatka, die sind exotisch. Sogar entlegeneren Teilen der Schweiz oder Österreichs wird ein mysteriöser Zauber zugeschrieben. Dem Waldviertel etwa oder auch dem Kanton Zug. Das eine ist undurchdringlich wie ein jungfräulicher Regenwald für Hochdeutschsprecher, der andere für Steuerfahnder. Und für Hochdeutsche natürlich ebenso.

Aber die eigene Heimat? Sie ist so fremd wie das eigene Gesicht im Spiegel – jedenfalls an normalen Tagen, denen keine durchzechte Nacht voranging. Jedes Haar kennt man, jede Pore und – vor allem – jede Falte. Ob fröhlich, traurig, verschlafen oder verkatert – letzten Endes guckt einem immer derselbe alte Typ aus dem Spiegel entgegen.

Genauso verhält es sich mit Deutschland. Wer hier geboren und aufgewachsen ist, dem kann man nichts mehr vormachen, den kann man nicht mehr überraschen. Rheinischer Karneval? Entweder ist man so begeistert davon, dass alle Sinne und das Denken ohnehin vorübergehend heruntergefahren werden wie ein Laptop im Hibernation-Modus. Oder man ist von dem merkwürdigen närrischen Treiben derart angewidert, dass sich alle Sinne und das Denken sowieso attackiert fühlen wie von einem trojanischen Pferd, einem Wurm oder einem anderen Computervirus.

Ähnliche Reaktionen lösen (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge und ohne Anspruch auf Vollständigkeit) aus: das Oktoberfest, Berlin und die Berliner, der Muttertag, Oberlehrer in der Schule und im Alltag, Christkindlmärkte, Blasmusik, »Wetten dass« und andere flockig-lockere Fernsehunterhaltung, und nicht zuletzt Glasvitrinen und Kaffeebars in Fußgängerzonen.

In all diesen Fällen hat man als Deutscher eine klare Meinung, oder besser gesagt eine dezidierte Vorliebe oder Abneigung. Eines aber wird sich nicht einstellen: Ein Aha-Erlebnis, eine Überraschung, eine Erkenntnis, etwas Neues kennengelernt zu haben wie dies der Fall wäre, wenn man zum ersten Mal von Rodeo-Ritualen in Arizona, der Teezeremonie in Japan, oder Initiationsriten in Papua-Neuguinea erfährt.

Amerikaner, Japaner oder Papuaner freilich dürften Deutschland, die Deutschen und alles Deutsche wahrscheinlich höchst interessant, neu, amüsant und mitunter wohl auch reichlich befremdlich finden. Aber wie wäre es, wenn man sein eigenes Land auch einmal mit fremden Augen sehen könnte, gleichsam in einer Art von out of body experience. So beschreibt man im Englischen jenen Zustand eines Menschen, der nach einem Herzinfarkt oder einem Unfall gleichsam halb gestorben aus seiner sterblichen, wenn auch noch nicht ganz gestorbenen Hülle geschlüpft ist und bis zu einer Wiederbelebung von einer Warte gleich unter den Halogenlampen in der Klinikdecke aus einen guten Blick auf den eigenen Korpus unten auf dem Operationstisch erhaschen konnte.

Ein frischer Blick auf die eigene Heimat wäre freilich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht so erbaulich wie die Möglichkeit, klammheimlich hinter einem Grabstein versteckt seiner eigenen Beerdigung beiwohnen zu können. Denn bei dieser Gelegenheit würde man wohl kaum ein ehrliches Urteil über sich hören. Nirgends wird mit mehr Überzeugung gelogen als bei Beerdigungen. Und bei Hochzeiten natürlich. Nein, ein Blick durch fremde Augen müsste unweigerlich unangenehme Wahrheiten einschließen.

Mein Gefühl, als ich nach mehr als fünfzehn Auslandsjahren zum ersten Mal wieder für mehr als einen kurzen Urlaub nach Deutschland zurückkehrte, war jedenfalls mit out of body experience nur sehr unzureichend umschrieben. Mir schien es, als ob ich nicht einen Airbus der Lufthansa nach Frankfurt bestiegen hätte, sondern irgendein intergalaktisches Geschoss mit dem Kranich der deutschen Airline, das mich auf einem fernen Stern deponiert hatte.

War das wirklich mein Land? Waren die Deutschen schon immer so steif, so mürrisch, so humorlos gewesen? Und zugleich so rührselig (zur rechten Zeit, versteht sich, an Weihnachten zum Beispiel), so effizient, so hilfsbereit? Schlimmer noch: War etwa auch ich so wie sie? In all den Jahren im Ausland hatte ich es mir angewöhnt, ein wenig spöttisch auf die vermeintlich tumben Deutschen herabzublicken, und die meisten meiner ebenfalls vorübergehend ausgelagerten Landsleute sahen das genauso.

Doch mit dem Hochmut war es nach der Heimkehr vorbei. Was war geschehen? Hatten sich die Leute daheim verändert, oder war ich ein anderer geworden? Und weshalb sahen sie mich so scheel an, wenn ich arglos fragte, in welcher Tonne ich den Joghurtbecher entsorgen müsse, wie ich einen neuen Personalausweis beantragen könne, und weshalb ich nach zwei Uhr mittags keine warme Mahlzeit mehr im Wirtshaus bekäme. Man schien mich zu verdächtigen, dass ich mich über die Deutschen lustig mache – und damit über meinesgleichen. Denn ich gehörte ja dazu.

Zuvor hatte ich in England, in Österreich, in Ägypten und zuletzt in der Sowjetunion gelebt. In Moskau hatte ich meine Frau kennengelernt, die noch nie in ihrem Leben in Deutschland gewesen, ja, die nie zuvor in einem anderen Land als der UdSSR gewesen war. Einen frischeren Blick als ihren konnte man sich nicht wünschen. Wenn ich mich nur ein wenig wunderte, dann kam sie gar nicht mehr heraus aus dem Kopfschütteln. Es gab Tage, da erinnerte sie an einen jener Hunde mit Wackelkopf, den überraschend viele Menschen in Deutschland auf der Hutablage ihres Autos sitzen haben. Wieso, nebenbei bemerkt, heißt diese Fläche im Fond auf Deutsch überhaupt Hutablage, wo doch niemand einen Hut dort ablegt? Wer in Deutschland Hut trägt, der legt ihn auch hinterm Steuer nicht ab, und solche Fahrer sollte man unter allen Umständen weiträumig umfahren.

Doch weil das Erlebnis, gleichsam als Fremder im eigenen Land zu leben, nicht nur befremdend war, sondern auch stimulierend, entschloss ich mich, all diese Abenteuer aufzuschreiben und möglichst viele Landsleute an ihnen teilhaben zu lassen. Und weil es russische Augen waren, durch die sich dieses vertraut-verfremdete Land darbot, lag es nahe, den Berichterstatter in die Figur eines Russen schlüpfen zu lassen.

So wurde Maxim Gorski geboren, nachdem viele andere Pseudonyme verworfen worden waren. Aber Gorski war gut. Es klang echt genug nach einem authentischen (und berühmten) Namen, aber zugleich konnte man sich nach kurzer Überlegung denken, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Umso erstaunter war ich, als ich später eine echte Familie Gorski kennenlernte. Sie waren meine Nachbarn in Amerika. Die Vorfahren waren irgendwann einmal von der Krim in die USA ausgewandert und hießen Piatigorski. Das war dem amerikanischen Einwanderungsbeamten zu kompliziert, und deshalb hackte er den ersten Namensteil ab. Als ich John Gorski von meinem Buch erzählte, hielt er mich zunächst für einen Verwandten, auf den er ungemein stolz sein konnte. Später schlug er in der Stadtbibliothek von Rockville, Maryland, den Namen nach und wurde an Maxim Gorki verwiesen. Von da an beäugte er mich mit unverhohlenem Misstrauen. Er halte mich für einen Erzkommunisten übelster Sorte, hörte ich von einem anderen Nachbarn. Schließlich hätte ich noch Lenin persönlich gekannt.

Aber noch ein anderer Grund sprach für ein russisches Pseudonym. Ich bin nicht der erste Deutsche, der festgestellt hat, dass uns kaum ein zweites Volk so viele Sympathien entgegenbringt wie das russische. Das ist beschämend angesichts des Unheils, das wir über dieses Land gebracht haben, und gleichzeitig so anrührend, dass nur zwei Völker imstande sind, sich darüber tränenüberströmt in die Arme zu sinken: Russen und Deutsche eben, die letzten unverbesserlichen Romantiker dieser Welt, auch wenn uns andere Völker das nicht immer gleich abnehmen. Sie wollen überzeugt werden, was uns leider nicht immer reibungslos gelingt.

Beispiele für diese Seelenverwandtschaft finden sich überall. Ich hatte das Glück, in Moskau zu sein, als in Berlin die Mauer fiel. Die erste Überraschung war, dass das sowjetische Fernsehen das Ereignis fast live zeigte – nur um fünfzehn, zwanzig Minuten zeitversetzt. Die weitaus größere Überraschung aber erlebte ich, als ich am nächsten Morgen Passanten auf der Straße nach ihrer Reaktion auf die Bilder aus Berlin befragte. Zu diesem Zeitpunkt war schon klar, dass weder Franzosen noch Briten über den Verlauf der Dinge jenseits des Rheins besonders entzückt waren, und dass lediglich die lästige Mitgliedschaft der Deutschen im selben Verteidigungsbündnis sie daran hinderte, den aufmüpfigen Hunnen mit härteren Maßnahmen zu drohen. Um wie viel mehr müssten die Russen, die ja von der deutschen Wehrmacht angegriffen und besetzt worden waren, in Panik geraten angesichts eines wiedervereinigten, wieder erstarkten, wieder triumphierenden Deutschland? So dachte ich es mir wenigstens, als ich mit Block und Bleistift loszog.

»Ach Söhnchen, ich freue mich für euch, ich habe geweint, als ich das gestern im Fernsehen sah«, sagte mir die Babuschka am Kiewer Bahnhof. »Das war ja kein natürlicher Zustand, diese Trennung, nicht wahr«, nickte der Kriegsveteran zustimmend, den man an den Ordensspangen am abgewetzten Wintermantel erkannte. »Ein Volk gehört zusammen«, fügte er hinzu und nahm damit schon fast Willy Brandt mit seinem historischen Ausspruch vorweg, wonach zusammenwachse, was zusammengehöre. So sehr ich mich auch bemühte, ich fand bei meiner – zugegeben gänzlich unwissenschaftlichen – Untersuchung keinen einzigen Menschen, der auch nur ansatzweise Vorbehalte gezeigt hätte gegen die Ereignisse in Deutschland.

Aber auch schon früher war ich immer wieder über dieses besondere Verhältnis...

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